HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2018
19. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1015. BGH 2 StR 416/16 - Urteil vom 18. Juli 2018 (LG Köln)

Tatbestandsirrtum (Irrtum über normative Tatbestandsmerkmal; Maßstab der sog. Parallelwertung in der Laiensphäre); Verbotsirrtum (Vermeidbarkeit; Differenzierung bei Irrtum über ein Genehmigungserfordernis); verbotene Geschäfte und Handeln ohne Erlaubnis (Tateinheit); Verbot der Verschlechterung (keine Anwendung auf Umstellung des Schuldspruches).

§ 16 Abs. 1 StGB; § 17 S. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG; § 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG; § 331 Abs. 1 StPO

1. Ein Täter, der die dem Gesetz entsprechende Wertung im Wege einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nachvollzieht und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift, also den Bedeutungssinn des Bankgeschäfts als normatives Tatbestandsmerkmal zutreffend erfasst, seine Geschäfte aber gleichwohl für rechtlich zulässig und nicht erlaubnispflichtig hält, irrt lediglich über ihr Verbotensein.

2. Nach der Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs ist in Fällen des Irrtums über ein Genehmigungserfordernis differenzierend nach dem jeweils in Betracht kommenden Tatbestand zu entscheiden. Dabei soll es darauf ankommen, ob die Genehmigung nur der Kontrolle eines im allgemeinen sozialadäquaten Verhaltens dient (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) und die Tat ihren Unwert erst aus dem Fehlen der Genehmigung herleitet – Tatbestandsirrtum – oder ob es sich um ein grundsätzlich wertwidriges Verhalten handelt, das im Einzelfall auf Grund der Genehmigung erlaubt ist (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt) – Verbotsirrtum.

3. Der Senat lässt dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung mit ihrer danach vorzunehmenden Differenzierung, die zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt und weitere Schwächen aufweist zu folgen ist. Jedenfalls bei Verstößen gegen den Tatbestand des § 54 KWG führt auch sie zur Annahme eines Verbotsirrtums. Dort lässt sich eine sachgerechte Einordnung etwaiger täterseitiger Fehlvorstellungen oder -bewertungen nicht durch schlichte Anwendung einfacher Formeln ohne Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen erreichen.

4. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter nach den Umständen und nach der seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Tuns nicht zu gewinnen vermag.


Entscheidung

1068. BGH 3 StR 149/18 - Urteil vom 23. August 2018 (OLG Stuttgart)

Bestrafung als Täter bei rechtswidriger und schuldhafter Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale (unmittelbare Täterschaft; Mittäterschaft; extreme Ausnahmefälle); Freiheitsberaubung durch Aufrechterhaltung einer Freiheitsentziehung (Einsperren; Dauerdelikt; Vollendung; Beendigung); Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen (Angriff; Gewaltanwendung); ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung grundsätzlich keine bestimmenden Strafzumessungsgründe; Voraussetzungen einer strafmildernden Berücksichtigung medialer Berichterstattung.

§ 25 StGB; § 46 StGB; § 239 StGB; § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB

1. Nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst begeht, also in seiner Person alle Tatbestandsmerkmale rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht. Nach ihrer Fassung bezieht sich die Vorschrift zwar nur auf die Alleintäterschaft; sie gilt jedoch auch für denjenigen, der gemeinsam mit anderen an der Straftat beteiligt ist und dabei selbst sämtliche Tatbestandsmerkmale rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht. Auch er ist als unmittelbarer Täter im Sinne des § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB anzusehen, selbst wenn er unter dem Einfluss eines anderen oder nur in dessen Interesse handelt. Ob in „extremen Ausnahmefällen“ eine abweichende Bewertung in Betracht kommt, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

2. Bei der Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Dauerdelikt. Die Tat ist mit Eintritt des Freiheitsentzugs vollendet und erst beendet, wenn das Opfer seine Fortbewegungsfreiheit zurückerlangt. Tatbestandsmäßig ist deshalb auch ein Verhalten, durch das die Freiheitsentziehung aufrechterhalten wird, etwa die Beteiligung an der Bewachung einer zuvor von Anderen eingesperrten Person.

3. Der Begriff des Angriffs im Sinne des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB ist, angelehnt an Art. 9 des Übereinkommens über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal, weit auszulegen und erfasst jede Art der Gewaltanwendung unabhängig von der Art der dabei verwendeten Waffen; zu den typischen Angriffsformen gehören Nötigungen, Einschüchterungen, bewaffneter Raub, Entführungen, Geiselnahmen,

Drangsalierungen, widerrechtliche Festnahmen und Inhaftierungen sowie Akte der Zerstörung und Plünderung des Eigentums humanitärer Missionen.

4. Ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung sind grundsätzlich keine bestimmenden Strafzumessungsgründe. Das war bereits zur früheren ausländerrechtlichen Rechtslage - auch für die damals vorgesehene zwingende Ausweisung - anerkannt und gilt nunmehr vor dem Hintergrund der Regelung des § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG, nach der bei einer Ausweisungsentscheidung generell eine Abwägung zwischen Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) und Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) vorzunehmen ist, umso mehr. Eine andere strafzumessungsrechtliche Bewertung kann gerechtfertigt sein, wenn im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen.

5. Eine Medienberichterstattung über eine Straftat sowie die Person des Angeklagten stellt - selbst wenn sie „aggressiven und vorverurteilenden“ Charakter hat - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig ebenfalls keinen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. Das Tatgericht kann eine mediale Berichterstattung allerdings strafmildernd berücksichtigen, wenn sie weit über das gewöhnliche Maß hinausgeht, das jeder Straftäter über sich ergehen lassen muss, und sich deshalb besonders nachteilig für den Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. zum Ganzen zuletzt BGH HRRS 2016 Nr. 1045).


Entscheidung

1086. BGH 5 StR 421/18 - Beschluss vom 13. September 2018 (LG Berlin)

Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung im Rahmen der Notwehr (Bedeutung der Kampflage; lebensgefährliche Mittel als letztes Mittel der Verteidigung; kein Verweis auf hinsichtlich ihrer Eignung zweifelhafte Verteidigungsmittel; sofortige und endgültige Beseitigung des Angriffs; Androhung des Einsatzes eines bis dahin nicht in Erscheinung getretenen Messers gegenüber dem unbewaffneten Angreifer; nicht lebensbedrohlicher Einsatz des Messers).

§ 32 StGB

1. Ob eine Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt.

2. Der Einsatz lebensgefährlicher Mittel kann im Rahmen der Notwehr nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Doch ist der Angegriffene nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen.

3. Der Einsatz eines Messers ist in der Regel zunächst anzudrohen, wenn es sich um einen unbewaffneten Angreifer handelt und das Messer bis dahin noch nicht in Erscheinung getreten ist. Soll dem Angeklagten im Rahmen der Erforderlichkeit zugemutet werden, den Einsatz des Messers gegen eine nicht lebensbedrohliche Körperregion zu richten, ist regelmäßig darzulegen, dass dadurch eine endgültige Beendigung des Angriffs tatsächlich zu erwarten gewesen wäre.


Entscheidung

1012. BGH 2 StR 300/18 - Beschluss vom 21. August 2018 (LG Kassel)

Tateinheit (natürliche Handlungseinheit).

§ 52 Abs. 1 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine natürliche Handlungseinheit vor, wenn mehrere im wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen Dritten als einheitliches Geschehen darstellt. Dabei begründet auch der Wechsel eines Angriffsmittels jedenfalls nicht ohne weiteres die Annahme von Handlungsmehrheit.

2. Den Begriff „dieselbe Handlung“ in § 52 Abs. 1 StGB definiert das Gesetz nicht ausdrücklich. Er knüpft an den Vollzug eines Verhaltens im natürlichen Sinne und damit letztlich an eine Körperbewegung an. Wird durch eine Körperbewegung ein Mensch mit direktem Vorsatz angegriffen, durch dieselbe Bewegung aber auch ein anderer fahrlässig verletzt oder mit bedingtem Vorsatz angegriffen, liegt demnach eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor.

3. Allein die Tatsache, dass verschiedene Personen betroffen waren, rechtfertigt danach nicht die Annahme von Tatmehrheit. Nur wenn mehrere Personen nacheinander durch unterscheidbare Handlungen angegriffen werden, geht der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Verschiedenheit der betroffenen Rechtsgutsträger im Allgemeinen von Tatmehrheit aus.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1037. BGH 4 StR 591/17 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Essen)

BGHSt; Diebstahl (Diebstahl von Pfandleergut; Abgrenzung von Individual- und Einheitspfandflaschen; überschießende Innentendenz).

