HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2007
8. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

524. BGH 1 StR 238/06 - Beschluss vom 19. Juli 2006 (LG Konstanz)

Formelle Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung (Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren; Bedeutung der einbezogenen Katalogtaten).

§ 66 Abs. 3 Satz 1 StGB

1. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB können im Einzelfall auch vorliegen, wenn einer Gesamtfreiheitsstrafe neben Nichtkatalogtaten mehrere Katalogtaten zugrunde liegen. Ergibt die Zusammenziehung der in der Gesamtstrafe enthaltenen, auf Katalogtaten beruhenden Einzelfreiheitsstrafen zwingend eine Gesamtfreiheitsstrafe in der von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vorausgesetzten Höhe, so ist der Fall nicht anders zu beurteilen, als wenn von Vornherein eine allein auf Katalogtaten beruhende Gesamtstrafe als Vorverurteilung vorgelegen hätte.

2. Der Senat kann offen lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gesamtstrafe auch dann als Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genügt, wenn aus den auf Katalogtaten beruhenden Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren zwar in vertretbarer Weise gebildet werden könnte, aber nicht zwingend hervorgeht.


Entscheidung

531. BGH 4 StR 60/07 - Beschluss vom 22. März 2007 (LG Dortmund)

Strafzumessung (rechtsfehlerhafte strafschärfende Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens; Beurteilungsspielraum des Tatrichters zur "angemessenen Verteidigung").

§ 46 StGB; Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einem eine Straftat leugnenden Angeklagten unbenommen, sich damit zu verteidigen, dass er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt; auch dann, wenn sich diese Anschuldigungen als haltlos erweisen, darf eine belastende Zurechnung bei der Strafzumessung grundsätzlich nicht erfolgen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4, 5, 10).

2. Anders kann es sich allerdings verhalten - und dann eine Strafschärfung rechtfertigen - wenn Umstände im Rahmen einer Falschbelastung hinzukommen, nach denen sich das Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH aaO). Ein solcher Umstand kann auch darin gesehen werden, dass der die Tat leugnende Angeklagte einen völlig Unschuldigen der Tatbegehung bezichtigt (vgl. BGH StV 1995, 633, 634). Bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein Verteidigungsvorbringen die Grenzen angemessener Verteidigung überschreitet, ist dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen.


Entscheidung

499. BGH 3 StR 115/07 - Beschluss vom 11. April 2007 (LG Saarbrücken)

Strafzumessung (Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung); Verschlechterungsverbot.

§ 46 StGB; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 358 Abs. 2 StPO

1. Wird eine tatrichterliche Entscheidung im Strafausspruch wegen einer im Revisionsrechtszug eingetretenen Verletzung des Beschleunigungsgebots aufgehoben, so gebietet das Verschlechterungsverbot dem neuen Tatrichter nicht, das Ausmaß der Kompensation für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK im Vergleich zu der bisherigen Strafe des früheren Tatrichters zu bestimmen.

2. Der neue Tatrichter hat vielmehr die an sich - ohne die Verletzung des Beschleunigungsgebotes - verwirkte Strafe in einem neuen, eigenständigen Strafzumessungsvorgang zu ermitteln. An die Höhe der früheren Strafe ist er dabei nicht gebunden. Diese bildet erst die Obergrenze für die um das Ausmaß der Kompensation reduzierte, letztlich verhängte Strafe.


Entscheidung

554. BGH 5 StR 123/07 - Beschluss vom 9. Mai 2007 (LG Dresden)

Schuldangemessene Strafe und Anmaßung der Kompetenz einer Strafvollstreckungskammer.

§ 462a Abs. 1 StPO; § 454 StPO; § 46 StGB; § 57 Abs. 2 StGB; § 39 StGB

Das Gericht darf die Strafe nicht entgegen der vorhandenen Schuld so zumessen, dass es faktisch anstelle der sonst hierzu berufenen Strafvollstreckungskammer selbst eine Entscheidung gemäß § 57 Abs. 2 StGB trifft.


Entscheidung

541. BGH 4 StR 557/06 - Urteil vom 26. April 2007 (LG Frankfurt)

Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung (Sozialprognose; gebotene Gesamtwürdigung und eingeschränkte Revisibilität).

§ 56 Abs. 2 StGB

Wie die Strafzumessung, so ist auch die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, grundsätzlich Sache des Tatrichters (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 2001, 366, 367; 2002, 312). Gelangt dieser auf Grund der Besonderheiten des Falles bei der nach § 56 Abs. 2 StGB gebotenen Gesamtschau von Tat und Täterpersönlichkeit (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 5, 6) zu der Überzeugung, dass eine Strafaussetzung nicht in Betracht kommt, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, auch wenn eine gegenteilige Würdigung möglich gewesen wäre.