HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2007
8. Jahrgang
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Schrifttum

Jan Bockemühl (Hrsg.): Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., 1473 Seiten, 122,- €; ISBN 3-472-06170-17, Luchterhand - Wolters Kluwer München 2006.

Monographische Publikationen zur Strafverteidigung nehmen in den letzten Jahren zu. Die zunehmende Spezialisierung vieler strafverteidigender Rechtsanwälte geht mehr und mehr mit spezieller Ausbildungs- und Arbeitsliteratur einher, so dass die von so manchem Justizpraktiker argwöhnisch beobachtete Verbesserung der Handlungsfähigkeiten vieler Strafverteidiger ebenfalls zunehmen dürfte. Das von Bockemühl herausgegebene Fachanwaltshandbuch hat sich insoweit seine Verdienste längst erworben. Das Buch, das von einer ganzen Reihe namhafter Autoren verfasst wird, die fast durchweg praktisch tätig sind, darf als ein am Markt etabliertes Werk gelten. Die mittlerweile dritte Auflage ist nunmehr anzuzeigen:

Die Grundkonzeption des Werks ist unverändert. Eingangs wird hilfreich die Stellung des strafverteidigenden Rechtsanwalts beleucht, sodann finden die Tätigkeitsfelder der ersten Instanz, der Rechtsmittel und der Strafvollstreckung eingehende Erläuterungen. Anschließend werden besondere Verfahrenstypen der StPO (z.B. das beschleunigte Verfahren) und besondere Anwendungsfelder (z.B. Kapitalstrafverfahren oder Wirtschaftsstrafverfahren) besprochen. Die Vertretung des Verletzten und des Zeugen wird behandelt. In zwei umfangreichen Teilen werden besonders bedeutsame Einzelfragen des Prozessrechts wie das Beweisrecht oder die Absprachenpraxis vertiefend besprochen. Ein Beitrag von Nedopil zur forensischen Psychiatrie beschließt den Textteil. Ein wohl aufgestelltes Stichwortverzeichnis ist dem Text nachgestellt, was besonders wichtig ist, da das Handbuch nur in seinen ersten Teilen eine chronologische Reihenfolge wählt: Die folgenden Teile vertiefen die anfängliche Darstellung der Tätigkeitsfelder, was insbesondere beim Gebrauch als ein eigentliches Hand- und nicht Lehrbuch zu beachten ist. Ein Nachteil ist dies aber mitnichten, denn über das Inhaltsverzeichnis und das Stichwortverzeichnis gelingt eine sichere Suche nach konkreten Themen.

Die Neuauflage bringt im ersten Teil ein neues Kapitel der hinzu gekommenen Autorin Schwaben, in dem sie die "Rechtsanwaltsvergütung im Straf- und Bußgeldsachen" bespricht. Dieses Kapitel unterbreitet fraglos einen guten Überblick über die Honorierung der Verteidigertätigkeit. In Anbetracht des Rechts des Angeklagten auf eine konkrete und wirksame (Pflicht-)Verteidigung gibt es allerdings Anlass zur Klarstellung, wenn Schwaben den Kollegen einschränkungslos rät, ihren Verteidigungsaufwand an die bei der Pflichtverteidigung unzureichende Vergütung anzupassen (vgl. Teil A, Kap. 2, Rn. 56; siehe mit anderer Tendenz auch Bockemühl Teil B, Kap. 1 Rn. 83). Das Werk wurde im Übrigen aktualisiert und befindet sich nun auf dem Stand Ende August 2005. Zum Beispiel betont insoweit Köllner die zwischenzeitlich weiter gestiegene Bedeutung der EMRK, die er praktisch den Justizgrundrechten des Grundgesetzes gleichgestellt sieht (vgl. Teil A, Kap. 1, Rn. 41 ff.). Satzger stellt die aktuelle Rechtsprechung zur Verständigung auf dem Stand der Entscheidung des Großen Senats dar, wobei er die wichtige Frage einer Bindungswirkung zugunsten des Angeklagten bzw. eines (verfassungs- und konventionsrechtlichen) Vertrauensschutzes eher verteidigungskritisch betrachtet (vgl. Teil H, Kap. 3, Rn. 38 f.; anders hingegen bereits Köllner, Teil A, Kap. 1 Rn. 90).

Bei der Arbeit mit dem Werk verfestigt sich der Gesamteindruck, dass hier sehr wertvolle Texte zur Verfügung stehen, wenngleich - kaum vermeidlich - einige Themen

wiederholt aufgegriffen werden (man denke an die Bedeutung der EMRK, an die eigenen Ermittlungen des Verteidigers oder an die Beratung zum Einlassungsverhalten). Die Kapitel verbinden jeweils die rechtliche Expertise mit praktischen Hinweisen ("Tipps") und Vorschlägen zu Schriftsätzen und Anträgen. Etwa die Kapitel von Detter zur Revision und zu Rechtsfehlern bei der Strafzumessung sind zweifellos praktisch überaus nutzenbringend. Wenn der Sammelband auch - wie jeder Sammelband - Unterschiede in der Bearbeitung und bei der Aktualisierung aufweist, lässt sich doch insgesamt feststellen, dass jeweils Beiträge vorliegen, die der Konzeption eines Verteidigerhandbuchs gerecht werden und vielschichtige Informationen bieten. Nur selten ist man über den Zuschnitt der Beiträge etwas erstaunt. So sind die aus anderen Publikationen des Autors vertrauten Ausführungen zur Historie der Vernehmung bei Lesch sicher Ausweis besonders gehaltvoller Forschung (vgl. Teil G, Kapitel 1, Rn. 6 ff.). Eine Auseinandersetzung mit der für die "Hörfalle" relevanten jüngeren Verfassungs- und Konventionsrechtsprechung (vgl. aaO. Rn. 37 und BVerfGE 107, 28, 37; EGMR, M.M. v. Niederlande, St 2004, 1), hätte aber praktisch hilfreicher sein können, auch wenn Lesch diese als ausgewiesener Funktionalist Jakobscher Prägung vielleicht nicht zu teilen vermag (vgl. aaO. Rn. 89 ff.). Dieses im Übrigen vorzügliche Kapitel zeigt freilich damit exemplarisch ebenso auf, dass das Buch nicht der Versuchung unterliegt, immer nur die aus Verteidigersicht weitreichendste Interpretation als richtig auszuweisen. Unter anderem aus diesem Grund sollten auch die Justizpraxis und die Wissenschaft öfter als bisher zu diesem guten Handbuch greifen.

Soweit das Buch besondere Verfahrensarten der StPO oder besondere Verfahrensgegenstände behandelt, bieten die aufgenommenen Kapitel dem Generalisten jeweils gute Einstiege. Falls man aber beispielsweise das noch immer an Bedeutung gewinnende Wirtschaftsstrafrecht schwerpunktmäßig praktisch bearbeiten möchte, wird der Griff zu weiteren Informationsquellen kaum zu vermeiden sein, ohne dass dies einen Vorwurf gegenüber dem Handbuch ausmachen würde. Der hier aufgenommene Beitrag von Quedenfeld/Richter stellt etwa umfangreich und gelungen das Insolvenzstrafrecht dar, musste dafür aber angesichts des notwendig beschränkten Raumes bei anderen Gebieten des Wirtschaftsstrafrechts (im weiteren Sinne) verständlicherweise Abstriche machen. Sollten Verlag und Herausgeber das Werk weiter verbessern wollen, wäre insoweit aber - schon angesichts des Rekurses auf das jeweilige materielle Recht - kaum zu einem Ausbau dieser Spezialthemen zu raten, denn dies müsste den Rahmen eines einbändigen Werkes sprengen. Es bietet sich daher wohl eher an, ergänzend noch die allgemein zu allen Delikten denkbaren Verteidigungsinstrumente Verfassungsbeschwerde und Individualbeschwerde darzustellen. Spannend wäre es ebenso, wenn sich das Werk auch dem Tabuthema der anwaltlichen Schlechtleistungen im Strafverfahren und ihrer möglichen Behebung zugunsten des Mandanten in einem eigenständigen Kapitel widmen würde (vgl. freilich bereits die Ansätze bei Köllner, Teil A, Kap. 1 Rn. 37 ff., 113 ff.). Dieses etwa von Wächtler als "heikel" (vgl. StV 1997, 111) bezeichnete Thema wird soweit ersichtlich in der Verteidigerliteratur nach wie vor kaum behandelt, obschon auch Verteidiger unumwunden bekennen, dass dazu praktischer Anlass bestünde (vgl. Neuhaus StV 2002, 43). Die jüngere Rechtsprechung des EGMR und die zunehmende Absprachenpraxis, bei der auch die Verteidiger nicht stets zu überzeugen wissen, dürften dem Thema jedenfalls manche zusätzliche praktische Relevanz verleihen. Wenn der wirksame Verteidigerbeistand tatsächlich ein zentrales Menschenrecht sein soll, bleibt zum Beispiel unklar, weshalb ein Urteil Bestand haben darf, das auf einer objektiv unzureichenden Verteidigerleistung beruht. Die betonte Behandlung dieses Themenkreises würde einem Fachanwaltshandbuch, das sich um die Qualität der Strafverteidigung sorgt, gut zu Gesicht stehen.