§ 242 Abs. 1 StGB

1. Zur Zueignungsabsicht beim Diebstahl, wenn der Täter Pfandleergut entwendet, um es gegen Auskehrung des Pfandbetrages in das Pfandsystem zurückzugeben. (BGHSt)

2. Für die Eigentumsverhältnisse an der jeweiligen Pfandflasche (nicht an ihrem Inhalt) auf den verschiedenen Vertriebsstufen des Pfandsystems bis hin zum Endverbraucher ist deren konkrete Beschaffenheit maßgeblich. Ist die Flasche mit einer besonderen, dauerhaften Kennzeichnung versehen, die sie als Eigentum eines bestimmten Herstellers/Abfüllers ausweist (sog. Individualflasche), verbleibt das Eigentum an ihr, unabhängig vom Eigentumsübergang an dem veräußerten Getränk, beim Hersteller/Abfüller. Mangels zivilrechtlicher Einigung findet deshalb ein Eigentumsübergang an den jeweiligen Flaschen auf den einzelnen Handelsstufen nicht statt. Weist die Flasche solche individuellen Merkmale nicht auf, wird sie vielmehr von unbestimmt vielen Herstellern verwendet (sog. Einheitsflasche), geht nicht nur das Eigentum am Inhalt, sondern auch dasjenige an der Flasche selbst auf allen Vertriebsstufen auf den jeweils nächsten Erwerber über. (Bearbeiter)

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt Zueignung voraus, dass entweder die Sache selbst oder der in ihr verkörperte Wert dem Vermögen des Berechtigten dauerhaft entzogen und dem des Nichtberechtigten zumindest vorübergehend einverleibt wird. Sachwert im Sinne dieser Theorie ist nur der nach Art und Funktion mit der Sache verbundene Wert, während der erzielbare Veräußerungserlös an der Sache vom Begriff des Sachwerts nicht erfasst wird. (Bearbeiter)

4. Hiervon ausgehend liegt eine Zueignung des Sachwerts nicht vor, wenn der Täter beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen. Denn das Pfandgeld ist nicht der unmittelbar im Pfandgut verkörperte Wert. Es dient vielmehr lediglich als Anreiz zur Rückgabe der Pfandflaschen und wird erst durch die Verwertung im Pfandsystem erzielt. Diebstahl kommt in diesen Fällen deshalb nur in Betracht, wenn sich der Täter die Sache selbst zueignen will. Dies setzt voraus, dass der Täter die Flaschen unter Leugnung des Eigentumsrechts des wahren Eigentümers in das Pfandsystem, das insoweit einer Rücknahmepflicht unterliegt, zurückgelangen lassen, er sich also eine eigentümerähnliche Stellung an dem Leergut anmaßen will. (Bearbeiter)

5. Hierfür maßgeblich ist die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Pfandflaschen und die Folgen ihrer Rückführung in das Pfandsystem. Da das Vorstellungsbild des Angeklagten von der tatsächlichen zivilrechtlichen Rechtslage abweichen kann, sind hierzu Feststellungen zu treffen. (Bearbeiter)


Entscheidung

997. BGH 2 StR 169/18 - Beschluss vom 23. Mai 2018 (LG Bonn)

BGHSt; tätige Reue (Erheblichkeit des entstandenen Schadens: Wertgrenze; freiwillige Brandlöschung: Anforderungen; Ausschluss aufgrund konkreter Gefährdung von Personen; richterliches Ermesse).

§ 306e Abs. 1 StGB; § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Der durch eine schwere Brandstiftung entstandene Sachschaden an einem Wohngebäude ist dann erheblich im Sinne des § 306e Abs. 1 StGB, wenn – bezogen auf das Tatobjekt – mindestens 2.500 Euro zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. (BGHSt)

2. Nach § 306e Abs. 1 StGB kann das Gericht in den Fällen der §§ 306, 306a und 306b StGB die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter freiwillig den Brand löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Der Täter muss den Brand nicht selbst eigenhändig löschen, sondern kann sich der Hilfe Dritter, insbesondere der Feuerwehr, bedienen. (Bearbeiter)

3. In Fällen einer konkreten Gefährdung von Personen oder einer tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschädigung scheidet eine Anwendung von § 306e StGB im Allgemeinen aus. (Bearbeiter)

4. Werden die Voraussetzungen des § 306e Abs. 1 StGB bejaht, kann der Tatrichter nach seinem Ermessen die Strafe mindern oder von Strafe absehen. Dafür kommt es insbesondere auf das Ausmaß bereits entstandenen Schadens und den Grad der Gefahr an, aber auch auf Art und Umfang der Rettungsbemühungen des Täters. (Bearbeiter)


Entscheidung

1065. BGH 3 StR 13/18 - Urteil vom 5. April 2018 (LG Hannover)

BGHR; schwere Brandstiftung (ganz oder teilweise Zerstören durch Brandlegung bei gemischt genutztem Gebäude; Einwirkung auf die Sachsubstanz einer selbständigen Wohneinheit; Unbrauchbarkeit zum Wohnen; verständiger Wohnungsinhaber; nicht unbeträchtliche Zeitspanne; ausschließliche Beschädigung von

nicht dem Wohnen dienenden Gebäudeteilen; in Kellerräumen verlaufende Versorgungsleitungen; mittelbare Zurückführung auf Brandlegung; erhebliche Verrußung).

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 306 StGB

1. Zerstören im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt bei gemischt genutzten Gebäuden eine durch die Brandlegung hervorgerufene Einwirkung auf die Sachsubstanz einer selbständigen Wohneinheit voraus. (BGHR)

2. Der Taterfolg der vollständigen oder teilweisen Zerstörung durch Brandlegung im Sinne von § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB kann hingegen nicht bereits darin liegen, dass ausschließlich nicht dem Wohnen selbst dienende Gebäudeteile - etwa in den Kellerräumen verlaufende Versorgungsleitungen - von den Brandfolgen betroffen sind, die brandbedingte Zerstörung dort aber eine Nutzung der im Objekt gelegenen Wohnungen für eine ausreichende Zeitspanne aufhebt (offengelassen in BGH HRRS 2013 Nr. 470). (Bearbeiter)

3. Ob eine zum selbständigen Gebrauch bestimmte Wohneinheit durch die Brandlegung zum Wohnen unbrauchbar geworden ist, richtet sich grundsätzlich nach der Vorstellung eines „verständigen Wohnungsinhabers“ (vgl. zuletzt BGH HRRS 2017 Nr. 1019). Dabei ist Unbrauchbarkeit zu Wohnzwecken erst anzunehmen, wenn eine Wohnung infolge des Brandes für eine nicht unbeträchtliche Zeit nicht mehr zu diesem Zweck genutzt werden kann. Ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht, ist objektiv, ebenfalls anhand des Maßstabs eines „verständigen Wohnungsinhabers“ zu beurteilen. (Bearbeiters)

4. Demnach liegt eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB bei einem gemischt genutzten Gebäude nicht vor, wenn die brandbedingte Unbenutzbarkeit nur einen kurzen Zeitraum andauert - Stunden oder ein Tag reichen nicht aus - oder lediglich solche Teile des Gebäudes betrifft, die nicht selbst dem Wohnen dienen, sondern nur funktional auf die Wohnnutzung bezogen sind, wie dies bei Kellerräumen typischerweise der Fall ist. (Bearbeiter)

5. Die Taterfolgsvariante der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nicht auf Fälle einer unmittelbaren Brandeinwirkung in der Wohnung selbst beschränkt. Sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn die Unbrauchbarkeit zu Wohnzwecken mittelbar auf die Brandlegung zurückzuführen ist, etwa auf eine erhebliche Verrußung infolge eines im gewerblichen Teil eines gemischt genutzten Gebäudes gelegten Brandes oder auf den Einsatz von Löschmitteln. Geringfügige Rußanhaftungen, die leicht zu beseitigen sind, genügen hierfür jedoch regelmäßig nicht. (Bearbeiter)


Entscheidung

1064. BGH 1 ARs 9/18 - Beschluss vom 18. September 2018

Sachbeschädigung (Verhältnis zum zugleich begangenen schweren Bandendiebstahl oder Wohnungseinbruchsdiebstahl: Tateinheit).

§ 303 Abs. 1 StGB; § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 244a Abs. 1 StGB

Der Senat stimmt der Auffassung des anfragenden 2. Strafsenats zu, dass bei (vollendetem) schwerem Bandendiebstahl oder (vollendetem) Wohnungseinbruchdiebstahl eine zugleich begangene Sachbeschädigung stets im Verhältnis der Tateinheit steht und nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion zurücktritt.


