HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2002
3. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 4 StR 289/01 - Urteil vom 31. Januar 2002 (LG Wuppertal)

BGHSt; BGHR; Garantenstellung und Garantenpflicht bei arbeitsteiliger Beseitigung einer Gefahrenquelle (tatsächliche Übernahme bei fehlender vertraglicher Schutzpflicht; Fortbestehen einer Garantenpflicht bis zur Gefahrenbeendigung auch bei Mitübernahme der Garantenpflicht durch Dritte; Modifikation der Pflichten bei Mitübernahme; Voraussetzungen der Mitübernahme); Verkehr (Wuppertaler Schwebebahn); Vertrauensgrundsatz (Abgrenzung von Verantwortungsbereichen; arbeitsteiliges Zusammenwirken); fahrlässige Mitverursachung (Tötung); Gesamtverantwortung; Zweifelsgrundsatz; Beweiswürdigung

§ 13 StGB; § 15 StGB; § 222 StGB; § 230 StGB: § 261 StPO

1. Zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei arbeitsteiliger Beseitigung einer Gefahrenquelle im schienengebundenen Verkehr (Wuppertaler Schwebebahn). (BGHSt)

2. Für die eine Garantenpflicht zur Gefahrenabwehr begründende tatsächliche Übernahme ist ohne Bedeutung, ob die Angeklagten arbeitsvertraglich verpflichtet waren, eine solche Schutzfunktion zu übernehmen. Maßgebend für die Begründung einer Garantenstellung ist allein die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises, nicht das Bestehen einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung. (Bearbeiter)

3. Scheidet die Beendigung der Garantenstellung durch eine den ursprünglichen Auftrag ganz oder teilweise zurücknehmende Weisung des Auftraggebers aus, finden die sich aus der Garantenstellung ergebenden Garantenpflichten ihr Ende erst dann, wenn der Garant die übernommene Schutzaufgabe vollständig erfüllt hat. Die Mitübernahme der Pflichten der ursprünglichen Garanten durch Dritte lässt die Garantenstellung der bisherigen Garanten grundsätzlich unberührt. (Bearbeiter)

4. Die Mitübernahme kann aber zu einer Modifizierung der auf die vollständige Erfüllung der übernommenen Schutzaufgabe gerichteten Garantenpflichten (vgl. BGHSt 19, 286, 288 f.) und der sich daraus ergebenden Sorgfaltspflichten führen. So muss der ursprüngliche Garant die übernommene Gefahrenbeseitigung nicht mehr notwendig eigenhändig durchführen, sondern kann sie ganz oder arbeitsteilig dem zur Übernahme bereiten Dritten überlassen. Welche Sorgfaltspflichten ihn im letztgenannten Fall treffen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Von Bedeutung sind insbesondere das Ausmaß der Gefahr, für deren Beseitigung der (ursprüngliche) Garant einzustehen hat, und die Zuverlässigkeit der an der Beseitigung der Gefahrenquelle beteiligten übrigen Garanten.

5. Bei der Beseitigung von Hindernissen aus dem Bereich eines schienengebundenen Verkehrsmittels bestehen besondere Sorgfaltspflichten. Ein umfassender Vertrauensschutz in die ordnungsgemäße Erfüllung der von einem anderen arbeitsteilig übernommenen Aufgabe, wie er etwa im Bereich der ärztlichen Heilbehandlung für Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen und damit klar abgegrenzter Aufgaben anerkannt ist (vgl. dazu BGH NJW 1980, 650), kommt hier von vornherein nicht in Betracht. (Bearbeiter)

6. Erfolgt eine auch freiwillig und konkludent mögliche Mitübernahme einer Pflicht gegenüber Personen, die ihrerseits Garanten sind, so rückt der Übernehmende in vollem Umfang in die Garantenstellung ein. Allerdings reicht hierfür nicht jedes allgemein gehaltene, ersichtlich unverbindliche Hilfsangebot aus. Erforderlich ist vielmehr, dass durch die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben in zurechenbarer Weise das Vertrauen der übrigen Garanten in die verantwortliche Mitwirkung des Hilfswilligen bei der Gefahrabwendung begründet wird (vgl. BGH NJW 1993, 2628, 2629). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 490/01 - Urteil vom 7. März 2002 (LG Stade)

Notwehrlage (gegenwärtig); Notwehrprovokation (Einschränkung der Verteidigungsrechte; Abwägung im Einzelfall; Schutzwehr, Ausweichen; Trutzwehr); Nothilferecht

§ 32 StGB

1. Ein Angriff ist noch gegenwärtig, wenn er noch nicht endgültig abgewehrt und damit ohne Befürchtung unmittelbarer Wiederholung vollständig abgeschlossen war (vgl. BGHSt 27, 336, 339; BGH NStZ 1987, 20).

