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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1202

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 470/21, Urteil v. 28.07.2022, HRRS 2022 Nr. 1202


BGH 1 StR 470/21 - Urteil vom 28. Juli 2022 (LG Kleve)

Steuerhinterziehung durch das pflichtwidrige Nicht-Verwenden von Steuerzeichen (Hinterziehung von Tabaksteuer; taugliche Täter: Bestimmung nach den Vorschriften des TabStG, keine einschränkende Auslegung anhand der §§ 25 ff. StGB; kein Ausschluss der Strafbarkeit, weil für unerlaubt hergestellte Produkte keine Steuerzeichen erlangt werden können, omissio libera in causa; Konkurrenzverhältnis zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen); Steuerhehlerei (Begriff des Sich-Verschaffens).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO; § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 TabStG; §§ 25 ff. StGB; § 374 Abs. 1 StGB; § 13 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Täterkreis des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO umfasst nicht nur die berechtigen Bezieher von Steuerzeichen, sondern auch die Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 TabStG).

2. Die weite Fassung des § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG („jede an der Herstellung beteiligte Person“) ist nicht unter Heranziehen der allgemeinen Grundsätze der §§ 25 ff. StGB einschränkend auszulegen: Die Wertung des Verbrauchsteuerrechts gilt auch für das Steuerstrafrecht; darauf, ob die beteiligten Produktionshelfer unabhängig von verbrauchsteuerrechtlichen Erklärungs- oder Verwendungspflichten eher als Gehilfen (§ 27 StGB) einzuordnen wären, kommt es nicht an. Dies folgt aus der Systematik des Steuerstrafrechts als Blankettstrafrecht. An die allein nach dem Verbrauchsteuerrecht zu klärenden Vorfragen knüpft das Steuerstrafrecht an; die vom Bundesgesetzgeber gewählte Verweisungstechnik der §§ 370 ff. AO i.V.m. den in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts ist spezieller als die allgemeinen Vorschriften der §§ 25 ff. StGB und geht daher vor.

3. Einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO steht nicht entgegen, dass der Täter keine Steuerzeichen beziehen kann, ihm also die Erfüllung der gebotenen Handlungspflicht unmöglich ist. Entscheidend ist, dass er sich im Sinne eines Vorverschuldens durch sein Mitwirken am unerlaubten Herstellen in eine Situation bringt, in der er nachfolgend zwingend gegen die Pflicht zur Verwendung von Steuerzeichen verstoßen muss; er kann indes ohne Weiteres seine Mitwirkung unterlassen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 17. Mai 2021 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden ist; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;

b) im verbliebenen Strafausspruch.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: Unionsmarken) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es den Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat mit Beschluss vom 28. Juli 2022 den Vorwurf der strafbaren Teilnahme am Verstoß gegen das Markengesetz von der Strafverfolgung ausgenommen (§ 154a Abs. 2, 1 Satz 1 Nr. 1 StPO). Die gegen seine Verurteilung im nach Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte in der Ukraine im Juni 2020 von unbekannt gebliebenen Hintermännern anwerben, um in einer illegalen Zigarettenproduktionsstätte in K. ab dem 16. Juli 2020 zu arbeiten und dadurch 3.000 € monatlich zu verdienen. Dort ließen die Organisatoren unversteuerten Tabakfeinschnitt anliefern, maschinell trocknen, in Zigarettengröße zerteilen und in Cellophan verpacken. Dabei wurden bei den Zigarettenpapieren, -filtern und -verpackungen die Marken „R. “, „Ri.“ und „Ma.“ verwendet, ohne dass die Inhaber dieser im Register eingetragenen Unionsmarken, die I. Limited mit Sitz in B. bzw. die J. Limited, dem zugestimmt hätten. Der Angeklagte, als Ingenieur ausgebildet, arbeitete an der Produktionsmaschine, bediente die Elektrik sämtlicher Maschinen und wartete die Generatoren. Wöchentlich ließen die Hintermänner unter Mitarbeit von mindestens weiteren elf gesondert verfolgten Produktionshelfern und Fahrern etwa 10 Millionen Zigaretten herstellen und innerhalb der Europäischen Union ausliefern, ohne dass auf den Zigarettenverpackungen Steuerbanderolen angebracht oder Tabaksteuererklärungen abgegeben wurden. Nach längerer Observation stellten die Ermittlungsbehörden am 18. August 2020 11.006.050 Stück unter unberechtigter Verwendung der drei genannten Marken gefälschte versandfertige Zigaretten sowie rund 17.360 Kilogramm Tabakfeinschnitt sicher, worauf Tabaksteuer in Höhe von rund 1,8 Millionen € bzw. 1,2 Millionen € lastete.

2. Die Verfahrensbeschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des Landgerichts, die Marken R., Ri. und Ma. seien unionsweit geschützt (UA S. 9), nicht belegt ist. Es ist bereits nicht festgestellt, dass die genannten Marken im beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum geführten Register eingetragen waren (vgl. insbesondere UA S. 14 f.) und nicht etwa nur beim Patent- und Markenamt des Vereinigten Königreichs Großbritannien; letzteres würde keinen strafrechtlichen Schutz nach § 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 MarkenG, Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. a Unionsmarkenverordnung bewirken.

Infolge der Verfahrensbeschränkung kann offenbleiben, ob nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien aus der Europäischen Union Marken von Gesellschaften mit Sitz in England weiterhin dem Tatbestandsmerkmal „einer Unionsmarke nach Art. 9 Abs. 1 der Unionsmarkenverordnung“ (§ 143a Abs. 1 MarkenG) unterfallen, etwaige Eintragungen im europäischen Registeramt heute also noch strafrechtliche Schutzwirkungen zugunsten dieser Gesellschaften entfalten können (vgl. § 2 Abs. 3 StGB und die eine Fortgeltung der Schutzvorschriften bis zum 31. Dezember 2020 bestimmenden Übergangsregelungen der Art. 126, 127 Abs. 1 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft [ABl. 2020, L 29, S. 7]; vgl. im Übrigen Art. 54 Abs. 1 Buchst. a, 59 Abs. 1 des Austrittsabkommens, die den umgekehrten Fall, nämlich den Schutz europäischer Unionsmarken in England, betreffen, und dazu Lütke Schwienhorst GRURPrax 2021, 72 f.; zu § 2 Abs. 3 StGB vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18 Rn. 19; vom 9. März 2017 - 3 StR 424/16, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Nr. 1 Beiseiteschaffen 6 Rn. 15 ff. [zur Neuregelung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen durch §§ 30 ff. GmbHG nF und deren Auswirkung auf den unveränderten Bankrottstraftatbestand des § 283 StGB] und vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, BGHSt 59, 271 Rn. 13; Beschluss vom 8. August 2018 - 2 StR 210/16, BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzeslage 20 Rn. 5 ff., 9).

3. Im verbliebenen Verfahrensumfang ist die Revision teilweise begründet.

a) Das Urteil birgt Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten.

aa) Die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 TabStG) hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; der Angeklagte ist insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

(a) Der Generalbundesanwalt hat zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:

„Die Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den Feinschnitttabak, der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist (UA S. 22).

[…] Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem Dritten verschafft gemäß § 374 Abs. 1 AO.

Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die elf gesondert Verfolgten oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 AO, dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 StR 108/16 -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Aus den Urteilsgründen geht jedoch nicht hervor, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Nach den Urteilsgründen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen Materialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport (UA S. 4). Aufgabe des Angeklagten war es, an der Produktionsmaschine zu arbeiten, die Produktionsmaschine mit Tabak zu bestücken, die Elektrik sämtlicher Maschinen zu bedienen und die Generatoren zu warten (UA S. 12). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen Materialien und den Abtransport der Zigaretten waren die getrennt Verfolgten Krz., O. und Ry. zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen (UA S. 6 ff.; vgl. auch UA S. 18 f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Außer diesen drei Personen waren nach den Urteilsgründen lediglich in einem Fall die getrennt Verfolgten Kr. und Se. an der Beladung eines Transportfahrzeugs beteiligt (UA S. 8). Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein.“

(b) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 AO, § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der Tabakfeinschnitt lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder Absatzbemühungen entfaltet noch der Angeklagte mit der ihm zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen des Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 AO, §§ 36 f. TabStG sind nicht erfüllt. Der Senat entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

bb) Die Strafzumessung für die nach Teilbeschränkung und -freispruch allein verbleibende Steuerstraftat begegnet durchgreifenden Bedenken; denn das straffreie Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) ist weder bei der Prüfung, ob die Indizwirkung der Regelbeispiele der Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 AO) und der bandenmäßigen Verbrauchsteuerverkürzung (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 5 AO) entkräftet ist, noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne erkennbar berücksichtigt worden. Dies ist rechtsfehlerhaft, da es sich insoweit um einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt handelt (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2022 - 6 StR 61/22 Rn. 2; vom 27. Oktober 2020 - 1 StR 148/20 Rn. 9 und vom 29. September 2016 - 2 StR 63/16 Rn. 15). Das neue Tatgericht darf seiner Strafzumessung weitere Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

b) Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

aa) Die Verfahrensrüge erweist sich aus den auch insoweit zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als erfolglos.

