HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2004
5. Jahrgang
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Schrifttum

Vicky Blesius, Raub-Gewalt. Welche Auswirkungen hat die verfassungsrechtliche Kassation des vergeistigten Gewaltbegriffs auf §§ 249, 255 StGB?, NOMOS, Baden-Baden, 2004, 137 S., Paperback, ISBN 3-8329-0489-1, EUR 41,00

Die Dritte Sitzblockadenentscheidung des BVerfG vom 10.1.1995 hat in der Literatur für viel Aufsehen gesorgt, und sie gehört heute noch zu den viel interpretierten Entscheidungen zum Gewaltbegriff. Blesius hat sich mit ihrer von Samson betreuten Dissertation zum Ziel gesetzt, die Reichweite dieser Entscheidung deutlicher im Zusammenhang der §§ 249, 255 StGB zu diskutieren. An den Anfang ihrer Untersuchung stellt sie deshalb die Frage, ob nach der Entscheidung des BVerfG vom 10.1.1995 noch von einem Gewaltbegriff gesprochen werden könne, oder ob nicht vielmehr für die §§ 249, 255 StGB ein qualifizierter Gewaltbegriff gebildet werden müsse (S. 15).

Die Untersuchung ist in fünf Kapitel gegliedert.

Im ersten Kapitel (S. 17-73) geht Blesius der Frage nach, was mit dem Begriff Gewalt gemeint sein könnte. Nach einigen allgemeinen Überlegungen (S. 17) wird der Gewaltbegriff im Zusammenhang mit § 240 StGB dargestellt. Geleitet werden diese Ausführungen von der Einsicht, dass es keinen abstrakten Gewaltbegriff, sondern nur einen kontextgebundenen Begriff der Gewalt geben könne (S. 18). Den jüngeren Ansichten, die vis absoluta als Gewaltform innerhalb des § 240 StGB ablehnen, folgt Blesius nach kurzer Diskussion nicht (S. 22). Dies offenbart eine methodische Schwäche der Arbeit. Denn wenn man Gewalt als spezifisches Merkmal eines bestimmten Zwangsdeliktes interpretieren will, so ist kein Grund ersichtlich, gerade die Opferreaktion "Duldung" bei § 240 StGB bei der Auslegung unberücksichtigt zu lassen (vgl. S. 21). Denn bei der Duldung führt das Opfer den Willen des Nötigenden gerade nicht aus, sondern erleidet die Zwangshandlung (vgl. aber Verf. S. 22). Hinzu kommt, dass die Nötigungshandlung bei § 240 StGB mit "nötigen" umschrieben wird und sich nicht in der Anwendung von Gewalt erschöpft (vgl. S. 22).

Nach einem historischen Überblick über die Nötigungsvorschrift (S. 26 f.) und der Darstellung der Rechtsprechung des Reichsgerichts (S. 27 f.), des BGH (S. 28 ff.) und des Bundesverfassungsgerichts zum Gewaltbegriff (S. 31 f.), beginnt Blesius mit der Analyse des dritten Sitzblockadenbeschlusses des BVerfG vom 10.1.1995 (32 ff.). Vor allem praktische Erwägungen führen Blesius dazu, die körperliche Kraftentfaltung auf Täterseite nicht als tragendes Merkmal des Gewaltbegriffs anzuerkennen (S. 39, 41). Denn wollte man, so Blesius, an dem Merkmal der körperlichen Kraftentfaltung festhalten, so könnten Zwangswirkungen mit Hilfe technischer Mittel (z. B. Schusswaffen) nicht erfasst werden. Dabei übersieht die Verf. allerdings, dass das BVerfG lediglich eine Kraftentfaltung, die nur zur Anwesenheit führt, für unzureichend hält (vgl. dazu Sinn, Die Nötigung im System des heutigen Strafrechts, 2000, S. 187 ff. und MK-Gropp/Sinn § 240 Rn. 40). Der vierten Sitzblockadeentscheidung des BVerfG vom 24.10.2001 wird lediglich eine halbe Seite gewidmet.

Zur Klärung der Frage, welche Anforderungen an die Körperlichkeit der Einwirkung bei der Anwendung von Gewalt zu stellen sind, wirft Blesius die Frage auf, ob von Gewalt auch die Sachgewalt mit umfasst sei (S. 55 ff.), was schließlich verneint wird (S. 69). Sachgewalt sei allein über das Zwangsmittel "Drohung" zu erfassen (S. 70 ff.).

Das zweite Kapitel (S. 74 ff.) ist der Analyse des Raubtatbestandes (S. 74 ff.) und der Bedeutung des Gewaltmerkmals in § 249 StGB (S. 83) gewidmet. Als wesentliches Ergebnis dieser Untersuchung stellt Blesius fest, dass Raubgewalt eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung der Person zur Folge haben muss (S. 88, 91). Im Folgenden stellt Blesius die Auswirkungen der dritten

Sitzblockadenentscheidung des BVerfG am Beispiel der "Handtaschenraubfälle" dar (S. 91 ff.).

Im dritten Kapitel (S. 102 ff.) entwickelt Blesius eine eigene Definition von Raubgewalt. Raubgewalt ist danach die tatbestandliche Verletzung von Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. §§ 223, 212, 239 StGB. Dies hat zur Folge, dass die Fälle des Handtaschenraubes i.d.R. keine Fälle der §§ 249 ff. mehr sind.

Im vierten Kapitel (S. 118 ff.) unterzieht Verf. dieses Ergebnis einer kritischen Betrachtung. Die Definition wird am Prinzip der Bestimmtheit gemessen bzw. wird nach Abgrenzungsmerkmalen zu anderen Gewaltbegriffen gesucht.

Das fünfte Kapitel (S. 130) fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

Blesius hat mit ihrer Arbeit versucht, einen "blinden Fleck" bei der Interpretation des dritten Sitzblockadenbeschlusses des BVerfG zu beseitigen. Es ist zu begrüßen, dass nach einem kontextgebundenen Gewaltbegriff, also nach "Raubgewalt", gesucht wird und nicht nach einem allgemeinverbindlichen Gewaltbegriff. Die Interpretation der Raubgewalt als Verletzung bestimmter anderer Rechtsgüter der Person (§§ 223, 211, 239 StGB) ist klar, bestimmt und praktisch einfach zu handhaben. Jedoch ist der Preis für ein solch enges Gewaltverständnis innerhalb der §§ 249, 255 StGB sehr hoch und es bleibt fraglich, ob ein solcher Preis tatsächlich zu bezahlen ist. Denn nun hängt die Beantwortung der Frage, was Gewalt sein soll, von der tatbestandlichen Erfassung ganz anderen Unrechts ab, und die Folgen einer solchen Akzessorietät sind weder absehbar noch vorhersehbar. Hinzu kommt, dass Raubgewalt nicht mehr aus sich heraus erklärbar wird. Leider werden bei der Analyse des Gewaltbegriffs innerhalb des § 240 StGB nicht die neusten Strömungen ausgewertet. Nur so ist es bspw. zu verstehen, dass der Ursprung des heutigen Verständnisses von Gewalt kritiklos aus dem crimen vis des römischen Rechts übernommen wird. Teilweise werden Ansichten sinnverzerrt oder als "unumstritten" wiedergegeben (so bei der Interpretation des Ausschlusses von vis absoluta). Die eigene methodischen Richtlinie einer kontextgebundenen Auslegung verlässt Blesius frühzeitig, denn spätestens dann, wenn die Entscheidung des BVerfG vom 10.1.1995 im Zusammenhang mit dem Begriff der Raubgewalt behandelt wird, hätte es einer Auseinandersetzung mit der Reichweite und der Bindungswirkung der Entscheidung bedurft.

Wiss. Ass. Dr. Arndt Sinn (Justus-Liebig-Universität Gießen

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Dieter Dölling (Hrsg.), Jus humanum - Grundlagen des Rechts und Strafrecht. Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag. Duncker & Humblot, Berlin, 2003, Frontispiz, IV, 872 S., geb., ISBN 3-428-11390-X, EUR 112,00

I. Ernst-Joachim Lampe, dem die hier anzuzeigende Festschrift gewidmet ist, hat sich bekanntlich neben dem Strafrecht und mehr oder weniger "klassischen" Fragestellungen der Rechtsphilosophie auch in besonderer Weise der interdisziplinären Forschung und dabei den Schnittstellen zwischen anthropologischen Fragestellungen und dem Recht gewidmet. Auf Grund dieses starken Grundlagenbezugs seines Schaffens ist es angemessen, dass die ihm gewidmete Festschrift nicht nur im Untertitel, sondern auch in der Gliederung die beiden großen Blöcke "Grundlagen des Rechts" und "Strafrecht" (durchaus im Sinne des materiellen und des formellen Strafrechts sowie der strafrechtlichen Nebenwissenschaften) enthält.

