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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
August 2003
4. Jahrgang
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1. Sowohl das Privatleben als auch die Korrespondenz im Sinne des Art. 8 umfassen in ihrem Anwendungsbereich Telefongespräche. Die Veröffentlichung des Inhalts privater Telefongespräche in einer Gerichtsverhandlung und die Weitergabe des Inhalts an die Presse stellen Eingriffe in Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK dar.
2. Derartige Eingriffe verletzen Art. 8 EMRK, es sei denn sie basieren auf einem Gesetz im Sinne der EMRK, verfolgen zumindest ein gemäß Art. 8 II EMRK legitimes Ziel und sind in einer demokratischen Gesellschaft notwendig (verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 EMRK).
3. Die Meinungsfreiheit stellt eine der grundlegenden Voraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft dar. Der Schutz der Presse ist dabei von besonderer Bedeutung. Wenn auch die Gerichte das Forum darstellen, in dem die Schuld oder die Unschuld hinsichtlich einer strafrechtlichen Anklage festgestellt wird, bedeutet dies nicht, dass eine frühere oder begleitende Diskussion eines Falles anderenorts geschehen darf. Besonders im Fall einer in der Öffentlichkeit stehenden Person hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, Informationen über gerichtliche Verfahren zu erhalten.
4. Auch in der Öffentlichkeit stehende Personen können sich jedoch wie jede andere Person gemäß Art. 8 EMRK auf die in ihm niedergelegten Rechte berufen. Vor allem ist das öffentliche Interesse, Informationen über ein laufendes Strafverfahren zu erhalten, auf die strafrechtlichen Anklagen beschränkt. Zudem sollte die Presse davon Abstand halten, Informationen zu veröffentlichen, die wahrscheinlich - wenn auch unbeabsichtigt - die Rechte auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz verletzen.
5. Veröffentlicht die Presse private Informationen unter Missachtung des Art. 8 EMRK, stellt dies eine Verletzung des Art. 8 EMRK dar, wenn die Veröffentlichungen dem Staat zuzurechnen sind.
6. Ziel des Art. 8 EMRK ist es nicht allein, den Einzelnen gegen unbegründete Eingriffe staatlicher Behörden zu schützen. Zusätzlich zu dieser negativen Verpflichtung kann die effektive Achtung des Privatlebens auch zu positiven Verpflichtungen führen. Der Gerichtshof prüft insoweit, ob die nationalen Behörden die notwendigen Aktivitäten zum effektiven Schutz der Rechte auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz entfaltet haben.
7. In diesem Kontext bezieht der Gerichtshof ein, ob angemessene Verfahrenssicherungen ("safeguards") existieren, die einer gemäß Art. 8 EMRK untersagten Veröffentlichung von Privatinformationen vorbeugen. Zudem erfordert der effektive Schutz des Privatlebens gemäß Art. 8 ERMK im Fall einer solchen Veröffentlichung, dass der Staat wirksame Untersuchungen durchführt, um den Sachverhalt insoweit weitestmöglich aufzuklären.
8. Wenn der Gerichtshof auch zunächst den nationalen Gerichten die Interpretation des nationalen Rechts überlässt, kann die nicht hinreichend begründete Entziehung von nationalen gesetzlichen Verfahrenssicherungen, die dem Schutz der Rechte des Art. 8 EMRK dienen, zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen: Ein staatlicher Eingriff in Art. 8 EMRK beruht in diesem Fall nicht auf einem Gesetz im Sinne der EMRK.
9. Eine Interpretation des nationalen Rechts, die durch die einengende Vorschrift der einzig in Betracht kommenden gesetzlichen Regelung zu einer Anerkennung einer gesetzlichen Schutzlücke führt, offenbart in jedem Fall ernste Probleme hinsichtlich des Respekts dieses Staates gegenüber seinen positiven Pflichten zum effektiven Schutz der Rechte des Art. 8 EMRK.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 63, 332, 337 f.; 75, 1, 19).
2. Zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen gehört der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach diesem ist es den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. Ebenso zählt es zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat.
3. Anderes gilt, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Denn die durch das Grundgesetz erfolgte Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft gebietet es, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. BVerfGE 75, 1, 16 f.), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen.
4. Da die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall Sache der dafür zuständigen Fachgerichte ist (vgl. BVerfGE 18, 85, 93; 74, 102, 127 [stRspr]), prüft das Bundesverfassungsgericht auch in Auslieferungsverfahren nur, ob die Rechtsanwendung durch das Gericht oder das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2000 - 2 BvR 2184/00 -).
5. Eine Gefahr menschenrechtswidriger Behandlungen kann angenommen werden, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade in dem konkreten Fall eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -) besteht, in dem ersuchenden Staat das Opfer von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. (vgl. dazu Art. 3 der UN-Antifolterkonvention). Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschrechtsrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen.
6. Schon aus der Tatsache des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrages, folgt ein Frustrationsverbot, wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, nach der Unterzeichnung und vor der Ratifikation des Abkommens alles zu unterlassen, was den Zielen des Vertrags zuwiderläuft (siehe Art. 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl 1985 II S. 926). Hat demnach die Bundesregierung in einer Verbalnote die Auslieferung "nach Maßgabe der Grundsätzen des Auslieferungsvertrages", welcher noch nicht ratifiziert ist, bewilligt, so ist diese Bewilligung und der noch nicht ratifizierte Auslieferungsvertrag die materielle Grundlage der Auslieferung.