bb) Die bezüglich der sichergestellten 11.006.050 Zigaretten den Schuldspruch der Steuerhinterziehung tragende Vorschrift ist indes - ebenfalls mit dem Antrag des Generalbundesanwalts - vorrangig § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO und nicht § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO macht sich strafbar, wer pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen unterlässt und dadurch Steuern verkürzt. Auf die nachgelagerte - nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbewehrte - Pflicht, unverzüglich eine Tabaksteuererklärung abzugeben (§ 17 Abs. 3 Satz 1 TabStG), um nachträglich die Tabaksteuer festzusetzen, kommt es damit nicht mehr an.

(a) Im Einzelnen gilt:

(aa) Die - auf den Kleinverkaufsverpackungen anzubringenden, dadurch entwerteten (§ 17 Abs. 1 Satz 2 TabStG) und der Publizitätswirkung dienenden - Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuerschuld entsteht (§ 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG); die Steuerbanderolen lassen sofort erkennen, ob Tabaksteuer auf die im steuerrechtlich freien Verkehr befindlichen Tabakwaren erhoben worden ist oder nicht. Zigaretten ohne Steuerzeichen sind grundsätzlich nicht verkehrsfähig (vgl. die Ausnahme in § 34 Abs. 3, 4 TabStV) und damit sicherzustellen sowie zu vernichten (vgl. für den Fall des Verbringens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das deutsche Steuergebiet: § 23 Abs. 1 Satz 5 TabStG, §§ 215 f. AO; vgl. auch §§ 73 ff. StGB; § 375 Abs. 2 AO). Ohne Erlaubnis, deren Einzelheiten § 6 TabStG bestimmt, besteht ein Herstellungsverbot. Die Begleichung der Tabaksteuerschuld soll bereits vor deren Entstehung gewährleistet sein. Deshalb regelt § 17 Abs. 2 TabStG, wie der eng begrenzte Kreis der Hersteller, Einführer oder der in § 17 Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 2 TabStG bezeichneten Personen die Steuerzeichen gegen Entgelt zu beziehen haben. Die Erklärungspflichten der Steuerschuldner (für den Bereich der unerlaubten Herstellung: § 17 Abs. 3 Satz 1, § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a TabStG; für den Fall des Verbringens: § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 TabStG) dienen der gebotenen zügigen Durchführung des Besteuerungsverfahrens, damit wenigstens nachträglich die Tabaksteuer erhoben werden kann. Mitnichten beziehen die Steuerschuldner im Nachhinein Steuerzeichen; die „illegalen“ Tabakwaren können in diesem Sinne nicht in „legale“ überführt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvL 19/08, BVerfGK 15, 457 Rn. 66; Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 AO, Rn. 390).

(bb) Diese auch für das Verbrauchsteuerrecht besondere Fallkonstellation - Vorrang der Steuerzeichenverwendungspflicht vor der nachgelagerten Erklärungspflicht - unterfällt § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO. Diese auf Vorschlag des Finanzausschusses eingefügte Tatbestandsvariante sollte den pflichtwidrigen Verstoß gegen die damaligen normierten Pflichten zur Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern erfassen; damit sollte eine befürchtete Strafbarkeitslücke geschlossen werden, weil § 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO ein Handeln bzw. Unterlassen gegenüber Finanzbehörden voraussetzen (BT-Drucks. 7/4292, S. 44).

(cc) Der Täterkreis des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO umfasst nicht nur die berechtigen Bezieher von Steuerzeichen (§ 17 Abs. 2 TabStG), sondern auch die Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 TabStG). Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 15 TabStG mit § 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG (vgl. Jäger in Joecks/Jäger/Randt, aaO Rn. 392; Middendorp, ZfZ 2011, 197, 204 f.; vgl. auch Hoyer in Gosch, Abgabenordnung/Finanzordnung, 166. Lieferung, Stand 1. Februar 2022, § 370 Rn. 117; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, 170. Lieferung, Stand Mai 2022, § 370 AO Rn. 75; Muhler in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., Steuerhinterziehung, Rn. 44.82). Andernfalls hätte § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht den vom Gesetzgeber beabsichtigten effektiven Anwendungsbereich. Diese Tatbestandsvariante würde dann nur die Sachverhalte erfassen, in denen berechtigte Bezieher im Einzelfall unversteuerte Tabakwaren illegal in den freien Verkehr bringen.

