HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2009
10. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

322. BGH 2 StR 165/08 - Urteil vom 4. Februar 2009 (LG Frankfurt am Main)

BGHSt; Verbrechensverabredung (Einordnung einer Tat als Verbrechen oder Vergehen beim Sich-Bereiterklären zur Anstiftung nach der Person des Anzustiftenden; versuchte Anstiftung; Verbrechensverabredung: ungenügende Beihilfe); gewerbs- und bandenmäßig begangener Betrug.

§ 30 Abs. 2 StGB; § 263 Abs. 5 StGB

1. Für die Einordnung der gemäß § 30 StGB beabsichtigten Tat als Verbrechen oder Vergehen kommt es auch in Fällen des Sich-Bereiterklärens zur Anstiftung gemäß § 30 Abs. 2 StGB nicht auf die Person des Anstifters, sondern auf die des Anzustiftenden an (im Anschluss an BGHSt 6, 308). (BGHSt)

2. Die Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 StGB setzt die vom ernstlichen Willen getragene Einigung mehrerer Personen voraus, an der Verwirklichung eines bestimmten Verbrechens mittäterschaftlich, also nicht nur als Gehilfen, mitzuwirken (BGH NStZ 1988, 406; 1993, 137, 138; NStZ-RR 2002, 74, 75). (Bearbeiter)


Entscheidung

351. BGH 4 StR 488/08 – Urteil vom 12. Februar 2009 (LG Dortmund)

Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe beim Unterlassungsdelikt; Garantenstellung aus Ingerenz (Bestärkung eines anderen zur Tat).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 13 StGB

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen zur Tat eines aktiv Handelnden die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tatherrschaft maßgebend. War seine aufgrund einer wertenden Betrachtung festzustellende innere Haltung – insbesondere wegen des Interesses am Taterfolg – als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen, so liegt die Annahme von Mittäterschaft nahe. War sie dagegen davon geprägt, dass er sich dem Handelnden – etwa weil er dessen bestimmenden Einfluss unterlag – im Willen unterordnete und ließ er das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg lediglich ablaufen, spricht dies für eine bloße Beteiligung als Gehilfe (BGH NStZ 1992, 31 m.w.N.). Zum anderen kommt Mittäterschaft des Unterlassenden in Betracht, wenn dieser – neben dem aktiv Handelnden – „Herr des Geschehens“ war, er also die Tatherrschaft hatte (vgl. BGHSt 11, 268, 272; 37, 289, 293).


Entscheidung

385. BGH 5 StR 572/08 - Urteil vom 26. Februar 2009 (LG Berlin)

Versuchter Mord; Rücktritt vom Versuch (Aufgeben der weiteren Tatausführung; Zäsur); Garantenstellung für die Abwendung des Todes (Ingerenz aufgrund früherer gemeinschaftlicher Körperverletzung); detaillierte Vorgaben des Revisionsgerichts für die neue Hauptverhandlung.

§ 211 StGB; § 13 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 24 StGB; § 223 StGB

Beteiligen sich mehrere an – ggf. nicht einmal lebensgefährlichen – Misshandlungen eines Opfers und zielen die weiteren Tathandlungen eines Tatgenossen auf die Tötung des Opfers ab, so kann ein zuvor lediglich an den Gewalttätigkeiten Beteiligter als Garant anzusehen sein, der zur Abwendung des drohenden Todeserfolges verpflichtet ist, wenn durch sein Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges besteht. Diese Gefahr kann dadurch bewirkt werden, dass der zur Tötung des Opfers bereite Tatgenosse durch die übrigen Tatbeteiligten in seinen, die Misshandlung des Opfers übersteigenden und nunmehr auf dessen Tötung gerichteten Handlungen bestärkt wird.

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

318. BGH 1 StR 731/08 - Beschluss vom 18. Februar 2009 (LG München I)

BGHSt; Schadensbestimmung bei Betrug im Fall von Risikogeschäften (Bewertung zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung; Vorsatz; Verlustrisiko als Endschaden bzw. endgültiger Schaden; Mindestfeststellung durch Schätzung inklusive Beurteilungsspielraum: Recht auf ein faires Verfahren; Schadensumfang beim Anlagebetrug); Hinweispflicht; Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (wirtschaftliche Verhältnisse; Erörterungsmangel).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 263 Abs. 1 StGB; § 266 StGB; § 41 StGB; § 265 StPO

1. Beim betrügerisch veranlassten Eingehen eines Risikogeschäfts - mit einer nicht mehr vertragsimmanenten Verlustgefahr - ist zur Feststellung des Schadens auf den unmittelbar mit der Vermögensverfügung des Geschädigten eingetretenen Vermögensnachteil abzustellen. Allein hierauf muss sich das voluntative Element des Vorsatzes beim Täter beziehen. Auf die Billigung eines eventuellen Endschadens kommt es insoweit nicht an. (BGHSt)

2. Der mit der Vermögensverfügung unmittelbar eingetretene Vermögensschaden ist durch das Verlustrisiko zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung bestimmt. Dies stellt hinsichtlich des Straftatbestands einen endgültigen Schaden dar und nicht nur eine (schadensgleiche) Vermögensgefährdung. Die Höhe des Vermögensnachteils zum Zeitpunkt der Verfügung ist nach wirtschaftlichen Maßstäben zu bewerten. Ist eine genaue Feststellung zur Schadenshöhe nicht möglich, sind hierzu Mindestfeststellungen zu treffen. Dies kann durch Schätzung geschehen. Dem Tatrichter steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu. (BGHSt)

3. Ein Schaden i.S.v. § 263 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung (hier die vertragsgemäße Bezahlung der Anlagesumme an den Angeklagten beziehungsweise eines seiner Unternehmen) unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, vgl. BGHSt 45, 1, 4; 51, 10, 15). (Bearbeiter)

4. Der Begriff der konkreten Vermögensgefährdung ist entbehrlich. Zwischen Schaden (Verlust) und Gefährdung (Beeinträchtigung) besteht bei wirtschaftlicher Betrachtung kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied. (Bearbeiter)

5. Auch die Absicht des späteren Ausgleichs der Vermögensminderung ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung. (Bearbeiter)

6. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 41 Satz 1 StGB) haben solche Vermögenswerte außer Betracht zu bleiben haben, die dem Verfall gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. der Rückgewinnungshilfe nach § 111i StPO unterliegen. (Bearbeiter)


Entscheidung

309. BGH 1 StR 4/09 - Beschluss vom 18. Februar 2009 (LG Stuttgart)

BGHSt; Geldwäsche (Vortat der Bestechung: Herrühren des Bestechungsgeldes; Vortatbeteiligung: Maßgeblichkeit des deutschen Rechts); ne bis in idem (Verbot der Doppelbestrafung).

Art. 103 Abs. 3 GG; § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB; § 334 Abs. 1 StGB; § 335 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 StGB; Art. 2 § 1 und § 4 IntBestG

1. Im Rahmen der Strafbarkeit des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB rührt bei der Bestechung nach § 334 StGB als Vortat auch das Bestechungsgeld, das der Bestechende zahlt, aus der Tat her. (BGHSt)

2. Bei der Beurteilung, ob der Täter der Geldwäsche sich zugleich wegen der Vortat strafbar i.S.d. § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB gemacht hat, ist allein auf das deutsche Recht abzustellen. (BGHSt)

3. Das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG ist jedoch auf die Verurteilungen durch denselben Staat beschränkt und gilt daher - soweit keine bi- oder multilateralen Übereinkommen bestehen - bei ausländischen Verurteilungen nicht. (Bearbeiter)

4. Ein Gegenstand ist dann als bemakelt i.S. der § 261 Abs. 1 StGB anzusehen, wenn er sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Sinne eines Kausalzusammenhangs auf die Vortat zurückführen lässt. (Bearbeiter)


Entscheidung

362. LG Itzehoe Jug 3 KLs 19/08 – Beschluss vom 12. März 2009

Vorlagebeschluss; Richtervorlage; konkrete Normenkontrolle; Schuldprinzip; schuldangemessene Strafe; besonders schwere Brandstiftung (Fehlen eines minderschweren Falles); verfassungskonforme Auslegung; abstraktes Gefährdungsdelikt; teleologische Reduktion.

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 100 Abs. 1 GG; § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

1. Die vorlegende Jugendkammer ist überzeugt, dass der Tatbestand der besonders schweren Brandstiftung (§ 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB) gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens verstößt, das seinerseits aus der in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Würde

und Eigenverantwortlichkeit des Menschen und dem in Art 20. Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip folgt.

2. § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB schränkt in verfassungswidriger Weise das Recht auf persönliche Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Tatbestand und Rechtsfolge sind insofern nicht sachgerecht aufeinander abgestimmt, als dem Richter in Ansehung der hohen Mindeststrafe und mangels herabgesetzten Strafrahmens für minder schwere Fälle kein ausreichender Spielraum verbleibt, um im Einzelfall zu einer schuldangemessenen Strafe kommen zu können. Jedenfalls in den Fällen, in denen erhebliche Milderungsgründe zusammentreffen, ist der Richter durch § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB gezwungen, eine Strafe zu verhängen, die im Verhältnis zur Schuld des Täters unangemessen hoch ist.

3. Die Verschärfung der Strafe gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB steht im Vergleich zum Grundtatbestand und den übrigen Qualifizierungen des § 306a StGB nicht mehr in einem sachgerechten Verhältnis zum Maß der vermehrten Schuld und fügt sich - jedenfalls in Ermangelung eines herabgesetzten Strafrahmens für minder schwerer Fälle - nicht in sachgerechter Weise in das Sanktionssystem des StGB ein.


Entscheidung

357. BGH 4 StR 594/08 – Urteil vom 5. März 2009 (LG Landau)

Tätliche Beleidigung („Sprühregenfall“; spürbare körperliche Einwirkung); nachträgliche Gesamtstrafbildung (Zäsurwirkung).

§ 185 2. Alt. StGB; § 55 Abs. 1 StGB

1. Macht der Angeklagte um seine Missachtung auszudrücken mit nahezu geschlossenem Mund ein einem starken Ausatmen ähnliches Geräusch, wodurch zugleich Speichel in Form einer Art „Sprühregens“ aus etwa 20 cm Abstand im Gesicht des Opfers auftritt, erfüllt diese spürbare körperliche Einwirkung auf das Opfer den objektiven Tatbestand einer tätlichen Beleidigung.

2. Gemäß § 55 Abs. 1 StGB ist eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Einer Vorverurteilung kommt diesbezüglich dann keine Zäsurwirkung zu, wenn sämtliche in ihr abgeurteilten Taten schon in eine frühere Vorverurteilung einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - 4 StR 431/07).


Entscheidung

332. BGH 2 StR 516/08 - Urteil vom 14. Januar 2009 (LG Trier)

Gewerbsmäßiger Betrug (eigene Vorteile; Drittbereicherungsabsicht; Beweiswürdigung: rechtsfehlerhafte Begründung eines Freispruchs, Gesamtwürdigung der Indizien, überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung, lückenhafte Würdigung).

§ 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 StGB; § 261 StPO

Gewerbsmäßig handelt ein Angeklagter beim Betrug nur dann, wenn ihm aus den betrügerisch erlangten Geldern eigene Vorteile zufließen sollten.


Entscheidung

312. BGH 1 StR 648/08 - Beschluss vom 17. Dezember 2008 (LG München)

Versuchte schwere räuberische Erpressung (Bereicherungsabsicht; Tatbestandsirrtum; Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen; Feststellung der Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung).

§ 253 StGB; § 255 StGB; § 16 Abs. 1 StGB

1. Für den Tatbestand der räuberischen Erpressung kommt es in Fällen einer fremdnützigen Tatbegehung darauf an, ob der Angeklagte eine Zahlung an einen Dritten erreichen wollte, um diesen oder eine andere Person zu Unrecht zu bereichern. Die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ist ein (normatives) Tatbestandsmerkmal, das vom - zumindest bedingten - Vorsatz des Täters umfasst sein muss (BGH StV 1991, 20; Senat, Beschl. vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08).

2. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Forderung richtet sich gemäß § 253 StGB nicht danach, ob sie unbestritten ist oder vor Gericht durchgesetzt werden muss, sondern allein nach der materiellen Rechtslage (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 6 f.; Senat, Beschl. vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08).


Entscheidung

377. BGH 5 StR 73/09 - Beschluss vom 10. März 2009 (LG Berlin)

Verminderte Schuldfähigkeit (obligatorische Prüfung der Strafmilderung); Härteausgleich (fiktive Gesamtstrafe).

§ 21 StGB; § 49 StGB; § 55 StGB

1. Gelangt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte eine Tat unter den Voraussetzungen des § 21 StGB begangen hat, so hat er sich zwingend mit der Möglichkeit einer Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen.

2. Das Tatgericht kann zur Durchführung des Härteausgleichs von einer unter Einbeziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten „fiktiven Gesamtstrafe“ ausgehen und diese dann um die vollstreckte Strafe mindern oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe nicht mehr möglich ist, unmittelbar bei der Feststellung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist jedoch, dass ein angemessener Härteausgleich vorgenommen wird und dies den Urteilsgründen hinreichend deutlich zu entnehmen ist


Entscheidung

348. BGH 4 StR 396/08 - Beschluss vom 20. Januar 2009 (LG Berlin)

Straßenverkehrsgefährdung (Begriff der Vorfahrt).

§ 315c StGB

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats fallen unter den Begriff Vorfahrt im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB die Verkehrsvorgänge im öffentlichen Straßenverkehr, bei denen die Fahrlinien zweier Fahrzeuge (bei unveränderter Fahrweise) zusammentreffen oder einander gefährlich nahe kommen würden. Dazu gehören alle Fälle, in denen eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift einem Verkehrsteilnehmer den Fahrtvorgang einräumt (sog. erweiterter Vorfahrtbegriff; vgl. BGHSt 11, 219, 223; 13, 129, 134: jew. zu § 315 a Abs. 1 Nr. 4 StGB

a.F.; VRS 38, 100, 102: zu § 315 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB).


Entscheidung

379. BGH 5 StR 86/09 - Beschluss vom 25. März 2009 (LG Neuruppin)

Körperverletzung mit Todesfolge (minder schwerer Fall; Gesamtabwägung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (obligatorische Prüfung bei nahe liegenden Hang).

§ 227 StGB; § 46 StGB; § 64 StGB

Die Prüfung der Anwendung des Sonderstrafrahmens des § 227 Abs. 2 StGB (minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge) erfordert eine Gesamtabwägung, bei der alle relevanten Strafzumessungstatsachen heranzuziehen sind.