HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2004
5. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Völkerrechtliche Nachbesserung der Strafprozessordnung - jetzt!

Vorschläge zu §§ 136, 338 StPO anlässlich des Urteils des IGH vom 31. März 2004 im Fall Avena u.a. (Mexico v. United States of America) = HRRS 2004, Nr. 342 [1]

Von Prof. Dr. Susanne Walther LL.M., Universität zu Köln

I. Ausgangsproblem

Wirksamer Individualrechtsschutz hängt, besonders im Strafverfahren, wesentlich von Information ab. Wer nicht weiß, welche Rechte ihm bei konkreten Eingriffen wie etwa Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme, und polizeilicher Vernehmung zustehen, für den bleiben selbst die vorbildlichsten Grund- und Menschenrechte nur bedrucktes Papier. Durch Informationsdefizite besonders gefährdet ist, wer in fremdem Land strafrechtlich verfolgt wird.[2] Ein rechtsstaatliches Problem, das auch Deutschland angeht. Denn schließlich gebietet Art. 3 III 1 GG: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Der Gesetzgeber trägt dem Befund, dass Individualrechtsschutz von Information abhängt, bislang - schon im Allgemeinen - nur unzureichend Rechnung.[3] Nur sehr zögerlich setzt sich insbesondere die Erkenntnis durch, dass den Belehrungspflichten der zuständigen Behörden im Strafverfahren gegenüber einem Beschuldigten eigenständige Individualrechte desselben entsprechen. Das dürfte sich daraus erklären, dass es bei diesen "Belehrungsrechten" nicht um Abwehr-, sondern um Leistungsrechte geht, was im strafrechtlichen Kontext schon an sich ungewohnt wirkt. Noch ungewohnter ist freilich, dass es sich um eine sehr spezielle Art von Leistungsrechten handelt: Dem Beschuldigten ist ein Dienst ge-

schuldet, ohne dass er danach verlangt hat. Hauptbeispiel ist der in § 136 I StPO verankerte Anspruch, als Beschuldigter bei der ersten richterlichen Vernehmung u.a. auf das Schweigerecht und das Recht auf Verteidigerkonsultation hingewiesen zu werden; er besteht gleichermaßen bei jeder ersten Vernehmung durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft (§ 163a III 2, IV 2 StPO).

Die Aufwertung dieser Belehrungsrechte zu eigenständigen Verteidigungsrechten erfolgte in Deutschland erst in den 90er Jahren. Zu verdanken war sie nicht dem Strafgesetzgeber, sondern der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich ihrerseits durch gewandeltes Verfassungs- und Völkerrecht dazu (mehr oder weniger) gezwungen sah. Dabei ging es bislang stets um die Umsetzung von Normen, die eindeutig und unmittelbar den Zweck verfolgen, Individualrechte - in Gestalt von Grund- und Menschenrechten - zu verankern: Motor einer grund- und menschenrechtlichen Nachbesserung unserer Strafprozessordnung war vor allem die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs (EGMR) zu dem in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 verankerten Recht auf ein Faires Verfahren. Auch die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands aus Art. 14 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte von 1966 (IPBPR) fand Eingang in die BGH-Rechtsprechung. Aus dem jahrzehntelang bloß als "Ordnungsvorschrift" gedeuteten § 136 I StPO ist seit den Entscheidungen des 5. und des 4. Strafsenats aus dem Jahre 1992 ein durch Verwertungsverbote abgesichertes, eigenständiges Individualrecht des Beschuldigten geworden.[4] Dies bislang allerdings nur insoweit, als es um zwei Verteidigungsrechte von Grundrechtsrang geht, nämlich das Schweigerecht sowie das Recht auf Verteidigerkonsultation ("nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen" (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO).[5]

Gewiß ein Fortschritt - aber ausreichend? Aus einer Fülle von Punkten, die ich noch auf der Wunschliste sehe, will ich - aus Anlaß des neuen IGH-Urteils - einen bislang wenig erörterten herausgreifen. Wie steht es eigentlich um die Gewährleistung des Rechts auf effektive Verteidigung für den ausländischen Staatsangehörigen? Weder in der StPO selbst noch in den Justizgrundrechten der Art. 102-104 GG finden sich Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber sich der Frage bislang in gebotener Weise bewusst war. Zwar enthalten Art. 6 III a EMRK[6] sowie §§ 185 ff. GVG und § 259 StPO einzelne Mosaiksteine insofern, als es um die Fähigkeit zu sprachlicher Verständigung bzw. um das Recht auf Beiziehung eines Dolmetschers geht. Doch ist damit allein die Gefahr einer systematischen Verkürzung der Verteidigungsrechte des Ausländers vor einem fremden Strafgericht nicht zu bannen:

