HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2003
4. Jahrgang
PDF-Download

II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 251/03 - Beschluss vom 16. Juli 2003 (LG Regensburg)

Strafzumessung (begrenzte strafschärfende Berücksichtigung von Tatmotiven bei verminderter Steuerungsfähigkeit bei Vorwerfbarkeit; Tatmodalitäten; geistig-seelische Beeinträchtigung; Dokumentationspflicht).

§ 46 StGB; § 21 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen Tatmodalitäten einem Angeklagten nur strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. BGH StV 2001, 615 f.). Für Tatmotive kann nichts anderes gelten.

2. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass auch für eine strafschärfende Verwertung der Tatmotivation Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dessen muss sich der Tatrichter erkennbar bewusst sein (vgl. BGH aaO m.N.).


Entscheidung

BGH 1 StR 174/03 - Urteil vom 26. August 2003 (LG Bayreuth)

Gefährliche Körperverletzung; Täter-Opfer-Ausgleich (kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer; Ausgleich der Folgen der Straftat; entgegenstehender Wille des Opfers).

§ 224 StGB; § 46a StGB

§ 46a Nr. 1 StGB setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedenstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben des Täters ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (BGH, Urt. v. 27. August 2002 - 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29). Wenn auch ein Wiedergutmachungserfolg nicht zwingende Voraussetzung ist (BGH, Beschl. v. 22. August 2001 - 1 StR 333/01, NStZ 2002, 29), so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedenstiftenden Ausgleich akzeptiert. Gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung des Verfahrens für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht angenommen werden.


Entscheidung

BGH 2 StR 285/03 - Beschluss vom 20. August 2003 (LG Kassel)

Sexueller Missbrauch eines Kindes (Strafzumessung; Doppelverwertungsverbot); Beweiswürdigung (uneingeschränkte Geltung des Zweifelsgrundsatzes bei der Strafzumessung; lediglich vermutete Tatfolgen).

§ 176 Abs. 1 StGB; § 46 StGB; § 261 StPO

1. Der Strafzweck des § 176 StGB liegt im Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes (st. Rspr. vgl. BGH StV 2002, 74 - hier: Anwendung des Doppelverwertungsverbotes).

2. Der Zweifelssatz gilt uneingeschränkt auch für die Strafzumessung (vgl. BGH StV 1983, 456; 1986, 5). Kann das Gericht keine sicheren Feststellungen über Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH NStZ 1997, 336, 337; StV 1998, 656, 657).


Entscheidung

BGH 1 StR 127/03 - Urteil vom 12. August 2003 (LG Ravensburg)

Verfall (Bruttoprinzip; Erlangen); Verfall des Wertersatzes.

§ 73 StGB; § 73 a StGB

Der einem für eine "Rauschgiftorganisation" tätigen Betäubungsmittelkurier ausgehändigte Kaufpreis für Betäubungsmittel unterliegt in voller Höhe dem Verfall (BGHSt 36, 251), unabhängig von den zivilrechtlichen Besitz- und Eigentumsverhältnissen zwischen den Tatbeteiligten (BGHSt 36, 251, 253 f.). Denn erlangt i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB ist - unabhängig von der Wirksamkeit des zugrundeliegenden Grund- und Verfügungsgeschäfts - schon dann "etwas", wenn dem Täter aus der Tat in irgendeiner Phase des Tatablaufs (BGH NStZ 1994, 123, 124) auf irgendeine Weise unmittelbar etwas wirtschaftlich messbar zugute kommt. Mit dem Erhalt des Besitzes am Geld hat der Kurier jedenfalls die tatsächliche Möglichkeit erlangt, darüber zu verfügen.