Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 175/01, Beschluss v. 05.09.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 6. Juni 2000, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten, der als Justizvollzugsbediensteter in der JVA H. tätig gewesen war, wegen Körperverletzung im Amt, wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und wegen unerlaubten Besitzes von zwei Würgehölzern zu einer Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen verurteilt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der formelle und sachlich-rechtliche Beanstandungen geltend gemacht werden, hat Erfolg.
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten im ersten Fall wegen Körperverletzung im Amt in der Form eines unechten Unterlassungsdelikts verurteilt. Sie hat festgestellt, daß beim Zudrücken der Zellentüre des Gefangenen W. dessen Unterarm in der Form eingeklemmt wurde, daß die Haut zwischen Türe und Zarge verblieben ist. Obgleich der Angeklagte dieses Einklemmen für möglich gehalten habe, sei er weggegangen und habe den schmerzhaften Zustand nicht sogleich beendet. In der Anklage war dem Angeklagten insoweit vorgeworfen worden, durch aktives Tun den Gefangenen mit Faustschlägen in die Zelle gestoßen und die Türe derart zugeschlagen zu haben, daß die Haut des Armes eingeklemmt worden ist. Auf die Veränderung dieses rechtlichen Gesichtspunktes (Unterlassen statt aktives Tun) hätte nach § 265 Abs. 1 StPO hingewiesen werden müssen (BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 1). Dem erstellten Hauptverhandlungsprotokoll ist ein entsprechender Hinweis nicht zu entnehmen. Nachdem das Unterlassen des Hinweises in der Revisionsbegründung des Angeklagten vom 28. September 2000 gerügt worden war, hat der Vorsitzende am 10. Januar 2001 in einem Vermerk niedergelegt, daß "nach seiner Erinnerung" in der Hauptverhandlung vom 29. Mai 2000 neben dem Hinweis auf die Änderung des Konkurrenzverhältnisses auch ein Hinweis auf die mögliche Verurteilung wegen Unterlassens erteilt worden sei, und hat eine entsprechende Protokollberichtigung veranlaßt.
Durch diese Handhabung kann einer zuvor erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage nicht entzogen werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 11, 12). Ob etwas anderes dann gelten könnte, wenn zweifelsfrei ein vom protokollierten Hergang abweichender Ablauf vorliegt (vgl. 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22), braucht hier nicht entschieden zu werden, da angesichts der Erklärung des damals anwesenden Verteidigers zum Ablauf der Hinweiserteilung am 29. Mai 2000 einerseits und der erst nach mehr als acht Monaten der "Erinnerung nach" vorgenommenen Protokolländerung andererseits von einer zweifelsfreien Sachlage nicht gesprochen werden kann. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Verurteilung in diesem Falle auf dem unterbliebenen Hinweis beruht.
2. Beide Fälle der Körperverletzung im Amt betrifft die fehlerhafte Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf Zuziehung eines Sachverständigen zum Beweis der Tatsache, daß der Gefangene W. wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose im Zusammenhang mit exzessivem Drogenmißbrauch und den ihm in der JVA verabreichten Psychopharmaka nicht zeugentüchtig sei. Die Strafkammer hat diesen Antrag in den Urteilsgründen mit der Begründung abgelehnt, daß sie selbst die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung des Zeugen besitze, da "eine paranoid-halluzinatorische Psychose nicht per se dazu führe, daß ein Zeuge keine zeugentaugliche Auskunftsperson sei" (UA S. 10). Diese Begründung ermöglicht dem Revisionsgericht nicht die Nachprüfung, ob das Tatgericht tatsächlich die erforderliche Sachkunde hatte, dies liegt hier eher fern. Die Strafkammer hat dabei keine näheren Angaben dazu gemacht, ob und wann eine solche Psychose festgestellt worden ist, ob sie ebenfalls vom Vorliegen dieser Erkrankung ausgegangen ist und gegebenenfalls wann und auf welche Weise sich diese ausgewirkt hat. Sie hat sich darüber hinaus auch nicht damit auseinandergesetzt, welchen Einfluß der exzessive Drogenmißbrauch des Zeugen und die in der JVA verabreichten Psychopharmaka im Zusammenhang mit dieser Psychose hatten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in dem Beweisantrag konkret vorgetragen worden war, daß der Zeuge an Halluzinationen leide, Stimmen höre, glaube Jesus zu sein und andere in die Hölle bringen könne u.a., wobei sich diese Beurteilung einer ausgeprägten Psychose aus einem bei den Akten befindlichen Gutachten von Prof. Dr. T. vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule in H. ergibt. Dies ist im Rahmen einer Aufklärungsrüge in der Revisionsbegründung ebenso vorgetragen worden wie der Umstand, daß Beamte der Polizeidirektion H. bei einer Befragung des Zeugen am 29, Juli 1998 zum Ergebnis gelangt waren, dieser komme wegen seines Gesundheitszustandes als Zeuge nicht in Betracht, da er auf konkrete Fragen sich an zeitliche Abläufe und Örtlichkeiten angeblich nicht erinnern könne oder von völlig anderen Dingen spreche.
Die Strafkammer hat den Angeklagten im dritten Fall wegen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über zwei "Würgehölzer" nach § 53 Abs. 3 Nr. 3 WaffG verurteilt, ein vorsätzliches Handeln indes nicht ausreichend begründet.
