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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 169/02, Urteil v. 08.08.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 169/02 - Urteil vom 8. August 2002 (LG Dortmund)

Aufklärungsrüge (Aufklärungspflicht; Zulässigkeit der Verfahrensrüge bei der Behauptung einer erforderlichen Zeugenvernehmung); Beweiswürdigung.

§ 244 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt die Mitteilung voraus, aufgrund welcher konkreten Umstände das Gericht sich zur Vernehmung eines Zeugen hätte gedrängt sehen müssen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 45). Ein pauschaler Hinweis genügt hierfür nicht.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 24. Oktober 2001 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie vom Vorwurf eines weiteren Waffendelikts aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft, die ihre Revision auf den Freispruch vom Vorwurf des Tötungsdelikts und des hierzu in Tateinheit stehenden Waffendelikts beschränkt hat. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten und mit dem die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, bleibt ohne Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist nicht zulässig erhoben. Die Revision macht geltend, das Landgericht habe die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verletzt, indem es Michael K. nicht als Zeugen zu einer Reihe näher bezeichneter Beweisthemen gehört habe, die jeweils technische Fragen des Mobilfunkverkehrs im Tatortbereich zur Tatzeit betreffen. Sie teilt jedoch, was Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Aufklärungsrüge wäre (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 45), nicht mit, aufgrund welcher konkreten Umstände das Gericht sich zur Vernehmung dieses Zeugen hätte gedrängt sehen müssen. Der pauschale Hinweis, K. sei im Rahmen des Ermittlungsverfahrens für die Betreiberfirma des Mobiltelefons des Zeugen T. unter anderem im Rahmen der Funkzellenabfrage tätig gewesen, genügt nicht. Dies gilt hier umso mehr, als auf Antrag der Beschwerdeführerin zu den Themenkreisen, deren unzureichende Aufklärung nunmehr mit der Revision gerügt wird, in der Hauptverhandlung der sachverständige Zeuge S. gehört worden ist, nach dessen Vernehmung offensichtlich auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft keinen weiteren Aufklärungsbedarf mehr gesehen hat.

2. Die mit der Sachrüge angegriffene Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).

b) Rechtsfehler in diesem Sinne läßt das Urteil nicht erkennen.

aa) Das Landgericht hat zunächst die den Angeklagten belastenden Umstände angeführt und sodann ausgeführt, daß diese - in ihrer Gesamtheit - in Anbetracht der im weiteren aufgeführten (gewichtigen) entlastenden Gesichtspunkte nicht zum Nachweis einer Täter- oder Gehilfenschaft des Angeklagten ausreichen. Dies läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere ist - wie auch der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zeigt - nicht zu befürchten, daß das Landgericht die erforderliche Gesamtabwägung (vgl. hierzu BGH StV 1998, 116, 117) nicht vorgenommen hat.

bb) Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das Landgericht in seine Beweisüberlegungen erkennbar auch miteinbezogen, daß das vom Angeklagten tatort- und tatzeitnah geführte Kraftfahrzeug bei der Sicherstellung Blutanhaftungen aufwies, welche vom Tatopfer stammen (UA 36 - 37). Soweit es diesbezüglich zu der Überzeugung gelangt ist, daß nicht geklärt werden könne, wann und wie diese an das Fahrzeug gekommen sind, handelt es sich um eine mögliche tatrichterliche Beweiswürdigung, die revisionsrechtlich hinzunehmen ist. Das Landgericht stützt hierbei seine Überzeugung in erster Linie darauf, daß - wie es anhand einer Weg-Zeit-Berechnung im einzelnen rechtsfehlerfrei dargelegt hat - ausgeschlossen werden könne, daß der Angeklagte sich mit dem Fahrzeug zum Zeitpunkt der Begehung der Tat am Tatort befunden habe. Weiterhin führt es aus, daß nach den Bekundungen des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen aufgrund des beim Tatopfer festgestellten Verletzungsbildes und der nur geringfügigen Blutanhaftungen die Tat nicht in dem Fahrzeug begangen worden sein kann. Schließlich hat das Landgericht in diesem Zusammenhang ersichtlich auch den Umstand bewertet, daß nach der Verhaftung des Angeklagten das Fahrzeug offensichtlich noch im Besitz eines unbekannten Dritten gewesen ist, der dieses dann Wochen später auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz in der Innenstadt Dortmunds abgestellt hat, und zwar - wie das Landgericht aus der Auffindesituation folgert - offensichtlich mit dem Ziel, daß es entdeckt wird. Angesichts dieser Besonderheiten erscheint es somit - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - nicht denkgesetzlich ausgeschlossen, daß die in dem Fahrzeug festgestellten Blutspuren nicht bei oder unmittelbar nach der Tat, sondern erst einige Zeit danach durch den Täter gesetzt worden sind. Daß die Leiche am Tatort verblieben ist, steht dem nicht entgegen. So kommt etwa in Betracht, daß der Täter, der nach den Feststellungen das aus insgesamt neun Kopfschußwunden blutende Tatopfer zum späteren Ablageort in einen Straßengraben gezogen hat, seinerseits erhebliche Blutanhaftungen an Bekleidung und Körper davongetragen hat, die von ihm später weiter übertragen worden sein können. Hinzu kommt, daß der Verbleib der vom Tatopfer zur Tatzeit getragenen Lederjacke, die - was naheliegt - ebenfalls mit dessen Blut in Berührung gekommen sein kann, ungeklärt geblieben ist (vgl. UA 15 und 30).

cc) Die Urteilsgründe geben auch nicht - wie die Beschwerdeführerin meint - zu der Befürchtung Anlaß, das Landgericht habe bei seinen Beweisüberlegungen eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu dem Tötungsdelikt nicht im Blick gehabt. Vielmehr hat das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausdrücklich auch den rechtlichen Gesichtspunkt einer Gehilfenschaft (UA 27) bzw. Teilnahme (UA 29) angesprochen und auch insoweit rechtsfehlerfrei einen Nachweis als nicht geführt angesehen.

Bearbeiter: Karsten Gaede