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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 446

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 403/21, Beschluss v. 16.02.2022, HRRS 2022 Nr. 446


BGH 4 StR 403/21 - Beschluss vom 16. Februar 2022 (LG Dortmund)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bewertungseinheit); Einziehung des Wertes von Taterträgen (fehlerhafte Berechnung).

§ 29 BtMG; § 30 BtMG; § 30a BtMG; § 73c StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Juni 2021 geändert

a) im Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte - unter Freispruch im Übrigen - des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 83 Fällen schuldig ist,

b) im Strafausspruch dahin, dass die in den Fällen II.84.-93. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen entfallen,

c) im Einziehungsausspruch dahin, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.923 Euro angeordnet wird und die darüber hinausgehende Einziehung entfällt.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, „gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre“ und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 93 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Auf die Sachrüge hat das Rechtsmittel den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Fällen II.84.-93. der Urteilsgründe hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen des Landgerichts veräußerte der Angeklagte zwischen dem 1. April und dem 4. Dezember 2020 bei insgesamt 93 Gelegenheiten jeweils geringe Mengen Marihuana an drei Abnehmer (Fälle II.1.-93. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat dies als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 93 Fällen gewertet. Die Verkaufsgeschäfte seien nicht zu einer Bewertungseinheit verbunden, denn es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, dass die Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge vorgenommen worden seien.

Diese Erwägung begegnet hinsichtlich der Fälle II.84.-93., die zehn Verkäufe „an nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 4. Dezember 2020 mindestens alle zwei Tage“ zum Gegenstand haben, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn nach den Feststellungen zu Fall II.95. der Urteilsgründe erwarb der Angeklagte innerhalb dieses Zeitraums, am 16. November 2020, 740 Gramm Marihuana zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs. Soweit die Verkäufe in den Fällen II.84.-93. der Urteilsgründe nach diesem Zeitpunkt stattfanden, was das Landgericht hinsichtlich keines der zehn Fälle auszuschließen vermochte, liegt es nahe, dass die verkauften Betäubungsmittel aus der am 16. November 2020 erworbenen Menge stammten. Das Landgericht hätte daher zugunsten des Angeklagten eine Bewertungseinheit zwischen dem Fall II.95. der Urteilsgründe und den ihm nachfolgenden Verkaufsgeschäften, mithin - wie ebenfalls zugunsten des Angeklagten anzunehmen war - den Fällen II.84.-93. der Urteilsgründe annehmen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 - 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227 mwN).

Der Senat ändert daher, um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich ab. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte auch bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung des Tatgeschehens nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

2. Die Schuldspruchänderung hat den Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II.84.-93. in Höhe von jeweils einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe zur Folge. Dies führt nicht zu einer Änderung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat schließt angesichts der Einsatzstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und verbleibenden Einzelstrafen von zweimal sechs Jahren und sechs Monaten, einmal zwei Jahren und neun Monaten sowie 83-mal einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe aus, dass das Landgericht bei zutreffender Bewertung des Konkurrenzverhältnisses [die den Unrechtsund Schuldgehalt des Tuns des Angeklagten unberührt lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 4 StR 582/19 mwN)] zu einer milderen Gesamtstrafe gelangt wäre.

3. Schließlich hält auch die Einziehungsentscheidung des Landgerichts der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht vollständig stand. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, hat das Landgericht bei der Berechnung des einzuziehenden Wertes der Taterträge - offenbar versehentlich - Verkaufserlöse zugrunde gelegt, die in den Fällen II.1.-40. der Urteilsgründe um jeweils fünf Euro über den insoweit festgestellten Beträgen liegen. Der Gesamtbetrag der Einziehung des Wertes von Taterträgen ist daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO um 200 Euro zu reduzieren. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist der Abzugsbetrag nicht deshalb um 50 Euro zu verringern, weil das Landgericht seiner Einziehungsentscheidung hinsichtlich weiterer zehn Fälle - offenbar ebenfalls versehentlich - jeweils fünf Euro geringere Veräußerungserlöse zugrunde gelegt hat als festgestellt. Eine derartige Verrechnung der zu Unrecht eingezogenen Taterträge mit festgestellten, aber bei der Einziehung unberücksichtigt gebliebenen Taterträgen kommt auf die Revision des Angeklagten nicht in Betracht. Ihr steht das auch die Einziehungsentscheidung umfassende, tatbezogen zu prüfende Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2021 - 2 StR 51/21 mwN).

4. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils nicht ergeben.

5. Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 446

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß