HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Der Missbrauch von Opfern zum Zwecke der Strafverschärfung *

Von Prof. Dr. Heribert Ostendorf, Forschungsstelle für Jugendstrafrecht und Kriminalprävention, Universität Kiel

I. Strafverschärfung zur Bekämpfung des Bösen

Strafverschärfung ist das z. Zt. vorherrschende Motto der Kriminalpolitik. Die Strafverschärfungsinitiativen des Bundes und der Länder sind kaum noch zu überschauen. Vieles ist Gesetz geworden. Hierbei heißen die Gesetze nicht mehr Strafrechtsänderungsgesetze oder gar Strafrechtsreformgesetze. Sie heißen Kriminalitätsbekämpfungsgesetze. Nomen est omen. Es fing an mit dem 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1976). Mit dieser Formulierung konnten sich auch noch so genannte Fortschrittliche auf Grund der neuen kriminalpolitischen Stoßrichtung anfreunden. Auch noch mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (1980). Es folgte nach dem 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1986) das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus (ebenfalls 1986), das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (1992), das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (1994), das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption (1997), das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (1998), das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ebenfalls 1998), das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde (2001). Andere Gesetze heißen zwar weiterhin auch Änderungsgesetze oder Opfer-Schutz-Gesetze, das kriminalpolitische Ziel heißt aber zunehmend Kampf dem Verbrechen, Kampf dem Bösen. Kampf heißt schlagen, wenn nicht vernichten, ausrotten. Es wird dem Namen nach ein Feindstrafrecht konstituiert, der Kriminelle wird zum Feind der Gesellschaft erklärt. [1]

Ich sage gleich am Anfang: Nach unserem Verfassungsverständnis – "Die Würde des Menschen ist unantastbar." (Art. 1 Abs. 1 GG) – bleibt der Straftäter weiterhin Bürger. Zur zivilisatorischen Rechtskultur gehört ein Bürgerstrafrecht. Ich war als Generalstaatsanwalt nicht Führer eines Kampfverbandes. Man mag gefährliche Hunde bekämpfen, mit gefährlichen Menschen müssen wir anders umgehen.

Mit diesen Kampfgesetzen, aber auch mit Änderungsgesetzen wurde das Strafrecht verschärft, wurden neue Tatbestände geschaffen, wurden Mindeststrafen, Höchststrafen ausgeweitet, wurden neue Strafsanktionen geschaffen wie die vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung. Jetzt soll die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für jugendliche Straftäter einge-

führt werden. [2] Sicherungsverwahrung heißt: tendenziell lebenslänglich. Überhaupt steht insbesondere das Jugendstrafrecht im Mittelpunkt dieser Strafverschärfungsdebatte. Die Höchststrafe soll von 10 Jahren Jugendstrafe auf 15 Jahre ausgeweitet werden, die Heranwachsenden, die 18- bis 21jährigen, sollen generell nach dem Erwachsenenstrafrecht bestraft werden. Ein Justizsenator, der frühere Hamburger Justizsenator Kusch, hat sogar die Ablösung des Jugendstrafrechts gefordert. [3]

II. Der politisch-mediale Verstärkerkreislauf

Die Politik weiß sich in Übereinstimmung mit Volkesstimme, besser formuliert mit Volkes Stimmung. 87,5 % der Bundesbürger sagen, Verbrechen sollten härter bestraft werden. 80,1 % sagen, um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen. Die Befürworter der Todesstrafe nehmen zu, beim Sexualmord an Kindern ist die Mehrheit in der Bevölkerung für die Todesstrafe. Diese von Heitmeyer ermittelten Werte [4] machen stutzig, weil die Angst vor Kriminalität in den letzten Jahren deutlich gesunken ist. Auch sind die Sorgen über die Kriminalitätsentwicklung seit 1997 deutlich rückläufig. Trotzdem wird nach mehr Strafe gerufen.

Kriminalitätssorgen 2000 - 2004

Datenbasis: Sozio-oekonomisches Panel 1994-2004 [5]

Dass diese Stimmung im Volk auch gemacht wird, von der Politik, von den Medien beeinflusst wird, dass der Ruf nach Sicherheit und Ordnung, nach mehr Strafrecht angeheizt wird, ist bekannt. Wir sprechen vom politisch-medialen Verstärkerkreislauf. Politiker sagen, wir bedienen nur die Interessen der Bürger, das ist demokratisch. Die Medien sagen, wir berichten nur über das, was passiert, und drücken nur das aus, was die Bürger wollen. Und die Bürger erwarten von den Politikern, dass sie das einhalten, was sie versprechen, nämlich mehr Sicherheit.

Aber wollen nicht auch die Betroffenen, die Opfer eine härtere Bestrafung? Hilft ihnen nicht eine solche Bestrafung, das Opferleid zu verarbeiten, Unsicherheiten abzubauen? Dient nicht eine harte Bestrafung der Selbststabilisierung? Es gilt zunächst zu differenzieren zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten auf der einen Seite und personalen Schwerstdelikten auf der anderen Seite. Ein Diebstahl wird zu ca. 74 % angezeigt, weil die Betroffenen Schadenersatz haben wollen. Nur 8,4 % zeigen den Diebstahl an, weil der Täter bestraft werden soll. [6] Bei Gewaltstraftaten dominiert der Bestrafungswunsch. Je "persönlicher" die Tat ausfällt, umso deutlicher ist dieser Bestrafungswunsch. Will das Opfer aber auch eine hohe, eine drastische Bestrafung? Wenn Nebenkläger im Strafprozess auftreten, gehen sie nicht selten über das beantragte Strafmaß des Staatsanwalts hinaus. Es ist dies aber ein juristisch formulierter Bestrafungswunsch von Seiten des Anwalts des Opfers, der zudem seine Daseinsberechtigung nachweisen muss. Personale Opfer wollen die Bestrafung als Anerkennung ihres erlittenen Leids, als Ahndung der Tat. Diesem berechtigten Begehren dient zunächst die Verurteilung des Täters. Sie wollen weiterhin nicht noch einmal Opfer dieses Täters werden. Es soll einer Wiederholung vorgebeugt werden. Damit sind wir bei dem anerkannten Strafziel der Verhinderung weiterer Straftaten. Dies geschieht am besten durch eine Resozialisierung des Täters, ansonsten ist die Freiheitsstrafe nur eine Sicherung auf Zeit. Wenn das Opfer wüsste, dass eine lange Freiheitsstrafe eher entsozialisierende Wirkungen als resozialisierende Wirkungen fördert und damit die Rückfallgefahr vergrößert, [7] so würde er wahrscheinlich nicht sein Heil in einer harten Bestrafung des Täters suchen. Ab wann gleitet das berechtigte Opferanliegen nach Bestrafung des Täters ab in eine Rachebefriedigung, die für einen Rechts- und Kulturstaat nicht mehr akzeptabel ist? Wir wissen sehr wenig über die tatsächlichen Bestrafungsbedürfnisse von Opfern. Wie auch immer: Strafjustiz ist der Gerechtigkeit verpflichtet, die Strafe muss schuldangemessen sein. Im § 46 Abs. 2 StGB heißt es hierzu: "Bei der Bemessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

· die Beweggründe und die Ziele des Täters,

· die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

· das Maß der Pflichtwidrigkeit,

· die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

· das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

· sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wieder gutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen."

Mit dem Letzten werden die Opferinteressen angesprochen, die Strafbedürfnisse des Opfers werden aber nicht aufgeführt. Strafjustiz muss gegenüber besonderen Strafbedürfnissen der Opfer gleichsam einen Opferfilter einsetzen, um das gerechte Strafmaß zu finden.

III. Gründe für das Begehren nach mehr Strafe

Warum denken die Deutschen so, nicht nur die Deutschen? Ähnliche Strafverschärfungstendenzen, ja noch größere Strafverschärfungstendenzen sind für die USA, für England, für Frankreich festzustellen; auch in Skandinavien, das lange als Vorreiter für kriminalpolitische Reformen galt, wird das Strafrecht verschärft. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer hat von der neuen Straflust der Bundesbürger gesprochen. Straflust ist alt. Die brutalen Strafen des Mittelalters, die peinliche Strafgerichtsordnung Karl V. von 1532 drücken diese Straflust aus. Öffentliche Hinrichtungen sind ein Relikt dieser Straflust. Wir wissen, dass die Gewalt auf der Straße, aber auch in abgeschotteten Räumen, in der Familie, häufig nicht zweckhaft ausgerichtet ist. Wir kennen nicht nur das gewalthafte Abzocken, den Einsatz von Gewalt zum Diebstahl als Mittel zum Zweck. Wir kennen auch Gewalt um ihrer selbst willen, es geht zunehmend um das Gewalterlebnis, es geht darum, sich selbst darzustellen, sich anderen aufzuzwingen. Da Strafe Leidzufügung ist, nach dem berühmten Wort des Kriminalreformators Franz von Liszt, einem Vetter des gleichnamigen Klaviervirtuosen und Komponisten, ist Strafrecht Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung, könnte auch diese Lust an der Leidzufügung das maßgebliche Motiv für die Strafverschärfungstendenzen sein. Dann würde die Verrohung der Gesellschaft sich auf staatlicher Ebene fortsetzen. Das Strafrecht sollte doch der Verrohung durch Blutrache, den Fehden, der Sippenhaft gerade entgegenwirken, Strafrecht soll Strafe domestizieren. Unterschwellige Strafgelüste sind sicherlich weiterhin vorhanden, ob sie mehr geworden sind, weiß ich nicht. Zumindest sind sie keine offiziellen Begründungen für Strafverschärfungen.

Für mich sind drei Gründe für das wachsende Begehren nach Strafe ausschlaggebend:

1. eine zunehmende Verunsicherung der Menschen führt zu einer zunehmenden Suche nach Halt, nach Orientierung. Strafrechtliche Verbote, harte Strafen erscheinen dann als Wegweiser.

