HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2002
3. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 5 StR 291/02 - Beschluss vom 21. August 2002 (LG Bremen)

BGHSt; Grundurteil; Adhäsionsverfahren; Feststellungsantrag; Leistungsantrag; Absehen von einer Entscheidung (bei nur hinsichtlich der Anspruchshöhe fehlender Eignung); Entscheidung über Mitverschuldensanteile und Verzinsung im Grundurteil; Entscheidung über die Revision durch Beschluss ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft; Prozessökonomie.

§ 403 StPO; § 405 StPO; § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO; § 847 Abs. 1 aF BGB; § 253 Abs. 2 BGB; § 288 BGB; § 244 Abs. 2 StPO

1. Zur Zulässigkeit eines Grundurteils im Adhäsionsverfahren, namentlich bei Schmerzensgeldansprüchen. (BGHSt)

2. Die Verzahnung des strafprozessualen mit dem zivilprozessualen Verfahren gem. § 406 StPO bedeutet, dass im Adhäsionsverfahren für die Zulässigkeit des Grundurteils grundsätzlich dieselben rechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, die auch nach der Zivilprozessordnung gelten. Danach scheidet in der Regel ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag aus. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Klage auch zu einem Ausspruch über die Höhe führen soll. Dies ist etwa der Fall, wenn der Antragsteller eine Kombination aus unbeziffertem Leistungsantrag und Feststellungsantrag stellt. (Bearbeiter)

3. Der zivilprozessuale Grundsatz, wonach ein Grundurteil dann nicht zulässig ist, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif wäre, findet im Adhäsionsverfahren nur modifiziert Anwendung: Gem. § 405 StPO kann der Tatrichter bei fehlender Eignung der Sache von einer Entscheidung über den Entschädigungsantrag im Strafverfahren insgesamt abzusehen. Dann muss es ihm aber erst recht gestattet sein, einen Ausspruch nur über den Betrag abzulehnen, da die Ablehnung der Durchführung des Betragsverfahrens den geringeren Eingriff darstellt. Im Interesse der Verfahrensökonomie muss dies jedoch Ausnahmefällen vorbehalten bleiben. (Bearbeiter)

4. Im Rahmen eines zivilprozessualen Urteils über einen Schmerzensgeldanspruch hat eine Quotierung nach Mitverschuldensanteilen zwar grundsätzlich nicht eigenständig zu erfolgen, sondern in die Bemessung des Schmerzensgeldes nach Billigkeit einzufließen. Entscheidet jedoch ausnahmsweise das Strafgericht durch Grundurteil, so erscheint es aus verfahrensökonomischen Gründen sinnvoll, die Ergebnisse der strafprozessualen Sachaufklärung (vgl. § 244 Abs. 2 StPO) in der Weise auch für die schadensersatzrechtliche Entscheidung fruchtbar zu machen, dass auf ihrer Grundlage die Mitverschuldensanteile festgestellt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 240/02 - Urteil vom 22. August 2002 (LG Berlin)

Beweiswürdigung (Prüfungsmaßstab; Freispruch; Gesamtwürdigung; erheblicher Tatverdacht; Parallelfälle; Indizwirkung); Überzeugungsbildung.

§ 261 StPO; § 337 StPO

1. Das Revisionsgericht muss grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

2. Wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, so muss es in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten.

3. Ist der Angeklagte wegen einzelner Taten aus einer Serie ähnlicher angeklagter Straftaten rechtskräftig verurteilt, so begründet diese rechtskräftige Verurteilung für die Beweiswürdigung zu den noch zu prüfenden Anklagevorwürfen nicht mehr als ein gravierendes Indiz für die Täterschaft des Angeklagten in den Parallelfällen (vgl. BGHSt 43, 106, 107 f.).


Entscheidung

BGH 4 StR 592/01 - Beschluss vom 13. August 2002 (OLG Naumburg)

Vorlage (Zulässigkeit; Entscheidungserheblichkeit); Einspruch (Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Hauptverhandlung; unentschuldigtes Fernbleiben; verspäteter Entbindungsantrag); Verteidiger als Vertreter des Angeklagten.

§ 121 Abs. 2 GVG; § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG; § 74 Abs. 2 OWiG; § 73 Abs. 2 OWiG

Eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) setzt voraus, daß die vorgelegte Rechtsfrage entscheidungserheblich ist (BGHSt 43, 241, 244). Nur wenn die Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts, mit der von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abgewichen werden soll, tragende Grundlage der eigenen Entscheidung ist, kommt eine Vorlegung in Betracht (vgl. BGHSt 3, 234, 235; 33, 61, 63). Die Vorlegung ist hingegen nicht zulässig, wenn die unterschiedlichen Rechtsauffassungen für die Entscheidung des konkreten Falles ohne Bedeutung sind (vgl. BGH VRS 59, 345, 346).


Entscheidung

BGH 5 StR 326/02 - Beschluss vom 21. August 2002 (LG Cottbus)

Strafzumessung (von Tatsachen nicht mehr gedeckte Negativwertung; rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung; Beschleunigungsgebot).

§ 46 StGB; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK

Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen diese Vorschrift, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15).


Entscheidung

BGH 5 StR 259/02 - Beschluss vom 20. August 2002 (LG Görlitz)

Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG auch bei freiwilliger Bezugnahme durch den Angeklagten.

§ 51 Abs. 1 BZRG

Ein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG kann auch dann gegeben sein, wenn der Angeklagte die frühere Verurteilung freiwillig eingeräumt hat (vgl. BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 5).


Entscheidung

BGH 4 StR 263/02 - Beschluss vom 13. August 2002 (LG Dortmund)

Verwerfung der Revision der Nebenklägerin als unzulässig; Wiedereinsetzung (Zurechnung des Verteidigerverschuldens).

§ 346 Abs. 1 StPO; § 44 StPO

Das Verschulden ihres Anwaltes muss sich ein Nebenkläger zurechnen lassen; der Fall liegt insoweit anders als beim Verschulden eines Verteidigers (BGHSt 30, 309 f.; BGHR StPO § 44 Verschulden 6).


Entscheidung

BGH 4 StR 169/02 - Urteil vom 8. August 2002 (LG Dortmund)

Aufklärungsrüge (Aufklärungspflicht; Zulässigkeit der Verfahrensrüge bei der Behauptung einer erforderlichen Zeugenvernehmung); Beweiswürdigung.

§ 244 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 261 StPO

Eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt die Mitteilung voraus, aufgrund welcher konkreten Umstände das Gericht sich zur Vernehmung eines Zeugen hätte gedrängt sehen müssen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 45). Ein pauschaler Hinweis genügt hierfür nicht.


Entscheidung

BGH 1 StR 88/02 - Urteil vom 9. Juli 2002 (LG Memmingen)

Lückenhafte Beweiswürdigung (besondere Darstellungspflicht bei Freispruch); Zweifelsgrundsatz.

§ 261 StPO

Auch die Gründe eines freisprechenden Urteils können und müssen zwar nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und damit von den Umständen des Einzelfalls ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung einzelner Beweisumstände erübrigt. Liegt eine Vielzahl von Belastungsindizien für eine Tatbeteiligung vor, während die den Zweifel der Strafkammer begründenden Aspekte von eher theoretischer Natur sind, müssen in die Beweiswürdigung und deren Darlegung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbezogen werden, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und Beweiswürdigung, unzureichende 1).