Wirksame Verteidigung setzt voraus, dass bereits weit im Vorfeld von Anklage und Gerichtsprozess, nämlich ab Beginn des Ermittlungsverfahrens und insbesondere bei ersten polizeilichen Zugriffen wie Festnahme und Vernehmung für die Absicherung von Schweigerecht und Verteidigerkonsultation gesorgt ist. Schließlich werden bereits im Ermittlungsverfahren häufig später nicht mehr korrigierbare Weichen für den Verlauf der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung und den Ausgang des Verfahrens gestellt. Die Verteidigung muß daher frühzeitig alle Möglichkeiten für eine Entlastung des Beschuldigten ausschöpfen, d.h. insbesondere herausfinden, ob stichhaltige Gründe für eine alsbaldige Einstellung des Verfahrens, und, falls entsprechende Vorstöße erfolglos bleiben, für eine Rechtfertigung, Entschuldigung, oder Strafmilderung vorgebracht werden können. Dazu aber kommt es weniger darauf an, dass der Beschuldigte persönlich die Behörden- bzw. Gerichtssprache spricht und versteht. Entscheidend ist vor allem, dass sich Beschuldigter und Verteidigerbeistand sprachlich gut - und das heißt: möglichst ohne Dolmetscher - verständigen können. Außerordentlich bedeutsam ist sodann, dass der Verteidigerbeistand in der Lage ist, sich mit den anderen Verfahrensbeteiligten[7], etwa mit Mitbeschuldigten, ansonsten natürlich mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, und gegebenenfalls auch mit übergeordneten politischen Instanzen in Verbindung zu setzen. Wichtig ist gleichermaßen, dass er bei den professionellen Verfahrensbeteiligten als sachkundig anerkannt und persönlich "in good standing" ist, und (daher) dem Anliegen, bereits den Tatverdacht oder zumindest das öffentliche Interesse an einer gerichtlichen Strafverfolgung aus-

zuräumen, wirksam - das heißt vor allem: rechtzeitig[8] - Gehör verschaffen kann. Falls gleichwohl die Durchführung eines Gerichtsprozesses in concreto nicht abgewendet werden kann, muß der Verteidiger persönlich in der Lage sein, im näheren sozialen Umfeld des Beschuldigten, ja gegebenenfalls auch in dessen Heimatland zu recherchieren (oder recherchieren zu lassen), um möglichst alle relevanten Entlastungsmomente zusammen zu tragen. Sofern der Beschuldigte ausländischer Staatsangehöriger ist, werden sich diese - dann ungleich komplexeren - Verteidigungsaufgaben in der Regel nur durch ein Verteidigungsteam meistern lassen, dem auch Experten aus dem Heimatstaat des Beschuldigten oder sonst mit den sprachlichen, rechtlichen und kulturellen Besonderheiten vertraute Sachkundige angehören.

Um diesem Befund gerecht zu werden bedarf es einer Schutzkonzeption, die in geeigneter Weise bei der Fremdeneigenschaft der Person ansetzt. Leicht gesagt; die Frage des "Wie" führt aber in einen Strudel von Problemen hinein, vor allem in Einwanderungsgesellschaften, zu denen auch Deutschland gehört.[9] Ob und nach welchen Kriterien die Gruppe der in Folge von "Fremdheit" im Strafverfahren diskriminierungsgefährdeten Bevölkerungsgruppen mittel- und langfristig sachgerecht erfasst werden kann, gibt sicherlich ein Fundamentalthema für die künftige Strafrechtswissenschaft ab. Für die Gegenwart sind wir indes aufgefordert, erste kleine Schritte anhand jenes vor 40 Jahren gewählten Modells zu unternehmen, das schlicht an das Personalstatut - also die Staatsangehörigkeit - anknüpft.[10]

Die Rede ist von Art. 36 WÜK (Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen v. 24. April 1963[11]). Unter der Überschrift "Verkehr mit Angehörigen des Entsendestaates" sieht Art. 36 I b) ein Benachrichtigungsrecht vor, welches durch ein entsprechendes Belehrungsrecht abgesichert wird:

Art. 36 I Verkehr mit Angehörigen des Entsendestaates. (1) Um die Wahrung konsularischer Aufgaben in bezug auf Angehörige des Entsendestaats zu erleichtern, gilt folgendes:

a)     ….