2. Das Notwehrrecht ist eingeschränkt, wenn die Notwehrlage durch ein vorangegangenes Verhalten selbst schuldhaft herbeigeführt wurde (vgl. allg. BGHSt 24, 356; 26, 256; 39, 374; 42, 97).

3. Allein aus dem Umstand, dass der Angegriffene seine Lage (mit-) verschuldet hat, lässt sich allerdings keine allgemeine Aussage ableiten, in welchem Maße er sich im Vergleich zu einem schuldlos in eine Notwehrsituation Geratenen bei der Abwehr des Angriffs zurückzuhalten hat. Dies hängt vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Je schwerer einerseits die rechtswidrige und vorwerfbare Verursachung der Notwehrlage durch den Angegriffenen wiegt, um so mehr Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten; andererseits sind die Beschränkungen des Notwehrrechts um so geringer, je schwerer das durch den Angriff drohende Übel einzustufen ist - (BGHSt 39, 374, 379; 42, 97, 101). Insoweit ist eine Abwägung erforderlich.

4. Der in seinem Notwehrrecht eingeschränkte Angeklagte muss zunächst versuchen, dem Angriff des Nebenklägers auszuweichen (BGHSt 24, 356, 358; 42, 97, 100). Konnte er dem Angriff dadurch nicht entgehen, war er zwar nicht verpflichtet, auf den Einsatz des Messers als Abwehrmittel unter allen Umständen zu verzichten (vgl. BGHSt 24, 356, 358 f.). Denn allein aufgrund dessen, daß er rechtswidrig und schuldhaft die Ursache für seine Notwehrlage gesetzt hatte, war ihm sein Notwehrrecht nicht vollständig genommen. Vielmehr ist dieses Recht lediglich Beschränkungen unterworfen, die ihrerseits nicht unbegrenzt andauern (BGHSt 39, 374, 379 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 4 StR 29/02 - Beschluss vom 6. März 2002 (LG Schwerin)

Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch; beendeter Versuch (korrigierter Rücktrittshorizont; Tat im Rechtssinne); Erreichen des außertatbestandsmäßigen Handlungszieles; Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

§ 24 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 63 StGB

1. Für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch ist maßgebend, ob der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227).

2. Bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen, deren Wirkung der Täter wahrgenommen hat, liegt es in der Regel nahe, daß er die lebensgefährliche Wirkung und die Möglichkeit des Erfolgseintritts auch kennt (vgl. BGHSt 40, 304, 306). Das gilt indes nicht ohne weiteres in Fällen, in denen mehrere Handlungsabschnitte vorliegen. Denn für die Beurteilung, ob bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen gegebenenfalls auch ein strafbefreiender Rücktritt vom - unbeendeten - Versuch in Betracht kommt, kommt es grundsätzlich auf die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung an (zum sog. korrigierten Rücktrittshorizont BGHSt 36, 224; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 33).

3. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die mehreren Handlungsabschnitte als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind (BGHSt 36 224, 226).

4. Dass der Angeklagte das sog. außertatbestandsmäßige Handlungsziel erreicht hatte, steht der Annahme strafbefreienden Rücktritts nicht entgegen (st. Rspr., BGHSt 39, 221; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 32).


Entscheidung

BGH 4 StR 30/02 - Beschluss vom 6. März 2002 (LG Hildesheim)

Vorsatz (Schluss aus den objektiven Tatumständen; Gefährlichkeit der Tathandlung versus Hemmschwelle und Gesamtwürdigung; Vertrauendürfen; Beeinträchtigung der Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des Täters in psycho-physischen Ausnahmesituationen); Tötungsversuch

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 22 StGB

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in psycho-physischen Ausnahmesituation die Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des Täters beeinträchtigt sind. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören deshalb zu den Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (st. Rspr.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9, 15, 40, 41, 48). Das gilt umso mehr, wenn ein einleuchtendes Motiv für eine Tötung nicht ersichtlich ist und dem Tatgeschehen auch kein vergleichbares Vorverhalten des Angeklagten entspricht (BGH StV 1994, 13, 14).


