HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2009
10. Jahrgang
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Schrifttum

Michalke/Köberer/Pauly/Kirsch (Hrsg.), Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag am 24. Februar 2008, de Gruyter, Berlin 2008, 869 Seiten, Preis 198.- EUR.

I.

Rainer Hamm zählt gewiss zu den bekanntesten Anwälten der Bundesrepublik. Den meisten wird er als Verteidiger in sog. "großen Prozessen" bekannt sein, etwa dem Holzschutzmittel- (BGHSt 41, 206) oder dem Mannesmann-Verfahren (BGHSt 50, 331), und als Mitherausgeber der NJW, wo er seit 1987 vornehmlich für die strafrechtlichen Belange der Leserschaft Sorge trägt. Hermann Weber, einer von 57 Autoren, die an der Festschrift mitgewirkt haben, widmet seinen aus der Sicht des Insiders geschriebenen Beitrag ("Rainer Hamm und das Strafrecht in der NJW"; S. 815 ff.) vor allem diesem Aspekt der beruflichen Tätigkeit des Jubilars. Eine solche Innensicht bietet auch der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt Christoph Kuhlenkampff in seinem Rückblick auf den "Frankfurter Arbeitskreis Strafrecht" (S. 397 ff.), dem in den Jahren seiner Existenz von 1990 bis 2002 Vertreter aller mit Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik befassten juristischen Berufsgruppen angehörten. Rainer Hamm war Mitbegründer dieses Zirkels, der unter Austausch und Nutzung der verschiedenen rollenspezifischen Perspektiven so wichtige Themen wie die (angebliche) Überforderung der Strafjustiz aufarbeitete und in viel beachtete Thesen münzte (FAZ vom 8. Juli 1997; StV 1997, 497 ff.). Der Jubilar war aber auch im weitesten Sinne politisch tätig: als Sachverständiger in diversen Rechtsausschüssen und von 1996 bis 1999 als hessischer Datenschutzbeauftragter. Stefan König nimmt Letzteres zum Anlass für seinen Aufsatz (S. 325 ff.), in dem er die Frage aufwirft "Der Datenschutzbeauftragte als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft?"; konkret: Muss ein Strafverteidiger dem Auskunftsverlangen des Datenschutzbeauftragten über personenbezogene Informationen nachkommen, die er zu Verteidigungszwecken über einen Zeugen gesammelt hat? König beantwortet sie zutreffend im Sinne der freien Advokatur (ebenso: AG Tiergarten StraFo 2007, 39). Und schließlich werden viele Rainer Hamm als versierten Revisionsrechtler kennen. "Die Revision in Strafsachen", inzwischen in 6. Auflage erschienen, und "Beweisantragsrecht", das seit 2007 in 2. Auflage vorliegt, sind zur Bewältigung dieses schwierigen Rechtsmittels so gut wie unverzichtbar.

Die Freunde, Kollegen und Wegbegleiter, die Rainer Hamm durch die hier vorzustellende Festschrift ehren, knüpfen in ihren Beiträgen alle mehr oder minder an die erwähnten Tätigkeiten des Jubilars an. Nicht alle Aufsätze können hier gewürdigt werden. Die Auswahl ist notgedrungen subjektiv und orientiert sich vornehmlich an den Schwerpunkten des wissenschaftlichen Interesses des Geehrten: am Revisions- und am Wirtschaftsstrafrecht.

II.

1.) Einem Thema aus dem Bereich der absoluten Revisionsgründe wendet sich der am 7. Februar 2009 viel zu früh verstorbene Christian Richter zu (Marginalien zum Ablehnungsrecht; S. 587 ff.). Er befasst sich mit der im

