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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 13

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 323/22, Beschluss v. 17.11.2022, HRRS 2023 Nr. 13


BGH 1 StR 323/22 - Beschluss vom 17. November 2022 (LG Göttingen)

Hinterziehung von Tabaksteuer (Einziehungsbetroffener: konkludenter Zusammenschluss mehrerer Täter zu einer Personengesellschaft, keine Vervielfältigung der ersparten Aufwendungen, keine Weiterleitung ersparter Aufwendungen).

§ 370 Abs. 1 AO; § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 TabStG; § 73 Abs. 1 StGB, § 73b Abs. 2 StGB, § 73c StGB, § 40 AO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Schließen sich mehrere Personen für die Produktion von Tabakprodukten (konkludent) zu einer Personengesellschaft zusammen, so ist die Personengesellschaft als „Herstellerin“ Steuerschuldnerin der hinsichtlich der anfallenden Tabaksteuer. Die Anordnung der Wertersatzeinziehung wegen ersparter Aufwendungen durch das Verkürzen von Steuern ist dann auch gegen sie als Dritteinziehungsbeteiligte zu richten. Dem steht es nicht entgegen, wenn die Gesellschaft ausschließlich einen strafbaren Geschäftszweck verfolgte; die Illegalität führt nicht dazu, dass die Gesellschaft verbrauchsteuer- und nachfolgend einziehungsrechtlich zu ignorieren wäre (vgl. § 40 AO).

2. Dass im Falle der Hinterziehung von Tabaksteuer jeder Täter als „an der Herstellung beteiligte Person“ ebenfalls Schuldner der Tabaksteuer war (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG;), sich damit selbst Tabaksteuer ersparte und Gesamtschuldnerschaft nicht nur untereinander, sondern auch mit der Gesellschaft besteht (§ 15 Abs. 5 TabStG), ändert nichts an der Beschränkung der - durch eine gegenständliche Betrachtungsweise geprägten - Abschöpfung auf das Vermögen der Gesellschaft. Mit der Inanspruchnahme ist die Steuerersparnis zugleich „verbraucht“; sie kann nicht „vervielfältigt“ werden.

3. § 73b Abs. 2 StGB ist der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der geldwerte Vorteil in Form einer Ersparnis mangels Gegenständlichkeit einziehungsrechtlich nicht weitergereicht werden kann, auch nicht im Anwendungsbereich der § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 5. April 2022 im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben; die Einziehung entfällt. Die im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten und die jeweils angefallene Gerichtsgebühr, welche die Einziehung betreffen, trägt die Staatskasse.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

3. Jeder Angeklagte hat die weiteren Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten - unter Teileinstellung des Verfahrens im Übrigen mangels insoweit wirksamer Anklagen - jeweils wegen Steuerhinterziehung verurteilt, und zwar den Angeklagten E. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie den Angeklagten A. zu einer solchen von zwei Jahren. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat das Landgericht jeweils gegen beide Angeklagte in Höhe der ersparten Tabaksteuer die Einziehung des Wertes von Taterträgen mit einem Betrag von 73.019 € angeordnet. Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts - der Angeklagte E. zudem die Verletzung formellen Rechts - beanstanden, haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts mietete der gesondert Verfolgte A. in einer stillgelegten Zementfabrik in H. Anfang Februar 2018 mehrere Räume an, um dorthin die mit dem Angeklagten E. in G. betriebene Produktionsstätte zu verlegen und ab März 2018 arbeitsteilig mit beiden Angeklagten ohne Erlaubnis Wasserpfeifentabak herzustellen. A. und der Angeklagte E. verbrachten daher die Maschinen in die Fabrik. Dem Angeklagten E. kam vornehmlich die Aufgabe zu, die zur Produktion erforderlichen Materialien zu beschaffen. Der Angeklagte A. hatte den Rohtabak mittels einer Maschine zu zerschneiden, mittels zweier Betonmischer Glycerin und Aromastoffe beizumengen sowie den derart hergestellten Wasserpfeifentabak in 250 Gramm-Tüten und 1 Kilogramm-Eimern versandfertig zu verpacken. Zudem veräußerte der Angeklagte A. den Wasserpfeifentabak insbesondere als Sorten „N.“ sowie“ F.“ und vereinnahmte daraus Bargelder in Höhe von insgesamt 31.800 € (UA S. 27); in Einzelfällen nahm der Angeklagte E. die Kaufpreisgelder entgegen, und zwar insgesamt 26.000 €. Insgesamt veräußerten die Angeklagten im Tatzeitraum 3.319,5 Kilogramm Wasserpfeifentabak; die aus dem Handel erzielten Gewinne teilten sie zusammen mit A. unter sich auf. Entgegen der ihnen bekannten Pflicht verwendeten die Angeklagten weder Steuerzeichen noch gaben sie Tabaksteuererklärungen ab und verkürzten hierdurch Tabaksteuer in Höhe von 73.029 €, die in Höhe von 73.019 € unbeglichen ist. Am 5. Juni 2018 wurden weitere 3.339 Kilogramm versandfertiger Wasserpfeifentabak in der Fabrik und in der Garage des Angeklagten E. sichergestellt; die hierfür festgesetzte Tabaksteuer in Höhe von 73.458 € entrichtete der Angeklagte E. .