2. Nach den Medien wächst uns das Verbrechen über den Kopf. Es wird eine Kriminalitätsangst verbreitet. Neben tatsächlichen Opfererlebnissen fühlen wir uns so als potentielle Opfer. Vor dem Hintergrund eines scheinbaren dramatischen Kriminalitätsanstiegs führt das medial vermittelte, hautnah erlebte fremde Opferleid zu antizipierten Opferwerdungen. Soziologen sprechen von einer gesellschaftlichen Opferfiktion.

3. Der Glaube an die Effizienz des Strafrechts ist ungebrochen, vor allem an die Effizienz durch mehr Härte. Verbrecher müssen nur eingesperrt werden, möglichst für immer, die anderen müssen abgeschreckt werden.

IV. Die Gegenposition

Ich will diese Begründungen für ein härteres Strafrecht widerlegen:

1. Zur Verunsicherungsthese und zu der Orientierung durch Strafrecht

Richtig ist, dass nach sozialwissenschaftlichen Umfragen die Verunsicherung in der Gesellschaft zunimmt. Wilhelm Heitmeyer diagnostiziert eine verstörte Gesellschaft. Als Indikatoren hierfür benennt er: 29 % der Bevölkerung hatten im Jahr 2005 Angst vor Arbeitslosigkeit, 42 % haben eine negative Zukunftserwartung, 66 % sehen für sich keine politische Einflussnahme, 64 % glauben, dass alles in Unordnung geraten ist. [8] Diese Werte haben seit 2002 deutlich zugenommen. Richtig ist auch, dass mit dem Strafrecht Rechtsgüter benannt werden, die staatlicherseits geschützt werden sollen. Mit Strafandrohungen für die Verletzung von bestimmten Rechtsgütern wird eine strafrechtliche Werteskala erstellt. Es wird damit aber nur das ethische Minimum gesichert. Moralische Werte müssen in den Familien, müssen in der Gesellschaft herausgebildet werden. Das Strafrecht ist nicht dazu da, Moral zu verbreiten. Vor allem ist Strafrecht nicht dazu da, Verarmung und soziale Verunsicherung aufzufangen. Strafrecht ist als ultima ratio für den Rechtsgüterschutz unverzichtbar, aber sozialen Verunsicherungen muss mit der Stärkung der Familien, mit gesellschaftlichen Vorbildern, mit glaubwürdiger Politik, mit sozialpolitischen Maßnahmen, mit mehr Teilnahmemöglichkeiten am demokratischen Prozess begegnet werden. Im Übrigen wäre die Verschreibung von Moral und sozialer Sicherheit durch das Strafrecht ein gesellschaftspolitisches Armutszeugnis. Strafrecht ist eine autoritäre Antwort auf Konflikte, es wird von oben entschieden. Die Konfliktlösung wird nicht konsensual entwickelt. Nur beim Deal in Wirtschaftsstrafprozessen wird ein Vergleich geschlossen.

2. Zur dramatischen Kriminalitätsentwicklung

Die Kriminalitätsraten nehmen in der Bundesrepublik nicht zu, sie nehmen seit 13 Jahren ab. Im Jahr 1993, dem ersten Jahr, in dem die Zahlen aus den neuen Bundesländern mit erfasst wurden, im Jahr 1993 hatten wir nach der Polizeilichen Kriminalstatistik eine Gesamthäufigkeitszahl von 8337, d. h. auf 100.000 Einwohner wurden im Jahr 1993 8337 Straftaten ohne Verkehrsdelikte polizeilich registriert, im Jahr 2006 waren es 7647 Straftaten, d. h. ein Minus von 8,3 %.

Tabelle: Die Veränderung von Bevölkerungszahl, Gesamtzahl der registrierten Straftaten und Gesamthäufigkeitszahl (Quelle: PKS)

Jahr Bevölkerung: Einwohner am 30. Juni Bevölkerung: Veränderung ggü. Vorjahr in % Straftaten Straftaten: Veränderung ggü. Vorjahr in % Gesamthäufig­keitszahl (GHZ) GHZ:  Veränderung ggü. Vorjahr in %
1993 80 974 600   6 750 613   8337  
1994 81 338 100 0,45 6 537 748 -3,15 8038 -3,59
1995 81 538 600 0,25 6 668 717 2,00 8179 1,75
1996 81 817 500 0,34 6 647 598 -0,32 8125 -0,66
1997 82 012 200 0,24 6 586 165 -0,92 8031 -1,16
1998 82 057  400 0,06 6  456 996 -1,96 7869 -2,02
1999 82 037 000 -0,02 6 303 316 -2,40 7682 -2,37
2000 82 163 500 0,15 6 264 723 -0,60 7625 -0,75
2001 82 259 500 0,12 6  363 865 1,58 7736 1,46
2002 82 440 300 0,22 6 507 394 2.26 7893 2.03
2003 82 536 700 0,12 6 572 135 0,99 7963 0,88
2004 82 531 700 -0,01 6 633 156 0,93 8037 0,93
2005 82 501 000 -0,04 6 391 115 -3,64 7747 -3,60
2006 82 438 000 -0,08 6 304 223 -1,37 7647 -1,29