strafprozessualen Schrifttum nur selten aufgeworfenen und bislang nicht vertieften Frage, welchen Inhalt die in § 26 Abs. 3 StPO vorgesehene dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters haben muss. Richter untersucht konkret, ob die im forensischen Alltag recht häufig anzutreffende Erklärung "Ich fühle mich nicht befangen" den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Er verneint dies zutreffend: Im Ablehnungsrecht komme es allein auf die Sicht des vernünftigen Angeklagten an, niemals darauf, ob der Richter sie teile. Was im zivilprozessualen Schrifttum mit "luzider Klarheit" (S. 590) längst erkannt sei, nämlich die Unerheblichkeit und - mehr noch - Unzulässigkeit der Erklärung des abgelehnten Richters, er fühle sich nicht befangen, gelte uneingeschränkt auch im Strafverfahren. Wenn der abgelehnte Richter sich zu etwas äußere, was bei ihm gar nicht angefragt sei, nämlich die Einschätzung seiner eigenen Befindlichkeit, lasse er erkennen, dass diese für ihn maßgeblich sei. Man kann Richter nur beipflichten, wenn er dies als "grotesken Rollentausch" (S. 592) bezeichnet und als objektiv "willkürliche Rechtsanwendung" (S. 592) geißelt mit der Konsequenz, dass sie einen eigenständigen Ablehnungsgrund darstellt (vgl. auch Siolek, in: Löwe/Rosenberg[26. Aufl. 2006], § 26 Rdnr. 26; Lemke, in: Heidelberger Kommentar[3. Aufl. 2001], § 26 Rdnr. 16; Wassermann, in: Alternativkommentar[1988], § 26 Rdnr. 5).

Mit verfahrensrechtlichen Themen aus dem Bereich der relativen Revisionsgründe befassen sich zahlreiche Aufsätze: Jürgen Taschke, der sich bereits in einem früheren lesenswerten Aufsatz mit der wirtschaftsstrafrechtlichen Unternehmensberatung befasste (StV 2007, 495 ff.), beleuchtet in seinem Beitrag die Rolle des sog. Unternehmensanwalts unter dem spezifischen Blickwinkel des Beschlagnahmeschutzes seiner Handakten. Ein wichtiges Thema, denn die potentiellen Begehrlichkeiten liegen auf der Hand: Der das Unternehmen wirtschaftsstrafrechtlich betreuende Anwalt recherchiert, dokumentiert und bewertet eine Vielzahl von Umständen, die für die Staatsanwaltschaft von ganz erheblichem Interesse sein können. Taschke kommt in seiner Untersuchung "Zum Beschlagnahmeschutz der Handakten des Unternehmensanwalts" (S. 751 ff.) zu dem überzeugenden Ergebnis, dass § 97 StPO entsprechend gilt (S. 761 f.) und es wegen des ebenfalls analog anwendbaren § 148 StPO auch nicht darauf ankommt, ob sich die Unterlagen im Gewahrsam des beratenden Anwalts oder des beratenden Unternehmens befinden (S. 762). Bettina Sokol ("Auf der Rutschbahn in die Überwachbarkeit - Das Beispiel der Online-Durchsuchungen"; S. 719 ff.) und Rainer Spatscheck ("Beschlagnahme von Computerdaten und E-Mails beim Berater"; S. 733 ff.) befassen sich ebenfalls mit Fragen aus dem Bereich der (grundrechtsrelevanten) Zwangsmaßnahmen.

