HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2001
2. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 2 StR 276/01 - Urteil vom 26. August 2001 (LG Wiesbaden)

Vergewaltigung (in der Ehe); Verwendung eines anderen gefährlichen Werkzeugs; Minder schwerer Fall (Gesamtwürdigung); Strafzumessung (Kulturbedingt geringere Hemmschwelle)

§ 177 StGB; § 46 StGB

1. Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle so sehr abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98; BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 1, 5, 6). Dabei obliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, welches Gewicht er den einzelnen Milderungsgründen im Verhältnis zu den Erschwerungsgründen beimißt; seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 8).

2. Bei der Prüfung eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 StGB kann das Gericht eine langjährige eheliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer berücksichtigen.

3. Das Gericht darf strafmildernd werten, daß der Angeklagte zur Begehung der Tat infolge seines anderen Kulturkreises (Islam, dessen Rollenverständnis der Frau) eine geringere Hemmschwelle zu überwinden hatte.

4. Will der Tatrichter im Fall der Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 4 StGB einen minder schweren Fall nach Absatz 5 annehmen, muß er dann, wenn zugleich ein Regelbeispiel nach Absatz 2 gegeben ist, berücksichtigen, daß Absatz 2 einen schärferen Strafrahmen als Absatz 5 2. Halbsatz vorsieht. Kommt er daher zum Strafrahmen des Absatzes 5, so hat er die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB zu beachten, wenn dieser Strafrahmen ohne das Vorliegen der Qualifikation nach Absatz 4 gegeben wäre, da nur so Wertungswidersprüche vermieden werden können (BGH NStZ 2000, 419).

5. Das Vorliegen eines Regelbeispiels nach Absatz 2 schließt die Annahme einer Strafrahmenuntergrenze von einem Jahr nach Abs. 5 2. Halbsatz nicht grundsätzlich aus, vielmehr können gewichtige schuldmindernde Umstände auch die Abweichung von der in Absatz 2 vorgesehenen Strafuntergrenze rechtfertigen.


Entscheidung

BGH 3 StR 234/01 - Beschluß vom 18. Juli 2001 (LG Mönchengladbach)

Körperverletzung mit Todesfolge; Strafschärfung wegen besonderer Pflichtwidrigkeit (der Tathandlung mit unkontrollierbaren Folgen; Erhöhte Handlungsintensität); Nachtatverhalten und Verteidigungsverhalten; Mißhandlung einer Schutzbefohlenen

§ 227 StGB; § 46 StGB; § 225 StGB

Es darf dem Täter nicht angelastet werden, daß er versucht, sich der Strafverfolgung zu entziehen (vgl. BGHR StGB § 46 II Nachtatverhalten 13, 17). Anders verhält es sich indessen, wenn der Täter dadurch neues Unrecht schafft oder er mit seinem Verhalten weitere Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (BGH NStZ-RR 1997, 99, 100 m.w.Nachw.).


Entscheidung

BGH 3 StR 283/01 - Beschluß vom 6. September 2001 (LG Wuppertal)

Strafzumessung; Unzulässige Strafschärfung auf Grund von zulässigem Verteidigungsverhalten

§ 46 Abs. 2 StGB

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes darf ein Prozessverhalten, das sich im Rahmen einer zulässigen Verteidigungsstrategie hält, dem Angeklagten nicht strafschärfend angelastet werden, weil dadurch sein Recht, sich zu verteidigen, mittelbar in Frage gestellt werde (BGH wistra 1988, 303). Das gilt nicht nur für das Leugnen der Tat, sondern auch, wenn der Angeklagte versucht, die Tat in einem wesentlich milderen Licht darzustellen. Anders kann es liegen, wenn das Prozessverhalten des Angeklagten (z.B. Anpassung der Einlassung an die jeweilige Beweislage) auf einer rechtsfeindlichen Gesinnung beruht (BGH StV 1999, 657).


Entscheidung

BGH 4 StR 154/01 - Urteil vom 12. Juli 2001 (LG Dortmund)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Aussetzung der Vollstreckung einer Maßregel zur Bewährung (Besondere Umstände); Führungsaufsicht; Einstweilige Unterbringung des Beschuldigten; Maßgeblicher Prognosezeitpunkt

§ 63 StGB; § 67b Abs. 1 StGB; § 68a StGB; § 126a StPO

1. Als ein für die Anordnung der Maßregel erforderlicher Umstand kann die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit als solche nicht zugleich hinreichender Grund für die Versagung der Aussetzung des Vollzugs zur Bewährung sein.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung ist der der tatrichterlichen Hauptverhandlung ist.


Entscheidung

BGH 1 StR 139/01 - Urteil vom 8. August 2001 (LG Stuttgart)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Aufdrängung einer Prüfung); Hang

§ 64 StGB

1. Eine einen Hang im Sinne des § 64 StGB begründende, ausgeprägte Betäubungsmittelabhängigkeit ist zwar nicht nur bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit gegeben. Vielmehr genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4). Erforderlich ist jedoch ein Mißbrauch, der den Grad psychischer Abhängigkeit erreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur: BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1 und 5).

2. Achtete der Angeklagte darauf, nicht in eine gravierende Abhängigkeit zu geraten, und gelang es ihm aus eigenem Antrieb ohne erhebliche fremde Hilfe innerhalb kurzer Zeit, den Drogenkonsum aufzugeben, spricht wenig dafür, dass die Neigung des Angeklagten zu Drogen die erforderliche Intensität aufweist. Diese Umstände deuten darauf hin, daß der Angeklagte noch in der Lage war, kontrolliert mit Betäubungsmitteln umzugehen (vgl. BGH NJW 1995, 3131, 3133).

3. Allein der Wunsch nach einer ambulanten Drogentherapie läßt nicht auf ein weiter bestehendes süchtiges Verhalten schließen.