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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 578/01, Beschluss v. 21.02.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 578/01 - Beschluss vom 21. Februar 2002 (LG Dortmund)

Erpresserischer Menschenraub; Vorsatz (Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils; Tatbestandsirrtum); Prostitution (rechtlich beständige Ansprüche); ProstG

§ 239a StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken muß (vgl. BGHSt 4, 105; BGH NStZ-RR 1999, 6; BGH StV 2000, 79). Stellt sich deshalb der Täter für die erstrebte Bereicherung eine Anspruchsgrundlage vor, die in Wirklichkeit nicht besteht oder von der Rechtsordnung nicht geschützt ist, so handelt er in einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH StV 2000, 79).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. Juni 2001, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sein Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es deshalb nicht.

Nach den Feststellungen spiegelte die Mitangeklagte G., die der Prostitution nachging, dem Angeklagten im Februar 2001 wahrheitswidrig vor, der Kaufmann K. schulde ihr insgesamt einen Betrag in Höhe von ca. 20.000 DM als Gegenleistung für erbrachte sexuelle Handlungen, den sich dieser zu zahlen weigere. Auf Vorschlag der Mitangeklagten suchten beide den K. in dessen Lagerhalle auf, um die angeblichen Schulden gewaltsam einzutreiben. Die Angeklagten versetzten ihm, u.a. mit einem Gummiknüppel, mehrere Schläge, woraufhin er aus Angst vor weiteren Mißhandlungen diverse Schmuckstücke sowie 1.300 bis 1.500 DM Bargeld an die Angeklagten übergab. Um von ihm weiteres Bargeld zu erlangen, zwangen die Angeklagten den Geschädigten sodann, gemeinsam mit ihnen zur Hauptpost zu fahren. K. sollte dort von seinem Konto weiteres Geld abheben. In Begleitung des Angeklagten mußte sich der Geschädigte in die Schalterhalle der Poststelle begeben, wo er sich schließlich hinter einer Bedientheke in Sicherheit bringen konnte.

Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten W. wegen erpresserischen Menschenraubs kann keinen Bestand haben, da die Würdigung der Strafkammer zur subjektiven Tatseite durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Das Landgericht hat dargelegt, der Angeklagte sei zwar vom Bestehen eines tatsächlichen Anspruchs der Mitangeklagten G. gegen K. "aus Prostitution" ausgegangen. Ihm sei aber "weil selbstverständlich, auch ohne Zweifel bewußt" gewesen, daß dieser Anspruch rechtlich keinen Bestand haben könne (UA 25). Dies vermag die Absicht rechtswidriger Bereicherung nicht zu belegen.

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken muß (vgl. BGHSt 4, 105; BGH NStZ-RR 1999, 6; BGH StV 2000, 79). Stellt sich deshalb der Täter für die erstrebte Bereicherung eine Anspruchsgrundlage vor, die in Wirklichkeit nicht besteht oder von der Rechtsordnung nicht geschützt ist, so handelt er in einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH StV 2000, 79).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es nicht "selbstverständlich", daß der Angeklagte von der Sittenwidrigkeit des angeblichen Anspruchs der Mitangeklagten und damit von dessen rechtlicher Undurchsetzbarkeit ausging. Vielmehr ist es nicht fernliegend, daß der Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen nicht dem Zuhälter- und Prostitutiertenmilieu zugehörte, sich aufgrund des Wandels der Moralvorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung für die erstrebte Bereicherung einen rechtsgültigen Anspruch der Mitangeklagten G. vorstellte. Es hätte deshalb der Erörterung der Frage bedurft, ob er nicht nur an den Bestand, sondern irrtümlich auch an die Rechtswirksamkeit der Forderung glaubte. Dafür könnte sprechen, daß seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (ProstG, BGBl I. 3983) am 1. Januar 2002 Ansprüche Prostituierter auf Zahlung des vereinbarten Entgelts für sexuelle Leistungen rechtsgültig sind. Dieser Rechtszustand bestand zwar noch nicht zur Tatzeit im Februar 2001. Jedoch begann sich bereits im Vorfeld des Inkrafttretens dieses Gesetzes die bisherige Rechtsprechung, u.a. des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, des Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen oder Tätigkeiten wegen Verstoßes gegen die Standards der herrschenden Sexualmoral zu modifizieren (vgl. Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November 2001 in NJW 2002, 361 und Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. Februar 2000 in NJW 2000, 2919; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2001 in DVBl 2002, 54). Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, daß sich der Angeklagte in einem Tatbestandsirrtum befand. Daß der Anspruch nach der Vorstellung des Angeklagten mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden sollte, macht den angestrebten Vermögensvorteil nicht rechtswidrig (vgl. BGH StV 2000, 79, 80).

Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen erpresserischen Menschenraubs hat die Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zur Folge (BGHR StPO § 353, Aufhebung 1). Sollte der neue Tatrichter einen Tatbestandsirrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Geldforderung nicht ausschließen können, bliebe der auch auf die erzwungene Herausgabe von Schmuck gestützte Schuldspruch der schweren räuberischen Erpressung davon zwar unberührt, der Schuldumfang wäre jedoch deutlich herabgesetzt.

Externe Fundstellen: NStZ 2002, 481; StV 2002, 426

Bearbeiter: Karsten Gaede