b)     die zuständigen Behörden des Empfangsstaates haben die konsularische Vertretung des Entsendestaates auf Verlangen des Betroffenen unverzüglich zu unterrichten, wenn in deren Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen, in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist. Jede von dem Betroffenen an die konsularische Vertretung gerichtete Mitteilung haben die genannten Behörden ebenfalls unverzüglich weiterzuleiten. Die Behörden haben den Betroffenen unverzüglich über seine Rechte auf Grund dieser Bestimmung zu unterrichten; [12]

c)     …

Doch verbürgt diese - völkervertragsrechtliche - Bestimmung überhaupt Individualrechte - oder geht es hier nur - wie schon der Konventionsname nahe legt - um die Gewährleistung friedlicher und freundlicher zwischenstaatlicher Beziehungen? Falls doch (auch) Individualrechte verbürgt werden: Welche Schutzzwecke verfolgen sie? Und wie können diese durchgesetzt werden: Nur in mediatisierter Form, d.h. über die in Art. 1 Fakultativprotokoll zum WÜK vorgesehenen, spezifisch völkerrechtlichen Weg der Staatenbeschwerde zum IGH?[13] Oder müßte nicht - zusätzlich - auch eine Rechtsdurchsetzung im Rahmen des jeweiligen innerstaatlichen Rechtsmittelverfahrens in Strafsachen und gegebenenfalls per Verfassungs- oder gar Menschenrechtsbeschwerde gegeben sein? Daß solche Überlegungen höchst zeitgemäß sind beweist der Umstand, dass der BGH sich unlängst mit einer entsprechenden (Verfahrens-) Rüge im Revisionsverfahren zu befassen hatte; der Beschwerdeführer machte geltend, dass das gegen ihn erlassene Urteil infolge unterlassener Belehrung über seine Rechte nach dem WÜK auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.[14]

II. Konsularische Benachrichtigung als Element des Grundrechts auf effektive Verteidigung? Zur Entscheidung des IGH im Fall Avena u.a. (Mexico v. United States)

Plausibilität können derartige Rechtsschutzbegehren indessen nur dann entfalten, wenn die in Art. 36 I b WÜK gewährleisteten Rechte überhaupt darauf ausgerichtet sind, (auch) strafprozessuale Schutz- und Verteidigungsinteressen eines Beschuldigten zu wahren. Verfolgte diese Norm hingegen nur andere, selbständig - und unabhängig - neben Verteidigungsbelangen im Strafprozeß stehende Zwecke, etwa den, zu verhindern, "dass Angehörige des Entsendestaates, die außerhalb ihrer Heimat vielfach nur über geringe oder gar keine Sozialkontakte verfügen, dort auf Grund staatlichen Zugriffs aus der Öffentlichkeit verschwinden",[15] so spräche dies eher dafür, dass ein "Beruhen" des Strafurteils auf der Gesetzesverletzung für die Norm des Art. 36 I b WÜK von vornherein ausgeschlossen ist.[16] Man müßte schon den Beweis führen, dass eben auch die Kategorie

der Benachrichtigungsrechte, die ja dem deutschen Recht nicht unbekannt ist, wie das Recht auf Benachrichtigung für den Fall richterlich angeordneter Freiheitsentziehung in Bezug auf Angehörige und Vertrauenspersonen zeigt (Art. 104 IV GG, § 114b StPO), der Gewährleistung effektiver Verteidigung im Strafverfahren dient. Zu dieser Beweisführung hat sich in Deutschland offenbar bislang niemand berufen gesehen.

Ob Rechtspraxis und Rechtswissenschaft in Deutschland sich auch künftig gewiß sein dürfen, dass es sich beim Typus der Benachrichtigungspflichten in strafprozessualer Hinsicht generell um eine quantité négligeable - weil (insofern) der Kategorie "Soll- und Ordnungsvorschrift"[17] zuzuordnen - handelt, wird durch die neueste Rechtsprechung des Haager Internationalen Gerichtshofs grundlegend in Frage gestellt. Nicht nur, dass der IGH bereits in der Entscheidung im Fall LaGrand (Germany v. United States of America), noch klarer aber jetzt im Fall Avena u.a. (Mexico v. United States of America) den auch individualrechtlichen Charakter von Art. 36 I b WÜK herausgestellt hat.[18] Dies ist zu Recht von völkerrechtlicher Seite begrüßt worden.[19] Von strafrechtlicher Seite ist indes festzustellen: Der IGH hat zugleich einen bedeutsamen Schritt für die Verankerung des Benachrichtigungsrechts beim Beschuldigten-Grundrecht auf effektive Verteidigung getan.