Es dürfte keine allzu verwegene Prognose sein, dass derjenige, der sich in Zukunft vertieft mit dem Beweisantragsrecht zu befassen hat, an dem erhellenden Beitrag von Martin Niemöller nicht vorbeikommen wird ("Der Kontinuitätsgrundsatz - Ein unentdecktes Prinzip des Beweisantragsrechts"; S. 537 ff.). Niemöller unterteilt die in § 244 Abs. 3 S. 2 StPO aufgeführten Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrags - abgesehen vom Grund der Prozessverschleppung - in beweismittelbezogene Ablehnungsgründe (Ungeeignetheit und Unerreichbarkeit) und beweisthemabezogene (Offenkundigkeit, Erwiesen-Sein, Bedeutungslosigkeit und Wahrunterstellung). Diese neue Einteilung ist als solche freilich ohne rechtliche Relevanz. Sie fördert aber, wie Niemöller dezidiert darstellt, die Lösung einiger Probleme des Beweisantragsrechts. Das erweist sich schon bei der Frage, nach welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob der jeweilige Ablehnungsgrund vorliegt. Bei den beweismittelbezogenen komme es entscheidend auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung an (S. 539 f.). Der Beschluss werde durch spätere Veränderungen nicht rechtswidrig; der Ablehnungsgrund bleibe "stabil". Anders verhalte es sich bei den beweisthemabezogenen Ablehnungsgründen. Hier müsse der Ablehnungsgrund über den Beschlusszeitpunkt fortbestehen. Maßgebend sei also der Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils (S. 541). Niemöller nennt dieses übergreifende Prinzip griffig "Kontinuitätsgrundsatz" (S. 541) und überprüft es auf seine Stimmigkeit anhand der einzelnen Ablehnungsgründe. Besonders interessant sind seine Ergebnisse für die Wahrunterstellung. Niemöller stellt sich gegen seine früheren Richterkollegen am Bundesgerichtshof, der mehrfach entschieden hat, dass eine Wahrunterstellung, die sich nach dem Gesetz nur auf erhebliche Tatsachen beziehen darf, schon dann zulässig sei, wenn ihre Erheblichkeit zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (nur) nicht ausgeschlossen werden kann (Nwse. bei Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg[25. Aufl. 2001], § 244 Rdnr. 241). Abgesehen von dem dogmatischen Bedenken, dass dem Gesetz die Kategorie einer nur potentiellen Erheblichkeit fremd ist, besteht für den Antragsteller die Gefahr, dass das Gericht die behauptete Tatsache "still" (S. 553) und damit für ihn unerkennbar von der Erheblichkeit zur Bedeutungslosigkeit absinken lässt; ob und unter welchen konkreten Voraussetzungen analog § 265 StPO eine Hinweispflicht besteht, ist bekanntlich heftig umstritten. Niemöller zeigt, dass die Anwendung des Kontinuitätsgrundsatzes zur angemessenen und richtigen Lösung führt (S. 553): "Durch Annahme der Bedeutungslosigkeit im Urteil negiert das Gericht die Erheblichkeit der Beweisbehauptung, dementiert damit den Ablehnungsgrund und desavouiert somit die Antragstellung ... Der Beschluss (hat) ... seine Grundlage verloren und ist mithin rechtsfehlerhaft."

Der Beweis der die Verfahrensrüge tragenden Tatsachen ist (eine) Voraussetzung für ihren Erfolg. Jürgen Pauly, Werner Leitner und Reinhold Schlothauer greifen dieses Thema in unterschiedlichen Facetten auf. Die Letztgenannten nehmen die Entscheidung des dritten Strafsenats zur "bewusst wahrheitswidrigen" Verfahrensrüge (BGHSt 51, 88 mit Anm. Gaede StraFo 2007, 29) und des Großen Senats zur "Rügeverkümmerung" (BGHSt 51, 298 mit Anm. R. Hamm NJW 2007, 3166) zum Anlass, sich mit dem Protokoll und seinen prozessualen Funktionen auseinander zu setzen. Leitner zeichnet in "Das Protokoll im Strafverfahren" (S. 405 ff.) dessen wechselvolle Geschichte nach vom altgermanischen Strafverfahren bis zur letzten Änderung durch das Opferrechtsreformgesetz von 2004. Er wendet sich resümierend gegen die beiden Entscheidungen zugrunde liegende Reduzierung des Verhältnisses von Wahrheit und Form in "wahr" oder "unwahr" (S. 417). Leitner liegt damit im Ergebnis ganz auf der Linie Schlothauers, der sich vor allem mit dem Argument befasst, "auch die Revisionsgerichte (sei-

