HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2005
6. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

500. BGH 3 StR 109/05 - Beschluss vom 7. Juni 2005 (LG Aurich)

Recht auf Verfahrensbeschleunigung und Aufklärungshilfe (numerische Kompensation als Ausnahmefall); Tatprovokation.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 31 Abs. 1 BtMG

Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfahrensverzögerung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK geforderte numerische Kompensation (NStZ 1997, 591), die später auch auf Fälle tatprovozierenden Verhaltens von "Lockspitzeln" übertragen worden ist (BGHSt 45, 321), ist im Strafzumessungsrecht ein Fremdkörper, der auf diese genannten Ausnahmefälle beschränkt bleiben und nicht auf alle anderen Strafmilderungs- und Straferschwerungsgründe ausgedehnt werden sollte.


Entscheidung

526. BGH 4 StR 155/03 - Beschluss vom 31. Mai 2005 (LG Essen)

Entziehung der Fahrerlaubnis (verkehrsspezifischer Zusammenhang; zu erwartende Risikosituation; Offenlassen nach § 354 Abs. 1 StPO analog).

§ 69 StGB; § 354 Abs. 1 StPO

1. Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit setzt bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs voraus, dass die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen.

2. Für diese Prognose könnte es genügen, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit den Anlasstaten naheliegend mit einer Situation gerechnet hat oder rechnen musste, in der es zu einer Gefährdung oder Beeinträchtigung des Verkehrs kommen konnte, wobei auch sein in der einbezogenen Vorverurteilung gezeigtes Verhalten (riskante Fluchtfahrt aus Angst vor Entdeckung) zu berücksichtigen wäre.


Entscheidung

541. BGH 5 StR 86/05 - Urteil vom 12. Mai 2005 (LG Berlin)

Revisibilität der Strafzumessung (minder schwerer Fall; unmögliche Erwähnung eines jeden Umstandes); schwerer Raub.

§ 46 StGB; § 250 Abs. 3 StGB; § 267 StPO

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dagegen ist eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349).

2. Das gilt auch insoweit, als die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht. Die vom Tatrichter vorgenommene Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keinen Rechtsfehler auf,

ist sie auch dann zu respektieren, wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht sogar näher gelegen hätte (BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1 m.w.N.).

3. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 24, 268; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 17).


Entscheidung

486. BGH 2 StR 405/04 - Urteil vom 1. Juni 2005 (LG Marburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Verfahrensbeschränkung; Teileinstellung; Strafzumessung (Urteilsgründe; Darstellung).

§ 29a BtMG; 154 StPO; § 154a StPO; § 46 StGB; § 267 StPO

Eine erschöpfende Aufzählung aller Gesichtspunkte, die bei der Strafzumessung und der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu berücksichtigen sind, kann vom Tatrichter nicht verlangt werden (vgl. hingegen BGH 3 StR 494/03 - Urteil vom 1. Juli 2004 zu den Erörterungspflichten bei der Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld beim Mord).


Entscheidung

517. BGH 1 StR 154/05 - Beschluss vom 31. Mai 2005 (LG Augsburg)

Abfassung der Urteilsformel (entbehrliche Aufnahme der Tatbegehungsform; Ermessen des Gerichts); Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (Hang; Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung).

§ 64 StGB; § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO

Ein Hang, berauschende Mittel "im Übermaß" zu sich zu nehmen, bedeutet, dass der Täter Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird. Eine Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung reicht daher nicht aus (Senat NStZ-RR 2003, 106; Senat NStZ-RR 2004, 39; Senat NStZ 2002, 384 [385]; Senat NStZ 2004, 494, jeweils m.w.N.).


Entscheidung

503. BGH 3 StR 123/05 - Beschluss vom 2. Juni 2005 (LG Oldenburg)

Aufrechterhaltung von Einziehungsentscheidungen (Erledigung); Gesamtstrafenbildung (Serientaten).

§ 74 StGB; § 74e StGB; § 54 StGB; § 55 StGB

Wird ein rechtskräftiges Urteil, in dem eine Einziehungsanordnung ausgesprochen wurde, in ein neues Urteil einbezogen, so bedarf es keiner Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidung. Die Einziehung ist erledigt, sobald das Eigentum an den betreffenden Gegenständen mit der Rechtskraft des einbezogenen Urteils nach § 74 e StGB auf den Staat übergegangen ist (BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 8).