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte diese Gegenstände nach der Teilnahme an einem Kampfsportlehrgang in Holland vom Lehrgangsleiter als Erinnerungsgeschenk erhalten. Während Würgehölzer (auch Nunchaku genannt) regelmäßig aus zwei Hartholzstäben oder Metallrohren bestehen, die durch Lederriemen, eine Schnur oder eine Kette miteinander verbunden sind (amtliche Begründung, BRDrucks. 74/76 S. 54; vgl. auch BVerwG GewArch 1987, 276, 277) wiesen diese Geräte im Gegensatz dazu keine massiven Griffe, sondern zwei mit 7, bzw. 10 mm starkem Schaumstoff ummantelte Kunststoffrohre auf. Die Strafkammer hat sie nach Anhörung eines Sachverständigen gleichwohl als zum Würgen bestimmte Gegenstände im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 der 1. WaffV eingeordnet, weil sich mit ihnen zwar wegen der Ummantelung die schlagartige Unterbrechung der Blutzufuhr nicht erreichen lassen, ein Drosselungsvorgang aber gleichwohl möglich sei; hinzu komme, daß sie anders als sonstige derartige Trainingsgeräte keine Sollbruchstelle aufwiesen.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, sie nicht für echte Nunchaku, sondern für Trainingsgeräte für Kampfsportler zum Üben der Abwehr gegen entsprechende Angriffe gehalten zu haben. Die Strafkammer hat diese Einlassung, die eine Berufung auf einen Tatbestandsirrtum darstellt, für widerlegt erachtet, weil der Angeklagte als langjähriger Kampfsportler aus der Teilnahme an internationalen Lehrgängen umfassende Kenntnisse auch über die einschlägigen Kampfgeräte habe.
Gerade unter diesem Blickwinkel hätte sie sich mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, daß er diese Gegenstände nach einem Kampfsportlehrgang von dessen Veranstalter als Erinnerungsgeschenk erhalten hatte, was gegen ihre Einstufung durch die Beteiligten als verbotene Würgehölzer spricht. Ferner wäre zu erörtern gewesen, ob die vom Sachverständigen für Trainingsgeräte geforderten Sollbruchstellen auch bei einem ummantelten Kunststoffrohr für den Angeklagten deutlich erkennbar gewesen waren und ob die vom Sachverständigen dem Gericht vermittelten spezifischen Abgrenzungskriterien zwischen dem Waffengesetz unterfallenden Würgegeräten unterschiedlicher Bauweise und entsprechenden Trainingsgeräten tatsächlich Allgemeingut erfahrener Kampfsportler waren, so daß allein aus diesem Umstand auf einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten geschlossen werden konnte.
1. Falls das neu erkennende Tatgericht im ersten Fall erneut zu einer Körperverletzung durch Unterlassen kommen sollte, wird es das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes, wonach der Angeklagte das Einklemmen der Haut für möglich gehalten habe, näher zu begründen haben. Angesichts des Umstandes, daß der Gefangene zunächst die Hand zwischen Türe und Zarge gehalten hatte, um ein Schließen zu verhindern, diese dann jedoch zurückgezogen hat, worauf der Angeklagte die Türe völlig schließen konnte, versteht es sich nicht ohne weiteres, daß der Angeklagte damit gerechnet hat, eine Hautfalte des Arms eingeklemmt zu haben. Der Ausruf des Gefangenen, sein "Arm" sei eingeklemmt, konnte bei wörtlicher Auslegung ("der ganze Arm") vom Angeklagten als unzutreffende Klage aufgefaßt worden sein, da sich dann die Türe nicht hätte schließen lassen. Dafür könnte auch sprechen, daß sich der Angeklagte unmittelbar danach zum Vollzugsabteilungsleiter F. begeben hatte und Meldung über das Randalieren des Gefangenen erstattet hat.
2. Im zweiten Fall wird für den Qualifikationstatbestand des § 340 Abs. 2 Satz 1 StGB a.F. das Tatbestandsmerkmal der lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 223 a Abs. 1 StGB a.F. eingehender darzulegen sein. Für die Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung genügt zwar grundsätzlich deren objektive Eignung, ohne daß der Eintritt einer konkreten Gefahr gegeben sein müßte, doch muß sich die objektive Eignung stets aus der Behandlung nach ihren konkreten Umständen im Einzelfall ergeben (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 2, 3). Daher wird es darauf ankommen, ob eine Lebensgefährlichkeit in diesem Sinne auch bereits bei der vom Angeklagten vorgenommenen kurzzeitigen Anwendung des Würgegriffes gegeben war. Subjektiv muß der Täter dabei die Umstände erkennen, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit ergibt (BGHR aaO Nr. 5),
3. Im dritten Fall wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, die Einordnung der Gegenstände als "Würgehölzer" einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Dabei wird zu beachten sein, daß solche Geräte nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 der 1. WaffV nach ihrer Beschaffenheit und Handhabung dazu bestimmt sein müssen, durch Würgen die Gesundheit zu beschädigen. Die bloße Eignung reicht dazu nicht. Dabei wird zu erörtern sein, daß die - gegenüber üblichen Nunchakus - zusätzliche Ummantelung der Haltegriffe mit Schaumstoff die Würgeeignung wesentlich herabsetzt, was dafür sprechen könnte, daß der Hersteller diese Geräte nicht als Kampf-, sondern als Trainings- oder Dekorationsgegenstände konzipiert hat. Ferner wird zu klären sein, ob die Anbringung von Sollbruchstellen nur bei an sich massiven Griffen aus Holz oder Metall oder auch bei solchen ummantelten Kunststoffrohren üblich ist, wenn sie als Trainingsgeräte eingesetzt werden sollen.
Externe Fundstellen: StV 2002, 183
Bearbeiter: Karsten Gaede