Auch die schwersten Verbrechen haben abgenommen. Mord und Totschlag sind weniger geworden, die Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern haben sich seit 1997 verringert, die Raubdelikte haben abgenommen. [9] Nur Körperverletzungsstraftaten wurden von Seiten der Polizei mehr registriert. [10] Auch die Jugendkriminalität ist entgegen einer öffentlichen Wahrnehmung nicht angestiegen. Seit 2001 ist die Polizeiliche Tatverdächtigenbelastungsziffer für – deutsche - Jugendliche, d. h. Straftaten umgerechnet auf 100.000 Jugendliche, wieder gesunken. Im Jahr 2001 wurden von 100.000 Jugendlichen 7416 Straftaten von der Polizei registriert. Im Jahr 2006 waren es 6799, d. h. 8,3 % weniger. [11] Schon seit 1998 geht die polizeiliche registrierte Kinderdelinquenz zurück. [12] Hierbei wissen wir auf Grund kriminologischer Untersuchungen, dass heute mehr angezeigt wird als früher, dass das Dunkelfeld der Kriminalität verkleinert wird. Im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung nicht schlecht da. Bundesinnenminister behaupten, dass wir zu den sichersten Staaten auf der Welt gehören. Nach dem European Social Survey 2004/2005 sind die Deutschen zusammen mit den Österreichern am wenigsten in Europa Opfer eines Einbruchs oder eines Überfalls in den letzten 5 Jahren geworden.

Opfer eines Einbruchs oder Überfalls in den letzten 5 Jahren

Datenbasis: European Social Survey 2004/2005 [13]

Die überzogene Angst vor Kriminalität, vor einer Opferwerdung deckt sich mit einer allgemeinen Verbreitung der Opferrolle. Junge Menschen wollen kein Opfer sein. Opfer sein heißt erniedrigt sein. Das ist verpönt. "Du Opfer" ist ein Schimpfwort. Wer Opfer wird, ist selbst schuld. Tatsächlich werden Jungen, die sich nicht wehren, häufiger verprügelt, werden häufiger Opfer. In der älteren Gesellschaft sieht dies ganz anders aus. Opfer sein ist – wie man heute sagt – sexy. In bestimmten Fernseh-Talkshows findet geradezu ein Opferexhibitionismus statt. Alle Verlierer sind Opfer. Wer durchs Examen "fliegt", ist nicht selbst schuld, Schuld sind die Umstände, sind die Prüfer. Arbeitslosigkeit ist sicherlich ein gesellschaftlicher Missstand, ist aber jeder Arbeitslose auch Opfer? Krank sein heißt Opfer sein. Selbst der Tod, nicht nur der Tod durch ein Verbrechen, nicht der Tod im Straßenverkehr, selbst der altersbedingte Tod wird zum Vorwurf an das Schicksal. Es gibt für alles einen Schuldigen, nur wir selbst nicht. Auch die Täterrolle der Deutschen für den Zweiten Weltkrieg, für den Holocaust wird vernebelt durch die Opferrolle der Deutschen, durch die Bedingungen des Versailler Vertrages, durch das Kriegsleid, durch die Bombenteppiche auf deutsche Städte, durch die spätere Vertreibung. Die Angst vor Kriminalität, vor einer Opferwerdung durch Verbrechen ist Teil einer gesellschaftlichen Opferfiktion. In diesem Zusammenhang muss die Frage aufgeworfen werden, ob wir mit dem Begriff des Opfers der Situation von Menschen, die durch eine Straftat verletzt oder geschädigt werden, gerecht werden. [14] Mit einem Opfer ist an sich etwas Höheres angestrebt, sollten vormals Götter besänftigt werden. Man opfert sich für etwas, für einen anderen auf oder erleidet ein Leid im Interesse einer großen Sache – nicht selten missbraucht in Kriegszeiten. Soweit der Begriff heute ausgeweitet wird auf Straßenverkehrsopfer, auf Unglücksopfer, bleibt das Unfassbare, das Unerklärliche. Der Verletzte, der Geschädigte einer Straftat opfert sich nicht auf, er wird unfreiwillig Opfer. Auch schlägt der Täter nicht zu, raubt nicht aus, um sein Gegenüber zu erhöhen. Er erniedrigt es vielfach, gerade das Sexualopfer. Das Verbrechen ist auch kein Unglück, dafür gibt es

Ursachen, Erklärungen. Auch wenn sich der Begriff des Verbrechensopfers eingebürgert hat, muss man doch nüchtern feststellen, dass damit der Verletzte, der Geschädigte überhöht wird.