Der erste große Block über die Grundlagen beinhaltet grob unterteilt Beiträge, welche Fragestellungen aus dem Bereich der Naturwissenschaft einschließlich der Verhaltensforschung (Hendrichs, Roth, Weyers, Bliesener, Saß, Bock und Hommers), aus dem Bereich der Philosophie (Dux, Schmidtchen, Hilgendorf, Seelmann, Hof) sowie aus weiteren, mehr oder weniger heterogenen Bereichen (Schott, Rehbinder, Lucke, Röhl, Sprenger, Wieland, Brugger, Repgen) enthalten. Die Beiträge im Bereich des Strafrechts verteilen sich auf allgemeine Grundlagen (Roxin, Kühl, Duttge, Dölling), den Allgemeinen Teil (Otto, Hirsch, Schünemann, Jakobs, Heine sowie [wenngleich mit stark gesellschaftsrechtlichem Einschlag] Lüderssen), den Besonderen Teil unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftsstrafrechtlicher Fragen (Neumann [auch mit argumentationstheoretischen Erwägungen] Schulz, Arzt, Pawlik, Kindhäuser, Kuhlen, Tiedemann, Joerden, Gebhardt) sowie die Bereiche Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht (Streng, Renzikowski, Rogall).

II. Dass in einer Besprechung nicht alle Beiträge mehr oder weniger ausführlich gewürdigt werden können, liegt auf der Hand. Vielmehr ist eine - notwendig ganz willkürliche - Auswahl erforderlich. Daher seien im folgenden einige wenige Titel besonders hervorgehoben, die aus der ganz subjektiven Sicht des Rezensenten entweder thematisch besonders ansprechend waren oder aber besonders gut gefallen haben; selbstverständlich ist damit in keiner Weise auch nur irgendeine Form der Herabwürdigung von hier nicht genannten Beiträgen verbunden:

1. Mit der Frage nach "Willensfreiheit, Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomie des Menschen aus Sicht der Hirnforschung" greift Roth eine Problem auf, das mehrere Jahrzehnte nach der großen Determinismus-Indeterminismus-Debatte gerade in der allerjüngsten Vergangenheit (nicht zuletzt auch auf Grund von neueren Erkenntnissen der Gehirnforschung) wieder erheblich an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Dabei ist nicht nur für seinen Text, sondern für die Diskussion insgesamt förderlich, wie Roth einleitend verschiedene mehr oder weniger schwierige Begrifflichkeiten bzw. Phänomene

zumindest theoretisch "auseinanderdividiert", so das Gefühl von Willensfreiheit und ihre tatsächliche Existenz, den "Willen" und die "Willensfreiheit", die (zumindest experimentell so einzuordnenden) Willenshandlungen und die Selbstzuschreibung der Handlungen sowie die selbstempfundene Freiheit, dem eigenen Willen gemäß zu handeln, und die Bedingtheit eines solchen Wollens. Im Anschluss beschreibt Roth empirische Überprüfungen der Willensfreiheit sowie Erkenntnisse der Neurobiologie in die Steuerung von Willkürhandlungen; dabei werden insbesondere die bekannten Untersuchungen Libets zum lateralisierten Bereitschaftspotential beschrieben. Einen weiteren Schwerpunkt bilden das Phänomen der Selbstbeschreibung sowie der Zusammenhang von Verhaltensautonomie und Verantwortlichkeit. Insbesondere die aus naturwissenschaftlicher Sicht behandelten Themen sind so spannend wie der gesamte Bereich der Gehirnforschung, und eine Auseinandersetzung mit den dort erzielten Erkenntnissen ist gewiss für jeden Strafrechtler unumgänglich. Ob freilich auf Grund dieser Erkenntnisse tatsächlich die Forderung gerechtfertigt ist, wir müssten zunehmend "die Begriffe 'Willensfreiheit' und 'Schuld' aus unserem Vokabular streichen" (vgl. S. 57) erscheint dem Rezensenten zweifelhaft. Da er selbst kein Gehirnforscher ist, möchte er auf - prima facie durchaus leicht vorstellbare - abweichende Deutungen etwa von Libets Experimenten verzichten; ganz unabhängig davon stellt sich freilich die Frage, welche Konsequenzen aus entsprechenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen für das Recht als Normwissenschaft zu ziehen wären.

