HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2003
4. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 3 StR 183/03 - Beschluss vom 17. Juni 2003 (LG Kiel)

Überzeugungsbildung (Postpendenzfeststellung und Zweifelssatz; Hehlerei und Diebstahl); Täterschaft; Beihilfe; Milderung bei Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes / des Rechts auf Verhandlung in angemessener Frist (Strafzumessung; rechtsstaatswidrige; Verfahrensverzögerung; ausdrückliche Festellung der Kompensation / Milderung bei der Einsatzstrafe / der Gesamtstrafe; "doppelter Rabatt"; Verhältnismäßigkeit).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 25 StGB; § 27 StGB; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 46 StGB; § 259 StGB; § 242 StGB; § 261 StPO

1. Die Verpflichtung des Tatrichters, im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (BVerfG NStZ 1997, 591, BGH NJW 1999, 1198), gilt nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern für alle Einzelstrafen. (BGHR)

2. Die Reduzierung von Einzelstrafen und Gesamtstrafe darf nicht in Form eines "doppelten Rabattes" durchgeführt werden. (BGHR)

3. In den Urteilsgründen empfiehlt es sich, sowohl für die Einzelstrafen wie auch für die Gesamtstrafe jeweils die an sich verwirkte und die nach Durchführung der Kompensation schließlich verhängte Höhe konkret anzugeben. (BGHR)

4. Wird das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK wurzelnde Gebot der Beschleunigung des Strafverfahrens verletzt, so ist dieser Belastung des Angeklagten durch eine Strafmilderung Rechnung zu tragen. Dazu genügt es bei einer aus mehreren Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe jedoch nicht, dass nur die Gesamtstrafe gemildert wird, da dann die - für sich betrachtet nicht gemilderten - Einsatzstrafen den Angeklagten belasten können. Vielmehr sind bereits die Einsatzstrafen jeweils einzeln zu mildern, soweit sie von dem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot erfasst sind. (Bearbeiter)

5. Werden die Einsatzstrafen in der gebotenen Weise gemildert, bedarf es daher keiner weiteren expliziten Milderung der aus ihnen gebildeten Gesamtstrafe, allerdings muss auch die Höhe der Gesamtstrafe noch erkennen lassen, dass die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung tatsächlich zu einer spürbaren Ermäßigung der Gesamtstrafe geführt hat. (Bearbeiter)

6. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Bestimmung des Maßes der Kompensation eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, die sich an den gesamten Umständen des Einzelfalls zu orientieren hat, zu denen insbesondere auch die Schwere des Tatvorwurfs gehört (vgl. Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 327, 328, 1473/02). Damit ist es nicht vereinbar, bei gleichem Ausmaß der Verfahrensverzögerung für verschiedene Angeklagte trotz erheblich unterschiedlicher Tatschwere eine Milderung in gleicher absoluter Höhe anzunehmen, da dann die relative Milderung bei den Angeklagten unterschiedlich ausfiele. (Bearbeiter)

7. Der Zweifelssatz gebietet es, von einer Postpendenzfeststellung zwischen Hehlerei und Diebstahl abzusehen und den Angeklagten wegen beider möglicherweise begangenen Straftaten freizusprechen, wenn der Angeklagte ebenfalls freizusprechen wäre, wenn seine Täterschaft hinsichtlich des Diebstahls zur Überzeugung des Gerichts feststünde, weil wegen dieser Tat Verfolgungsverjährung eingetreten wäre. Er ist zu seinen Gunsten so zu stellen, als sei er Täter des Diebstahls, und damit insgesamt freizusprechen. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 113/03 - Beschluss vom 14. Mai 2003 (LG Stuttgart)

Entziehung der Fahrerlaubnis (Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges; verkehrspezifischer Gefahrzusammenhang beim Einsatz eines KFZ zur Begehung einer nicht verkehrsspezifischen / allgemeinen Straftat; Indizwirkung allgemeiner Kriminalität; erhöhte Betriebsgefahr beim Betäubungsmitteltransport).

§ 69 Abs. 1 StGB

1. Der Senat hält an der Rechtsprechung fest, wonach für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB wegen einer Straftat aus dem Bereich der sog. allgemeinen Kriminalität ein verkehrsspezifischer Gefahrzusammenhang nicht ausdrücklich festgestellt werden muss (Ablehnung der Auffassung des vierten Strafsenates).

