hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 270

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 36/17, Beschluss v. 23.01.2018, HRRS 2018 Nr. 270


BGH 1 StR 36/17 - Beschluss vom 23. Januar 2018

Ablehnung eines Befangenheitsantrags als unbegründet (Besorgnis der Befangenheit).

§ 24 StPO

Entscheidungstenor

Die Ablehnungsgesuche des Angeklagten vom 7. Januar 2018 gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff wegen Besorgnis der Befangenheit werden als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. Januar 2018 hat der Angeklagte sämtliche Mitglieder des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dieses Befangenheitsgesuch im Wesentlichen darauf gestützt, dass eine Bearbeitung des Verfahrens seit Eingang am 4. Mai 2017 beim Bundesgerichtshof - auch in Anbetracht der Inhaftierung des Angeklagten - nicht erfolgt sei. Weder dem Verteidiger noch dem Angeklagten sei bekannt, wer das Verfahren bearbeite, sodass sich das Befangenheitsgesuch gegen sämtliche Richter des Senats richte.

Aus Sicht des Angeklagten stelle sich die Situation so dar, dass die abgelehnten Richter die Revision des Angeklagten zwar am 4. Mai 2017 zur Kenntnis genommen und sowohl den Gegenstand des Urteils wie den Inhalt der Angriffe erfahren, gleichwohl bis zum 13. Dezember 2017 auch in Kenntnis der Inhaftierung des Angeklagten nicht daran gearbeitet hätten. Zur Begründung dieser Sicht weist das Ablehnungsgesuch insbesondere darauf hin, dass der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erstmals am 13. Dezember 2017 „ein Lebenszeichen“ von sich gegeben habe, als die Berichterstatterin, die abgelehnte Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff, ein Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten E. beantwortet habe, das bereits vom 18. Mai 2017 datiere. In diesem Schreiben habe die Berichterstatterin mitgeteilt, dass derzeit nicht beabsichtigt sei, über die Revision des Mitangeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden, und dass eine erste Beratung der Sache im Senat für die 2. Kalenderwoche 2018 vorgesehen sei. Aufgrund einer schriftlichen Anfrage des Angeklagten vom 13. Dezember 2017 habe dann Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff dem Verteidiger mitgeteilt, dass derzeit nicht beabsichtigt sei, über die Revision des Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden. Sie habe weiterhin mitgeteilt, dass eine erste Beratung der Sache im Senat gemeinsam mit der Revision des Mitangeklagten für die 2. Kalenderwoche 2018 vorgesehen sei.

Weiterhin wird in dem Ablehnungsgesuch vorgetragen, dass den Verteidiger des Angeklagten am 29. Dezember 2017 die Anfrage des Vorsitzenden des 4. Strafsenats des Kammergerichts an den - ebenfalls abgelehnten - Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum erreicht habe, in der im Hinblick auf dort anhängige Haftbeschwerden binnen zwei Wochen um die Übermittlung einer dienstlichen Stellungnahme während der Anhängigkeit des Revisionsverfahrens gebeten werde, weil dort die diesbezüglichen Erkenntnisse nicht vorlägen, die aber zur Entscheidung über die Haftbeschwerden erforderlich seien. Dieses Schreiben mache deutlich, dass der Vorsitzende des 4. Strafsenats des Kammergerichts seine Entscheidung verzögern wolle bis entweder die Zurückweisung der Revision erfolgt sei oder der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs sich zu der Verzögerung der Bearbeitung der Revision geäußert habe. Bis zur Einreichung des Ablehnungsgesuchs am 7. Januar 2018 sei ihm weder eine Haftentscheidung noch eine Beantwortung dieses Schreibens durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum bekannt geworden.

In einem Schreiben vom 22. Januar 2018 teilt der Verteidiger des Angeklagten mit, dass das Befangenheitsgesuch gegen die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff ausdrücklich auch auf den Umstand gestützt werde, dass sie falsch behauptet habe, die Sache sei zur Erstberatung im Senat in der 2. Kalenderwoche des Jahres 2018 vorgesehen. Tatsächlich sei die Sache erst für die 2. Sitzungswoche des Senates vorgesehen, die der 4. Kalenderwoche entspreche.

II.

Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Raum wegen Besorgnis der Befangenheit ist unbegründet.

1. Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der oder die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1972 - 2 BvA 1/69, BVerfGE 32, 288, 290; BGH, Urteile vom 9. Februar 1951 - 3 StR 48/50, BGHSt 1, 34, 39 und vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 24 StPO, Rn. 8 mwN aus der Rechtsprechung). Maßgebend sind dabei der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 1951 - 3 StR 48/50 aaO und vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66 aaO; Schmitt aaO mwN).

2. Ausgehend von diesen Maßstäben liegt gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum kein Ablehnungsgrund vor.

Bei dem vorliegenden Revisionsverfahren handelt es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Verfahren, bei dem ohne weiteres erkennbar ist, dass bereits die Vorbereitung der Senatsberatung erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordert. Dies zeigt sich schon am Umfang der Verfahrensakten des Revisionsverfahrens mit zehn Leitz-Ordnern, die neben dem angefochtenen Urteil mit 1.000 Seiten Revisionsbegründungen mit einer Vielzahl von Verfahrens- und Sachrügen sowie Anträgen des Generalbundesanwalts und Gegenerklärungen von Verfahrensbeteiligten enthalten. Bei einem solch komplexen Verfahren besteht für einen Angeklagten bei vernünftiger Würdigung der gegebenen Sachlage - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um eine Haftsache handelt - kein Grund zur Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - dem Angeklagten bei einer im Mai 2017 beim Revisionsgericht eingegangenen Sache vor Dezember 2017 kein Sachstand mitgeteilt wird und dann eine Senatsberatung über die Sache erst im Januar 2018 ins Auge gefasst wird.

III.

Die Ablehnung der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach den bereits dargestellten Maßstäben ebenfalls unbegründet.

1. Die abgelehnte Richterin ist in dem Revisionsverfahren Berichterstatterin. In ihrer dienstlichen Äußerung vom 11. Januar 2018 zu dem Ablehnungsgesuch hat sie darauf hingewiesen, im Rahmen der Vorbereitung der Beratung des Senats über die Revisionen festgestellt zu haben, dass das an den Senat gerichtete Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten, Rechtsanwalt K., bislang noch nicht beantwortet worden sei. In seinem Schreiben habe K. um einen Hinweis für den Fall gebeten, dass der Senat nicht beabsichtigte, über die Revision seines Mandanten aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden. Dieser Bitte sei sie in Absprache mit dem Vorsitzenden durch das Schreiben vom 13. Dezember 2017 nachgekommen.

In dieser Stellungnahme wird deutlich, dass die Beantwortung des Schreibens des Verteidigers des Mitangeklagten seitens der Berichterstatterin deswegen am 13. Dezember 2017 erfolgte, weil sie im Rahmen der Vorbereitung der Beratung des Senats über die Revisionen festgestellt hatte, dass das Schreiben bislang nicht beantwortet wurde. Die sachgerechte Beantwortung dieser Anfrage erforderte bereits eine umfängliche Vorprüfung des unterbreiteten revisionsrechtlichen Sachverhalts. Bei verständiger Würdigung dieser Umstände besteht für den Angeklagten daher kein Grund zu der Annahme, die abgelehnte Richterin habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, welche ihre Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Angesichts der Komplexität des Revisionsverfahrens mit dem sich hieraus für die Berichterstatterin ergebenden zeitlichen Aufwand bei der Vorbereitung der Senatsberatung besteht für den Angeklagten bei verständiger Würdigung des Sachverhalts auch im Hinblick darauf, dass die Sache als Haftsache bereits im Mai 2017 beim Senat eingegangen ist, kein Grund für Misstrauen in die Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin. Gleiches gilt für den Umstand, dass der zunächst vorgesehene Beratungstermin aus dienstlichen Gründen um eine Beratungswoche verschoben werden musste.

Soweit sich das Befangenheitsgesuch darauf stützt, dass die Berichterstatterin am 13. Dezember 2017 mitgeteilt hatte, dass derzeit nicht beabsichtigt sei, über die Revisionen der Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden, zeigt es ebenfalls keinen Grund auf, das ein Misstrauen in die Unparteilichkeit der Berichterstatterin rechtfertigen könnte. Die Entscheidung darüber, ob eine Revisionshauptverhandlung durchzuführen ist oder ob über eine Revision gemäß § 349 Abs. 2 oder 4 StPO zu entscheiden ist, kann oft erst nach Durchführung einer Senatsberatung getroffen werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 270

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 83

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede