HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2003
4. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 300/03 - Beschluss vom 15. Oktober 2003 (LG Ravensburg)

Körperverletzung (Arztstrafrecht; ärztlicher Heileingriff; Kausalität; Kunstfehler; Anstiftung; in dubio pro reo); Einwilligung (Täuschung; mutmaßliche; hypothetische; Würdigung der Äußerung des Betroffenen).

§ 223 StGB; § 26 StGB; § 261 StPO

1. Ärztliche Heileingriffe können nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt werden (BGHSt 16, 309).

2. Die Rechtswidrigkeit eines ärztlichen Heileingriffs entfällt, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung und wegen der Akzessorietät auch nur dann zur Strafbarkeit der Anstiftung zu dieser Tat führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre (BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2; BGH NStZ 1996, 34). Dies ist dem Arzt nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zugunsten des Arztes davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre (BGH NStZ 1996, 34).

3. Bei der Kausalitätsprüfung hinsichtlich des

Aufklärungsmangels ist auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben. Es kommt nicht darauf an, dass er sich ohnehin hätte operieren lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte (BGH NJW 1984, 1397).

4. Die Äußerung des Geschädigten hinsichtlich der hypothetischen Einwilligung ist dabei einer Würdigung zu unterziehen. Diese muss erkennen lassen, dass die Entscheidung der Patientin zum damaligen Zeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung ist (BGH NStZ 1996, 34).


Entscheidung

BGH 1 StR 402/03 - Beschluss vom 15. Oktober 2003 (LG Ulm)

Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Totschlags (nach Tatbeginn schuldunfähiger Täter; unbeendeter / beendeter Versuch; Rücktrittshorizont; Freiwilligkeit: hindernde willensunabhängige Umstände); Schuldunfähigkeit (Aufhebung bei Affektdurchbruch; actio libera in causa; Vorverlagerung).

§ 24 Abs. 1 StGB; § 212 StGB; § 22 StGB; § 15 StGB; § 20 StGB

1. Auch ein Täter, der nach Tatbeginn schuldunfähig wird und zunächst mit natürlichem Vorsatz weiterhandelt, kann grundsätzlich mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten (BGHSt 23, 356, 359).

2. Für die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch ist die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgebend (sog. Rücktrittshorizont). Beendet ist ein Versuch erst dann, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahelegen, erkennt oder den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält.

3. An der Freiwilligkeit des Rücktritts kann es fehlen, wenn willensunabhängige Umstände die weitere Tatbegehung verhindert haben. Solche sind bei unwiderstehlichen inneren Hemmungen angenommen worden, etwa wenn der Täter infolge Schocks oder seelischen Drucks unfähig zur weiteren Tatbegehung geworden war (vgl. BGHSt 9, 48, 53). Allerdings kann freiwilliger Rücktritt dann vorliegen, wenn Mitleid, seelische Erschütterung beim Anblick des bis dahin Angerichteten oder die Wiederkehr hinreichender Steuerungsfähigkeit nach Affektentladung ein willensgesteuertes Innehalten ermöglichen. Für die Entscheidung ist die objektive Sachlage nur insoweit von Bedeutung, wie sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters gestattet (BGH StV 1988, 527). Bleibt offen, ob der Täter von der weiteren Tataus- führung durch Umstände gehindert war, die von seinem Willen unabhängig waren, so ist nach dem Zweifelssatz von der Freiwilligkeit des Rücktritts auszugehen (BGH MDR 1986, 271; BGH StV 1992, 10, 11).

4. Die Annahme vollständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit kommt bei einem Affektdurchbruch nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH NStZ 1995, 175, 176 = BGHR StGB § 20 Affekt 3; BGH NStZ 1997, 333 f.).


Entscheidung

BGH 1 StR 544/02 - Urteil vom 21. Oktober 2003 (LG Stuttgart)

Betrug (Freischaltung von Telefonverträgen; Handyverkauf; Vermögensverfügung). Untreue (Vermögensbetreuungspflicht: Filialleitung); Unterschlagung (Gewahrsam; Subsidiarität zur Untreue); Mittäterschaft (Tatherrschaft; Gleichordnung; Wertung; Interesse; Sicherheitsgefühl des Täters stärkende Hilfe oder Zusage); Bande (Bandenmitgliedschaft).

§ 263 StGB; § 266 StGB; § 246 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Mittäterschaft setzt voraus, dass ein Tatbeteiligter mit seinem Verhalten nicht nur fremdes tatbestandsverwirklichendes Verhalten fördern will, sondern seinen Tatbeitrag im Sinne gleichgeordneten arbeitsteiligen Vorgehens als Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit verstanden wissen will. Jeder Beteiligte muss seinen Beitrag und den des anderen als Teil eines gemeinsamen Erfolges sehen. Ob ein derart enges Verhältnis zur Tat besteht, muss sich bei wertender Betrachtung aus den gesamten Umständen ergeben. Wesentliche Anhaltspunkte sind der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu; bedeutsam kann auch sein, inwieweit Durchführung und Ausgang der Tat vom Einfluss des Mitwirkenden abhängen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 14).

2. Es würde die Annahme von Mittäterschaft nicht hindern, dass der Angeklagte selbst keine tatbestandlichen Ausführungshandlungen vorgenommen hat. Für eine Tatbeteiligung als Mittäter kann auch schon ein auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag ausreichen, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränken kann (vgl. BGHSt 39, 88, 90; BGH NStZ 1999, 609).

3. Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten eines im Gesetz genannten Delikttyps zu begehen. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist nicht erforderlich. Mitglied einer Bande kann auch derjenige sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen (BGHSt 46, 321; 47, 214).

4. Für die Annahme der Bandenmitgliedschaft kommt es nicht darauf an, welche Entscheidungsbefugnisse der Betreffende innerhalb des Zusammenschlusses hat. Die gleichrangige Eingliederung aller Mitglieder in die Bandenstruktur ist nicht erforderlich. Anders kann es sich nur

dann verhalten, wenn die in Aussicht genommenen Tatbeiträge des einzelnen gänzlich untergeordneter Natur sind (vgl. BGHSt 47, 214, 217; BGHR BtMG § 30a Bande 10). Schließlich kann die Bandenmitgliedschaft auch durch einen späteren Beitritt zu einer bereits bestehenden Bande begründet werden (BGHR BtMG § 30a Bande 10).


Entscheidung

BGH 1 StR 338/03 - Beschluss vom 5. November 2003

Vorsatz (Feststellung auf Grund objektiver Umstände).

§ 15 StGB; § 261 StPO

Feststellungen zur inneren Tatseite sind durch objektive Umstände zu belegen. Inwieweit Schlussfolgerungen aus solchen Umständen auf einen Vorsatz statthaft sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.


Entscheidung

BGH 3 StR 294/03 - Beschluss vom 23. September 2003 (LG Bückeburg)

Mittelbare Täterschaft (Abgrenzung zu unmittelbarer Täterschaft; Konkurrenzen); Tatmehrheit beim Betrug; Gesamtstrafenbildung (nachträgliche; Zäsurwirkung).

§ 25 Abs. 1 StGB; § 263 StGB; § 53 StGB; § 55 Abs. 1 StGB

1. Im Falle mittelbarer Täterschaft bestimmt sich jedoch das Konkurrenzverhältnis mehrerer Gesetzesverletzungen für den Täter ausschließlich nach den seinen eigenen Tatbeitrag betreffenden individuellen Gegebenheiten (BGHSt 40, 218, 238; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung, dieselbe 26).

2. Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung soll ein Angeklagter, dessen mehrere Straftaten aus irgendwelchen Gründen in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn alle Taten in einem, und zwar dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGHSt 33, 367, 368).


Entscheidung

BGH 4 StR 272/03 - Beschluss vom 23. September 2003 (LG Halle)

Besondere Erörterungspflicht beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren (Schuldfähigkeitsbeurteilung; Kombinationswirkung von Intelligenzminderung und Alkoholbeeinträchtigung).

§ 20 StGB; § 21 StGB

1. Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 330, 331; BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5, 6, 7, 9).

2. Zum Einzelfall einer Kombinationswirkung von Intelligenzminderung und Alkoholbeeinträchtigung.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 212/03 - Urteil vom 7. Oktober 2003 (LG Augsburg)

BGHSt; Untreue (Abschluss eines Austauschvertrages als Nachteil im Sinne einer schadensgleichen Vermögensgefährdung; Vermögensschaden; Vermögensverlust großen Ausmaßes; Regelbeispiel; besonders schwerer Fall); Betrug; Gesetzlichkeitsprinzip (Rechtsfolgen; objektivierter Wille des Gesetzgebers).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB; § 266 Abs. 2 StGB

1. Wird bereits durch den Abschluss eines Austauschvertrages ein Nachteil im Sinne einer schadensgleichen Vermögensgefährdung bewirkt, so ist ein "Vermögensverlust großen Ausmaßes" im Sinne des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall einer Untreue wie auch eines Betruges erst dann herbeigeführt (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 266 Abs. 2 StGB), wenn der Geschädigte seine vertraglich geschuldete Leistung erbracht hat. (BGHSt)

2. Das Merkmal des Vermögensverlustes ist enger zu verstehen als das des Vermögensnachteils oder des Vermögensschadens. Es setzt einen endgültigen Verlust voraus. (Bearbeiter)

3. Eine bloße Vermögensgefährdung kann eine strafbarkeitsbegründende Vermögensbeschädigung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB und als Vermögensnachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB darstellen, wenn der Vermögensverlust naheliegt (vgl. BGHSt 34, 394, 395 m.w.N.). (Bearbeiter)

4. Das verfassungsrechtlich verankerte Gebot der Gesetzesbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) gilt grundsätzlich auch für die Rechtsfolgenvorschriften. Das schließt jedoch die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Maßgebend für die Auslegung eines Gesetzes ist dann der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der mögliche Wortsinn einer Vorschrift zieht der Auslegung eine unübersteigbare Grenze (vgl. zu alledem nur BVerfGE 105, 135, 152 ff.). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 274/03 - Urteil vom 7. Oktober 2003 (LG Augsburg)

BGHSt; Vermögensverlust (Regelbeispiel; besonders schwerer Fall des Betruges; großes Ausmaß; Gesetzesbestimmtheit; objektive Bestimmung); Subventionsbetrug; Mittäterschaft (Beurteilungsspielraum); tatbestandsrelative Auslegung; Strafzumessung.

§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; § 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB; § 46 StGB

1. Ein Vermögensverlust im Sinne des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall eines Betruges (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) ist jedenfalls dann nicht von "großem Ausmaß", wenn er den Wert von 50.000 Euro nicht erreicht. (BGHSt)

2. Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) gilt grundsätzlich auch für die Rechtsfolgenvorschriften (BVerfGE 105, 135, 152 ff. = NJW 2002, 1779 ff. zur Vermögensstrafe). Der Begriff des "großen Ausmaßes" ist für sich gesehen ein unbestimmter. Er erhält erst in der Interpretation durch die Gerichte seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Die kodifizierte Strafzumessungsregel bedarf, soll sie für den Normadressaten voraussehbar und für die Strafjustiz kontrollierbar sein, der richterrechtlichen Konkretisierung im Wege der Auslegung. (Bearbeiter)

3. Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen. (Bearbeiter)

4. Es ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 287/03 - Urteil vom 5. November 2003 (LG Ellwangen)

Betrug (Versuch; Vollendung; Vermögensschaden: schadensgleiche Vermögensgefährdung); Urkundenfälschung; Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall; Testierfreiheit.

§ 263 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 267 StGB; § 328 BGB; § 331 BGB; Art. 14 Abs. 1 GG

1. Bei einem fingierten, auf den Todesfall bezogenen Vertrag zu Gunsten Dritter ist eine schadensgleiche Vermögensgefährdung noch nicht eingetreten, solange derjenige, mit dessen Tod die Begünstigung eintreten soll, noch lebt. Die Möglichkeit eines Menschen, über sein Vermögen zu seinen Lebzeiten frei zu verfügen, kann in diesem Zusammenhang nicht als rechtlich bedeutungslos angesehen werden. Dabei kommt es weder darauf an, ob etwa im Hinblick auf das hohe Alter des Vermögensinhabers noch mit nennenswerten Vermögensverfügungen zu rechnen ist, noch darauf, ob dem Vermögensinhaber Manipulationen, die sich nach seinem Tod auswirken sollen, unbekannt sind.

2. Betrug ist vollendet, wenn die täuschungsbedingte Gefahr des endgültigen Verlusts eines Vermögensbestandteils zum Zeitpunkt der Verfügung so groß ist, dass sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge hat (vgl. BGHSt 34, 394, 395).


Entscheidung

BGH 5 StR 221/03 - Beschluss vom 30. Juli 2003 (LG Potsdam)

BGHSt; Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (Zahlungsunfähigkeit; Lauf der Insolvenzantragsfrist; vorrangige Abführung auch bei Anfechtbarkeit im Insolvenzverfahren; Einheit der Rechtsordnung); Konkursverschleppung; Revisionserstreckung auf Mitangeklagte (gleichartige Gesetzesverletzung); Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision (Gleichwertigkeit).

§ 266a Abs. 1 StGB; § 34 StGB; § 64 GmbHG; § 357 StPO

1. Unterlässt der Verantwortliche während des Laufs der Insolvenzantragsfrist nach § 64 Abs. 1 GmbHG die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung, macht er sich nicht nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar. (BGHSt)

2. Die Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB verlangt auch dann die vorrangige Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen, wenn die Zahlung möglicherweise im Insolvenzverfahren später angefochten werden kann (im Anschluss an BGHSt 47, 318). (BGHSt)

3. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass sich aus der Strafbewehrung der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB deren Vorrang ergibt (BGHSt 47, 318, 321). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 186/03 - Beschluss vom 1. August 2003 (LG Gera)

BGHSt; dirigierende Zuhälterei (Bestimmen zur Prostitution bei Eingliederung in die Organisationsstruktur eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebes; ProstG; feste Arbeitszeiten, Einsatzorte und Preise; Auslegung bei übrigen Rechtsverstößen; sexuelle Selbstbestimmung).

§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB; ProstG

1. Arbeitet eine Prostituierte freiwillig in einem Bordell oder bordellähnlichen Betrieb, liegt allein in der Eingliederung in eine Organisationsstruktur durch Vorgabe von festen Arbeitszeiten, Einsatzorten und Preisen noch kein "Bestimmen" im Sinne von § 181 a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB. Dies gilt nicht nur bei legalen Beschäftigungsverhältnissen im Sinne von § 1 Prostitutionsgesetz (BGBl. 2001, 3983), sondern auch dann, wenn dabei gegen sonstige Rechtsvorschriften etwa ausländerrechtlicher, steuerrechtlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Art verstoßen wird. (BGHSt)

2. Der Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) setzt in allen Begehungsweisen eine bestimmende Einflussnahme auf die Prostitutionsausübung voraus; eine bloße Unterstützung reicht nicht aus. Nach der Rechtsprechung muss es sich dabei um ein

Verhalten handeln, das geeignet ist, die Prostituierte in Abhängigkeit vom Täter zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen (BGH NStZ-RR 2002, 232; BGH NStZ 1983, 220). Erfolgt das Überwachen und Bestimmen der Umstände im Rahmen einer betrieblichen Organisation, ohne dass konkrete Anweisungen an die einzelnen Prostituierten erteilt werden, kommt es auf die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit an (BGH NStZ 1986, 358). (Bearbeiter)

3. Die Auslegung des § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB kann nicht ohne Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels des ProstG erfolgen, die Prostitutionsausübung als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu legalisieren und jedenfalls teilweise einem normalen Arbeitsverhältnis anzugleichen, wie es in §§ 1 und 2 Prostitutionsgesetz zum Ausdruck kommt. (Bearbeiter)

4. Ein Bestimmen im Sinne des § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt jedoch vor, wenn sich die Prostituierte den Weisungen aufgrund wirtschaftlicher oder persönlicher Abhängigkeit nicht entziehen kann. Anzeichen dafür können etwa unangemessene, die Prostituierte benachteiligende Arbeitsbedingungen, Beschränkungen der persönlichen Freiheit etwa durch Wegnahme von Personalpapieren, Ausgangsbeschränkungen, Verstrickung in Schulden usw. sein. Nicht vorgegeben werden dürfen die Art und das Ausmaß der Prostitutionsausübung. Die Prostituierte muss das Recht haben, jederzeit zu kündigen, sie muss berechtigt sein, sexuelle Handlungen abzulehnen und darf auch keinem Direktionsrecht in der Weise unterliegen, dass sie bestimmte Kunden annehmen muss. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 335/03 - Beschluss vom 9. September 2003 (LG Mannheim)

Kapitalanlagebetrug (Betrug: Konkurrenzen).

§ 264a StGB; § 263 StGB

§ 264a StGB tritt hinter § 263 StGB zurück, wenn aufgrund der unrichtigen Angaben im Sinne von § 264a StGB bei einem konkreten Anleger zugleich die Voraussetzungen des § 263 StGB erfüllt sind (BGH wistra 2001, 57).


Entscheidung

BGH 3 StR 276/03 - Beschluss vom 30. Oktober 2003 (LG Oldenburg)

Untreue (Nichteinzahlung auf Anderkonto durch einen Rechtsanwalt; subjektiver Schadenseinschlag; Auftrag); Verfall; Erlassvertrag; Berufsverbot (Gefährlichkeitsprognose; Darlegungspflicht; Verteidigungsverhalten; Uneinsichtigkeit; Bestreiten); Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe; Aufhebung eines vorläufigen Berufsverbots (Zuständigkeit des Revisionsgerichts).

§ 266 StGB; § 73 StGB; § 267 StPO; § 70 StGB; § 132a StPO

1. Ein Rechtsanwalt, der Gelder für einen Mandanten in Empfang nimmt und nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet, macht sich grundsätzlich der Untreue schuldig. Das Verhalten des Rechtsanwalts stellt nur dann keinen Verstoß gegen die Treuepflicht dar und führt nur dann nicht zu einem Nachteil im Sinne des § 266 StGB, wenn er uneingeschränkt bereit und jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren (BGH wistra 1988, 191 f.; BGHSt 15, 342, 344). Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Mittel nicht von einem Dritten zur Auskehrung an den Mandanten erhalten, sondern sein Mandant ihm Gelder zur Ausführung eines Auftrags überlassen hat (BGH NStZ 1982, 331).

2. Einem bestreitenden Angeklagten darf sein Verteidigungsverhalten auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose beim Berufsverbot nicht angelastet werden (BGH NJW 2001, 3349; BGH, Beschluss vom 26.2.2003 - 2 StR 411/02; BGHR StGB § 70 Abs. 1 Dauer 1). Es ist daher unzulässig, in seinem Bestreiten des Tatvorwurfs Anhaltspunkte für Uneinsichtigkeit zu sehen und aus diesen zu folgern, dass ein Berufsverbot unerlässlich sei.

3. Für die Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung des vorläufigen Berufsverbots nach § 132 a StPO ist das Revisionsgericht nicht zuständig. Die richterliche Überprüfung dieser Maßnahme obliegt vielmehr regelmäßig dem Tatgericht, während das Revisionsgericht nur dann entscheidet, wenn es das Berufsverbot endgültig aufhebt oder das Verfahren einstellt.


Entscheidung

BGH 1 StR 153/03 - Urteil vom 9. September 2003 (LG Stuttgart)

Mord (niedrige Beweggründe; Heimtücke: "Schnappfalle"; verfassungskonforme Auslegung).

§ 211 Abs. 2 StGB

Für ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1, 25).


Entscheidung

BGH 5 StR 126/03 - Urteil vom 9. September 2003 (LG Braunschweig)

Mord (niedrige Beweggründe: Verwerflichkeit, Motivbündel; Verdeckung einer Straftat; Heimtücke; Arg- und Wehrlosigkeit: Versuchsbeginn als maßgeblicher Zeitpunkt, offener Angriff); natürliche Handlungseinheit (höchstpersönliche Rechtsgüter; enger zeitlicher und situativer Zusammenhang; Zäsur).

§ 211 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; 22 StGB; § 23 StGB

1. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb

besonders verwerflich sind.

2. Zwar kann die Arglosigkeit des Opfers eines Tötungsdelikts dann entfallen, wenn es mit einem schweren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Opferperspektive ist aber der Eintritt des Tötungsdelikts in das Versuchsstadium. Ein Opfer, gegen das sich ein lebensbedrohlicher Angriff richtet, kann daher auch dann arg- und wehrlos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, das Opfer die drohende Gefahr aber erst nach Versuchsbeginn im letzten Augenblick erkennt, so dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Die besondere Gefährlichkeit heimtückischen Handelns liegt darin, dass der Täter sein Opfer in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder diesen doch wenigstens zu erschweren. Dem steht es nicht entgegen, dass der Angriff gegen das in arg- und wehrloser Lage überraschte Opfer letztlich doch offen ausgeführt wird.

3. Eine natürliche Handlungseinheit kann ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn es um die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Personen geht, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene (BGHR StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit - Entschluss, einheitlicher 1 und 9). Ein solcher Ausnahmefall kann namentlich bei mehreren Schüssen auf zwei Personen innerhalb weniger Sekunden ohne jegliche zeitliche Zäsur vorliegen (BGHR StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit - Entschluss, einheitlicher 2 und 5). Allerdings kann sich eine solche Zäsur daraus ergeben, dass der Täter nach dem ersten Schuss einen Stellungswechsel vorgenommen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 82).


Entscheidung

BGH 4 StR 127/03 - Urteil vom 9. Oktober 2003 (LG Landshut)

Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (Ursächlichkeit für die Gefährdung im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB; Gefährdung des Straßenverkehrs); vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; Strafzumessung (bedeutungslose unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses unverändertem Schuldumfang); Mord (niedrige Beweggründe; Wut; Ausnutzungsbewusstsein bei der Spontantat); Totschlag.

§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB; § 315 b StGB; § 46 StGB; § 52 StGB; § 212 StGB; § 211 StGB

Eine Gefühlsregung wie Wut kann dann ein niedriger Beweggrund sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruht (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8, 16). Ob ein Beweggrund nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen, zu beurteilen. Hierbei sind die subjektiven Voraussetzungen bei einer Spontantat aus nichtigem Anlass stets eingehend zu prüfen (vgl. BGH NStZ 1989, 363 f.).


Entscheidung

BGH 2 StR 321/03 - Beschluss vom 26. September 2003 (LG Köln)

Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (Tenorierung; Widerlegung der Indizwirkung eines Regelbeispiels; besonders schwerer Fall; Vergewaltigung in einer Partnerschaft).

§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB

Die Legaldefinition des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB umfasst Fälle des erzwungenen Beischlafs und solche Fälle, in denen besonders erniedrigende sexuelle Handlungen mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Wird die Strafe trotz Erfüllung des Regelbeispiels gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen, so ist die Tat gleichwohl im Urteilstenor als Vergewaltigung zu bezeichnen. Ob dies auch dann gilt, wenn ein Fall des erzwungenen Beischlafs nicht vorliegt, kann dahinstehen; es gilt jedenfalls bei Vergewaltigung durch Nötigung zum Beischlaf.