2. Weniger der Strafrechtler als vielmehr der junge Vater im Rezensenten wird durch den Beitrag von Weyers über "'Haben' und 'Gehören', 'Leihen' und 'Tauschen', 'Wegnehmen' und 'Klauen' - Eine Fallstudie zur Entwicklung von Besitz und Eigentumsnormen im Vorschulalter" angesprochen: Dabei wird anschaulich beschrieben, wie bereits ab anderthalb Jahren besitzanzeigende Wörter wie "mein" oder "mir" auftauchen, die freilich noch keine Eigentumsposition, sondern vorwiegend den Wunsch, ein bestimmtes Objekt zu besitzen" beschreiben. Auch die Bedeutung der größeren oder kleineren Affektivität bestimmter Objekte sowie der etwaigen Dominanz des Besitzers bzw. eines "Vorbesitzes" (prior-possession) werden ebenso dargelegt wie das allmählich wachsende Verständnis für den Besitz- und Eigentumsübergang, der auf unterschiedliche Zeiträume angelegt ist (d.h. in der juristischen Terminologie insbesondere: Schenkung bzw. Leihung und der Vollzug entsprechender Verträge). Interessant ist insbesondere das Ergebnis, dass basale Besitz- und Eigentumsnormen sowie ein erstes Regelverständnis bereits in einem Zeitpunkt zwischen anderthalb und drei Jahren heranwachsen. Was die Aussagekraft der von Weyers gefundenen Ergebnisse angeht, stellt sich freilich für den in der empirischen Sozialforschung nur wenig bewanderten Rezensenten die Frage, wie groß diese bei einer Untersuchung ist, die zumindest in ihren Details im Wesentlichen nur auf die Beobachtung eines eigenen Kindes des Verfassers (sowie der Interaktion mit dessen Geschwisterchen) beruhen.

3. Bock geht der Frage nach, ob es eine "kriminalpräventive Wirkung von Musikerziehung" gibt. Das Ergebnis, dass Musikerziehung statistisch "eine moderate Verbesserung gerade in solchen Bereichen von Persönlichkeit, Sozialverhalten und Leistung, von denen wir wissen, dass Straffällige im Vergleich zur Durchschnittspopulation (...) Defizite aufweisen", erzielt, damit jedoch eine "spezifisch kriminalpräventive Wirkung" nicht ohne weiteres beweisbar ist, mag auf den ersten Blick nur wenig spektakulär anmuten. Allerdings ist einzugestehen, dass wesentlich klarere Aussagen über viele möglicherweise kriminalpräventive Instrumente nicht möglich sind, so dass der Musikerziehung neben vielen anderen positiven kulturellen Zwecken insoweit vielleicht auch eine gewisse zusätzliche gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen werden kann. Besonderen Charme erhält die Untersuchung Bocks im vorliegenden Zusammenhang freilich vor allem daraus, dass der durch die Festschrift geehrte Jubilar selbst ein begabter und gut ausgebildeter Musiker ist, der an der Berliner Musikhochschule in der Meisterklasse unterrichtet worden ist.

4. Otto untersucht die "Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs als Problem der Verantwortungszuschreibung", mithin eine Fragestellung, die ihm auch in anderen Beiträgen besonders am Herzen liegt. Besonders anschaulich und lehrreich wird seine Darstellung dabei dadurch, dass er im zweiten Teil des Aufsatzes die theoretischen Grundlegungen durch ihre Konsequenzen in verschiedensten Konstellationen exemplifiziert, wobei die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch selbstständige, frei verantwortlich handelnde Dritte, pflichtwidrig unterlassende Dritte, rettende Kausalverläufe abbrechende Dritte sowie den Täter an der Erfolgsabwendung abhaltende Dritte ebenso untersucht wird wie eine Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Opfer in Fällen der Selbstschädigung, der Unterlassung der Erfolgsabwendung und der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Zuletzt behandelt Otto die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den Ersttäter durch Begründung einer neuen, selbstständigen Gefahr sowie durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung, wobei Otto im Anschluss an Armin Kaufmann sowie eigene frühere Beiträge mit einer (soweit ersichtlich vereinzelt gebliebenen) Entscheidung des BGH (NStZ-RR 1996, 331) und gegen die wohl h.M. eine Garantenpflicht und damit eine Unterlassungsstrafbarkeit desjenigen Täters schon tatbestandlich verneint, der hinsichtlich des späteren Erfolgseintrittes von Anfang an vorsätzlich gehandelt hat.