Entscheidung

BGH 3 StR 340/01 - Urteil vom 21. März 2002 (LG Osnabrück)

Fahrlässige Tötung (Pflichtwidrigkeit bei gemeinsamer Verantwortung aber aufgeteilten Aufgabenbereichen; Anlass zu pflichtgemäßem Handeln); Vorhersehbarkeit; Unterlassen; Strafzumessung bei Unterlassen (Strafrahmenmilderung; Geldstrafe)

§ 222 StGB; § 13 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

1. Die Vorhersehbarkeit entfällt nur, wenn das Auftreten des Mangels im Zusammenhang mit dem pflichtwidrigen Verhalten nicht ganz außerhalb des gewöhnlichen Erfahrungsbereichs des Verantwortlichen liegt (BGHSt 12, 75 ff.).

2. Liegt der Fahrlässigkeitsvorwurf in einem Unterlassen, ist der Rechtsgedanke des § 13 Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung zu beachten, auch wenn auf eine Geldstrafe erkannt wird und deswegen eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ausscheidet.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 513/01 - Urteil vom 6. Februar 2002 (LG Heidelberg)

BGHSt; Gesetzlichkeitsprinzip; Bestimmtheitsgrundsatz; Unterschlagung; Konkurrenzen (materielle und formelle Subsidiarität); Zueignungsdelikte; Mord (Habgier; niedrige Beweggründe); Beweiswürdigung (Gesamtwürdigung; Einlassung und Zweifelsgrundsatz)

§ 246 StGB; § 211 StGB; § 261 StPO; Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB

1. § 246 StGB ist nicht nur gegenüber Zueignungsdelikten subsidiär (im Anschluß an BGHSt 43, 237). (BGHSt)

2. Ist der Wille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes nicht zum Ausdruck gebracht, kann er nicht Grundlage einer mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbaren Auslegung des Gesetzes zum Nachteil des Angeklagten sein (vgl. BGHSt 42, 291, 293). (Bearbeiter)

3. Wer tötet, um ein Darlehen nicht zurückzahlen zu müssen, handelt aus Habgier (vgl. BGH NJW 1993, 1664, 1665 m. w. N.). (Bearbeiter)

4. Niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 StGB kommen in Betracht, wenn der Angeklagte eigenes, zwar nicht strafbares, aber ehrenrühriges Verhalten verdecken wollte (vgl. BGH NStZ 1987, 81). (Bearbeiter)

5. Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen, dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, kann nicht vorab isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). Hat der Angeklagte Angaben gemacht, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, sind diese in die Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einzubeziehen und nicht ohne weiteres als unwiderlegt dem Urteil zu Grunde zu legen. Ihre Zurückweisung erfordert nicht, daß sich das Gegenteil der Behauptung positiv feststellen ließe (vgl. nur BGHR StPO § 261 Einlassung 5, 6). Auch im übrigen gebietet es der Zweifelssatz nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NJW 1995, 2300). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 138/01 - Urteil vom 21. März 2002 (LG Hildesheim)

BGHSt; Amtsträger (Entscheidungszuständigkeit; fachliche Zuarbeiten); Bestechlichkeit (Schmiergeldzahlungen bei der Vorbereitung einer Ermessensentscheidung); Verfall; Vermögensvorteil (bestandskräftige Festsetzung der Steuer); Erlangtes; Diensthandlung (Pflichtwidrigkeit bei Abwägungsentscheidungen); notwendige Verteidigung (Anwesenheit; absoluter Revisionsgrund); Sitzungsprotokoll (Verteidiger im funktionellen Sinne); steuerliches Abzugsverbot; Sinn und Zweck des Verfalls als reine Vorteilsabschöpfung (Verhältnis zur Strafe; Bruttoprinzip; Unmittelbarkeit)

§ 73 Abs. 1 Satz 1; § 73c; § 332 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; § 334 StGB; §§ 338 Nr. 5, 231c, 274 StPO; § 35 BauGB

1. Ein Amtsträger ohne eigene Entscheidungszuständigkeit erfüllt den Tatbestand der Bestechlichkeit, wenn er sich als fachlicher Zuarbeiter durch Schmiergeldzahlungen bei der Vorbereitung einer Ermessensentscheidung beeinflussen lässt; insoweit gelten für ihn gleichermaßen die für einen Ermessensbeamten entwickelten Grundsätze. (BGHSt)

