HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2002
3. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 2 StR 486/01 - Urteil vom 20. Februar 2002 (LG Frankfurt a.M.)

Sexueller Missbrauch von Kindern; Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und gleichzeitige Sicherungsverwahrung; Hang; Gefährlichkeit

§ 174 StGB; § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 63 StGB

1. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist nur das Bestehen des verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGHSt 24, 160, 161).

2. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidend (st.Rspr, BGHSt 24, 160, 164; BGH NStZ-RR 1998, 206). Zwar können im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB) auch solche Gesichtspunkte beachtlich sein, die sich auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung beziehen; die Gefährlichkeit eines Täters kann u.U. dann verneint werden, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daß sie bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände können die Gefährlichkeit eines Täters jedoch nicht ausräumen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 206).

3. Der Hangtäter ist für die Allgemeinheit gefährlich, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Diese Wahrscheinlichkeit ist regelmäßig schon gegeben, wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist. Nur wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen, kann die Gefährlichkeit verneint werden; dabei müssen diese Umstände feststehen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3 und 5 m.w.N.).

4. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider Maßregeln grundsätzlich möglich (st.Rspr, vgl. BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1998, 35). Unter Beachtung des Grundsatzes, daß der Sicherungsverwahrung als "letztes Mittel der Kriminalpolitik" in starkem Maße ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BGHSt 30, 220, 222), wird eine Anordnung beider Maßregeln freilich nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maßregelzwecks - Abwehr der Gefährlichkeit des Täters - im Einzelfall nicht ausreicht und Gründe vorliegen, die ein Nebeneinander der beiden Maßregeln zweckmäßig erscheinen lassen. Ausschlaggebend für die Auswahl oder Häufung der Maßregeln sind dabei die besonderen Umstände des Einzelfalles (BGHSt 5, 315).

5. Wenn der im Rahmen von § 66 StGB vorausgesetzte Hang ausschließlich auf einen psychischen Defekt zurückgeht, welcher gleichzeitig die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet, ist die Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3; BGHSt 42, 306, 308). Da § 63 StGB das Bestehen von Heilungsaussichten nicht voraussetzt, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit vor kranken und gefährlichen Tätern dient, gilt dies prinzipiell auch bei mangelnder oder zweifelhafter Therapierbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1995, 588; 1998, 35). Dass die Unterbringung von schwer oder gar nicht therapiefähigen Sexualstraftätern im psychiatrischen Krankenhaus tatsächliche Schwierigkeiten in der Vollzugspraxis mit sich bringt, vermag an der rechtlichen Ausgangssituation nichts zu ändern.


Entscheidung

BGH 1 StR 546/01 - Urteil vom 19. Februar 2002 (Weiden i.d.OPf.)

Vergewaltigung (Verwendung eines gefährliches Werkzeug; schwere Mißhandlung); Verhältnis von Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (Sicherungszweck) und Sicherungsverwahrung; Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten (schuldhaft herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit; Aussetzung); Unterrichtung (Verteidigerzurechnung; Fürsorgepflicht); negative Beweiskraft des Sitzungsprotokolls (wesentliche Förmlichkeit); Vorwegvollzug (Herbeiführung eines "Leidensdrucks"; Gefährdung des Therapieerfolgs bei nachfolgendem Strafvollzug; Therapiewilligkeit)

§ 177 Abs. 2, 3 Nr. 2, 4 Nr. 1, 2a StGB; § 63 StGB; § 64 StGB; § 66 StGB; § 67 StGB; §§ 231 Abs. 2, 231a, 273, 274 StPO

1. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dienen beide dem Schutz der Allgemeinheit vor auch in Zukunft gefährlichen Straftätern unabhängig vom Strafvollzug. Sie sind jedoch in ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung und, in ihren Voraussetzungen hinsichtlich der Erwartung künftiger Straftaten nicht deckungsgleich. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (oder in einer Entziehungsanstalt) ist daher gegenüber der Sicherungsverwahrung im Grundsatz "kein geringeres, sondern ein anderes Übel" (BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1981, 390), so dass deren gleichzeitige Anordnung grundsätzlich rechtlich möglich ist (§ 72 Abs. 2 StGB).