Das besprochene Handbuch mag vielleicht - im Zuge wachsender Konkurrenz am Markt - für Strafverteidiger nicht so unverzichtbar sein, wie das Vorwort zur ersten Auflage ausführte. Wohl aber lässt sich festhalten, dass auch die dritte Auflage ein ganz hervorragendes praktisch-theoretisches Handwerkszeug für den Fachanwalt für Strafrecht darstellt. Das Handbuch bietet dem strafrechtlichen Generalisten fundierte Informationen und zahlreiche Tipps zur Umsetzung des eigenen Wissens zum Wohl des Mandanten. Da all dies zu einem gut vertretbaren Preis geschieht, weiß das Werk auch in dieser Auflage zu überzeugen.

Wiss. Ass. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School (Hamburg)

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Wolfgang Gast: Juristische Rhetorik, C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2006, 473 Seiten, gebunden, EUR 75,00.

Seit das Recht im Zeitalter der Aufklärung in die Hände der Vernunft gelegt wurde, erfuhr Rhetorik bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine gewisse Verachtung, mitunter wurde sie sogar als schmuddelig diskriminiert. Rhetorik wurde vor allem mit nicht argumentativen Stilmitteln gleichgesetzt, mit Wortgebrauch ohne inhaltlichen Beitrag zur Sache, mit pompösem Auftreten, hohlem Gerede und manipulierenden Tricks. Seit einigen Jahren genießt die juristische Rhetorik aber wieder mehr Beachtung und Wertschätzung (vgl. Schreckenberger, Rhetorische Semiotik - Analysen von Texten des Grundgesetzes und von rhetorischen Grundstrukturen der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts[1978]; Haft, Juristische Rhetorik - Ein Lehrbuch[1. Aufl. 1978, 6. Aufl. 1999]; Grasnick GA 1990, 483 ff.: Wozu Rechtsrhetorik? Versuch einer Aufklärung; von Trotha, in: Widmaier[Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2006, § 35: Rhetorik). Man hat - sicherlich begünstigt durch die gegenwärtige Epoche der Kommunikation - neu entdeckt, dass Recht und Rhetorik zusammen gehören wie zwei Seiten einer Medaille. Es nützt nichts, objektiv gesehen Recht zu haben. Entschei-

dend ist, dass derjenige, der über die Sache zu befinden hat, die Dinge genauso sieht (oder zumindest argumentativ nichts Vernünftiges entgegenzusetzen vermag). Er ist es, der überzeugt (nicht: überredet) werden muss, und Rhetorik ist, wie Wolfgang Gast (Rn. 3) treffend hervorhebt, die dazu erforderliche wie nutzbare Technik - verstanden als Kunst, Einverständnis zwischen Rhetor und Adressaten herzustellen; das ist, nebenbei bemerkt, kein Widerspruch zur Aussage, dass Rhetorik Technik sei, denn das etymologische Wörterbuch bietet für techne (griech.) vielerlei Übersetzungen an: Wissenschaft, Handwerk und Kunst.

In einer knappen und gut zu lesenden Einführung stellt Gast zunächst Inhalt und Bedeutung der drei rhetorischen Mittel vor: Ethos, die innere Haltung des Redners, von der er sich bei der Arbeit leiten lässt, Logos, die sachliche Ebene, auf der Argumente vorgetragen und Beweise geführt werden, und Pathos, das etwa durch Laut- oder Sinnbilder Argumente hervorzuheben sucht (Rn. 6 ff.). Diese drei Bausteine werden in späteren aufschlussreichen Kapiteln intensiv für die praktische Verwendung aufbereitet: Ethos (Rn. 1279 ff.), Logos (Rn. 851 ff.) und Pathos (Rn. 1145 ff.).

Nach der kurzen Einführung wird das rhetorische Grundmuster erläutert: Welche persönliche und sachliche Struktur liegt dem rhetorischen Handeln zugrunde, und wie wird sie in der juristischen Aktion ausgefüllt? Auf personaler Ebene ist es sicherlich so, dass ein Gegenüber mit entschieden konträrer Meinung, eingemauert in seinen Standpunkt, zuhör- und lernunwillig nicht ansprechbar ist, und auch mit rednerischen Mitteln nur selten aufgeschlossen werden kann. Gast hebt hervor, dass unter Juristen die kommunikative Ausgangslage jedoch grundsätzlich anders ist, verfügen sie doch prinzipiell über eine "gemeinsame Plattform" in den sachlichen und methodologischen Grundlagen. Der Gemeinplatz von den "zwei Juristen mit drei Meinungen" beschreibt indes zutreffend, dass auch eine gewisse Gleichsinnigkeit im Hinblick auf das aktuell Erhebliche keine Gewähr für eine einheitliche Sichtweise bietet. Gast zeigt nun, wie der ausbildungsbedingte Grund- oder Minimalkonsens im Diskurs, im heftigen Disput und noch beim Widerstreit unverträglicher Meinungen die Brücke zwischen den Kontrahenten schlagen kann. Sachlich komme es entscheidend darauf an, dass das, womit der Redner für seine Sache werbe, plausibel sei. Wahrheit und Gerechtigkeit seien zwar die Ideale juristischer Tätigkeit, tatsächlich sei es jedoch die Plausibilität, um die sich beinahe alles dreht (Rn. 74, 453 ff.). Deshalb dürfe nicht nur das Ergebnis der Rede (oder des Schriftsatzes) plausibel sein, auch die Argumentation selbst bedürfe eines plausiblen Aufbaus (Rn. 362, 851). Vorbedingung plausibler Argumentation sei die vom Rhetor richtig bestimmte Prämisse (Rn. 153 ff.), also die Wahl dessen, über das von vornherein Einverständnis besteht - der Rhetor setze sie voraus, der Adressat gestehe sie zu. Da die Prämisse akzeptiert werde, sei sie die Quelle für weitere Akzeptanzen: ihr Inhalt gilt - also müsse alles weitere, das in ihr aufgeht, gleichfalls gelten. Denn, so Gast treffend: "Ein vernünftiger Mensch darf nicht so inkonsequent sein und einen Obersatz zwar anerkennen, eine Folge daraus jedoch verwerfen" (Rn. 76). In diesem Zusammenhang mahnt Gast zur Sorgsamkeit bei der Formulierung der These, also des Ungewissen, Fraglichen, deren rhetorische Subsumtion unter die Prämisse gelingen soll, und zeigt, wovon dieses "komplexe Stück Arbeit" im Einzelnen abhängt (Rn. 74 ff.). Die Ausführungen bleiben keinesfalls abstrakt. Vielmehr sind zahlreiche Beispiele eingestreut (Rn. 96 ff.; 119 ff.), die das Gelesene sofort verdeutlichen. Besonders hervorzuheben ist der höchst spannende historische Exkurs, mit dem Gast die Wirkungsweisen der rhetorischen Elementarteilchen lehrreich exemplifiziert. Die Fallgeschichten reichen von einem Prozess im Ägypten des 3. Jahrtausends vor Christi Geburt (Rn. 504 ff.) über die Rede Ciceros zur Verteidigung des Sextus Roscius (Rn. 584 ff.) bis zum auf Todesstrafe lautenden Urteil des Volksgerichtshofs gegen den österreichischen Benediktinerpater Josef Pontiller (Rn. 631 ff.).

Besonders gelungen ist der dann folgende Abschnitt über die Gesetzesauslegung. Mustergültig werden die traditionellen Auslegungsmethoden Wortsinn (Rn. 717 ff.), Systematik (Rn. 769 ff.), Sinn und Zweck (Rn. 803 ff.) sowie Historie (Rn. 789 ff.) dargestellt. Wenn man an diesen Kapiteln etwas vermissen kann, dann allein, dass Gast sich nicht mit der von Rolf D. Herzberg gut begründeten These auseinandersetzt, dass Sinn und Zweck nur schwerlich Kriterien für die Auslegung des Gesetzes sein könnten, weil das, was der Sinn einer Regelung sei und was sie zu bezwecken wünsche, erst am Ende des Auslegungsprozess stehen könne (vgl. Herzberg JuS 2005, 1 ff.).

Positiv hervorzuheben ist, dass Gast die durch Europarecht veränderten Normqualitäten (Stichworte: richtlinienkonforme Auslegung, Transformationsgesetze, Auslegungsmethoden des EuGH) in seine Darstellung einbezieht (Rn. 809 ff.).

Gast zeigt, dass Rhetorik die halbe Juristerei ausmacht. Dabei geht es nur wenig um den schlauen Kniff, der unmerklich manipuliert, und schon gar nicht um überrumpelnde Taktik, die keine Zeit und keinen gedanklichen Raum für Gegenwehr lässt. Das Buch vermittelt also kein Rezeptwissen unter dem Motto: "Ich gewinne immer - in X Schritten zum Erfolg". Wer meint, dass ihm solche Kochrezepte nutzen könnten, der mag sich einen der zahllosen Ratgeber auf dem Taschenbuchmarkt kaufen. Wer aber lernen will, seine Meinung im Rechtsstreit optimal zu verfechten, der sollte zu diesem bemerkenswerten Buch greifen. Es wird dem Praktiker zu professioneller Souveränität verhelfen. Wegen seiner klar strukturierten und einprägsamen Ausführungen auch zur Methodik der Gesetzesauslegung, das entscheidende Mittel zur Bewältigung unbekannter Rechtsprobleme, ist es aber auch für Studenten und Referendare zur Anschaffung und Durcharbeitung bestens zu empfehlen. Dieser Leserkreis könnte jedoch, was bedauerlich wäre, durch den relativ hohen Preis des Buches abgeschreckt werden. Deshalb sollte es zumindest von den Universitätsbibliotheken in ausreichender Zahl angeschafft werden. Es

wäre eine lohnende Investition in die Zukunft.

Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht

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Clivia von Dewitz: NS-Gedankengut und Strafrecht - Die §§ 86, 86a StGB und § 130 StGB zwischen Abwehr neonazistischer Gefahren und symbolischem Strafrecht (Strafrechtliche Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht, Band S 106), Duncker & Humblot, Berlin 2006, 304 S., kart. 31 €.

Offenbar kurz nacheinander wurden im Jahre 2004 an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität zwei Dissertationen zum Themenkomplex der oftmals als "Gesinnungsstrafrecht" apostrophierten Staatsschutzdelikte §§ 86, 86a StGB (vgl. § 74a GVG) vorgelegt. Während die im Nomos-Verlag erschienene Arbeit von Dirk Reuter "Verbotene Symbole" eine umfassende Untersuchung des strafrechtlichen Kennzeichen­verbots in § 86a StGB vornimmt und dabei keine Art von Verstößen ausblenden möchte, nähert sich die Arbeit von von Dewitz der Thematik speziell von der Phänotypik der NS-Propagandaverbote her und erstreckt dementsprechend die Untersuchung auch auf die §§ 86 und 130 StGB (insb. § 130 Abs. 3 StGB, sog. "Auschwitzlüge"). Leider konnte Reuters Arbeit von von Dewitz nicht mehr berücksichtigt werden (obwohl wiederum die Autorin im Vorwort der Arbeit von Reuter als zu dankender Diskussionspartnerin erwähnt wird). Während die Reuter’sche Arbeit die Problematik von den Rechtstatsachen her angeht und vor diesem Hintergrund die rechtspolitische Legitimation des Tatbestandes und die praktischen Probleme seiner Auslegung untersucht, versucht von Dewitz ihre Thesen aus einem Konglomerat historisch-dogmatischer Erwägungen abzuleiten und beschränkt sich dabei auf die allenfalls kursorische Mitteilung von Rechtstatsachen ("Anwendungshäufigkeit") nach umfänglichen dogmatischen Ausführungen in jeweils einem beiläufigen Absatz (192, 239, 261). Dabei wäre gerade zur Beurteilung der zentralen These von von Dewitz, nämlich dass es sich bei den NS-Propagandaverboten vornehmlich um "symbolisches Strafrecht" handele, eine stärkere rechtstatsächliche Anbindung der Arbeit wünschenswert gewesen. Die Annäherung an die dogmatischen Spezifika der an NS-Gedankengut anknüpfenden Strafbestimmungen als erklärtes Ziel der Arbeit (Klappentext) gelingt somit auch insgesamt nur um den Preis mangelnder Prägnanz in den die Anwendung dieser Vorschriften determinierenden Einzelfragestellungen. Damit läuft die Arbeit ihrer Konzeption und ihrem Aufbau nach jedoch Gefahr, der Rechtspraxis eine nur wenig ergiebige Ausbeute relevanter Aussagen zu ermöglichen.

Im abschließenden Teil versucht die Autorin dann dem eher negativ konnotierten Begriff des "symbolischen Strafrechts" eine positive Wendung zu geben, indem sie darlegt, wie der Gesetzgeber durch die in Rede stehenden Normen seine Abwendung vom NS-Staat dokumentieren und zeigen wolle, dass Deutschland seiner Vergangenheit nicht ausweiche. Damit käme diesen Normen eine - freilich im Rahmen allgemeiner Legitimation des Strafens bedenkliche - Bedeutung zu, die über die bloße - von von Dewitz allerdings kaum dokumentierte - Wirksamkeit im Kampf gegen Neonazismus hinausgehe (271), auch wenn die Autorin der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass derartige "historisch-moralische Selbstbilder in Strafrechtsform" eines Tages überflüssig werden (280).

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile:

Im ersten Teil (9-118) wird in einem detaillierten historischen Abriss der Entstehungsgeschichte der NS-Propagandaverbote nachgegangen. Von Dewitz fasst hier verschiedene Zeitabschnitte zusammen: So sei die Nachkriegszeit und frühe Bundesrepublik (9-51) vor allem durch das Besatzungsrecht und dessen sukzessive Ablösung durch bundesdeutsches Recht geprägt gewesen; die Schaffung der Propagandaverbote sei hier vor allem von dem Bemühen gekennzeichnet gewesen, den Wünschen der Alliierten zu entsprechen sowie eine "wehrhafte oder streitbare Demokratie" in Abgrenzung zum NS-Staat zu schaffen, was von Dewitz als "Gründungsmythos" der Bundesrepublik bezeichnet (50). Mit der sich stabilisierenden Bundesrepublik (52-71) erfolgte die erste Reform der Propagandaverbote (Überführung des Kennzeichenverbots aus dem Versammlungsgesetz in das StGB, Schaffung eines Volksverhetzungstatbestandes), wobei es erst in den sechziger Jahren (71-91) zu einer wirklichen strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit kam und im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen ab 1968 in einer nochmaligen Reform das bis heutige zur Verfügung stehende Instrumentarium zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Schriften und Kennzeichen sowie antisemitischen Äußerungen geschaffen wurde (90). Der Abschnitt über die Bundesrepublik seit 1968 (92-118) widmet sich schließlich der Entwicklung des Neonazismus und der Erweiterung des Volksverhetzungstatbestandes um die sog. "Auschwitzlüge" im Jahre 1994 sowie Änderungen hinsichtlich der §§ 86, 86a StGB vor diesem Hintergrund. Insgesamt, so fasst die Autorin zusammen, sei die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Strafvorschriften beachtenswert: Während die NS-Kennzeichen- und Propagandaverbote auf alliiertes Besatzungsrecht zurückgingen und sich, nachdem sie anfänglich für nicht auf Dauer erforderliche "zeitbedingte Strafvorschriften" gehalten wurden, für die Abwehr nazistischer und später neonazistischer Gefahren bewährt hätten (116), sei das Verbot der Volksverhetzung und des Auschwitz-Leugnens auf "politische Skandale" zurückzuführen und vor allem als ein Bekenntnis Deutschlands zur Anerkennung und zum kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte zu sehen (118).

Der kurze zweite Teil (119-150) möchte die NS-Propagandaverbote in den Kontext strafrechtlicher Grundsatzprobleme stellen und fragt nach der "strafrechtsinternen oder verfassungs­rechtlichen Legitimation"

der Normen (119). Hier wird zum einen auf die Rechtsgutdiskussion eingegangen, deren Analyse sich im Kontext der Propagandadelikte als nicht ganz unproblematisch erweist, da diese vorwiegend dem Universalgüterschutz dienen und sich diesbezüglich allenfalls als abstrakte Gefährdungsdelikte einordnen lassen bzw. an die Grenze strafrechtsdogmatischer Klassifizierungskategorien führen (151). Zum anderen wird - äußerst kurz (146-150) - daher auf die verfassungsrechtliche Legitimationsebene verwiesen, hier aber letztlich lediglich konstatiert, dass die Propagandaverbote die Frage aufwürfen, inwieweit diese einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen könnten oder nicht und auf den folgenden dritten Teil der Arbeit verwiesen (150).

Der dritte Teil (151-264) widmet sich dann ausführlich der Dogmatik der NS-Propagandaverbote und geht dabei in zwei großen Kapiteln auf "Volksverhetzung und Auschwitz-Leugnen (§ 130 StGB) zwischen Ehrverletzung und Friedensgefährdung" (mit Ausführungen zu §§ 185 ff. StGB) einerseits und "Das NS-Propaganda- und das NS-Kennzeichenverbot (§§ 86, 86a StGB) im Kontext der Staatsschutzdelikte" andererseits ein. Der Konzeption nach soll der dritte Teil wohl die Beantwortung der im zweiten Teil lediglich aufgeworfenen Fragen beinhalten. Von Dewitz arbeitet jeweils heraus, wie sich die Tatsache, dass die Normen in ihren jeweiligen Alternativen eine Gesinnungsäußerung unter Strafe stellen, auf ihre Deliktsstruktur und den Rechtsgüterschutz auswirkt und eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung insbesondere vor dem Hintergrund von Art. 5 GG (211, 243) problematisch ist und im Falle des § 86 Abs. 1 Nr. 4 gar zweifelhaft sei.

Im abschließenden vierten Teil (265-280) schließlich wendet sich die Autorin der Diskussion um das "symbolische Strafrecht" (sowohl im Hinblick auf das Strafgesetz selbst als auch im Hinblick auf symbolische Gesetzgebungsakte) zu und fasst die Thesen ihrer Arbeit zusammen. Danach nähmen die NS-Propagandaverbote durch ihren Bezug auf eine bestimmte politische Gesinnung (bzw. die nationalsozialistische Meinungsäußerung an sich) eine Sonderstellung im Strafrechtssystem ein. Diese strafrechtsdogmatisch schwer einzuordnenden Normen ließen sich als gesinnungsbezogene Vorfeldtatbestände verfassungsrechtlich auch nur schwer rechtfertigen. Sie zeigten jedoch die Leistung der Bundesrepublik auf, aus dem nationalsozialistischen Gewalt- und Terrorregime eine beispielhafte Demokratie entwickelt zu haben, die ihre Schuld angenommen habe und ihre Abwendung vom NS-Regime in Strafnormen fortschreibe. Insoweit handele es sich um symbolisches Strafrecht, wobei die symbolische Bedeutung einzelner Bestimmungen die Bedeutung dieser Normen als Abwehrinstrumente im Kampf gegen Neonazismus überwiege.

Mit dieser theoretischen Erkenntnis allein - so man sie denn vor dem Hintergrund des mitgeteilten Befundes teilen will - scheint indes zumindest aus Sicht des Rechtspraktikers ohne Beantwortung der Frage nach den Auswirkungen auf die Rechtswirklichkeit nicht viel gewonnen.

Dr. Frank Nobis , Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Iserlohn; Dr. Hannes Meyer-Wieck, Assessor, Arnsberg

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Auf folgende Werke zum Recht der Strafverteidigung möchte die Redaktion ergänzend hinweisen:

Katharina Beckemper: Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts und die Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten; Schriften zum Prozessrecht Bd. 171, Duncker & Humblot; ISBN 3-428-10793-4; 325 Seiten, 76 €; Berlin 2002.

Vgl. dazu die Rezension von Wohlers in: GA 2004, 246 ff.

Christian Theiß: Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung de lege lata und de lege ferenda; Schriften zum Prozessrecht Bd. 184, ISBN 3-428-11380-2, 355 Seiten, 98 €; Berlin 2004.

Vgl. dazu die Rezension von Wohlers in: GA 2006, 50 ff.

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