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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2001
2. Jahrgang
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1. Zum Wegfall der Beweiskraft des Protokolls. (BGHR)
2. Die Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne von §§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1 StPO, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGHSt 24, 281). (Bearbeiter)
3. Die Beweiskraft des Protokolls kann entfallen, wenn es an bestimmten inhaltlichen Mängeln leidet. Es kommen in Betracht aus sich selbst nicht lösbare Widersprüche, unerklärliche Auslassungen (Lücken) und Unklarheiten. Um solche offensichtlichen Mängel handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung auch, wenn die Sitzungsniederschrift Vorgänge beurkundet, die sich nach aller Erfahrung so nicht zugetragen haben können. Dabei ist zu beachten, daß das Protokoll einer sich über mehrere Termine erstreckenden Hauptverhandlung eine Einheit bildet. (Bearbeiter)
4. Der Senat kann offen lassen, ob nach Distanzierung der Urkundspersonen vom Inhalt der Sitzungsniederschrift die insoweit weggefallene Beweiskraft des Protokolls nur zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden darf (vgl. BGHSt 4, 364; BGH StV 1988, 45). Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, daß dadurch einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge nicht nachträglich der Boden entzogen werden darf (vgl. BGHSt 2, 125, 127; 10, 145, 147; 34, 11, 12), basiert letztlich auf Erwägungen, die mit dem Grundsatz eines für den Angeklagten fairen Verfahrens zusammenhängen. Fraglich ist allerdings, ob aus dem Gebot des fairen Verfahrens auch folgt, daß das Revisionsgericht sehenden Auges einen Verfahrensvorgang unterstellen muß, der so nicht geschehen ist, nur weil das wirkliche Geschehen sich für den Beschwerdeführer ungünstig auswirkt. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens muß dies jedenfalls dann nicht folgen, wenn der behauptete Verfahrensverstoß in der Sphäre des Angeklagten liegt. (Bearbeiter)
Die Unterzeichnung eines Protokolls ist nicht notwendig räumlich zu verstehen. Die Unterschrift muß sich nicht stets am Ende des zu unterzeichnenden Schriftstücks befinden. Vielmehr kann sie auch an eine andere Stelle des Schriftstücks gesetzt werden, wenn nur sichergestellt ist, daß mit der Unterschrift die Verantwortung für den gesamten Inhalt des Schriftstücks übernommen wird.
Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofes beabsichtigt zu entscheiden: Nebenklage ist auch im Sicherungsverfahren zulässig (Aufgabe von BGHR StPO § 395 Anschlußbefugnis 4).
1. Sofern kein besonderer Vertrauensschutz gemäß dem Fairneßgrundsatz greifen sollte, kommt eine aus § 154 Abs. 2 StPO folgende Sperrwirkung nicht in Betracht, wenn es hierfür an einer wirksamen, ausreichend konkreten Anklageerhebung gefehlt hat (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 - Tat 13).
2. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, daß die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche Tat gemeint ist; die Tat muß sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGHSt 40, 44, 45; 40, 390, 391).
3. Es kann offenbleiben, inwieweit eine frühere Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung bei Hinzutreten erschwerender Umstände Sperrwirkung entfalten kann (vgl. dazu BGH NStZ 1986, 36).
1. Ebensowenig wie zum Nachteil eines Angeklagten nicht dessen anfängliches Schweigen verwertet werden darf (vgl. BGHSt 38, 302, 305 m.w.Nachw.; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 11), darf auch aus der sonstigen Wahrnehmung prozessualer Rechte durch einen Angeklagten grundsätzlich kein ihm nachteiliger Schluß gezogen werden (BGHSt 45, 367).
2. Bei dem zur Sache schweigenden Angeklagten darf nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden, daß er einen Alibibeweisantrag erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgebracht hatte. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß bei der Würdigung des daraufhin erhobenen Beweises durchaus in Rechnung gestellt werden durfte, daß die entlastende Aussage der Freundin des Angeklagten auf diese Weise erst während des Laufs der Hauptverhandlung zustande gekommen war und es der Zeugin ermöglichte, ihre Aussage auf das bisherige Beweisergebnis abzustimmen (vgl. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21).