2. Beruht bei einem Angeklagten der Hang i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH NStZ 1999, 501, 502) allein auf Umständen, die als "Störung" Grundlage der Maßregel gemäß § 63 StGB sind, wird nach deren Beseitigung durch erfolgreiche Behandlung in der Psychiatrie kein - weitergehender - Hang zur Begehung von Straftaten mehr bestehen. Stünde danach zu erwarten, dass die Gefährlichkeit des Täters durch die Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) behoben werden kann, dürfte wegen des Vorrangs der Besserung und des Ultima-ratio-Charakters der Sicherungsverwahrung schon deshalb lediglich die Unterbringung im Krankenhaus angeordnet werden.

3. Dies gilt selbst bei zweifelhaften Heilungsaussichten. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt den Erfolg einer Therapie nicht zwingend voraus. Von einer Maßnahme nach § 63 StGB sind solche Täter nicht von vorneherein ausgenommen, bei denen die Aussicht auf Besserung von vorneherein zweifelhaft ist (BGH NStZ, 1999, 122, 123; BGH NStZ-RR 1999, 44; BGHSt 34, 22, 28). Wenn sich während des Aufenthalts in einem psychiatrischen Krankenhaus herausstellen sollte, dass entgegen der ursprünglichen Prognose eine erfolgreiche Behandlung nicht möglich ist, hat sich damit die Maßregel nicht zwangsläufig erledigt. Mit der Unterbringung nach § 63 wird - im Gegensatz zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt - ergänzend über die Behandlung hinaus ein bloßer Sicherungszweck verfolgt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dauert daher fort, solange vom Angeklagten die in § 63 StGB genannte Gefahr ausgeht.

4. Der Sicherungszweck erfordert bei einer Maßnahme nach § 63 StGB auch bei zweifelhaften Heilungsaussichten nicht regelmäßig die kumulative Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, während im Gegensatz dazu bei einer Maßnahme nach § 64 StGB im Hinblick auf den Behandlungserfolg in der Entziehungsanstalt ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit gegeben sein muss, um von zusätzlicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, wenn deren Voraussetzungen im übrigen gegeben sind, absehen zu können (BGH NJW 2000, 3015, 3016).

5. Auch für die Allgemeinheit besonders gefährliche Täter sind von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht auszuschließen. Zwar müssen bei der Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen des Vorrangs der Therapie zunächst ärztlich-psychiatrische Gesichtspunkte Vorrang haben. Solange vom Verurteilten eine Gefahr ausgeht, sind jedoch die für den Maßregelvollzug Verantwortlichen berechtigt und verpflichtet, im Einzelfall Maßnahmen zu ergreifen, die das Verbleiben des Untergebrachten auch gegen dessen Willen in der Anstalt gewährleisten. Die Erwägung, der Angeklagte könne in einer Haftanstalt besser überwacht werden, wäre deshalb eine außerhalb der Ziele des Maßregelvollzugs liegende Zweckmäßigkeitsüberlegung (BGH NStZ-RR 1999, 44).

6. Dem eigenmächtigen Ausbleiben gem. § 231 Abs. 2 StPO steht gleich, wenn sich der Angeklagte, nachdem er Gelegenheit hatte, sich umfassend zu äußern - vorher gilt § 231a StPO -, in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt (vgl. BGH NStZ 1986, 372).

7. Die Gesichtspunkte, Herbeiführung eines "Leidensdrucks" (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 4 und Zweckerreichung, leichtere 6; BGH NStZ 1986, 139) und Gefährdung des Therapieerfolgs bei nachfolgendem Strafvollzug (vgl. BGH NStZ 1999, 613, 614) sind im Grundsatz tragfähige Ansatzpunkte für die Umkehr der Vollzugsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 1 StGB (Bedenken dagegen aber in BGH NStZ 1986, 427, 428), in besonderen Fällen auch bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB, wenn der Maßregel eine schwere andere seelische Abartigkeit zugrunde liegt (BGH NStZ 1999, 613, 614).


