hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 880

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 187/22, Beschluss v. 22.08.2022, HRRS 2022 Nr. 880


BGH 1 StR 187/22 - Beschluss vom 22. August 2022 (LG Stuttgart)

Einziehung (Einziehung von Zahlungen durch die Tat bereicherter Dritter an den Täter als Tatertrag: kausaler Zurechnungszusammenhang).

§ 73 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Für die Einziehung von Zahlungen durch die Tat bereicherter Dritter an den Täter nach § 73 Abs. 1 StGB genügt ein kausaler und mittelbarer Zurechnungszusammenhang zwischen Tat und Zahlung.

Entscheidungstenor

1. Das Verfahren gegen die Angeklagte wird in den Fällen 8 bis 193 der Gründe des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 10. Januar 2022 eingestellt; insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

2. Auf die Revision der Angeklagten wird das vorgenannte Urteil, soweit es diese Angeklagte betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte des Betrugs in fünf Fällen und des versuchten Betrugs in zwei Fällen schuldig ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und mit den zugehörigen Feststellungen in der Einziehungsanordnung aufgehoben.

3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in fünf Fällen, wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 176 Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer anderen Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 96.286,12 € angeordnet. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat nach Verfahrensteileinstellung mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren eingestellt (§ 154 Abs. 2, 1 Nr. 1 StPO), soweit die Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 AO; § 41a EStG) verurteilt worden ist. Die vom Generalbundesanwalt aufgezeigten Feststellungsmängel in der Berechnungsdarstellung hätten voraussichtlich eine neue Hauptverhandlung erfordert; der Schwerpunkt des Verfahrens liegt indes in den Betrugstaten.

2. Der Wegfall von 186 Einzelgeldstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Hingegen haben die in den sieben Betrugsfällen verhängten Einzelfreiheitsstrafen Bestand. Der Senat schließt aus, dass die Straffindung in diesen gänzlich anders gelagerten und bereits vom Schadensumfang mit Beträgen zwischen über 129.000 € und über 560.000 € her deutlich gewichtigeren Fällen des unberechtigten Erschleichens von Kurzarbeitergeldern von der Strafzumessung in den eingestellten Fällen beeinflusst worden sein könnte. Aus diesen sieben Einzelstrafen und den 34 Einzelgeldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 9. Dezember 2021 hat das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht eine neue Gesamtstrafe zu bilden. Neue Feststellungen hierzu können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

3. Die auf § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB gestützte Einziehungsanordnung, mit der vom Firmen- auf das Privatkonto der Angeklagten überwiesene Beträge abgeschöpft werden sollen, begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Insoweit hat das Landgericht bereits nicht bedacht, dass die durch das Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer erzielten Ersparnisse allein im Vermögen der D. GmbH anfielen und bei dieser als Dritteinziehungsbeteiligter (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) abzuschöpfen gewesen wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2021 - 1 StR 133/21 Rn. 9 und vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 33 Rn. 10-13). Als Täterin unterfällt die Angeklagte bereits nicht dem Anwendungsbereich des § 73b Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2021 - 1 StR 133/21 Rn. 9 und vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19, BGHR StGB § 73b Abs. 1 Dritteinziehung 1 Rn. 17); zudem werden Ersparnisse mangels Gegenständlichkeit nicht von § 73b Abs. 2 StGB erfasst und können damit nicht im einziehungsrechtlichen Sinn weitergereicht werden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19 Rn. 155-157; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Mai 2022 - 1 StR 405/21 Rn. 7; insoweit a.A. - nicht tragend: BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2021 - 1 StR 133/21 Rn. 9 und vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19 BGHR § 73b Abs. 1 Dritteinziehung 1 Rn. 17 mwN zum alten Abschöpfungsrecht nach §§ 73 ff. StGB aF). Zudem bedingt die Verfahrensteileinstellung die Aufhebung der Einziehungsanordnung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2022 - 4 StR 133/22 Rn. 8; vom 26. Oktober 2021 - 5 StR 327/21 Rn. 4 und vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18 Rn. 13; Urteil vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21 Rn. 16 f.).

b) Die Abschöpfung von aus Straftaten vereinnahmten Beträgen, die nicht mit dem Geschäftsführergehalt der Angeklagten im Zusammenhang stehen, kann nach alledem nur auf die im Zeitraum vom 9. April 2020 bis zum 7. August 2020 vollendeten Betrugstaten (§ 263 Abs. 1 StGB) gestützt werden. Ob und welche der 33 Einzelüberweisungen vom Firmen- auf das Privatkonto der Angeklagten mittels der zuvor betrügerisch erlangten Kurzarbeitergelder finanziert wurden, bedarf der neuen tatrichterlichen Aufklärung und Bewertung; insoweit genügt ein kausaler und mittelbarer Zurechnungszusammenhang (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. Juli 2021 - 1 StR 519/20 Rn. 100 und vom 28. November 2019 - 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234 Rn. 31 f., 34 f.; Beschluss vom 28. Juli 2021 - 1 StR 506/20 Rn. 26). Dabei wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht insbesondere in den Blick zu nehmen haben, dass nach den bisherigen Feststellungen die D. GmbH ohne die betrügerisch vereinnahmten Kurzarbeitergelder zahlungsunfähig gewesen wäre (UA S. 22). Um in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat vorsorglich die bisherigen, die der Einziehung zugrunde liegen, auf (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 880

Bearbeiter: Christoph Henckel