HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2003
4. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 5 ARs 67/03 - Beschluss vom 28. Oktober 2003

Entziehung der Fahrerlaubnis (verkehrsspezifische Gefährlichkeit; Zustimmung zum Anfragebeschluss BGH 4 StR 85/03; Aufgabe eigener Rechtsprechung; Fluchtfahrt).

§ 69 Abs. 1 StGB; § 132 Abs. 3 GVG


Entscheidung

BGH 2 StR 161/03 - Urteil vom 26. September 2003 (LG Köln)

Entziehung der Fahrerlaubnis (Maßregel; Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs; Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs; Symptomtat; verkehrsspezifische Anlasstat; potentielle Gefährlichkeit; außergesetzliche Regelvermutung; Indiztat; Betriebsgefahr).

§ 69 StGB Abs. 1 StGB; § 44 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Die Feststellung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB setzt die Gefahr voraus, dass der Täter bei zukünftiger Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr gerade Verkehrssicherheitsbelange beeinträchtigen würde (Bestätigung von BGH, Beschlüsse vom 14. September 1993 - 1 StR 553/93, StV 1994, 314, 315 und vom 8. August 1994 - 1 StR 278/94, BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 5; Widerspruch zu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03).

2. Der Senat hält eine abstrakte ("potentielle") Gefährdung der Verkehrssicherheit durch Erhöhung der "Betriebsgefahr" bei der Benutzung eines Kraftfahrzeugs zur Begehung von Straftaten für nicht ausreichend, um eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB zu begründen (Widerspruch zu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03). Denn eine empirische Erfahrung, dass derjenige, der Diebesgut oder Betäubungsmittel in seinem Fahrzeug transportiert, zu verkehrsgefährdender Fahrweise neigt, gibt es nicht; die Lebenserfahrung legt vielmehr die Annahme nahe, dass ein solcher Täter sich möglichst unauffällig und regelkonform verhalten werde, um keinen Anlass für verkehrspolizeiliche Kontrollen zu geben.

3. Auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG erscheint die Rechtsprechung bedenklich, neben den in § 69 Abs. 2 StGB normierten weitere, außergesetzliche "Regelvermutungen" zu entwickeln, die verkehrsspezifische Merkmale gerade nicht enthalten, sondern sich auf in allgemeinen Straftaten zutage getretene charakterliche Mängel stützen. Der Rechtssatz, "in aller Regel" begründe der Transport größerer Rauschgiftmengen in einem Kraftfahrzeug die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03), ist systematisch mit § 69 Abs. 2 StGB kaum vereinbar; auch gibt es keinen empirischen oder normativen Grund anzunehmen, ein stets alle Verkehrsregeln einhaltender Betäubungsmittelhändler sei ungeeigneter zum Führen von Kraftfahrzeugen als ein in anderer Weise straffälliger, der jedoch Verkehrsregeln missachtet.

4. Das geeignete Kriterium, um das gesetzlich vorgegebene Wesen der Maßregel stärker als bisher zu beachten und den § 69 Abs. 1 StGB zur Nebenstrafe nach § 44 StGB zuverlässiger abzugrenzen, ist das Erfordernis, dass sich die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen "aus der Tat ergibt". Dies ist der Fall, wenn konkrete Umstände der Tatausführung im Zusammenhang mit einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Täter bereit ist, zur Erreichung seiner - auch nicht-kriminellen - Ziele die Sicherheit des Verkehrs zu beeinträchtigen.


Entscheidung

BGH 5 ARs 63/03 - Beschluss vom 29. Oktober 2003

Vollrausch (Sichberauschen; Anfragebeschluss); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als milderes Mittel zur Sicherungsverwahrung (positive Feststel-lung der verminderte Schuldfähigkeit; Verhältnismäßigkeit).

§ 63 StGB; § 21 StGB; § 323a StGB; § 66 StGB; § 61 StGB; § 72 Abs. 1 StGB


Entscheidung

BGH 2 StR 230/03 - Beschluss vom 11. September 2003 (LG Kassel)

Verminderte Schuldfähigkeit (Steuerungsfähigkeit); Totschlag (besonders schwerer Fall); Mordmerkmale (Grausamkeit; Schuldprinzip; Nähe zu Mordmerkmalen); Strafrahmenmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit (vertypter Milderungsgrund; Verbrauch: Ausschluss bei Verneinung des besonders schweren Falles infolge verminderter Schuldfähigkeit, während objektive Umstände diesen bereits ausschließen).

Art. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 21 StGB; § 212 StGB; § 211 StGB; § 49 StGB; § 50 StGB

1. Führt eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit zur Verneinung der subjektiven Voraussetzungen der Mordmerkmale, lässt dies auch die "Nähe" zu diesen Mordmerkmalen entfallen. Es fehlt in diesem Fall die besondere Verwerflichkeit, die die Tat in ihrem Unwert zurechenbar mit Mord auf eine Ebene hebt. Der Tatrichter darf in diesem Fall nicht zunächst gedanklich die Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB bejahen, um dann in die Prüfung einzutreten, ob dieser Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist oder, ob mit der Folge des § 50 StGB von einem besonders schweren Fall unter Verbrauch eines vertypten Milderungsgrundes abzusehen ist.

2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Verneinung eines besonders schweren Falles unter Berufung auf einen vertypten Milderungsgrund die Anwendung des § 50 StGB ohne weiteres nach sich zieht.


Entscheidung

BGH 2 StR 328/03 - Beschluss vom 8. Oktober 2003 (LG Meiningen)

Gesamtstrafenbildung (Härteausgleich durch Milderung bei der Strafzumessung; keine Anrechnung; Strafbemessung).

§ 55 StGB; § 54 StGB; § 39 StGB

1. Die Gewährung eines Härteausgleichs ist nicht durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die verhängte Freiheitsstrafe vorzunehmen (vgl. BGHSt 36, 378 f.), sondern durch eine entsprechende Milderung im Rahmen der Strafzumessung. Es kann dabei entweder eine fiktive Gesamtstrafe gebildet und diese um die vollstreckte Strafe gemildert oder der Nachteil unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigt werden (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132).

2. In Fällen, in denen eine Strafe nicht mehr zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden kann, weil sie bereits vollstreckt ist, kann - entgegen der Regel des § 39 StGB - der erforderliche Härteausgleich dazu führen, eine Strafe nach Jahren, Monaten und Wochen zu bemessen (vgl. u.a. BGH NJW 1989, 236, 237).