en) zur Wahrheit verpflichtet"; "bei der Beurteilung von Verfahrensverstößen (sei) der wahre Sachverhalt zugrunde zu legen". Schlothauer legt im Einzelnen dar, dass das geltende Revisionsrecht erstens gerade nicht auf dem Grundsatz der materiellen Wahrheit fußt, sondern auf dem der formellen, und zweitens, dass die Rechtsprechung dies auch immer dann so sieht (und so sehen wird!), wenn der Beschwerdeführer den Verfahrensfehler zwar auf der Grundlage eines "wahren" Sachverhalts vorgetragen hat, dies jedoch nicht in der nach §§ 344 Abs. 2, 345 Abs. 1 StPO gebotenen Weise geltend macht (S. 668). Ein noch so schwer wiegender und offensichtlicher Verfahrensmangel ist dann, trotz seiner tatsächlichen Existenz, nicht vorhanden. Man wird nicht ernsthaft annehmen können, dass dies in Zukunft anders sein soll. Die "Immunisierung tatrichterlicher Urteile gegen verfahrensrechtlich begründete Revisionen", so der Titel des Aufsatzes (S. 655 ff.), durch nachträgliche Änderungen des Hauptverhandlungsprotokolls sei nach alledem verfehlt, zumal die Verantwortlichkeit für Niederschrift und Fertigstellung des Protokolls ausschließlich im Bereich der Justiz liegt (S. 662, 669). Man kann nur mit Bedauern feststellen, dass die dem Großen Senat angehörenden Richter des 4. und 5. Strafsenats, die an der bisherigen Rechtsprechung festhalten wollten (4 ARs 3/06, Beschluss vom 3. Mai 2006 und 5 ARs 13/06, Beschluss vom 9. Mai 2006), sich offenbar nicht durchsetzen konnten (natürlich können sie - eben wie andere - auch anderen Sinnes geworden sein). Auch Jürgen Pauly widmet sich in seinem Beitrag ("Mündlichkeit der Hauptverhandlung und Revisionsrecht"; S. 557 ff.) dem Thema "Beweisbarkeit des Verfahrensverstoßes". Da das Rechtsmittel der Revision beim größten Unrecht "versagen könne" (Max Alsberg, Justizirrtum und Wiederaufnahme, Berlin 1913, S. 34; ähnlich der Jubilar, in: Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, Berlin 1998, Rdnr. 7), macht er sich im Interesse besserer Kontrolle der tatrichterlichen Überzeugungsbildung für eine vorsichtige Zurückdrängung des Rekonstruktionsverbots stark und verdeutlicht an mehreren Beispielen, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO im Einzelfall auch heute schon abverlangt wird, genau zum Inhalt mündlicher Äußerungen in der Hauptverhandlung vorzutragen.

Ulfrid Neumann spürt der wichtigen "Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage im strafprozessualen Revisionsrecht" nach (S. 525 ff.). Mit sachlich-rechtlichen Problemen befassen sich Hans Dahs ("Die Plausibilitätsrüge"; S. 41 ff.) und Rüdiger Deckers ("Aussage gegen Aussage - Zur Entwicklung der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung und der Aussagepsychologie"; S. 53 ff.). Wolfgang Köberers Untersuchung "Zur Rechtsfolgenkompetenz des Revisionsgerichts" (S. 304 ff.) analysiert die Bedeutung der beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2007 (2 BvR 1447/05 und 2 BvR 136/05 = HRRS 2007, 647) für die durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz eingeführte Regelung des § 354 Abs. 1a StPO, die systemfremd mit der vom historischen Gesetzgeber vorgegebenen klaren Funktionstrennung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz bricht und gegen die schon früh verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht wurden (etwa: Neuhaus GA 2007, 485, 486). Wer sich aktuell mit einem Fall zu befassen hat, in dem die Regelung virulent wird, sollte unbedingt diesen vortrefflichen Aufsatz lesen.

Aber vielleicht wird dem Revisionsrecht, namentlich dem Verfahrensrecht, in Zukunft (leider) nicht mehr die Bedeutung zukommen, die es, gemessen an den zahlreichen Aufsätzen, gegenwärtig noch zu haben scheint. Drängt nicht (auch) die Verständigung im Strafprozess den regelgeleiteten und im besten Sinne zu verstehenden Konflikt zurück? Läuft die Hauptverhandlung nicht Gefahr, allzu oft zu einem Tummelplatz konfliktunfähiger wie konfliktscheuer "Harmonisten" zu verkommen? Winfried Hassemer macht in seinem Beitrag "Konsens im Strafprozess" (S. 171 ff.) klar, dass Konsens zwar ein Existenz- und Strukturprinzip unseres vergesellschafteten Lebens darstellt, und damit auch des Rechts. Doch im Strafverfahren kann die Zustimmung des Beschuldigten, wie Hassemer richtig schreibt, zu Verfahrensgang und Verfahrensergebnis nur Unwesentliches Recht fertigen. Denn: Wesentliches ist einer Zustimmung von Rechts wegen entzogen, weil unser geltendes (!) Strafverfahrensrecht weder die Ordnung des Verfahrens noch seine Ergebnisse in die Zustimmung von irgendwem stellt. Es ordnet sie vielmehr an und verteilt die Zuständigkeiten zu ihrer Herstellung. Soll (und kann) der Gesetzgeber das ändern, indem er die "Verständigung im Strafverfahren", so der Titel des Aufsatzes von Klaus Lüderssen (S. 420 ff.), regelt? Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen Lüderssens fein gesponnene Gedanken zu diesem schwierigen Thema, bei dem man die Argumente nicht mehr ohne Weiteres nach "pro" und "contra" sortieren kann, zur Kenntnis nehmen und ihre Überlegungen einbeziehen, etwa die zu den kommunikativen Voraussetzungen der Verständigung (S. 436 f.). Nach der "fast schon demütigenden Behandlung, welche die Strafrechtswissenschaft durch Nicht-Einholung wissenschaftlichen Rates inzwischen durch den Gesetzgeber erfährt", so die deprimierende Feststellung von Thomas Fischer ("Strafrechtswissenschaft und strafrechtliche Rechtsprechung - Fremde seltsame Welten"; S. 63 ff., 76), ist allerdings zu befürchten, dass dies traurigerweise nicht geschieht. Die Auffassung des Rezensenten ist jedenfalls die, dass Strafgerechtigkeit durch Gesetz und Recht entsteht, d. h. auch und vor allem aus Verfahrensrecht, nicht aber aus Handel.

2.) Der Jubilar hat einen nicht geringen Teil seines Verteidigerlebens damit verbracht, für eine restriktive Anwendung des § 266 StGB zu streiten. So kann es nicht verwundern, dass gleich mehrere Aufsätze die normativen und systemischen Widersprüche dieser Norm thematisieren. Peter-Alexis Albrecht ("In Treue gegen die Untreue"; S. 1 ff.) stellt das Mängelprofil der Untreue-Regelung wie durch ein Brennglas dar, so scharf und klar konturiert er deren Unzulänglichkeiten; Unzulänglichkeiten, die im Justizalltag aus rechtssoziologischer Sicht in "legitimatorische Katastrophen" führen (S. 19). Albrecht schildert, wie die diffuse Norm zu Dilemmata für die Gerechtigkeit, die Rechtstreue und für den Gesetzgeber führt. Er legt in diesem Zusammenhang die Korrespondenz offen, die er mit der Feuilleton-Redaktion der FAZ führte, die einem pensionierten Staatsanwalt (Grasnick in der Ausgabe vom 9. Januar 2006) die Gelegenheit zu stammtischähnlichen Eruptionen bot, nachdem Karlsruhe mit der sog. Mannesmann-Entscheidung "lebensklug" ein "auffällig falsches Urteil aus Düsseldorf" aufhob. Bei allem Respekt: Man kann über die Entscheidung des BGH im Falle Mannesmann gewiss geteilter Meinung sein. Die zahlreichen Stellungnahmen zeigen dies (kri-

tisch etwa: Ransiek NJW 2006, 814; Deiters ZIS 2006, 152, 160; befürwortend etwa Rönnau NStZ 2006, 218). Aber warum die Bewertung der wohl gerechtesten Form der Vergütung, nämlich die nachträglich gewährte und - wenn auch ohne Anreizwirkung für andere Führungskräfte - am Leistungsbeitrag des belohnten orientierte, als nicht pflichtwidrig "auffallend falsch" sein soll, also in Wahrheit "evidente" Untreue, die vorher festgelegte variable Anreizvergütung aber nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn sie sich nachträglich als zu hoch erweist, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Wie dem auch sei: Es ist die Ausblendung sämtlicher struktureller, d. h. gesellschaftlicher (Stichwort: weite Beurteilungs- und Ermessensspielräume im Aktienrecht) und rechtsstaatlicher Problemlagen (Stichwort: Unbestimmtheit der Norm) im Grasnick-Artikel, die Albrecht zu der Bitte veranlassten, die Redaktion möge seine Erwiderung im Sinne einer "konstruktiven Empörung" (S. 6) veröffentlichen. Vergeblich! So ist dieser Festschriftbeitrag nicht nur außergewöhnlich spannend zu lesen. Er regt auch in besonderer Weise an zum Nachdenken über die Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung durch publizistische Selektion. Gina Greeve fragt: "Kann der Verstoß gegen die VOB/B eine Untreue sein?" (S. 121 ff.); konkret: Verletzt die Nicht-Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto (§ 17 Nr. 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B) § 266 StGB? Anders als das OLG München (BauR 2007, 130) verneint sie dies, weil gravierende Unterschiede zur Regelung bei der Einzahlungsverpflichtung für Mietkautionen gem. § 555 BGB n. F. bestünden (zu Mietkautionen jüngst BGHSt 52, 182). Alexander Ignor und Alexander Sättele nehmen "Pflichtwidrigkeit und Vorsatz bei § 266 StGB am Beispiel der sog. Kredituntreue" unter die Lupe und richten ihr gemeinsames Augenmerk insbesondere auf eine mögliche Verletzung des Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG (S. 211 ff.). Sven Thomas beleuchtet die von der herrschenden Meinung angenommene Eignung des allgemeinen Schädigungsverbotes zur Begründung einer untreuerelevanten Pflichtverletzung (vgl. nur Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder[27. Aufl. 2006], § 266 Rdnr. 36; Fischer[55. Aufl. 2008], § 266 Rdnr. 38). Er pointiert das Problem am Beispiel eines Fußballprofis, der als Angestellter einer aus dem Hauptverein ausgegliederten KGaA (etwa Borussia Dortmund) irregulär ein wichtiges Tor erzielt hat. Darf er die Regelwidrigkeit dem Schiedsrichter offenbaren und damit zugleich sicher Millionenverluste produzieren, die seiner Arbeitgeberin durch die Nicht-Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb entstehen(S. 778)? Das Rechtsgefühl will dem Sportler sogleich das faire Verhalten zubilligen. Thomas gibt ihm ein rechtliches Fundament, indem er auf eine der wichtigsten Arbeiten des 20. Jahrhunderts im Bereich der (politischen) Ethik zurückgreift, nämlich auf "Eine Theorie von Gerechtigkeit" von John Rawls (zur Gerechtigkeit durch Verfahren ausf. jüngst Minor Salas, Kritik des strafprozessualen Denkens, 2004) und den darin u. a. entwickelten Gedanken der Gerechtigkeit als Fairness. Thomas verkennt in seinem Aufsatz ("Das allg. Schädigungsverbot des § 266 Abs. 1 StGB"; S. 767 ff.) keineswegs, dass auch "Fairness" ein wertausfüllungsbedürftiger Begriff ist. Als ein die Strafbarkeit limitierendes Prinzip bei wirtschaftlichem Handeln erscheint es ihm dennoch tauglich. Thomas präsentiert hier einen interessanten neuen Gedanken, der helfen könnte, Auswüchse (Stichwort: "§ 266 StGB als Allzweckwaffe der Strafverfolger" oder "Untreue geht immer"[Bernsmann GA 2007, 219, 229]) zu begegnen. Das Thema ist sicherlich eine vertiefte Untersuchung wert. Klaus Volk schließlich schlägt mit "Untreue und Gesellschaftsrecht - Ein Dschungelbuch" auf (S. 803 ff.), das sich maßgeblich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen es für die Pflichtwidrigkeit in § 266 StGB bedeutet, wenn die Eigner von Personengesellschaften, GmbH und AG (S. 811 ff.) dem in Frage stehenden Verhalten zustimmen.

III.

Angesichts der Vielzahl lesenswerter Beiträge, nicht zuletzt auch zu den Bereichen, die nicht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Wirkens des Jubilars stehen (etwa: Nikolas Hamm, "Ästhetische Bildung als Prävention - Über einen theaterpädagogischen Beitrag zur Gewaltprävention in Schulklassen[S. 159 ff.]; Günter Tondorf, Neuregelungen der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in Bund und Ländern"[S. 783 ff.]), fällt das Fazit leicht: Die Anschaffung der Festschrift lohnt unbedingt.

Dr. Ralf Neuhaus, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht, Dortmund, Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld

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