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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2003
4. Jahrgang
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1. Als Verteidiger kann nach § 138 Abs. 1 StPO auch ein Fachhochschullehrer mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden. (BGHSt)
2. Der Begriff des Hochschullehrers i.S. des § 138 I setzt voraus, dass deutsches Recht hauptberuflich selbständig gelehrt wird. Die Befähigung zum Richteramt ist auch für Rechtslehrer im Sinne des § 138 Abs. 1 StPO zu verlangen. (Bearbeiter)
3. Der Begriff der deutschen Hochschule in § 138 Abs. 1 StPO erfasst auch die Fachhochschulen eines Landes (hier konkret die Brandenburgs). (Bearbeiter)
4. Eine besondere wissenschaftliche, aus den Erfordernissen des Revisionsverfahrens abgeleitete Qualifikation verlangt § 138 Abs. 1 StPO nicht. Die Vorschrift enthält keine Unterschiede hinsichtlich der postulationsfähigen Personen in den Instanzen. (Bearbeiter)
5. Der Schutz des Beschuldigten lässt bei der Auslegung des § 138 keine Abstriche an der beruflichen Qualifikation des Verteidigers zu. (Bearbeiter)
1. Ist die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen ausgeschlossen, so deckt der Ausschluss
der Öffentlichkeit auch eine nachfolgende Vernehmung dieses Zeugen ab. Dies gilt nur dann nicht, wenn die beiden Vernehmungen kein insgesamt einheitliches Verfahrensgeschehen sind (vgl. BGHR GVG § 174 Abs. 1 Satz 1 Ausschluss 1 m.w.N.).
2. Die Gründe, die den Ausschluss einzelner Zuhörer von der Verhandlung rechtfertigen, sind nicht auf die Gründe beschränkt, die auch den Ausschluss der gesamten Öffentlichkeit rechtfertigen könnten (vgl. BGHSt 17, 201, 203 f.; BGHR StPO § 338 Nr. 6 Zuhörer 7).
3. Die sitzungspolizeilichen Befugnisse umfassen das Recht und die Pflicht, mit geeigneten Mitteln darauf hinzuwirken, dass Zeugen keinem Druck zur Beeinflussung ihres Aussageverhaltens ausgesetzt werden. Je nach den Umständen des Einzelfalls können aus diesem Grund auch Zuhörer des Saals verwiesen werden.
4. Es kann im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens auch dann vorliegen, wenn einzelne Zuhörer in einer nicht dem Gesetz entsprechenden Weise aus dem Saal entfernt wurden (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 6 Zuhörer 1, 2 jew. m.w.N.). Hat anstelle des hierzu regelmäßig allein berufenen Vorsitzenden (§ 176 GVG) die gesamte Strafkammer entschieden, hält der Senat dies für unschädlich.
1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist nicht nur dann berührt, wenn die Öffentlichkeit insgesamt ohne gesetzlichen Grund ausgeschlossen wird, sondern schon dann, wenn auch nur eine einzige Person in einer nicht dem Gesetz entsprechenden Weise aus dem Verhandlungsraum entfernt wird (st. Rspr.; BGHSt 3, 386, 388; 24, 329, 330).
2. Aus § 58 Abs. 1 StPO hat der Bundesgerichtshof den Grundsatz abgeleitet, dass es zulässig ist, Personen zum Verlassen des Sitzungssaales aufzufordern, sobald mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie als Zeugen in Betracht kommen (vgl. BGHSt 3, 386, 388; BGH NStZ 2001, 163). Dabei steht bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Zuhörer als Zeuge in Betracht kommt und ob er deswegen den Sitzungssaal zu verlassen hat, dem für die Entscheidung zuständigen Vorsitzenden ebenso wie dem gegen dessen Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO angerufenen Gericht ein Beurteilungsspielraum zu, der nur dann überschritten wird, wenn der Ausschluss eines Zuhörers auf sachwidrigen Erwägungen beruht (BGH NStZ aaO und BGHR StPO § 338 Nr. 6 Zuhörer 7).
Erfolgt eine Verfahrensabtrennung mit dem Ziel der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO wird wie bei der Einstellung selbst zugunsten des Angeklagten ein Vertrauen darauf begründet, dass ihm der ausgeschiedene Prozessstoff nicht mehr angelastet werde. Dies löst vor einer entsprechenden Verwertung eine verfahrensrechtliche Hinweispflicht aus. Nur durch deren Befolgung ist jener Vertrauenstatbestand wieder zu beseitigen (vgl. BGHSt 30, 197).
1. Ob nur eine Vernehmung eines Zeugen unmittelbar vor dem erkennenden Gericht zur Wahrheitsfindung beizutragen vermag, hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Diese Entscheidung, die notwendig eine gewisse Vorauswürdigung des Beweismittels erfordert, unterliegt nur in eingeschränktem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung, kann also nur bei Widersprüchen, Unklarheiten, Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze oder damit vergleichbaren Mängeln vom Revisionsgericht beanstandet werden. Das Revisionsgericht kann nicht sein Ermessen an die Stelle des tatrichterlichen Ermessens setzen (BGH NJW 2000, 443, 447 m.w.N.).
2. Der Tatrichter darf bei einem Antrag auf kommissarische oder audiovisuelle Videovernehmung im Ausland die Scheu des Zeugen, vor dem Tatrichter in Deutschland Angaben zu machen - augenscheinlich aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung wegen Falschaussage - und den minderen Wert einer kommissarischen oder audiovisuellen Videovernehmung in ihre Abwägung
einbeziehen. Solange die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine Falsch- oder pflichtwidrige Nichtaussage im konkreten zwischenstaatlichen Verhältnis nicht im Sinne einer effektiven Sanktionierbarkeit geklärt ist, ist auch dieses Defizit in Betracht zu nehmen (BGH NJW 1999, 3788, 3790).
1. Zwar kann eine Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch auch implizit darin liegen, dass die Revisionsrechtfertigung sich ausschließlich hiergegen wendet (vgl. BGHR § 344 Antrag 3, Urt. v. 12. April 1989 - 3 StR 453/88). Dies kommt allerdings zumindest dann nicht in Betracht, wenn die Feststellungen des Tatgerichts bereits keine tragfähige Grundlage für die revisionsgerichtliche Prüfung des Strafausspruchs bilden. In diesem Fall ist die Revision als gegen das Urteil insgesamt erhoben zu betrachten.
2. Der Ermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, gleich ob sie die Schuld- oder Straffrage betreffen. Er erstreckt sich daher auch auf mögliche weitere Straftaten des Angeklagten, die zwar nicht Gegenstand der Anklage sind, aber im Rahmen der Strafzumessung erkennbar von Bedeutung sein können. Einer Nachtragsanklage bedarf es hierzu nicht; auch ist eine Umgehung des § 266 StPO nicht zu besorgen. Dies gilt auch für Straftaten, bezüglich derer das Verfahren gem. § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt wurde, denn die Einstellung entfaltet keine Sperrwirkung in der Weise, dass deren Indizwirkung für die Strafzumessung entfiele.
3. Es erscheint widersprüchlich und untunlich, bestimmte dem Angeklagten im Ermittlungsverfahren zur Last gelegte Straftaten zunächst durch vorläufige Einstellung (§ 154 StPO) aus dem Verfahren auszuscheiden, wenn sie später im Wege der für die Strafzumessung bedeutsamen Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten doch wieder Bedeutung gewinnen und daher in das Verfahren einzuführen sind.
4. Der Tatrichter hat einem Beweisantrag, dem keine Ablehnungsgründe nach § 244 Abs. 3 StPO entgegenstehen, nachzugehen, sofern ihm nicht ausnahmsweise das Gesetz ein Ermessen einräumt (z. B. § 244 Abs. 4 und 5 StPO).
1. Die Revision kann auch dann wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden, wenn bereits gegen die Beurteilung der Konkurrenzen, die dem Schuldspruch zugrunde liegt, Bedenken bestehen, da eine zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs regelmäßig unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Bewertung im Schuldspruch des Tatgerichts möglich ist (vgl. BGHSt 29, 359, 364 ff.; 41, 57, 59; BGH NStZ 2002, 317; ständige Rechtsprechung).
2. Die Feststellung einer den gängigen Diagnosesystemen entnommenen psychopathologischen Diagnose nach DSM-IV oder ICD-10 reicht allein nicht aus, um eine konkrete Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat darzulegen. Dies gilt insbesondere bei den sog. Persönlichkeitsstörungen, die keiner einheitlichen Systematik folgen und die eine Vielzahl auch normalpsychologisch vorkommender Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens typisierend zusammenfassen. Es kommt daher für die rechtliche Bewertung darauf an, welche konkreten Auswirkungen die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten gerade bei der ihm zur Last gelegten Tat hatte (vgl. BGH wistra 2000, 339, 340; NStZ 2002, 427, 428).
3. Auch bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit kann der Zweifelssatz erst auf der Grundlage einer erschöpfenden und in sich schlüssigen Beweiswürdigung zur Anwendung kommen, nicht aber schon bei der Würdigung einzelner Beweistatsachen (vgl. BGH 4 StR 585/01 - Urteil vom 11. April 2002, HRRS-Leitsatz 3).
Der Umfang und die Schwierigkeit der Anfertigung der Revisionsbegründungsschrift bleibt bei der Entscheidung durch den Senat außer Ansatz; über eine Pauschvergütung
hat insoweit das Oberlandesgericht zu entscheiden (BGHSt 23, 324, 326; BGHR BRAGO § 99 Pauschvergütung 2).
Ein Wechsel in der Person des Beistandes der Nebenklage kommt im Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung des § 143 StPO nur durch Rücknahme der ursprünglichen Beiordnung und Bestellung eines neuen Beistandes in Betracht (BGH, Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 63/01 -).
1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die die Rüge begründenden Tatsachen so genau und vollständig anzugeben, dass das Revisionsgericht allein auf ihrer Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7, 8 m.w.N.). Dies erfordert bei einer Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein konnten (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 3, 6 m.w.N.). Wird der Aufklärungsmangel aus dem Inhalt früherer, im Ermittlungsverfahren erfolgter Zeugenvernehmungen hergeleitet, so bedarf es daher regelmäßig deren (vollständiger) inhaltlicher Wiedergabe (vgl. auch BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6).
2. Die Indizwirkung einer hohen Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (vgl. BGHSt 43, 66) kann durch Umstände entkräftet werden, die darauf hinweisen, dass das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist (sog. psychodiagnostische Beurteilungskriterien; vgl. etwa BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 34 und 36). Dem Umstand, dass der Angeklagte "zielgerichtet mit Symbolcharakter in mehreren Etappen über eine Inbesitznahme der Geschädigten hin zu einer Erniedrigung" gehandelt hat, kommt aber eine entsprechende Aussagekraft nicht ohne weiteres zu.
Der Nebenklage wird in der Revisionsinstanz regelmäßig keine Prozesskostenhilfe bewilligt, sofern das angefochtene Urteil im Schuldspruch Bestand hat, da die Interessen der Nebenklage vom verhängten Strafmaß nur am Rande betroffen sind.
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn sie erkennen lässt, dass das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH 5 StR 240/02 - Urteil vom 22. August 2002).
2. In der Beweiswürdigung muss sich der Tatrichter mit allen für die Schuldfrage relevanten Indizien auseinandersetzen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden, denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (vgl. zur Gesamtwürdigung der Indizien auch BGH 5 StR 581/02 - Urteil vom 31. Juli 2003 einerseits, BGH 5 StR 252/02 - Urteil vom 9. Oktober 2002 andererseits sowie grundlegend BGHR § 261 StPO Beweiswürdigung 2).
3. Zwar kann grundsätzlich eine widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1997, 96), etwas anderes muss aber gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen solche Teile der Einlassung als unrichtig erwiesen, die für die
Beurteilung des gesamten Geschehens von wesentlicher Bedeutung sind und nicht losgelöst von dem anderen Teil beurteilt werden können (vgl. auch BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 zum Fall des widerlegten Alibis und zur Vorwegverteidigung).
4. Die Angaben des Angeklagten zum Tathergang verlieren ganz erheblich an Glaubhaftigkeit, wenn dieser seine Einlassung zum Tatgeschehen jeweils dem Ergebnis der Beweisaufnahme anpasst. In diesen Fällen ist zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit eine eingehende Würdigung des Aussageverhaltens des Angeklagten unerlässlich.
5. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel. Er gilt daher nicht bereits für die Ermittlung einzelner Beweistatsachen oder das Gewicht, das ihnen im Rahmen der Beweiswürdigung zukommt, sondern nur für die abschließende zusammenfassende Würdigung aller Indiztatsachen (vgl. im einzelnen BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24).