1. Ein Gerichtsbeschluß gemäß § 247 Satz 1 StPO ist für eine informatorische Befragung der Zeugin nicht erforderlich, wenn die informatorische Befragung nur der Prüfung diente, ob eine Vernehmung der Zeugin in Anwesenheit des Angeklagten stattfinden konnte. Da diese Befragung auch im Wege des Freibeweises außerhalb der Hauptverhandlung hätte erfolgen können, erstreckte sich die Abwesenheit des Angeklagten auf keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGHR StPO § 247 Anwesenheit 17).
2. Da in einer solchen informatorischen Befragung eine Vernehmung im Sinne des § 247 Satz 1 StPO nicht zu sehen ist, mußte der Angeklagte über ihr Ergebnis auch nicht förmlich gemäß § 247 Satz 4 StPO unterrichtet werden.
3. Der Schutz des Vertrauens in Terminsankündigungen wird vom Öffentlichkeitsgrundsatz nicht umfaßt (vgl. BGH StV 1984, 146). Der ungestörte und zügige Ablauf des Verfahrens ist ebenso wichtig wie die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der zeitweise Ausschluß des Angeklagten stets durch förmlichen Gerichtsbeschluß anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; BGHSt 22, 18, 20). Die Begründung muß zweifelsfrei ergeben, daß das Gericht von zulässigen Erwägungen ausgegangen ist (BGH NStZ 1999, 419, 420). Eine nähere Begründung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil sämtliche Beteiligten mit der Anordnung einverstanden waren. Der Angeklagte kann nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; BGHSt 22, 18, 20).
2. Die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ist nicht bereits dann zulässig, wenn ein Zeuge sich in Gegenwart des Angeklagten befangen fühlt und daher den Wunsch äußert, in dessen Abwesenheit aussagen zu dürfen (vgl. BGHSt 22, 18, 21; BGH NStZ 1999, 419, 420).
3. Nach der Rechtsprechung ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, wenn wegen der unvollständigen oder unzureichenden Begründung zweifelhaft bleibt, ob das Gericht von zulässigen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist (BGHR StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 1 und 2; BGHSt 22, 18, 20; 15, 194, 196).
4. Die Voraussetzungen des § 247 StPO unterliegen nicht der Disposition der Verfahrensbeteiligten (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; § 338 Nr. 5 Angeklagter 10, 18). Anderes kann gelten, wenn zureichende Anhaltspunkte für ein gezielt auf die - vorsorgliche - Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes Verhaltens vorliegen, das Anlaß zur Prüfung geben könnte, ob dadurch in einer den Angeklagten zurechenbaren Weise die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen (rechtsmißbräuchlichen) Verhaltens beeinflußt sein könnte (vgl. dazu BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1 m.w.Nachw.).
5. Vom Sachverständigen ermittelte Zusatztatsachen müssen stets im Wege des Zeugenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt werden (BGHSt 18, 107, 108 f.).
Hatte eine Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und dem Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand, berührt dies die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts noch nicht. Ein absprachegemäß erklärter Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich selbst dann wirksam, wenn die zugrundeliegende Absprache unzulässig war (vgl. u. a. BGH NStZ 1997, 611; 2000, 386).
1. Eine Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge ist in der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen für zulässig erachtet worden, etwa wenn dem Verteidiger bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung keine Akteneinsicht gewährt oder das Sitzungsprotokoll nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wurde oder bei einer zu Protokoll erklärten Revisionsbegründung der Rechtspfleger entgegen dem Begehren des Angeklagten den Inhalt von ihm vorgelegter Schriftstücke nicht in die Revisionsbegründung aufgenommen hat (BGH NStZ 1984, 418; 1985, 492 f.; 1992, 292 f.).
2. Eine Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ein vom Anwalt nicht erkannter Fehler einer Kanzleiangestellten ausgeglichen werden soll.