Gewiß: Der Gerichtshof hat zur Rechtsnatur des Benachrichtigungsrechts nicht explizit Stellung genommen, und sich, wie bereits im Fall LaGrand (2001) so auch im Fall Avena (2004) den Anträgen der Klägerseite (Deutschland bzw. Mexico), festzustellen, es handle sich sogar um ein Menschenrecht, entzogen.[20] Die Entscheidungsgründe lassen indes keinen Zweifel daran, dass der Gerichtshof Art. 36 I b WÜK a) den strafprozessualen Rechten des Beschuldigten zuordnet, und b) geneigt ist, darin eine Ergänzung des Grundrechts auf Verteidigerkonsultation zu sehen. Dies sind die Belege:

·                        Der Zweck der Konvention liegt, so der Gerichtshof, darin, zu gewährleisten, dass die Konsularbeamten "mit den Staatsangehörigen des Entsendestaates frei kommunizieren können, Zugang zu ihnen haben, sie besuchen und mit ihnen sprechen und ihre rechtliche Vertretung arrangieren können".[21]

·                        Art. 36 I b WÜK enthält nach der Interpretation des IGH drei Elemente, die separat, aber miteinander verknüpft sind[22]: (1) das Recht des Betroffenen, unverzüglich über seine Rechte aus dieser Norm informiert zu werden; (2) das Recht des Konsulats, unverzüglich über das Festhalten (detention) des Betroffenen benachrichtigt zu werden, wenn dieser es verlangt; und (3) die Verpflichtung des Empfangsstaates, jegliche an das Konsulat adressierte Mitteilung der festgehaltenen Person unverzüglich weiterzuleiten.

·                        Bereits aus dem Wortlaut von Art. 36 I b WÜK ("arrested or committed to prison or to custody pending trial or is detained in any other manner"[23]) ist ersichtlich, dass die Norm auch innerhalb des Strafverfahrens beachtet werden muß. Insbesondere kann der Tatbestand der "detention" - also des (behördlichen) Festhaltens des Beschuldigten - bereits in der Situation der Vernehmung erfüllt sein. Als Grundsatz gilt jedenfalls: Werde eine Person festgehalten, so müsse sie über das Benachrichtigungsrecht belehrt werden sobald nach den konkreten Umständen Grund zu der Annahme bestehe, dass es sich um einen ausländischen Staatsangehörigen handeln könnte.[24]

·                        Der IGH zeigt deutliche Sympathie für die in den USA von manchen Polizeibehörden bereits geübte Praxis, bei polizeilicher (kustodialer) Vernehmung die Belehrung über das Recht auf Benachrichtigung des Heimatkonsulats routinemäßig in die allgemeine, verfassungsrechtlich gebotene Rechtsbelehrung aufzunehmen ("Miranda rule"[25]): "Indeed, were each individual to be

told at that time [of detention, d. Verf.] that, should he be a foreign national, he is entitled to ask for his consular post to be contacted, compliance with this requirement under Art. 36, paragraph 1 (b), would be greatly enhanced."[26]

III. Für eine Absicherung der in Art. 36 I b WÜK enthaltenen Beschuldigtenrechte in § 136 I und § 338 StPO

Aus alledem folgt: Auf die Rechtslage in Deutschland bezogen ergänzt das Recht auf konsularische Benachrichtigung keineswegs - wie der BGH meinte[27] - allein die in Art. 104 IV GG und § 114b StPO verbürgten Rechte. Denn während die dort verbürgten Rechte auf Benachrichtigung (eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson) nur eingreifen, wenn dem Beschuldigten aufgrund richterlicher Entscheidung die Freiheit entzogen worden ist, reicht der Schutzbereich von Art. 36 I b WÜK sehr viel weiter. Aus der Konzeption des IGH folgt, dass das Recht auf Benachrichtigung des Konsulats in jeder Situation der "detention", auch der "nur" polizeilichen, zugleich das Recht auf Verteidigerbeistand ergänzt.

1. Ergibt sich hieraus Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber? Nicht unmittelbar und zwingend, denn schließlich sind die Entscheidungen des IGH nur inter partes verbindlich (Art. 59 IGH-Statut). Indessen ist anerkannt, dass die Wirkung solcher Urteile doch weiter reicht. Für die per Urteilsspruch nunmehr zum zweiten Male höchstrichterlich verpflichtete Streitpartei USA entsteht eine faktische Verpflichtung, in jedem Fall eines Strafverfahrens gegen einen Ausländer die Beachtung der Konsularrechtskonvention zu gewährleisten, einschließlich der ihm im Falle ihrer Verletzung unabhängig vom Stand des Verfahrens einzuräumenden Rechtsmittel.[28] Diese Pflicht trifft dann implizit auch alle anderen Vertragstaaten des WÜK.[29] Im übrigen sind die Vertragsstaaten - also auch Deutschland - unmittelbar aus der Konvention selbst verpflichtet. Sie haben gemäß Art. 36 II WÜK dafür zu sorgen, dass ihre Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften "es ermöglichen […], die Zwecke vollständig zu verwirklichen, für welche die in diesem Artikel vorgesehenen Rechte eingeräumt werden".[30] Diese Verpflichtung aus eigenen Stücken ernst zu nehmen ist für den deutschen Gesetzgeber besonders veranlasst - hat doch Deutschland selbst unlängst (nämlich im Fall LaGrand) nicht nur den IGH ersucht festzustellen, dass Art. 36 I b WÜK sogar ein Menschenrecht verbürge,[31] sondern auch die Behauptung aufgestellt, seine eigenen Gesetze stünden in vollem Einklang mit den im Verfahren gegen die USA eingeklagten völkerrechtlichen Standards, insbesondere könne eine Verletzung von Art. 36 I b WÜK nach der deutschen Strafprozessordnung im Wege der Revision geltend gemacht werden.[32] Davon kann in Wirklichkeit keine Rede sein.[33]

Für den deutschen Gesetzgeber ergeben sich aus der jüngsten IGH-Rechtsprechung daher folgende Konsequenzen:

Full effect - volle Wirksamkeit - der in Art. 36 I b (mit-) enthaltenen strafprozessualen Beschuldigtenrechte setzt eine Doppelstrategie voraus. Es geht ja, genau genommen, innerhalb des vom IGH so gedeuteten "ersten Elements" dieser Norm um zwei Individualrechte, die einzeln und spezifisch abgesichert werden müssen - und zwar innerhalb des Strafverfahrens selbst[34]: Zum einen das Individualrecht auf Belehrung über das Benachrichtigungsrecht; zum anderen natürlich das Recht auf Vornahme der Benachrichtigung, wenn der Betroffene dies verlangt.[35] Beide Rechte ergänzen das Recht auf Verteidigerbeistand, das seinerseits Bestandteil des Rechts auf ein Faires Verfahren ist. Sie nehmen daher auch an dessen Grundrechtsrang teil (Art. 6 I EMRK, Art. 1 I i.V.m Art. 2 I, Art. 20 III GG).

2. Diesem Rang angemessen ist es zunächst, die Belehrungspflicht aus Art. 36 I b WÜK denjenigen in § 136 I 2 StPO gleichzustellen und sie damit - wie jene - über ein beweisrechtliches Verwertungsverbot[36] abzusichern. Gesetzesverstöße sind sodann gemäß § 337 StPO

revisibel.[37] In der konkreten Ausgestaltung sollte die Belehrungspflicht aus Art. 36 I b WÜK nicht an besondere Tatbestandsvoraussetzungen (etwa das Vorliegen einer "Feststellung" oder "konkreten Vermutung" der Ausländereigenschaft des Beschuldigten) knüpfen[38]; bestmöglicher Rechtsschutz erfordert es, sie in die Allgemeinnorm des § 136 I 2 StPO direkt einzubeziehen. Das könnte folgendermaßen geschehen:

§ 136 [Erste Vernehmung]

(1) 1 Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen.2 Er ist darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen; jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen; und dass er, falls er Staatsangehöriger eines anderen Landes sei, unverzüglich die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung des betreffenden Staates verlangen kann. 3

3. Das Recht auf Vornahme der Benachrichtigung müßte - um "volle Wirksamkeit" zu gewährleisten - sowohl durch Beweisverwertungsverbote als auch mit Hilfe eines neuen, absoluten Revisionsgrundes (§ 338 StPO) abgesichert werden. Hier geht es um den Fall, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden trotz entsprechenden Verlangens des Beschuldigten dessen Konsulat nicht oder nicht unverzüglich unterrichtet haben.[39] Sachlich ist die Nichterfüllung des Benachrichtigungsverlangens - nach dem oben Gesagten - unter bestimmten Umständen, insbesondere im Rahmen einer auf Beweisgewinnung zielenden Verfahrenslage (namentlich bei Vernehmung sowie bei Zwangseingriffen), so gravierend, dass sie dem Tatbestand einer "unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt" nahe kommt, § 338 Nr. 8 StPO. Das geltende Recht bietet indessen gleichwohl keine zufrieden stellende Lösung (was übrigens auch für das Recht auf Verteidigerkonsultation gilt![40]). Die Anwendbarkeit von § 338 Nr. 8 StPO setzte nämlich - da sie eine Beschränkung der Verteidigung "durch einen Beschluß des Gerichts" verlangt - voraus, dass die Erfüllung eines im Ermittlungsverfahren missachteten Benachrichtigungsverlangens (entsprechendes gilt für das Verlangen nach Verteidigerkonsultation) grundsätzlich noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden könnte. Das scheitert aber daran, dass Ermittlungs- und Hauptverfahren nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern das eine das andere "vorbereitet", damit aber auch vorstrukturiert, ja vielfach nicht nur das "Wie", sondern sogar schon das "Ob" vorbestimmt.[41] Polizei, Staatsanwaltschaft oder Richter, die im Ermittlungsverfahren eine Benachrichtigungspflicht aus Art. 36 I b WÜK (oder Pflichten zur Ermöglichung von Verteidigerkonsultation) zu erfüllen haben, sind daher, zivilistisch gesprochen, in der jeweiligen Verfahrenslage Schuldner eines Fixgeschäfts. Man sollte daher den Katalog des § 338 StPO erweitern:

§ 338 [Absolute Revisionsgründe] Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

(1.- 8.….)

9. wenn einem Verlangen des Beschuldigten nach Konsulatsbenachrichtigung oder nach Verteidigerkonsultation unter Verletzung seiner Rechte (Art. 36 I b WÜK, Art. 6 I, III c EMRK, § 136 I 2 StPO) nicht oder nicht unverzüglich entsprochen worden ist.

4. Zu guter Letzt: Für den Fall, dass der Internationale Gerichtshof in einem gegen Deutschland gerichteten Streitverfahren eine Verletzung von Art. 36 I b WÜK festgestellt hat, umfaßt, sofern die Verurteilung bereits rechtskräftig geworden ist, die völkerrechtliche Wiedergutmachungspflicht aus Art. 36 II WÜK auch die Ermöglichung einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Der deutsche Gesetzgeber sollte dem durch eine Ergänzung des § 359 Nr. 6 StPO Rechnung tragen.[42] Ob es für die dort dann versammelten, völkerrechtlich legitimierten Wiederaufnahmegründe auch künftig angemessen ist, die Berufung auf sie pauschal in Gestalt einer "Beruhensklausel" tatbestandlich zu beschränken (also nach dem Muster eines "relativen" Revisionsgrundes, § 337 StPO), muß allerdings bezweifelt werden.

Bei alledem ist indes noch einmal ins Bewusstsein zu rufen: Mit einer Lösung, die schlicht an das Personalsta-

tut anknüpft, dürfen wir "Strafrechtler" uns keinesfalls begnügen. Die neue IGH-Entscheidung ist nicht nur aus völkerrechtlicher, sondern auch aus strafrechtlicher Sicht Grund zum Feiern. Doch wäre mit der nunmehr angezeigten Integration von Art. 36 I b WÜK in das Strafprozessrecht für die Realisierung des Großprojekts, für eine effektive Gewährleistung der Beschuldigtengrundrechte im Einklang mit Art. 3 III GG zu sorgen, erst ein bescheidener Anfang gemacht.


[1] IGH-Urteil v. 31.3.2004, abrufbar unter www.icj-cij.org = HRRS 2004, Nr. 342.

[2] Zur Veranschaulichung: Der Anteil ausländischer Staatsangehöriger an den polizeilich ermittelten Tatverdächtigen betrug im Jahr 2001 (ohne Straßenverkehrsdelikte) rd. 25 %; der Anteil der Ausländer an den Verurteilten lag bei ca. 24 %. Siehe Statisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2003, Abschnitt Rechtspflege, 15.6 und 15.7. Zur Erfassungs- und Deutungsproblematik der Kriminalität von "Ausländern" bzw. "Nichtdeutschen" vgl. z.B. Bock, Kriminologie (2. Aufl. 2000), Kap. 15.

[3] Ein entsprechendes Monitum gilt natürlich bezüglich der Informationsrechte des Deliktsopfers; doch kann dieses Thema hier nicht weiter verfolgt werden.

[4] BGHSt. 38, 214 ff., St. 38, 372 ff.; vgl. auch BGHSt. 42, 15. Zur neueren Entwicklung im Überblick Meyer-Goßner, StPO (46. Aufl. 2003), Rdn. 20 ff.

[5] Zum Verwertungsverbot, wenn der Beschuldigte über das Recht auf Verteidigerkonsultation nicht oder unzureichend belehrt worden ist, siehe BGHSt. 47, 172 ff.; AG Neumünster, StV 2001, 498 m. Anm. Gübner. - Belehrungspflichten enthält die StPO im übrigen für den Fall strafprozessual veranlasster Freiheitsentziehung, nämlich bei der richterlichen Vorführung eines Beschuldigten auf Grund eines Haftbefehls (§ 115 Abs. 3 StPO) oder nach vorläufiger Festnahme (§ 128 Abs. 1 S. 2 iVm § 115 Abs. 3 StPO). Allerdings beschränken sich letztere (bislang) auf den Zweck, das Schweigerecht abzusichern. Eine selbständige Absicherung auch des Rechts auf Verteidigerkonsultation enthalten sie ihrem Wortlaut nach nicht. (Nur) soweit der Beschuldigte zugleich einer ersten richterlichen Vernehmung unterzogen wird, erwachsen entsprechende Hinweis- und Belehrungsrechte, da dann auch § 136 StPO Anwendung findet.

[6] Art. 6 Abs. 3 a) EMRK gewährleistet das Recht der "angeklagten Person", in einer "ihr verständlichen Sprache" über die Beschuldigung unterrichtet zu werden, und Abs. 3 e) verbürgt das Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher für den Fall, dass der Angeklagte "die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht".

[7] Siehe z.B. Gillmeister, in Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, Bd. 1 (3. Aufl. 2004), § 4 H ("Das Strafverfahren ist mehr als alle anderen Verfahrensarten durch die Persönlichkeiten der Beteiligten geprägt. In vielen Fällen empfiehlt es sich deshalb, persönlichen Kontakt zu den anderen Verfahrensbeteiligten zu suchen."). Lesenswert zur Gesamtproblematik im übrigen Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten (1995).

[8] Instruktiv dazu - speziell zur Initiativaufgabe des Verteidigers, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen - Gillmeister (Fn. 7), § 7 B.

[9] Vgl. nur - im kriminologischen Kontext - Bock (Fn. 2), Rdn. 1021 ff.

[10] Die heute vorprogrammierten Schieflagen bei der Anknüpfung an das Personalstatut werden z.B. an dem im Jahre 2001 vom IGH entschiedenen Fall LaGrand deutlich; dazu Weigend, in FS Lüderssen (2002), 463 ff.; Hillgruber, JZ 2002, 94 ff., sowie die Nachweise unten Fn. 19, 31.

[11] Für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 7.10.1991, BGBl. II S. 1285; abgedr. in der Gesetzessammlung Sartorius II unter Nr. 326.

[12] Hervorhebungen hinzugefügt.

[13] Siehe Berber, Völkerrecht, Dokumentensammlung Bd. I (1967), S. 884; englischer Text in AJIL 57 (1963), 995.

[14] BGH, Beschl. V. 7.11.2001 - 5 StR 116/01, NStZ 2002, 168.

[15] So BGH aaO.

[16] Vgl. allgemein Meyer-Goßner (Fn. 4), § 337 Rdn. 4, 37.

[17] Zum Streitstand über diese Kategorie vgl. die Nachw. bei Meyer-Goßner (Fn. 4), Rdn. 4.

[18] IGH-Urteil (oben Fn. 1), Nr. 40. Genauer gesagt geht der Gerichthof von einem Doppelcharakter von Art. 36 Nr. 1 WÜK aus: Die Rechte des Entsendestaates und die des Individuums seien miteinander verknüpft dergestalt, daß durch eine Verletzung der Individualrechte zugleich die Rechte des Staates verletzt seien, und umgekehrt. Der Kläger - hier Mexico -, der vor dem Gerichtshof eine Rechtsverletzung im eigenen Namen geltend mache, könne "unter diesen besonderen Umständen" zugleich verlangen, daß der Gerichtshof auch über die indirekte Verletzung durch Verletzung von Individualrechten befinde. Ein solches Rechtsbegehren unterliege nicht der Zulässigkeitsvoraussetzung der vorherigen Ausschöpfung lokaler Rechtsmittel.

[19] Instruktiv Oellers-Frahm, in T. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht (2003), S. 21 ff., dies., EuGRZ 2001, 265 ff.; dies., NJW 2001, 3688 ff. Ablehnend hingegen Hillgruber, JZ 2002, 94, 96 ff. (Anmerkung zum Fall LaGrand).

[20] Für die Interpretation als Menschenrecht Oellers-Frahm, EuGRZ 2001, 265, 268.

[21] IGH-Urteil (oben Fn. 1), Nr. 85; Hervorhebung hinzugefügt. (Original: "As for the object and purpose of the Convention, the Court observes that Article 36 provides for consular officers to be free to communicate with nationals of the sending State, to have access to them, to visit and speak with them and to arrange for their legal representation"). Freilich sei das nicht so zu verstehen, daß etwa Konsularbeamte selbst als Rechtsvertreter oder Rechtsbeistände im Strafverfahren fungierten.

[22] IGH-Urteil (Fn. 1), Nr. 61.

[23] Die deutsche Übersetzung des Ausdrucks "who is detained" mit "dem die Freiheit entzogen ist", ist schief; sie lädt zu dem Mißverständnis einer Gleichsetzung des Anwendungsbereichs mit demjenigen von Art. 104 IV GG, § 114b StPO durchaus ein.

[24] IGH-Urteil (Fn. 1), Nr. 63 ("The Court finds that the duty upon the detaining authorities to give the Article 36, paragraph 1 (b), information to the individual arises once it is realized that the person is a foreign national, or once there are grounds to think that the person is probably a foreign national. Precisely when this may occur will vary with circumstances").

[25] Benannt nach der Leitentscheidung des U.S. Supreme Court in Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436 (1966); eingehend dazu Salditt, GA 1992, 51 ff.