Entscheidung

BGH 3 StR 18/02 - Beschluss vom 5. März 2002 (LG Hildesheim)

Strafzumessung (Abgrenzung rechtsfeindlicher Gesinnung von zulässigem Verteidigungsverhalten; Strafschärfung; Nachtatverhalten)

§ 46 StGB

Eine rechtsfeindliche Gesinnung des Angeklagten, kann Anlaß zu strafschärfender Berücksichtigung hätte sein (vgl. BGH StV 1999, 657; 1999, 206; 1994, 125; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 4), sie liegt jedoch nicht allein darin, dass der sich nach eigenen Angaben nicht mehr erinnernde Angeklagte keine Reue oder Einsicht zeigt, auch wenn ein medizinischer Sachverständiger eine Amnesie ausschließt und ein bewusstes Verweigern der Tatschilderung für wahrscheinlich hält.


Entscheidung

BGH 3 StR 26/02 - Beschluss vom 14. März 2002 (LG Kleve)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minder schwerer Fall; Menge; Einbeziehung vertypter Strafmilderungsgründe; Gesamtwürdigung); Beihilfe (Zumessung nach der individuellen Schuld / Tatbeitrag)

§ 29a BtMG; § 27 StGB; § 46 StGB

1. Gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in die Prüfung einzubeziehen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall/Gesamtwürdigung, unvollständige 4; Strafrahmenwahl 3). Das Urteil muss für das Revisionsgericht erkennen lassen, dass der Tatrichter sich bewusst war, dass schon ein solcher gesetzlicher Milderungsgrund allein - oder zusammen mit weiteren für den Angeklagten sprechenden Umständen - Anlass sein kann, einen minder schweren Fall zu bejahen.

2. Die Strafe jedes von mehreren Tatbeteiligten ist nach dem Maß seiner individuellen Schuld zuzumessen. Maßgeblich für die Bemessung der Strafe des Gehilfen ist das im Gewicht seines Tatbeitrages zum Ausdruck kommende Maß seiner Schuld, wenn auch unter Berücksichtigung des ihm zurechenbaren Umfangs und der Folgen der Haupttat (BGH wistra 2000, 463).


Entscheidung

BGH 3 StR 28/02 - Beschluss vom 19. März 2002 (LG Düsseldorf)

Strafaussetzung zur Bewährung; besondere Umstände (Gesamtwürdigung; Abhängigkeit von der Dauer der Freiheitsstrafe)

§ 56 Abs. 2 StGB

1. Umstände, die bei der Einzelbewertung nur einfache und durchschnittliche Milderungsgründe wären, können durch ihr Zusammentreffen in der erforderlichen Gesamtwürdigung das Gewicht besonderer Umstände erlangen können (st. Rspr., vgl. BGHR StGB § 56 II Gesamtwürdigung, unzureichende 7; BGH NStZ 1984, 360).

2. Besondere Umstände des § 56 Abs. 2 StGB müssen um so weniger gewichtig sein, je näher die Strafe bei einem Jahr Freiheitsstrafe liegt (vgl. BGH wistra 1985, 147, 148).


Entscheidung

BGH 1 StR 538/01 - Urteil vom 21. Februar 2002 (LG München I)

Verhandlungsfähigkeit (für das Revisionsverfahren); Widerspruch (Anwesenheit des Verteidigers bei der kommissarischen Vernehmung; Rügeverlust; Anwesenheitsrecht); Beweiswürdigung; Strafzumessung bei (rechtsstaatswidriger) Verfahrensverzögerung (typisierte Strafmilderung); Beschleunigungsgrundsatz (Folgen des Konventionsverstoßes); Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren; lebenslange Freiheitsstrafe (Mord; nationalsozialistische Schwerkriminalität; Rechtsfolgenlösung des BGH; außergewöhnliche Umstände)

§ 244 Abs. 3 StPO; § 168c StPO; § 261 StPO; § 46 StGB; Art. 6 EMRK; Art. 2, 20 Abs. 1 GG; § 211 StGB

1. Bei der Strafzumessung ist zu differenzieren zwischen Verfahrensverlängerungen, die durch rechtsstaatswidrige Verzögerungen der Justizorgane verursacht worden sind, der Gesamtdauer des Verfahrens und dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).

2. Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes garantiert dem Beschuldigten im Strafverfahren das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Dieses Prozessgrundrecht fordert eine angemessene Beschleunigung des Verfahrens. Auch Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantiert das Recht des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Die "angemessene Frist" beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird, und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Für die Angemessenheit ist dabei auf die gesamte Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen des Beschuldigten zu berücksichtigen (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9 vgl. auch BGH StV 1994, 652; StV 1992, 452).

3. Aus einem durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkten Konventionsverstoß müssen Folgen gezogen werden; dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 1, 7). Diese Folgen bestehen darin, dass die Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich festzustellen und das Maß dieses eigenständigen Strafmilderungsgrundes rechnerisch exakt zu bestimmen ist.

4. Unabhängig von dem Strafmilderungsgrund eines Konventionsverstoßes durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kommt auch einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zu, bei der insbesondere die mit dem Verfahren selbst verbundenen Belastungen des Angeklagten zu berücksichtigen sind. Dieser Strafmilderungsgrund kann auch dann gegeben sein, wenn die außergewöhnlich lange Verfahrensdauer sachliche Gründe hatte und von den Strafverfolgungsorganen nicht zu vertreten ist (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).


Entscheidung

BGH 4 StR 33/02 - Beschluss vom 12. März 2002 (LG Bielefeld)

Verminderte Steuerungsfähigkeit und Strafzumessung (Strafschärfung auf Grund der Tatmodalitäten); verminderte Schuldfähigkeit

§ 21 StGB; § 46 StGB

Zwar ist es nicht ausgeschlossen, bei der Zumessung der Strafe für einen Täter, dessen Steuerungsfähigkeit zur Zeit der Tat erheblich vermindert war, Tatmodalitäten, wie den Anlass für die Begehung der Tat oder eine rohe und brutale Tatausführung, strafschärfend zu werten. Der Tatrichter muss sich aber der Frage stellen, ob und inwieweit diese Erschwerungsgründe gerade auf der geistig-seelischen Ausnahmesituation des Täters beruhen, die zur Anwendung des § 21 StGB geführt hat. Kommt dies in Betracht, so können derartige Gesichtspunkte dem Angeklagten jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 bis 9, 11, 12, 14, 15 und 18).


Entscheidung

BGH 3 StR 338/01 - Beschluss vom 20. Februar 2002 (LG Oldenburg)

Darlegung der Einzelstrafen bei der Gesamtstrafenbildung; Härteausgleich

§ 54 Abs. 1 StGB; § 55 StGB

Ein Urteil muss mitteilen, welche Einzelstrafen der frühere Tatrichter der von ihm gebildeten Gesamtstrafe zugrundegelegt hat (BGH NStZ 1987, 183), damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob § 54 Abs. 1 StGB richtig angewendet wurde (BGH bei Holtz MDR 1979, 280). Enthält die gesamtstrafenfähige Vorverurteilung zu einer Gesamtstrafe keine Einzelstrafen, so findet § 55 StGB keine Anwendung. Der Tatrichter hat in diesem Fall einen Härteausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe vorzunehmen (BGHSt 43, 34).


Entscheidung

BGH 3 StR 488/01 - Urteil vom 7. März 2002 (LG Düsseldorf)

Sicherungsverwahrung (Prüfungspflicht; Begründungspflicht bei einem Absehen trotz Vorliegens der Voraussetzungen); Ermessensentscheidung

§ 66 Abs. 2 StGB

Der Tatrichter ist jedenfalls zur Begründung seiner Entscheidung verpflichtet, wenn er die Sicherungsverwahrung nicht anordnet, obwohl die formellen Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind und die Feststellungen zu der Annahme drängen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Stellt der Tatrichter die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung der Sicherungsverwahrung fest, so hat er nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Auch wenn seine Ermessensentscheidung der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Umfang zugänglich ist, so müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2, 4, 5; BGH NStZ 1996, 331).