5. In seinem Beitrag über "Betrug mit Bio und Öko" geht Arzt in der ihm eigenen originellen und scharfsinnigen Weise auf eine Fallgruppe möglicher Betrügereien ein, die in dieser Form auf den ersten Blick erst in der jüngsten Vergangenheit möglich geworden zu sein scheinen; insoweit stellt Arzt zu Recht die Frage, ob es möglich ist, "die Wirtschaft von heute mit der Betrugskonzeption von gestern zu schützen" (vgl. S. 673). Freilich arbeitet er selbst heraus, dass sich in diesem Zusammenhang einige Fragen stellen, die in ganz ähnlicher Gestalt auch schon in anderen, früheren Zusammenhängen eine Rolle spiel-

ten, insbesondere nach einer "sozialen Zweckverfehlung", wenn die nur angeblichen Ökoprodukte tatsächlich ihren Preis uneingeschränkt wert sind. Ausgesprochen interessant ist auch Arzts (für seine Orientierung an den tatsächlichen Vorgaben des Wirtschaftslebens ganz typische) Überlegung, ob insbesondere in längeren Lieferketten die Bedeutung der Bezeichnung "Bio" oder "Öko" nicht notwendigerweise darauf beschränkt sein muss, dass der Lieferant selbst subjektiv davon ausgeht, entsprechende Ware anbieten zu können, und diese gemäß bestimmten Vorgaben zumindest stichprobenweise überprüft, nicht jedoch eine Garantie dafür abgeben kann und will, dass jeder einzelne verkaufte Apfel auf einem Hochstamm und nicht auf einem "Massenniederstamm" geerntet worden ist.

6. Die vor wenigen Jahren vom BGH grundlegend und neu entschiedenen Fehlbuchungsfälle untersucht Pawlik in seinem Beitrag über "Täuschung durch die Ausnutzung fremder Organisationsmängel? Zur Risikoverteilung gemäß § 263 StGB in den 'Fehlbuchungsfällen' und verwandten Fallkonstellationen". Dabei stellt er wesentlich auf die "Zuständigkeitsverteilung" und damit auf die "normative Dimension der (...) Problematik" (vgl. S. 699) ab. Darin liegt eine Anknüpfung an die Überlegungen seiner Habilitationsschrift, die vor der Fehlbuchungsentscheidung des BGH erschienen ist und in der Pawlik eine an den Kriterien der objektiven Zurechnung orientierte Beschreibung des "unerlaubten Verhaltens beim Betrug" geliefert hat. Die damit mögliche plausible Begründung des auch vom BGH erzielten Ergebnisses unterstreicht Bedeutung und Ertrag von Pawliks Monographie, in der "die Auslegung eines zentralen Tatbestandes des Besonderen Teils näher an einige Grundkategorien der allgemeinen Strafrechtslehre herangeführt wurde" (vgl. S. 708).

7. Kindhäuser beschäftigt sich mit dem schwierigen und seit jeher umstrittenen Untreuetatbestand, dessen praktische Bedeutung jedoch gerade in der jüngeren Vergangenheit in einer Vielzahl von Verfahren aufs Neue bestätigt wurde. In seiner Untersuchung zu "Pflichtverletzung und Schadenszurechnung bei der Untreue (§ 266 StGB)" bemüht er sich um eine integrierte Untreuetheorie, in der das Kriterium der Vermögensbetreuungspflicht zwar nicht "pauschal angelehnt" werden soll (vgl. S. 716), in welcher jedoch auch der vergleichsweise vage Treuebruchstatbestand im Lichte einer "Missbrauchskonzeption" interpretiert werden soll. Vor diesem Hintergrund wirft er die Frage auf, ob nicht auch der untreuerelevante Vermögensnachteil klarer konturiert werden kann, was bei einem einheitlichen Verständnis des Vermögensbegriffs auch für Betrug und Erpressung von Bedeutung sein könnte. Insgesamt stellt Kindhäuser in dem Beitrag nicht nur seine aus seinen Kommentierungen im Nomos-Kommentar bekannte Systematisierungsgabe eindrucksvoll unter Beweis, sondern zeigt einmal mehr, wie ergiebig der Rückgriff auf die von Kindhäuser konsequent herangezogene ältere Literatur sein kann.

8. Mit dem "'Fair trial' im Strafprozess" behandelt Renzikowski eine Frage, die in der deutschen Strafprozessrechtsliteratur nach wie vor vielfach "totgeschwiegen" wird, obwohl die Bedeutung von Art. 6 EMRK als eine der wichtigsten Grundlagen des fair-trial-Grundsatzes gar nicht überschätzt werden kann und auch das deutsche Strafprozessrecht in naher Zukunft wohl den (durch einige neuere Werke bereits begonnenen) Anschluss an das Niveau finden muss, auf dem die EMRK im Strafverfahrensrecht anderer Länder bereits berücksichtigt wird. Verdienstlich ist dabei, wie Renzikowski das Prinzip der "Fairness" methodisch als Abwägungsgrenze und rechtsphilosophisch als prozedurales Gerechtigkeitskriterium näher bestimmt.

III. Was bleibt als kurzes Fazit: Wollte man "Haare in der Suppe suchen", könnte man darüber klagen, dass die Festschrift hinsichtlich des umfassenden Anspruchs, mit dem sie im Titel ("Jus humanum") aufwartet, ebenso wie hinsichtlich des Umfanges Traditionen fortsetzt, die mancher "Festschrift-Nörgler" seit Langem bemängelt. Aber warum sollte man auf solche Nörgler hören? Jubilar, Herausgeber und alle Autoren haben vielmehr verdient, dass man statt dessen die Originalität und die hohe Qualität der meisten Beiträge ebenso betont wie den für Umfang, Ausstattung und Gattung tatsächlich sogar noch halbwegs moderaten Preis.

Prof. Dr. Hans Kudlich, Univ. Erlangen.

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Gerwin M. Moldenhauer - Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den Bundesgerichtshof?, Peter Lang, Schriften zum Strafrecht und Strafprozessrecht, Nr. 74, 292 Seiten, 2004 - 51,50 €.

Mit der derzeit durch den Großen Senat in Strafsachen verhandelten Frage, ob die revisionsrichterliche Kontrolle der Verfahrensabsprachen über die Unwirksamkeit eines absprachebedingten Rechtsmittelverzichts effektiviert werden kann, rückt auch die grundlegende Entscheidung BGHSt 43, 195 ff. wieder in den Vordergrund (vgl. zum laufenden Vorlageverfahren m.w.N. Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, Heft 10). Insoweit zur richtigen Zeit ist daher die hier besprochene und von Maiwald betreute Dissertation von Moldenhauer erschienen, die sich exakt mit der Frage befasst, ob BGHSt 43, 195 ff. als eine legitime und umfassende Verfahrensordnung für Urteilsabsprachen gelten kann. Hierbei geht Moldenhauer im Anschluss an Weigend davon aus, dass die Frage nach der Zulässigkeit der Absprachen so nicht zu stellen ist: Zu fragen ist, inwiefern die verschiedensten Formen des konsensualen Vorgehens im Strafprozess dem geltenden Recht widersprechen (S. 265 ff.).

Die Abhandlung gliedert sich in fünf Kapitel. Eingangs umreißt Moldenhauer präzise den Gegenstand seiner Abhandlung (S. 9-36). Er klärt in diesem ersten Kapitel die Terminologie und gibt wesentliche Gründe für die heutige Praxis. Das zweite umfangreichere Kapitel be-

leuchtet sodann jeweils nach Rechtsprechung und Schrifttum getrennt die Kritikpunkte, die vor BGHSt 43, 195 ff. hinsichtlich der Verfahrenabsprachen aufgeworfen worden sind (S. 37-97). Moldenhauer kommt es dabei erklärtermaßen an dieser Stelle noch nicht darauf an, Problemfragen bereits abzuklären. Er will vielmehr einen Grund zu legen, auf dem die Entscheidung BGHSt 43, 195 ff. verstanden werden kann. Die Rechtsprechung stellt er insoweit chronologisch dar, was unter anderem den bereits früher besonders kritischen Ansatz des heute vorlegenden dritten Strafsenates offen legt. Die verfassungsrechtlich bedeutsame und auch angesichts der nur spärlichen BVerfG-Äußerungen jedenfalls nicht gänzlich unbedeutende Rechtsprechung des EGMR zum greift Moldenhauer nicht auf, was angesichts der im Ganzen noch blassen Judikatur nicht zwingend, jedoch auch nicht gänzlich ohne Wert gewesen wäre, zumal die Verfahrensfairness den wesentlichen Maßstab für Verfahrensabsprachen darstellen soll. Angesichts der vielgestaltigen Absprachen bietet die Schrifttumsanalyse eine überblicksartige Darstellung des Meinungsstandes zu zahlreichen möglicherweise durch Absprachen verletzten Rechtspositionen. Das dritte Kapitel umreißt dann in Grundzügen angelsächsische und jüngere kontinentaleuropäische Absprachensysteme (S. 99-128). Hiermit wird ein interessanter und prägnanter Überblick gegeben, zu dem sich vielleicht die heute wachsende Schrifttumskritik an der Absprachenpraxis in England nachtragen ließe. Moldenhauer hält abschließend gut begründet die Erkenntnis fest, dass der unternommene Rechtsvergleich für die von BGHSt 43, 195 ff. zu bewältigende Konstellation keine Lösungen bieten konnte.

Das zentrale und wohlbedacht mit Abstand am umfangreichsten gestaltete vierte Kapitel analysiert dann akribisch die Frage, ob BGHSt 43, 195 ff. sich als legitime Verfahrensordnung für Absprachen begreifen lässt (S. 129-263). Moldenhauer prüft hier sowohl die verfahrensrechtlichen als auch verbundene materiellrechtliche Aspekte der Grundsatzentscheidung. Der damit gebotene schwierige Querschnitt bzw. die rechtsgebietsübergreifende Anlage der Arbeit führt dabei nicht zu belanglosen Streifzügen durch die betroffenen Rechtsfragen, sondern jeweils zu präziser Kritik an BGHSt 43, 195 ff. Etwa eine Detailaufarbeitung einzelner Strafzumessungstheorien wie zum Beispiel der Tatproportionalitätslehre kann dabei aber von einer Abhandlung zu den Absprachen nicht erwartet werden. Zunächst führt Moldenhauer aus, weshalb nach seiner Auffassung eine normative Verbindlichkeit der Absprachen insbesondere hinsichtlich der zugesagten Strafobergrenze selbst mit BGHSt 43, 195 ff. nicht angenommen werden kann (S. 132 ff.). Auch bei der Analyse des Amtsermittlungsgrundsatzes kommt Moldenhauer zu dem Schluss, dass eine ausgehandelte Minderung seiner Anforderungen nicht über Institute der StPO begründbar ist (S. 143 ff.). Eine besonders überzeugende Kritik gelingt ihm daran anschließend hinsichtlich des Öffentlichkeitsgrundsatzes: die von BGHSt 43, 195 ff. halbherzig und umgehbar propagierte Geltung der Öffentlichkeitsmaxime ist insbesondere mangels Abgrenzungskriterien zwischen erlaubten und untersagten unkontrollierten Gesprächen nicht verwirklichungstauglich. Die einzelnen Fragen möglicher Verletzungen der freien Willensbetätigung des Angeklagten werden darauf folgend differenziert analysiert (S. 159-237 ff.). Darin vertritt Moldenhauer eine besonders klare Position: Jede Strafmilderung infolge eines allein taktischen Geständnisses bzw. infolge einer Verfahrensförderung an sich soll untersagt sein, was er aus § 46 StGB i.V.m. § 136a StPO folgert (S. 166, 179 ff.). Dafür ist für ihn auch eine nicht vertretbare Reduzierung des in "den absoluten Straftheorien zum Ausdruck gebrachten Strafzweck"s auf ein Minimum ausschlaggebend, welche auch bei nur zum Teil taktisch motivierten Geständnissen die Milderungsmöglichkeiten substantiell beschränken soll. Hinsichtlich des absprachegemäßen Rechtsmittelverzichts stellt sich Moldenhauer auf die Seite von BGHSt 43, 195 ff. bzw. auf die des Anfragebeschlusses des dritten Strafsenats (vgl. BGH StV 2003, 544 ff., der mittlerweile im Vorlagebeschluss selbst bereits auf Moldenhauer Bezug nimmt). Schließlich wird auch die Frage der Rückabwicklung fehlgeschlagener Absprachen aufgegriffen (S. 237-264), hinsichtlich derer Moldenhauer aufzeigt, dass BGHSt 43, 195 ff. hier - wie auch bei der Frage der Sanktionsfolgen bei Verletzungen überhaupt - auf Ergänzungen angewiesen ist.

Im abschließenden fünften Kapitel (S. 265-270) hält Moldenhauer sodann fest, dass BGHSt 43, 195 ff. aus zahlreichen Gründen nicht als Verfahrensordnung für Absprachen betrachtet werden darf. Zum einen zeigen sich etwa hinsichtlich der möglichen Strafbarkeit der beteiligten Justizjuristen und vor allem hinsichtlich der Absicherung bei gescheiterten und fehlgeschlagenen Absprachen sowie der Frage nach der Vereinbarung von Rechtsmittelverzichten empfindliche Lücken der Grundsatzentscheidung (S. 265). Zum anderen kommen für Moldenhauer die zum Teil bereits genannten Unvereinbarkeiten mit dem geltenden (Prozess-) Recht und/oder seinen Maximen hinzu (S. 265 ff.). Moldenhauer betont dabei insbesondere, dass aus § 153a StPO ein Argument für eine eingeschränkte Aufrechterhaltung der gesetzlichen Regeln und Prinzipien nicht entwickelt werden kann: die Einstellungsnorm regelt schlechthin etwas anderes, nicht aber die Urteilsabsprachen. Das Fazit Moldenhauers geht denn auch dahin, dass die Absprachen zwar nicht flächendeckend unzulässig sind, jedoch so oft mit dem geltenden Recht in unauflösbare Konflikte geraten, dass konsensuale Praktiken - wollen sie ihre selbstgesetzten Ziele erreichen - praktisch doch umfassend als rechtswidrig zu qualifizieren sind (S. 268 f.). Für etwaige Legalisierungen der heutigen Praxis mahnt Moldenhauer an, dass eine Regelung nicht nur in der Kodifizierung von BGHSt 43, 195 ff. bestehen darf. Er betont, dass sich auch das Recht der Strafzumessung insoweit als Prüfstein erweisen müsste: Ein größerer Absprachenspielraum setzt nach seiner Auffassung eine vermehrte und von ihm mit Recht als problematisch betrachtete Hinwendung zu den präventiven Strafzwecken voraus (S. 270).

Die Abhandlung Moldenhauers stellt eine profunde Aufarbeitung der höchst bedeutsamen Frage dar, ob BGHSt 43, 195 ff. sich als Verfahrensordnung für Absprachen verstehen lässt. Die Abhandlung will und kann nicht jede absprachenbezogen problematische Rechtsfrage aufgreifen. Zu den aufgegriffenen zentralen Fragen gelingen hingegen

durchweg substantiierte Diskussionsbeiträge. Sicherlich wird manche Kritik an BGHSt 43, 195 ff. bzw. der Absprachenpraxis selbst Einwänden ausgesetzt bleiben. Der Rezensent kann etwa der Behandlung der Rechtsmittelproblematik durch Moldenhauer vollends zustimmen. An der Rigorosität des Verdikts über unzulässige Strafmilderungen hegt er hingegen noch Zweifel: Selbst vermeintlich absolute Straftheorien denken die prozessuale Verwirklichungsdimension der Strafe mit (vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts etc., §§ 218, 219 ff., wobei gewiss vor dem historischen Horizont keine Absprachenjustiz gemeint war!). Auch ein von Kant abgeleiteter tatschuldstrafrechtlicher Standpunkt - die Position Kants teilt in allen ihren Einzelausprägungen zur Strafe heute soweit ersichtlich zu Recht niemand mehr - darf nach einer moralisch positiven Motivation des Geständnisses für seine positive rechtliche Zurechnung eigentlich nicht differenzieren. Es ist völlig zutreffend, dass Moldenhauer die drohende Dezimierung des maßsetzenden Tatschuldstrafrechts beim Namen nennt und herausstreicht. Gemeinsam mit der realen Gefahr für die freie Ausübung der Verfahrensrechte ist in der Tat eine ungebundene Strafmilderung für Verfahrensverzichte zu verwerfen. Die Rigorosität Moldenhauers lotet jedoch die bestehenden Verbindungen von abstraktem Tatschuldstrafrecht und seiner verfahrensmäßigen Konkretisierung wohl noch nicht völlig aus. Wie diese Frage auf dem Boden des § 46 StGB auch im Detail zu sehen sein mag: Für die weitere, sich sicherlich gerade um BGHSt 43, 195 ff. rankende Diskussion wird die besprochene Abhandlung ein in vieler Hinsicht wertvoller Beitrag sein. Mehr noch wird die Arbeit Moldenhauers im Besonderen für den zu einer bloßen Übernahme von BGHSt 43, 195 ff. neigenden Gesetzgeber ein großer Gewinn sein, sofern er endlich aufwacht und sich um eine Lösung bemüht und sich nicht nur mit der Perpetuierung des Problems zufrieden gibt. Spätestens jetzt, da offenbar nahezu die halbe Strafjustiz (siehe auch S. 29) - folgt man der keineswegs allein von Moldenhauer vertretenen These - schlechthin neben dem Gesetz agiert, ist ein weiteres Abwarten schlicht unverantwortlich. Wer sehen muss, dass BGH-Senate ungeniert damit argumentieren (müssen), dass eine erwogene BGH-Rechtsprechung gewiss umgangen werden wird, weil die das geltende Recht umsetzende Rechtsprechung der Praxis nicht genehm ist und sie lieber unkontrollierbare Absprachen trifft, der fürchtet nun auch, dass es am Ende selbst für den Gesetzgeber bald zu spät sein könnte, falls er die Praxis auch mit Restriktionen und nicht nur mit grenzenlosen Legalisierungen bedenken möchte. Wacht der Gesetzgeber hingegen nunmehr endlich auf, findet er mit der Dissertation Moldenhauers eine für seine Arbeit grundlegende Abhandlung vor, welche ihm die wesentlichen rechtlichen Brennpunkte als Arbeitsagenda mit kritischen Vorschlägen niederlegt.

Wiss. Ass. Karsten Gaede, Zürich

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