[26] IGH-Urteil (Fn. 1), Nr. 64.

[27] Oben Fn. 14 .

[28] Dazu Oellers-Frahm, in T. Marauhn (Fn. 19), S. 35 (anläßlich des Falls LaGrand).

[29] Oellers-Frahm aaO.

[30] Originaltext: "…the said laws and regulations must enable full effect to be given to the purposes for which the rights accorded unter this article are intended". Siehe IGH-Urteil (Fn. 1), Rn. 108 ff.

[31] IGH (Fall LaGrand), I.C.J. Reports 2001, Nr. 75; dazu auch Oellers-Frahm, in T. Marauhn (Fn. 19), S. 36; dies., EuGRZ 2001, 265 ff. 268.

[32] IGH (Fall LaGrand), I.C.J. Reports 2001, Nr. 62 (" Germany … maintains that its law and practice is fully in compliance with the standards which it invokes. In this regard, it explains that the German Code of Criminal Procedure provides a ground of appeal where a legal norm, including a norm of international law, is not applied or incorrectly applied and where there is a possibility that the decision was impaired by this fact.").

[33] Siehe nur die BGH-Entscheidung von November 2001, oben Fn. 14; dazu bereits oben unter II.

[34] Für den im folgenden vorgeschlagenen Ausbau der Rechtsmittel ergibt sich dies aus Art. 36 II WÜK selbst. Danach entsteht für den Fall einer Verletzung von Beschuldigtenrechten eine völkerrechtliche Wiedergutmachungspflicht, deren Erfüllung im konkreten Fall verlangt, "review and reconsideration" sowohl der Verurteilung als auch der Strafzumessung zu ermöglichen, und zwar "within the overall judicial proceedings": IGH-Urteil (Fn. 1), Nr. 115 ff., 120, 138-143.

[35] Die "Drei-Elemente"-Analyse des IGH im Fall Avena (aaO Nr. 61) ist insofern noch präzisierungsbedürftig.

[36] Vgl. bereits oben bei Fn. 4. Zur Idee eines Beweisverwertungsverbots auch Weigend (Fn. 10), S. 475, wobei aber zum einen zwischen Belehrungs- und Benachrichtigungsrecht nicht näher differenziert wird und zum anderen unklar bleibt, ob der Autor eine Beweisverbotslösung für das künftige Recht empfehlen würde oder nicht.

[37] Auf die (schon bisher) umstrittene "Widerspruchslösung" des BGH muß dabei verzichtet werden; denn sie kommt einer prozessualen Präklusionsregel ("procedural default rule") gleich, die der IGH im Fall Avena erneut - und noch deutlicher als im Fall LaGrand - mißbilligt hat; vgl. IGH-Urteil (Fn 1), Nr. 133 f. - Zum Streitstand bei § 136 StPO vgl. Meyer-Goßner (Fn. 4), § 136 Rdn. 21.

[38] Wie der IGH im Fall Avena am Beispiel der USA deutlich macht (IGH-Urteil [Fn. 1], Nr. 64), gibt es nämlich heute keine äußeren Sachmerkmale, anhand derer Polizeibeamte, Staatsanwälte oder Richter verlässlich erkennen könnten, ob der konkrete Verdächtige oder Beschuldigte ausländischer Staatsangehöriger ist oder nicht.

[39] In diesem Zusammenhang stellt sich des weiteren die Frage, welche Bedeutung dem vom IGH herausgestellten dritten Element der in Art. 36 I b WÜK enthaltenen Rechte zukommt: Der Verpflichtung des Empfangsstaates zur unverzüglichen Weiterleitung von Mitteilungen des Betroffenen. Der IGH konnte dies bislang offen lassen; vgl. IGH-Urteil (Fn. 1), Nr. 62.

[40] Ein Beispiel für die Verweigerung eines Konsultationsverlangens findet sich im Fall BGHSt. 38, 372; der Sache nach behandelt der BGH die gerügten Gesetzesverletzungen zu Recht wie einen absoluten Revisionsgrund.

[41] Die Annahme von Weigend (Fn. 10), S. 470, "was immer das Konsulat zu einem effektiveren Rechtsschutz seines Staatsangehörigen beitragen" könne, werde "in der Regel auch noch in der Hauptverhandlung Wirkung entfalten können", erscheint im Hinblick auf die eminente Aufgabe der Verteidigung, möglichst frühzeitig alle Tatsachen und Rechtsgründe für eine Verfahrenseinstellung oder zumindest eine Abmilderung bzw. Beschränkung der Anklagepunkte vorzubringen (vgl. für das deutsche Recht insbesondere §§ 153c-f sowie §§ 154-154b StPO), realitätsfern.

[42] So bereits Weigend (Fn. 10), S. 473 ff.