2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.

a) Schuld-und Strafausspruch weisen allerdings keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die die Verurteilung tragenden Vorschriften sind indes § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 3, § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2, Abs. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 TabStG aF, § 4 Abs. 3 TabStV aF und nicht - wie vom Landgericht angenommen - § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2022 - 1 StR 470/21 Rn. 13-18). Die Angeklagten hätten sich hiergegen nicht effektiver als geschehen verteidigen können (§ 265 Abs. 1 StPO). Der Angeklagte E. war bereits durch die Einrichtung der Produktionsstätte an der unerlaubten Herstellung des Wasserpfeifentabaks beteiligt.

Auch die Annahme von Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn Einzelhandlungen, die bestimmten und voneinander abgrenzbaren Herstellungsvorgängen zuzuordnen wären, sind nicht (mehr) tragfähig feststellbar. Dass das Landgericht bereits deswegen das Regelbeispiel der Bandenmäßigkeit (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO) nicht als erfüllt angesehen hat, beschwert die Angeklagten nicht.

b) Die Einziehungsanordnung (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) hat keinen Bestand.

aa) Die Angeklagten hatten sich, was das Landgericht verkannt hat, (konkludent) zu einer offenen Handelsgesellschaft zum gemeinsamen Handel mit unversteuertem Wasserpfeifentabak (§ 105 Abs. 1, 2, § 1 Abs. 2 HGB), jedenfalls zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen. Im Vermögen dieser Gesellschaft, die als „Herstellerin“ Steuerschuldnerin war (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 TabStG), schlug sich die Tabaksteuerersparnis nieder. Eine Einziehungsanordnung wäre daher gegen diese Gesellschaft als Dritteinziehungsbeteiligte (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, § 105 Abs. 1, 3 HGB, § 718 BGB § 424 Abs. 1 StPO) zu richten gewesen (vgl. zur Umsatz- bzw. auch Gewerbesteuer: BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2022 - 1 StR 106/22 Rn. 14 und vom 16. September 2020 - 1 StR 275/20 Rn. 23; Urteil vom 10. Juli 2019 - 1 StR 265/18 Rn. 56; je mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. August 2021 - 1 StR 399/20 Rn. 38: „Verselbständigung“ des Vermögens einer Personen- oder Personenhandelsgesellschaft; vgl. zudem zu einer Einzelfirma: BGH, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 1 StR 127/21 Rn. 16-18, 26); ihre Ladung zum Hauptverhandlungstermin hätte durch Zustellung an einen der Angeklagten als geschäftsführendem Gesellschafter bewirkt werden können (§ 429 Abs. 1 Halbsatz 1, Abs. 2, 3, § 37 Abs. 1 StPO, § 170 ZPO; vgl. zu § 170 ZPO: BGH, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 148/14 Rn. 27).

bb) Dass jeder Angeklagte als „an der Herstellung beteiligte Person“ ebenfalls Schuldner der Tabaksteuer war (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG; vgl. zum Geschäftsführer eines Unternehmens: FG Hamburg vom 14. Juli 2016 - 4 V 111/16 Rn. 21), sich damit selbst Tabaksteuer ersparte und Gesamtschuldnerschaft nicht nur untereinander, sondern auch mit der Gesellschaft besteht (§ 15 Abs. 5 TabStG), ändert nichts an der Beschränkung der - durch eine gegenständliche Betrachtungsweise geprägten - Abschöpfung auf das Vermögen der Gesellschaft. Dies liegt an der einziehungsrechtlich gebotenen strikten Trennung von Gesellschaftsvermögen auf der einen und dem Privatvermögen der Gesellschafter auf der anderen Seite sowie an der Besonderheit des Vermögensvorteils in Form der ersparten Aufwendungen: Mit der Inanspruchnahme ist die Steuerersparnis zugleich „verbraucht“ (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 36/17, BGHR StGB § 73 Erlangtes 29 Rn. 19; Beschluss vom 19. Mai 2022 - 1 StR 405/21 Rn. 7); sie kann nicht „vervielfältigt“ werden. Zudem ist § 73b Abs. 2 StGB der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der geldwerte Vorteil in Form einer Ersparnis mangels Gegenständlichkeit einziehungsrechtlich nicht weitergereicht werden kann, auch nicht im Anwendungsbereich der § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2022 - 1 StR 187/22 Rn. 5 mwN; vgl. auch die deswegen erforderliche Erstreckung der Geldwäschevorschriften des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB [„Gegenstand“] auf die bei einer gewerbs- oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen in § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB aF). Nach alledem ist unerheblich, dass die Angeklagten als geschäftsführende (§ 34 Abs. 1 AO) und am Gewinn beteiligte Gesellschafter - anders als etwa ein an der Veräußerung nicht beteiligter Fahrer eines Lastkraftwagens mit unversteuerten Zigaretten (dazu BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18, BGHSt 64, 146 Rn. 19 f. und vom 12. Februar 2020 - 1 StR 344/19 Rn. 23; Beschlüsse vom 8. August 2019 - 1 StR 679/18 Rn. 8 f. und vom 23. Mai 2019 - 1 StR 479/18 Rn. 10) - durchaus wirtschaftlich betrachtet die Ersparnis im Ergebnis jeweils anteilig über die Veräußerungen in ihrem Privatvermögen realisierten. Auch die Tabaksteuerersparnis ist gesamthänderisch gebunden.

cc) Schließlich steht der Abschöpfung zulasten der Gesellschaft nicht entgegen, dass diese ausschließlich einen strafbaren Geschäftszweck verfolgte; die Illegalität führt nicht dazu, dass die Gesellschaft verbrauchsteuer- und nachfolgend einziehungsrechtlich zu ignorieren wäre (vgl. § 40 AO; vgl. zu Gewinnen aus Betäubungsmittelhandel, die die Mitunternehmer einer „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ ihrer jeweiligen Einkommensteuer zu unterwerfen haben: BFH, Urteil vom 6. April 2000 - IV R 31/99, BFHE 192, 64). Denn sie war Inhaberin des - illegalen (vgl. § 6 TabStG) - Gewerbebetriebs und damit taugliches Einziehungssubjekt.

dd) Die Einziehung kann schließlich - ungeachtet der konkreten Fassung der Anklagesätze - nicht auf die vereinnahmten Bargelder aus dem Abverkauf des Wasserpfeifentabaks gestützt werden.

(a) Gegenstand der steuerstrafrechtlichen Verurteilung sind die durch das Unterbleiben des gebotenen Festsetzungs- bzw. Entrichtungsverfahrens erzielten Steuerersparnisse, nicht aber die Veräußerungserlöse. Auf solche könnte innerhalb der §§ 370 ff. AO nur aufgrund der - hier nicht einschlägigen - Strafvorschrift der Steuerhehlerei (§ 374 AO) zugegriffen werden (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 22. September 2022 - 1 StR 233/22 Rn. 20). Die Angeklagten erwarben steuerfrei Rohtabak; erstmals durch ihre Produktion entstand Tabaksteuer.

(b) Auch mit dem Strafgesetz der (Selbst-)Geldwäsche (§ 261 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 4 Buchst. b) Variante 3, Satz 3 Variante 1: „gewerbsmäßige“ Begehungsweise der Steuerhinterziehung [§ 370 AO] StGB aF) lässt sich die Einziehung nicht rechtfertigen. In materiellrechtlicher Hinsicht sind weder die Voraussetzungen des § 261 Abs. 9 Satz 3 StGB aF, namentlich die Unkenntnis der Abnehmer von der Illegalität der Herstellung des Wasserpfeifentabaks und damit von der rechtswidrigen Ersparnis der Tabaksteuer, festgestellt (vgl. zur Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 261 Abs. 9 Satz 3 StGB aF auf die Fälle des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB aF: BGH, Beschluss vom 27. November 2018 - 5 StR 234/18, BGHSt 63, 268 Rn. 16 mN) noch greift die Rechtsfolge des § 261 Abs. 7 Satz 1 StGB aF ein, da die vereinnahmten Bargelder nicht mehr gegenständlich vorhanden sind (vgl. auch § 261 Abs. 10 Satz 3 StGB nF). In prozessualer Hinsicht steht dem Umstellen des Einziehungsgrundes das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) entgegen, da die Anschlusstat gegenüber der Vortat der Steuerhinterziehung bereits sachlichrechtlich eine andere Tat (§ 53 StGB) wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2022 - 4 StR 403/21 Rn. 7; vom 8. Februar 2022 - 3 StR 374/21 Rn. 7; vom 16. September 2021 - 2 StR 51/21 Rn. 7 und vom 22. Oktober 2019 - 1 StR 434/19 Rn. 8; je mwN).

c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4, § 465 Abs. 2 StPO analog (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20 Rn. 6 ff. und vom 6. Oktober 2021 - 1 StR 311/20 Rn. 9 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 13

Bearbeiter: Christoph Henckel