2. Der Begriff der Eignung ist auslegungsfähig: Er umfasst hier nicht nur die persönliche Gewähr für die regelgerechte Ausübung der Erlaubnis, das heißt die Beachtung der Vorschriften des Straßenverkehrsrechts. Wer eine Fahrerlaubnis inne hat, der muss auch die Gewähr für eine im umfassenden Sinne verstandene Zuverlässigkeit dahin bieten, dass er die Erlaubnis auch sonst nicht zur Begehung rechtswidriger Taten ausnutzen werde.

3. Zur tatrichterlichen Begründungspflicht gilt insoweit, dass der erforderliche Würdigungsumfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Tat selbst kann, je gewichtiger sie ist, andere Umstände in den Hintergrund treten lassen. In schwerwiegenden Fällen und auch bei wiederholten Taten ist eine eingehende Begründung in der Regel nicht zwingend geboten (vgl. dazu BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 6, 10). Das wird nach Ansicht des Senats etwa für Fälle gelten, in denen des Kraftfahrzeug als Tatmittel eingesetzt wird: So beispielsweise zur Fahrt mit dem Vergewaltigungsopfer an einen entlegenen Ort, um dort die Tat zu begehen (vgl. nur Senat NStZ 1999, 130, 131 a.E.), beim Transport einer beachtlichen Menge von Betäubungsmitteln mit dem Kraftfahrzeug, um damit unerlaubt Handel zu treiben, aber auch bei der Nutzung des Kraftfahrzeuges zur Flucht mit der Beute durch den Räuber oder den räuberischen Erpresser (vgl. BGHSt 10, 333, 336).

4. Für die Beurteilung der Eignung ist auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen. Treten bis zur Hauptverhandlung keine Umstände hinzu, die für eine erhaltene oder wiederhergestellte Eignung sprechen können, so wird sich der Eignungsmangel oft aus der Tat selbst heraus ohne weiteres erhellen und auf der Hand liegen, so dass es einer weitergehenden Begründung im Sinne einer eingehenden Erörterung nicht bedarf; in diesen Fällen ist die Indizwirkung der Tat von hohem und ausschlaggebendem Gewicht.


Entscheidung

BGH 3 StR 188/03 - Beschluss vom 6. Juni 2003 (LG Kleve)

Berufsverbot (berufstypischer Zusammenhang; Betrug).

§ 70 StGB; § 263 StGB

Ein Missbrauch von Beruf oder Gewerbe im Sinne von § 70 StGB, das geeignet wäre, ein Berufsverbot zu begründen, liegt nur dann vor, wenn der Täter unter bewusster Missachtung der ihm gerade durch seinen Beruf oder sein Gewerbe gestellten Aufgaben seine Tätigkeit ausnutzt, um einen diesen Aufgaben zuwiderlaufenden Zweck zu verfolgen. Dazu genügt ein bloß äußerer Zusammenhang in dem Sinne, dass der Beruf des Täters lediglich die Möglichkeit gibt, Straftaten zu begehen, nicht. Die strafbare Handlung muss vielmehr Ausfluss der jeweiligen Berufs- oder Gewerbetätigkeit sein und einen berufstypischen Zusammenhang erkennen lassen (st. Rspr., z. B. BGHSt 22, 144; BGHR StGB § 70 Abs. 1 Pflichtverletzung 1, 2, 6, 7).


Entscheidung

BGH 1 StR 184/03 - Beschluss vom 18. Juni 2003 (LG München)

Teilweise Einstellung des Verfahrens; Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Strafzumessung (grundsätzliche Irrelevanz der Änderung des rechtlichen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses).

§ 154 Abs. 2 StPO; § 29 BtMG; § 46 StGB

Bei unverändertem Unrechts- und Schuldgehalt kann die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses kein maßgebliches Kriterium für die Strafzumessung sein (BGHSt 41, 368, 373; BGH NStZ 1997, 233).


Entscheidung

BGH 1 StR 214/03 - Beschluss vom 18. Juni 2003 (LG Ulm)

Festsetzung der Tagessatzhöhe für die Einzelgeldstrafe bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus der Einzelgeldstrafe und einer Einzelfreiheitsstrafe.

§ 54 Abs. 3 StGB

Der Festsetzung der Tagessatzhöhe für die Einzelgeldstrafe bedarf es auch dann, wenn aus der Einzelgeldstrafe und einer Einzelfreiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird (BGHSt 30, 93, 96; BGHR StGB § 54 Abs. 3 Tagessatzhöhe 1).