(dd) Für das illegale Herstellen von Zigaretten gilt damit nichts anderes als für das Verbringen von Zigaretten ohne Steuerzeichen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das deutsche Steuergebiet (§ 23 Abs. 1 Satz 1, 2, § 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG; vgl. dazu BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18, BGHSt 64, 146 Rn. 11 mwN, auch zur Gegenmeinung; vom 11. Juli 2019 - 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 11 und vom 7. Oktober 2021 - 1 StR 77/21 Rn. 15, 17; ebenfalls für die Anwendung des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO, allerdings ohne Begründung: BFH, Beschluss vom 9. Juli 1996 - VII B 14/96 Rn. 10). Das dem § 23 TabStG zu entnehmende Verbringungsverbot (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvL 19/08, BVerfGK 15, 457 Rn. 84 f.; BT-Drucks. 6/1982 S. 167; Jäger in Joecks/Jäger/Randt, aaO Rn. 389 mwN; Middendorp, ZfZ 2011, 197, 198, 202, 205; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, S. 218) entspricht dem Herstellungsverbot des § 15 TabStG.

(b) Für das Tilgen der Tabaksteuerschuld war der Angeklagte als „an der Herstellung beteiligte Person“ und damit als Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG) verantwortlich; er hat „pflichtwidrig“ keine Steuerzeichen verwendet, durch die das (vorherige) Entrichten der Tabaksteuer nachgewiesen werden soll.

(aa) Der Angeklagte wirkte insbesondere am Zuschnitt und an der Ummantelung des Tabakfeinschnitts zu einzelnen Zigaretten mit; dies gehörte zum erlaubnispflichtigen Herstellungsprozess (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a TabStG, § 4 Abs. 3 Satz 2 TabStV aF).

(bb) Der Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht Steuerzeichen beim Hauptzollamt Bi. beziehen konnte, ihm also die Erfüllung der gebotenen Handlungspflicht unmöglich gewesen wäre. Entscheidend ist, dass er sich im Sinne eines Vorverschuldens durch sein Mitwirken am unerlaubten Herstellen in eine Situation brachte, in der er nachfolgend zwingend gegen die Pflicht zur Verwendung von Steuerzeichen verstoßen musste (vgl. Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 69; zur „omissio libera in causa“ beim Verstoß gegen die Pflicht zum Abführen der Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen des § 266a Abs. 1 StGB: BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2018 - 1 StR 257/18 Rn. 9, 11 und vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 320 ff.); er konnte indes ohne Weiteres seine Mitwirkung unterlassen (vgl. Jäger in Joecks/Jäger/Randt, aaO Rn. 392; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 75. Lieferung, Stand Mai 2021, § 370 AO Rn. 362; Küchenhoff in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., 23. Kapitel, Zollstraftaten, Rn. 373).

Bereits im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, das Tatbestandsmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ vornehmlich auf den Verstoß gegen eine steuerlich normierte Erklärungspflicht zu beziehen, daneben aber die Fähigkeit des Betroffenen, die Erklärungspflicht erfüllen zu können, nicht eigens zu prüfen. Dies wird insbesondere bei vorgeschobenen Geschäftsführern erkennbar (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 1 StR 105/10; vgl. im Übrigen Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, aaO Rn. 69).

(cc) Die weite Fassung des § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG („jede an der Herstellung beteiligte Person“) ist nicht unter Heranziehen der allgemeinen Grundsätze der §§ 25 ff. StGB einschränkend auszulegen:

(1) Die Wertung des Verbrauchsteuerrechts gilt auch für das Steuerstrafrecht; darauf, ob die beteiligten Produktionshelfer, im illegalen Steuerlager auf der untersten Hierarchieebene angesiedelt, unabhängig von verbrauchsteuerrechtlichen Erklärungs- oder Verwendungspflichten eher als Gehilfen (§ 27 StGB) einzuordnen wären, kommt es nicht an. Dies folgt aus der Systematik des Steuerstrafrechts als Blankettstrafrecht, die dazu führt, dass nicht nur die Steuerstrafvorschriften der §§ 369 ff. AO, sondern auch die sie ausfüllenden Vorschriften des Steuerrechts den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen genügen müssen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 542/09, BVerfGK 18, 482 Rn. 58; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - 1 StR 447/14, BGHSt 63, 29 Rn. 57 ff., 59; je mit weiteren umfangreichen Nachweisen). An die allein nach dem Verbrauchsteuerrecht zu klärenden Vorfragen knüpft das Steuerstrafrecht an (ungenau etwa, weil die Auslegung des in § 19 Abs. 1 TabStG aF [entspricht § 23 Abs. 1 TabStG nF] verwendeten Begriffs des „Verbringens“ mit Tatherrschaftsgedanken vermengend: BGH, Beschluss vom 23. März 2017 - 1 StR 451/16 Rn. 15 ff.); die vom Bundesgesetzgeber gewählte Verweisungstechnik der §§ 370 ff. AO i.V.m. den in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts ist spezieller als die allgemeinen Vorschriften der §§ 25 ff. StGB und geht daher vor.

(2) Dies ist - ungeachtet der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ bei der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO in gleicher Weise auszulegen ist (vgl. Gaede, Der Steuerbetrug, S. 161; Gaede/Rübenstahl in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 370 AO Rn. 76) - für den Anwendungsbereich des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bereits entschieden und ständige Rechtsprechung des Senats: Danach rekurrieren über das Tatbestandsmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ die von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfassten Erklärungs-, Offenbarungs- oder Aufklärungspflichten auf außerstrafrechtliche Sonderpflichten; damit ist gar eine besondere Pflichtenstellung des Täters beschrieben, die als besonderes persönliches Merkmal dem § 28 Abs. 1 StGB unterfällt (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 Rn. 17-19; vgl. auch BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 51 ff., 64).

(3) § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15. Juli 2009 (BGBl. I S. 1870) setzt den in gleicher Weise weit gefassten Art. 8 Abs. 1 Buchst. c Alternative 2, Art. 7 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14. Januar 2009) um. Der Gesetzgeber hat damit richtlinienkonform den Kreis der Steuerschuldner für den Fall der unerlaubten Herstellung erweitert und in Befolgung der Vorgabe des Art. 8 Abs. 1 Buchst. c Alternative 2 der Richtlinie 2008/118/EG die Haftungstatbestände der Abgabenordnung als nicht mehr ausreichend angesehen (vgl. BT-Drucks. 16/12257, S. 79). An diese Wertung ist das Steuerstrafrecht gebunden.

(4) In der Strafzumessung hat das Landgericht die untergeordnete Stellung des Angeklagten, der weder Hersteller noch Profiteur des Gewinns aus dem Zigarettenverkauf war, zutreffend bedacht (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

(c) Der Schuldspruch ist nicht auf Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 TabStG) oder auf Beihilfe (§ 27 StGB) hierzu umzustellen. Durch das Herstellen entsteht erstmals Tabaksteuerschuld auf die Zigaretten; an diesen neuen Entstehungstatbestand knüpft die Steuerhinterziehung hier an. Damit kommt es nicht darauf an, dass bereits der Tabakfeinschnitt der Tabaksteuerpflicht unterfällt und nach Beendigung der Steuerhinterziehung als Vortat, namentlich nach einem längeren (Zwischen-)Lagern, allein der Tatbestand der Steuerhehlerei anzuwenden ist (vgl. dazu BGH, Urteile vom 24. April 2019 - 1 StR 81/18, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Täter 6 Rn. 14-36; vom 11. März 2019 - 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 22-24 und vom 7. Oktober 2021 - 1 StR 77/21 Rn. 17).

Eine Konkurrenzfrage stellt sich nicht. Ähnlich wie beim Teilfreispruch unter 3. a) aa) besteht auch insoweit kein belastbarer Anhalt dafür, dass der Angeklagte bezüglich der sichergestellten versandfertigen Zigaretten am Verschaffungsvorgang bezüglich des Tabakfeinschnitts beteiligt war.

(d) Die Annahme einer Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) beschwert den Angeklagten jedenfalls nicht. Voneinander abtrennbare Einzelhandlungen bezüglich der sichergestellten Zigaretten waren nicht aufzuklären. Auch belastet es den Angeklagten nicht, dass das Landgericht nicht die weiteren 10 Millionen Zigaretten pro Woche in den Schuldumfang eingestellt hat.

(e) Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, die Verurteilung vorrangig auf § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO statt auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu stützen. Denn es ist auszuschließen, dass sich der geständige Angeklagte hiergegen effektiver als geschehen hätte verteidigen können.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1202

Bearbeiter: Christoph Henckel