2. Ist für einen dem Verfall unterliegenden Vermögensvorteil die Steuer bestandskräftig festgesetzt worden, so ist dies bei der zeitlich nachfolgenden Anordnung des Verfalls zu berücksichtigen. (BGHSt)

3. Zur Bestimmung des Erlangten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB bei der Bestechung. (BGHSt)

4. Bei Entscheidungen, die wie die bauplanerische Beurteilung nach § 35 BauGB oder die Aufstellung eines Bebauungsplans eine planerische Abwägung voraussetzen, ergibt sich die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung schon daraus, daß der Amtsträger sachwidrige Erwägungen in den Entscheidungsprozess einfließen lässt. Insoweit gelten für die planerische Abwägung dieselben Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für Ermessensentscheidungen aufgestellt hat (vgl. BGHR StGB § 332 Abs. 1 Satz 1 Unrechtsvereinbarung 5). (Bearbeiter)

5. Für verfallen erklärte Vermögenswerte können grundsätzlich steuermindernd geltend gemacht werden. Es besteht kein steuerliches Abzugsverbot nach § 12 Nr. 4 EStG. Für die Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. hat der Bundesfinanzhof den Strafcharakter verneint und grundsätzlich einen Abzug zugelassen (BFHE 192, 64, 71). Dies gilt auch für die erfolgte Neuregelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB, die nunmehr die gesamten vereinnahmten Gelder dem Verfall unterwirft (sog. Bruttoprinzip). (Bearbeiter)

6. Die Einführung des Bruttoprinzips modifizierte nur den Berechnungsmodus, ließ aber den Rechtscharakter des Verfalls an sich unberührt (BGH NJW 1995, 2235). Der Verfall selbst verfolgt keinen Strafzweck, sondern dient allein der Abschöpfung des durch die Straftat erlangten Vorteils. Zwischen der Anordnung des Verfalls und der Verhängung einer Strafe besteht grundsätzlich keine innere Wechselbeziehung (BGH NStZ 2001, 312; 2000, 137; vgl. auch BGHR StGB § 73d Strafzumessung 1). (Bearbeiter)

7. Es wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn für eine Abschöpfungsmaßnahme der Bruttobetrag des erlangten Gewinns zugrunde gelegt, umgekehrt aber der volle Bruttobetrag besteuert würde. Eine Doppelbelastung, die in der Abschöpfung des Erlangten und zugleich in dessen Besteuerung besteht, muss grundsätzlich auch beim Verfall vermieden werden. (Bearbeiter)

8. Ist das Besteuerungsverfahren bereits abgeschlossen, kann eine Berücksichtigung der Steuerzahlungen zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Doppelbelastung des Angeklagten nur noch im Strafverfahren im Rahmen der Entscheidung über den Verfall stattfinden. Maßgebend dafür, in welchem Verfahren die zur Vermeidung einer Doppelbelastung notwendige Abgleichung stattzufinden hat, ist die zeitliche Abfolge. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 AR 5/02 - Beschluss vom 3. April 2002

Anfrageverfahren; schwerer Raub (Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges; Drohung mit einer geladenen Schreckschusswaffe einer Entfernung, bei der für das Opfer im Fall der Schussabgabe keine Leibesgefahr besteht); potentielle Gefährlichkeit (Zeitkriterium)

§ 132 Abs. 3 GVG; § 250 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 a StGB

1. Der Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist nicht erfüllt, wenn ein Täter lediglich mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschusswaffe aus einer Entfernung droht, bei der (für den Fall der Schußabgabe) für das Opfer keine Leibesgefahr besteht.

2. Zur Rechtsprechung des BGH zum gefährlichen Werkzeug und zur verwendungsspezifischen Bestimmung der Gefährlichkeit.

3. Gefährliche Werkzeuge sind Gegenstände, die geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Gefährliche Werkzeuge können Waffen, generelle gefährliche Gegenstände und im Einzelfall nach ihrer konkreten Verwendung gefährliche Gegenstände sein.

4. Der Begriff des "gefährlichen Werkzeugs" in § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht vollständig deckungsgleich ist mit dem des "gefährlichen Werkzeugs" in § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB (vgl. BGH NStZ 1999, 301).

5. Bei der entscheidungserheblichen Frage der objektiven Gefährlichkeit des angedrohten Einsatzes können Messer und Schreckschusspistole nicht gleichgesetzt werden. Droht der Täter an, sein Messer einzusetzen, so droht er zugleich damit, den Abstand zum Opfer zu überwinden und mit dem Messer - aus einer Nahdistanz - auf das Opfer einzustechen. Anders ist es bei der Drohung mit dem Einsatz der Schreckschußwaffe. Hier droht der Täter grundsätzlich damit, einen Schuß aus der Position abzugeben, in der er sich gerade befindet.


Entscheidung

BGH 3 StR 6/02 - Urteil vom 7. März 2002 (LG Aurich)

Vergewaltigung (Tenorierung); sexuelle Nötigung; besonders schwerer Fall (Gesamtwürdigung beim Regelbeispiel); Beweiswürdigung

§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

Liegen die Voraussetzungen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, muss die begangene Tat selbst dann als "Vergewaltigung" bezeichnet werden, wenn im Hinblick auf besondere Milderungsgründe ein besonders schweren Fall verneint wird und die Strafe dem Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB entnommen wird.


Entscheidung

BGH 1 StR 47/02 - Beschluss vom 13. März 2002 (LG Nürnberg-Fürth)

Schwerer Raub; Gewalt (Ausnutzung einer physischen Reaktion des Opfers; zur Tat durch die Gewalt eröffnete Zeitspanne; Abgrenzung von der reinen List); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

§ 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB; § 249 StGB; § 64 StGB

1. Gewalt im Sinne des § 249 StGB liegt auch dann vor, wenn durch physische Einwirkung auf den Körper eines anderen bei diesem eine physische Reaktion herbeigeführt wird, die dazu geeignet und nach dem Willen des Täters dazu bestimmt ist, den von ihm erwarteten Widerstand gegen die von ihm beabsichtigte Wegnahme zu verhindern. Dabei genügt es auch, wenn der Täter zur Einwirkung auf den Körper des Opfers ein Mittel - sei es fest, flüssig oder gasförmig (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 6) - verwendet, ohne daß es darauf ankäme, welche naturwissenschaftlichen (z.B. mechanische oder chemische) Gesetzmäßigkeiten daraufhin letztlich die körperliche Reaktion des Opfers hervorgerufen haben.

2. Allerdings erfüllt eine allein durch Schnelligkeit und List gekennzeichnete Wegnahme wie z. B. das überraschende, aber nicht mit besonderer Kraftanwendung verbundene Wegreißen einer Handtasche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht den Raubtatbestand (BGHSt 18, 329 ff., BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 1, 2 und 4). Hat der Angeklagte jedoch nicht die Überraschung sondern die physische Reaktion des Opfers, die von einer für sie überraschenden physischen Einwirkung auf ihren Körper ausgelöst wurde, liegt Gewalt vor. Der Täter muss nicht notwendig besondere Kraft aufwenden (BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewaltanwendung 6 m. w. N.).

3. In zeitlicher Hinsicht ist allein entscheidend, ob die Wegnahme auf Grund der physischen Reaktion erfolgte und nicht, welcher Zeitraum hierfür zur Verfügung stand. Daher ist auch ohne Bedeutung, dass der Angeklagte in der von der Gewaltanwendung eröffnete Zeitspanne die Tat nur vollenden nicht aber auch beenden konnte.

4. Gewalt gegen eine Person muss keine gegenwärtige Leibes- oder Lebensgefahr bewirken (BGHSt 18, 75, 76). Es genügt, wenn beim Opfer eine von dessen Willen unabhängige physische Reaktion eintritt, die seine Widerstandsmöglichkeiten gegen die Wegnahme beeinträchtigt.


Entscheidung

BGH 4 StR 578/01 - Beschluss vom 21. Februar 2002 (LG Dortmund)

Erpresserischer Menschenraub; Vorsatz (Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils; Tatbestandsirrtum); Prostitution (rechtlich beständige Ansprüche); ProstG

§ 239a StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken muß (vgl. BGHSt 4, 105; BGH NStZ-RR 1999, 6; BGH StV 2000, 79). Stellt sich deshalb der Täter für die erstrebte Bereicherung eine Anspruchsgrundlage vor, die in Wirklichkeit nicht besteht oder von der Rechtsordnung nicht geschützt ist, so handelt er in einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH StV 2000, 79).


Entscheidung

BGH 5 StR 566/01 - Urteil vom 21. März 2002 (LG Dresden)

Strafvereitelung im Amt (Vollendung bei erheblicher Verzögerung der Strafverfolgung; geraume Zeit); Unterlassen; Strafzumessung (Generalprävention und Tatschuld); Aufklärungspflicht; Beweiswürdigung (Lücken; Freispruch; gebotene Prüfung der Tatsachengrundlage der Einlassung des Angeklagten)

§ 258 StGB; § 258a StGB; § 13 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 244 Abs. 2 StPO; § 261 StPO

1. Eine Vollendung der Strafvereitelung kann auch bei einer erheblichen Verzögerung der Strafverfolgung in Betracht kommen.

2. Einen im Rahmen der Generalprävention bei der Strafzumessung zulässigerweise zu verwertender Umstand muss außerhalb der bei Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens vom Gesetzgeber bereits berücksichtigten allgemeinen Abschreckung liegen. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, oder ein besonderes Ausmaß, in dem eine Tat den Rechtsfrieden zu stören geeignet ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 2 bis 4, 6 und 7) feststellen lässt. Der Strafzweck der Generalprävention ist in den Spielraum der schuldangemessenen Strafe eingebunden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 8).


Entscheidung

BGH 1 StR 222/01 - Beschluss vom 7. Februar 2002 (LG München I)

Abtretung (Prioritätsgrundsatz; Abtretungsverbot); Beweiswürdigung; Beweisantrag (Bedeutungslosigkeit; Ablehnung; Beruhen); Betrug (Vermögensbegriff; Täuschungshandlung; Werthaltigkeit von Forderungen; Blockiererklärung; unmittelbares Ansetzen); Vorsatz; Absicht rechtswidriger Bereicherung; Kreditbetrug (unrichtige Angaben; für die Entscheidung über einen solchen Antrag erheblich)

§§ 185 Abs. 2, 399 BGB; § 354a HGB; §§ 244 Abs. 3, 261, 337 StPO; § 263 StGB; § 16 StGB; § 22 StGB

1. Zur Beurteilung der Erheblichkeit von Angaben i.S.d. § 265b Abs. 1 StGB ist auf die Sicht des "verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Dritten" abzustellen (BGHSt 30, 285, 292). Eine allgemeine Anpreisung kann nicht als erhebliche Angabe angesehen werden, insbesondere wenn die mangelnde Leistungsfähigkeit bereits offenbar geworden ist und die Anpreisung von einer Person stammte, die eine Provision verdienen wollte und die als Vertreter des Kreditnehmers auftrat.

2. Für den Eintritt in das Versuchsstadium kommt es darauf an, wie weit derjenige, der den Entschluss zur Begehung der Straftat gefasst hat, mit der Ausführung des Entschlusses gekommen ist. Dazu muss das, was er zur Verwirklichung seines Vorhabens getan hat, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Danach ist zunächst zu beurteilen, ob der Täter bereits Merkmale des Straftatbestandes erfüllt oder lediglich Handlungen vorgenommen hat, die noch außerhalb des Straftatbestands liegen. Im ersten Fall ist die Grenze zum Versuch in der Regel bereits überschritten; im zweiten Fall bedarf es weiterer Prüfung (BGHSt 37, 294; BGH StV 2001, 272, 273). Das Versuchsstadium kann allerdings auch schon erreicht sein, bevor der Täter einzelne Tatbestandsmerkmale verwirklicht. Es müßte dann bereits eine Handlung der Angeklagten vorliegen, die nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen soll. Das ist der Fall, wenn die Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt haben, so dass ihr Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung übergeht (BGHSt 37, 294,297).

3. Tatbestandsmäßig im Sinne des § 263 StGB täuscht der Täter aber erst dann, wenn er denjenigen Irrtum hervorruft, der den Getäuschten zu der schädigenden Vermögensverfügung bestimmen und damit für den Eintritt des Schadens ursächlich werden soll (BGHSt 37, 294, 296).


Entscheidung

BGH 1 StR 62/02 - Beschluss vom 3. April 2002 (LG Mosbach)

Geiselnahme (Strafrahmenverschiebung; Freiwilligkeit; Erscheinen der Polizei; Panik)

§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB; § 24 StGB

Ein auf Panik im Sinne einer alles überwältigenden Angst zurückzuführendes Verhalten ist jedoch ebensowenig als freiwillig zu werten (vgl. BGH StV 1992, 10, 11) wie ein durch das Erscheinen der Polizei ausgelöstes Verhalten.