3. Zur Effizienz des Strafrechts

Entgegen der landläufigen Meinung führt mehr Härte im Strafrecht nicht zu mehr Effizienz im Sinne einer Rückfallvermeidung. Das Gegenteil ist nach einer groß angelegten Rückfalluntersuchung der Fall. Jehle, Heinz und Sutterer haben im Jahr 2003 die größte Rückfalluntersuchung für die Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. [15] Erfasst wurden alle Personen, die 1994 im Zentral- oder Erziehungsregister eingetragen waren. Da bei Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheits- bzw. Jugendstrafe sowie zu einer freiheitsentziehenden Maßregel für den anschließenden Zeitraum des Vollzugs dieser Sanktion keine echte Rückfälligkeitsprüfung erfolgen kann, wurden die in diesem Jahr aus dem Strafvollzug Entlassenen mit aufgenommen. Der Rückfallzeitraum betrug 4 Jahre, d. h. im Jahr 1999 wurden das Bundeszentralregister und das Erziehungsregister erneut ausgewertet. Hier einige Ergebnisse. Im Erwachsenenstrafrecht führte die Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu einer Rückfälligkeit von 56,4 %, die Geldstrafe zu einer Rückfälligkeit von 30,2 %. Im Jugendstrafrecht betrug nach Verbüßung der Jugendstrafe ohne Bewährung die Rückfälligkeit sogar 77,8 %, nach Verhängung einer Jugendstrafe mit Bewährung 59,6 %, nach einem Arrest 70 % und nach ambulanten Sanktionen 31,7 %. Es ist offensichtlich schwieriger, mit freiheitsentziehenden Sanktionen junge Menschen wieder auf den "geraden Weg" zu bringen. In den Anstalten passt man sich an oder wird angepasst. Wenn eine Änderung, eine positive Änderung in der Einstellung und im Verhalten erreicht wird, hält diese bei neuen Konfliktsituationen in Freiheit häufig nicht an. Erst recht ist es trügerisch, auf einen Abschreckungseffekt zu setzen. Nach mehreren empirischen Untersuchungen [16] funktioniert diese Abschreckungsfunktion nicht, weil alle Täter glauben, nicht erwischt zu werden. Nur bei rational handelnden Tätern wird das Entdeckungs- und Bestrafungsrisiko mit einkalkuliert. Die meisten Straftäter operieren aber nicht so rational, handeln situations- und gefühlsbestimmt. Dies gilt gerade für junge Straftäter. Wenn Jugendgerichte den Jugendarrest zur Abschreckung verhängen, damit die Verurteilten den Freiheitsentzug kennen lernen und deshalb vor weiteren Taten abgeschreckt werden, so zeigen empirische Untersuchungen zur Wirkung des Arrestes eher das Gegenteil: Nach Befragungen verliert mit dem Erleben des Arrestes der Freiheitsentzug seinen Schrecken. Umgekehrt wird der Entsozialisierungsprozess verstärkt, weil in den Augen der Umwelt der Arrestant ein Krimineller ist, der schon "gesessen" hat. Nun kann man gegen einen solchen Vergleich der Rückfallquoten einwenden, da werden Äpfel mit Birnen verglichen, weil diejenigen, die zu einer Jugendstrafe oder einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, in der Regel schon vorher aufgefallen sind, d. h. schon zu diesem Zeitpunkt Rückfalltäter waren und dementsprechend die Rückfälligkeit höher ausfallen muss, unabhängig von der dann folgenden Sanktionierung. Dieser Einwand ist berechtigt, allerdings liefern auch die so relativierten Ergebnisse einen Erkenntnisgewinn für die Sanktionierung. Wenn z. B. ein Jugendgericht den Angeklagten zu einem Jugendarrest verurteilt, muss es damit rechnen, dass dieser trotz dieser Sanktionierung zu 70 % wieder rückfällig wird. Darüber hinaus sind in Einzeluntersuchungen vergleichbare Tat- und Tätergruppen gebildet worden, um dem Einwand des unzulässigen Vergleichs zu begegnen. Diese hierauf durchgeführten Rückfalluntersuchungen haben für sozialpädagogische Sanktionen deutlich bessere Ergebnisse gebracht als für die repressiven Sanktionen. So hat eine Erfolgskontrolle vom sozialen Trainingskurs und Arrest eine signifikant geringere Rückfallquote für Teilnehmer des sozialen Trainingskurses ergeben, obwohl diese sogar höher vorbelastet waren. Im Ergebnis spricht somit alles gegen die These, dass mehr Härte im Strafrecht eine größere Effizienz bedingt. In der Kriminologie wird vielmehr umgekehrt der Schluss gezogen: im Zweifel weniger. [17] Mehr Härte nützt also nicht dem Opferschutz. Der beste Opferschutz ist die Resozialisierung des Täters. Wenn Strafgesetze verschärft werden, um so nach Darstellung in der Politik den Schutz des Bürgers zu verstärken, so wird dem Bürger Sand in die Augen gestreut.

V. Zur Rolle des Opfers im Strafverfahren

Im Mittelpunkt des Strafprozesses steht der Angeklagte, sollte der Angeklagte stehen. Es geht um seine Verurteilung, um seine Bestrafung. Insoweit ist das Strafverfahren täterorientiert, muss notwendigerweise täterorientiert sein. Wenn der Staat in Form der Strafjustiz dem Bürger ein Strafübel auferlegt, muss die Schuld des Täters eindeutig nachgewiesen werden. Sonst darf er kein Strafübel auferlegen. Diese Unschuldsvermutung ist ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips. Sie ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft. Der hieraus abgeleitete Beweisgrundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" wird vielfach von Opfern sowie in der Bevölkerung nicht verstanden. Wenn Aussage gegen Aussage steht, z. B. in einem Vergewaltigungsprozess, muss im Zweifel, wenn Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin bestehen, freigesprochen werden. Im Zweifel für den Angeklagten, im Zweifel gegen das Opfer. Auch wenn ein solcher Freispruch nicht missverstanden werden darf, das Gericht würde dem Angeklagten glauben, so ist ein solcher Freispruch für die Zeugin schwer auszuhalten. Dies ist aber die bittere Konsequenz eines Strafprozesses, der Straftäter überführen muss. Falschbezichtigungen sind zwar selten, aber sie kommen vor. Es gibt eben auch falsche Opfer.

Richtig ist aber, dass das Opfer seit der Einführung des staatlichen Strafprozesses in den Hintergrund gedrängt wurde, lange vergessen wurde und erst seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wiederentdeckt wurde.

Mittlerweile gibt es das Opferentschädigungsgesetz vom 7. Januar 1985, es gibt das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986, es gibt das Zeugenschutzgesetz vom 30.4.1998, es gibt das Opferanspruchsgesetz, das Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten vom 8. Mai 1998, es gibt das Gewaltschutzgesetz von 2002, es gibt das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen vom 11.12.2001 und es gibt das Opferrechtsreformgesetz von 2004. Im Verfahren tritt das Opfer entweder als Zeuge auf, wenn es denn für die Beweisführung gebraucht wird, oder als Nebenkläger. Der Gesetzgeber hat die Stellung des Opfers in den letzten Jahren verstärkt, z. B. mit dem Opferanwalt, der auch Akteneinsicht erhält. Die Nebenklage wurde ausgebaut, ist jetzt sogar im Jugendstrafprozess eingeführt worden. Dass damit auch ein Rache- und Vergeltungsstreben in den Jugendstrafprozess eingebracht wird, hat der Gesetzgeber entgegen dem Votum vieler Sachverständiger in Kauf genommen. Das Opfer soll bei schwerwiegenden Delikten sich auch im Jugendstrafprozess einbringen können, soll das erlittene Opferleid darstellen können. Dem Opfer ist auf Antrag mitzuteilen, wann der verurteilte Täter aus der Strafhaft entlassen oder wann erstmalig Vollzugslockerungen gewährt werden (§ 406 d Abs. 2 StPO).

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Täter-Opfer-Ausgleich sowohl im Jugendstrafprozess als auch im Erwachsenenstrafprozess eingeführt. Die Wiedergutmachung des Schadens, der Ausgleich mit dem Opfer eines Verbrechens ist an sich die natürliche Reaktion. So hat diese Sanktion auch eine längere Tradition, als die heutige Praxis vermuten lässt: Im germanischen Recht hatten Täter und Sippe das Recht, die Rache abzukaufen. Der Rechtsfriede wurde durch einen so genannten Sühnevertrag zwischen den Beteiligten nach Maßgabe eines Bußkataloges wiederhergestellt. Wenn ein Urteil gefällt wurde, dann war die Sanktion nur eine Art Befriedigung des Verletzten in Form des Wehrgeldes oder einer Buße an den Geschädigten / Verletzten. Damit sollten Rache- und Blutfehden vermieden werden. Diese Form der Streitschlichtung war selbst bei schwersten Verbrechen üblich. In einigen Rechtskreisen wird dies noch heute praktiziert: in Pakistan, im islamischen Rechtskreis also wurde im Jahre 1990 ein Dekret erlassen, wonach ein Mörder begnadigt werden kann, falls die Angehörigen des Opfers ein so genanntes Blutgeld als Sühne für die Tat akzeptieren. Der Täter-Opfer-Ausgleich dient dem Opfer, dient dem Täter und dient der Justiz.

Auf der anderen Seite gilt es klarzustellen: Der Strafprozess dient nicht der therapeutischen Behandlung der Opfer, die Hauptverhandlung ist hierzu ein höchst ungeeigneter Ort. Die Anerkennung und Aufarbeitung des Opferleids in einem Prozess ist ein begleitendes Anliegen, insoweit hat das Opfer seine eigenständige Rolle, dies ist aber nicht der Primärzweck.

Allerdings werden in der Praxis die Opferrechte häufig noch nicht hinreichend beachtet. Mein Sohn wurde vor kurzem als Zeuge einer Körperverletzung zu einer Hauptverhandlung geladen. Er selbst hatte sich den Angriffen durch die beiden Angeklagten durch Flucht entziehen können. Sein Kumpel kam nach heftigen Schlägen zu Fall, konnte sich aber mit einer Bierflasche, die er einem der Angeklagten auf den Kopf schlug, sozusagen retten. So die Anklage. Die Hauptverhandlung fand 15 Monate nach dem Geschehen statt. Allein das ist für alle Beteiligten eine Zumutung. Das Verfahren wurde nach Vernehmung der Angeklagten und längeren Erörterungen mit den beiden Verteidigern gem. § 153 a StPO nach Zahlung einer Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung eingestellt. Den Zeugen, darunter auch das Opfer, wurde nur mitgeteilt, dass sie nicht mehr gebraucht würden. Auch wenn die Entscheidung des Gerichts möglicherweise gut vertretbar war, so muss die Justiz doch in diesen Fällen mehr Transparenz an den Tag legen und das Opfer mit in eine solche Entscheidung einbinden. Die Zeugen müssen in verständlicher Form über den Ausgang des Verfahrens informiert werden. Sonst wird kein Rechtsfriede hergestellt. In diesem Zusammenhang fragt sich, weshalb in der Anklageschrift Zeugen nicht nur mit Namen benannt, sondern auch die Anschrift dort aufgeführt wird. [18] Nicht wenige Zeugen haben die Befürchtung, dass die Angeklagten vor oder nach der Hauptverhandlung sie dort aufsuchen werden und, was auch nicht selten angedroht wird, sie für ihre Zeugenaussage Schläge einstecken müssen. Zwar kann ein Verteidiger, der Akteneinsicht hat, und dementsprechend die Anschrift der Zeugen erfährt, seinem Mandanten diese Anschrift mitteilen. Ein verantwortungsbewusster Verteidiger wird zumindest seinen Mandanten aber ermahnen, nicht gegen Zeugen vorzugehen. Strafjustiz könnte so zumindest die Ängste von Zeugen minimieren. Auch ist das Opferentschädigungsgesetz zu restriktiv formuliert und bedarf einer gesetzlichen Änderung. Es geht also nicht darum, die Rolle des Opfers im Strafprozess neu zu definieren, schon gar nicht darum, im Interesse eines Opferschutzes das Strafrecht zu verschärfen, es geht darum, die Interessen des Opfers im Alltag des Prozesses ernst zu nehmen. Vorgreifend geht es darum, mit Hilfe von kriminalpräventiven Maßnahmen Straftaten zu verhindern und damit Opferwerdungen zu verhindern. Nach Begehung einer Straftat ist die Resozialisierung des Täters der beste Opferschutz, vor einer Straftat ist die Kriminalprävention der beste Opferschutz. Zur Kriminalprävention gehört gerade auch die Aufklärung über das realistische Ausmaß der Kriminalitätsbedrohungen sowie über die Effizienz von Strafen. Es ist Aufgabe staatlicher Kriminalprävention, den Bürgern überzogene Ängste zu nehmen, Ängste sind per se ein Übel. Wer sie künstlich steigert, vermehrt Übel, vergeht sich am Bürger. Dies gilt erst recht, wenn nach künstlicher Angstvermehrung in einem Self-fulfilling-Prozess diese Ängste mit einer Verschärfung des Strafrechts bedient werden.

VI. Zur Ausgestaltung der Prävention [19]

Im Einzelnen lassen sich 10 Präventionsarten unterscheiden:

1. Kriminalitätsängste aufnehmen und aufarbeiten (Angstprävention)

- Ohr für Ängste der Bürger haben

- über die tatsächliche Kriminalität ursachenbezogen aufklären, insbesondere über die Kriminalität vor Ort

- Polizeipräsenz in Angsträumen verstärken

- Zusammenarbeit mit den Medien, insbesondere den örtlichen Zeitungen suchen

2. Kommunale Identität schaffen (Identitätsprävention)

- Positives Image der Stadt, des Ortes, des Stadtteiles herstellen

- Kommunikation verstärken (z.B. Straßenfeste organisieren)

- Nachbarschaftshilfe anregen

- "Zukunftswerkstätten" organisieren, in denen die Interessen und Wünsche der Bürger, gerade auch der Jugend, abgefragt und diskutiert werden

3. Aktivitätsräume für Kinder und Jugendliche eröffnen (Freizeitprävention)

- Sportanlagen der Schulen für den Sportbetrieb nachmittags und abends öffnen

- sozialarbeiterisch betreute Jugendtreffs einrichten bzw. aufrecht erhalten

- Sportvereine ermuntern, sich für bislang nicht ansprechbare Jugendliche zu öffnen (Schnuppermitgliedschaften)

- Schule und Sportvereine zu gemeinsamen Aktionen anregen ("Schulen und Sportvereine - ein starkes Team")

4. Vernetzung von Hilfeeinrichtungen für Problemkinder und Problemjugendliche / Einrichtung einer Clearingstelle (sozialpsychologische Prävention)

- Kinderärzte, Kindergarten, Schule, Schulpsychologischer Dienst, Familienhilfe, Jugendamt und Polizei zur Kooperation anregen

- diese Kooperation im Rahmen einer Clearingstelle für Problemfälle organisieren

- datenschutzrechtliche Probleme gemeinsam erörtern und lösen

5. Aufsuchende Familienhilfe / Familienberatung (sozialintegrative Prävention)

- das Prinzip der aufsuchenden Jugendhilfe auf die Familienhilfe übertragen

6. Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor Ort anbieten (sozialökonomische Prävention)

- aktive Ausbildungs- und Arbeitspolitik in der Kommune betreiben für die Schulabgänger, insbesondere Hauptschüler, die keinen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz finden, ein Beschäftigungsprogramm anbieten

7. Gewaltfreies Klima an den Schulen schaffen / Medienerziehung (Gewaltprävention)

- Gewaltkonflikte im Zusammenhang mit der Schule von der Schule aufarbeiten ("hinschauen und sich einmischen")

- durch Schulaktionen zum Thema Gewalt Sensibilitäten für Opfer wecken

- Medienerziehung integrativ in den Schulunterricht aufnehmen

8. Gelegenheitsstrukturen verändern (situative Prävention)

- kriminologische Brennpunkte ausfindig machen und mit Polizeipräsenz / Straßen-sozialarbeit entschärfen

- technische Prävention (private Alarmanlagen, automatische Lichteinschaltungen) verstärken, ohne eine öffentliche Überwachung einzuführen

- in Selbstbedienungsgeschäften Kontrollen (elektronische Warensicherung) verstärken und hierauf entsprechend hinweisen

9. Täter-Opfer-Ausgleich / Opferhilfe vor Ort organisieren (Opferprävention)

- psychische und finanzielle Betreuung von Opfern (Handtaschenraub, Überfall, Wohnungseinbrüche) örtlich organisieren und anbieten

- an den Schulen Schüler als Konfliktlotsen ausbilden

- Angebote zur Schadenswiedergutmachung bei Sachbeschädigungen im öffentlichen Raum (Graffiti) entwickeln und der Strafjustiz als alternative Reaktion anbieten

10. Bürgertugenden zum Thema machen (Erziehungsprävention)

- eine Elternschulung, die über die Säuglingspflege hinaus auch Erziehung zum Gegenstand hat, anbieten

- Schulprojekte "Elternschaft lernen" entwickeln

- eine öffentliche Wertediskussion initiieren und hierbei das schlechte Vorbild der Eliten, der Erwachsenen thematisieren

VII. Für ein rationales und humanes Strafrecht

Wir müssen mit Moral und Vernunft auf kriminelle Unmoral und Unvernunft reagieren. Stattdessen wird Strafrecht zunehmend zu einer archaischen Gegenwelt des Unaufgeklärten, des Wiederbelebens von Rache und Vergeltung. Gegenwelt deshalb, weil wir ansonsten stolz sind auf unsere Rationalität, auf die Überwindung rein gefühlsmäßiger, primitiver Reaktionen. Je mehr der Glaube an überirdische Instanzen und damit an eine spätere Gerechtigkeitsverwirklichung schwindet, umso mehr nimmt der Glaube, dass Böses auf Erden unbedingt gesühnt werden muss, zu. Strafe wird Religionsersatz. Der rationale und humane Umgang mit dem Verbrechen, mit dem Verbrecher wird mehr denn je zu einer Herausforderung für unsere Rechtskultur. Hierbei dürfen die berechtigten Interessen der Opfer nicht missbraucht werden!


* Schriftliche Fassung eines Vortrags, der auf der 12. Arbeitstagung der Fachgruppe Rechtspsychologie in der Deutschen Psychologischen Gesellschaft am 20. 09. 2007 in Kiel gehalten wurde. Zuerst in etwas anderer Form veröffentlicht in Praxis der Rechtspsychologie 18 (1), 2008, S. 82 ff.

[1] Zu der von Jakobs angestoßenen Diskussion über ein Feindstrafrecht im Speziellen s. Scheffler in: Festschrift für Schwind (2006), S. 123 ff. m.w.N.

[2] Hierzu Ostendorf/Bochmann ZRP 2007, 146.

[3] Kusch NStZ 2006, 65; dagegen Ostendorf NStZ 2006, 320.

[4] Die Zeit vom 15. Dezember 2005.

[5] Entnommen aus Datenreport 2006, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, S. 535.

[6] Schwind, Kriminologie, 17. Aufl., § 20 Rn. 8; s. hierzu auch Walter, Jugendkriminalität, 3. Aufl., Rn. 199 ff.

[7] Ostendorf, JGG, 7. Aufl., § 18 Rn. 10.

[8] Die Zeit vom 15. Dezember 2005.

[9] Polizeiliche Kriminalstatistik 2006, S. 129, S. 133, S. 139.

[10] Polizeiliche Kriminalstatistik 2006, S. 148.

[11] Polizeiliche Kriminalstatistik, 2006, S. 99.

[12] Polizeiliche Kriminalstatistik, 2006, S. 99.

[13] Entnommen aus Datenreport 2006, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, S. 538.

[14] S. auch Thiée NK 2006, 131.

[15] Jehle/Heinz/Sutterer, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 2003; Zusammenfassung bei Heinz ZJJ 2004, 35, 44.

[16] S. zusammenfassend Meier, Kriminologie, 3. Aufl., S. 262 ff.

[17] S. Löhr in: Strafverfolgung und Strafverzicht, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein, hrsg. von Ostendorf, 1992, S. 579 ff. m.w.N. in Fn. 33; s. auch Heinz ZJJ 2005, 166 ff.

[18] Insoweit anstoßgebend Schweckendieck ZRP 2006, 231.

[19] S. Ostendorf, Effizienz von Kriminalprävention (2004), S. 59 ff.