Entscheidung

1051. BGH 1 StR 370/18 - Beschluss vom 16. August 2018 (LG Augsburg)

Heimtückemord (Ausnutzungsbewusstsein: Entnahme aus dem objektiven Geschehensbild auch bei Spontantat).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes (§ 211 Abs. 2 StGB) nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH NStZ 2015, 214, 215 6). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.).

2. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 45, 47).


Entscheidung

1054. BGH 1 StR 392/17 - Beschluss vom 15. August 2018 (LG Essen)

Unerlaubte Verbringung von Abfällen (Verhältnis zu Ordnungswidrigkeiten nach dem Abfallverbringungsgesetz).

§ 326 Abs. 2 StGB; § 18 AbfVerbrG

§ 18 AbfVerbrG ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers lex specialis zu § 326 Abs. 2 StGB.


Entscheidung

1057. BGH 1 StR 413/18 - Beschluss vom 11. September 2018 (LG Ulm)

Raub (erforderliche Verknüpfung von Nötigungshandlung und Wegnahme: Finalzusammenhang, nachträgliche Ausnutzung der Wirkung eines Nötigungsmittels nicht ausreichend).

§ 249 Abs. 1 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst. Deshalb genügt der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, für die Annahme eines Raubes nicht. Auch das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers vor Fortführung bislang nicht auf die Ermöglichung der Wegnahme von Sachen gerichteter Gewalthandlungen reicht – ohne aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung – nicht aus (vgl. BGHSt 61, 141 mwN).

2. Der Tatbestand verlangt allerdings nicht, dass der Einsatz des Nötigungsmittels objektiv erforderlich ist oder die Wegnahme zumindest kausal fördert. Es genügt, dass aus Sicht des Täters der Einsatz des Nötigungsmittels notwendig ist (Finalzusammenhang). Allein seine Vorstellung und sein Wille sind für den Finalzusammenhang maßgebend (vgl. BGHSt 61, 141).


Entscheidung

1026. BGH 4 StR 192/18 - Beschluss vom 25. September 2018 (LG Magdeburg)

Sexueller Missbrauch von Kindern (strafschärfende Berücksichtigung von Folgewirkungen für das Tatopfer); Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten; Differenzierung zur Gefährlichkeit für die Allgemeinheit).

§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB; § 176 StGB

1. Bei Delikten gemäß § 176 StGB können solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen. Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat vom Tatrichter im Einzelfall konkret festgestellt werden. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist unzulässig.

2. Das Merkmal des Hanges zu erheblichen Straftaten verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“, bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist, bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt nach sachverständiger Beratung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung.

3. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht.


Entscheidung

1023. BGH 4 StR 174/18 - Urteil vom 13. September 2018 (LG Detmold)

Hehlerei (Tatbestandsmerkmal des Ankaufens: Erlangung mittelbaren Besitzes ausreichend); Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Tatbestandslosigkeit des sog. transitorisches Besitzes).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 259 Abs. 1 StGB; § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Zwar ist das Tatbestandsmerkmal des Ankaufens als Unterfall des Sichverschaffens erst dann vollständig verwirklicht, wenn der ankaufende Täter eigene Verfügungsgewalt über die Sache erwirbt und der Vortäter dadurch jede Möglichkeit verliert, auf die Sache einzuwirken. Dafür ist kein unmittelbarer Besitz erforderlich. Stattdessen kann auch mittelbarer Besitz (§ 870 BGB) ausreichend sein, wenn der Ankäufer dadurch nicht nur die bisherige Sachherrschaft des Vortäters, sondern zugleich auch die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache erlangt.

2. Gegenstände die als Mittel für die Tatausführung oder gelegentlich der Tatausführung kurzfristig in Besitz genommen werden (sog. transitorischer Besitz) gelten noch nicht als im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt, weil es insoweit an einem rechtserheblichen Vermögenszufluss fehlt. Auch aus der Überlassung von Tatbeute zum Transport und einer zeitlich nicht näher eingegrenzten Aufbewahrung folgt noch nicht ohne weiteres, dass der Täter deshalb auch schon faktische Mitverfügungsgewalt hat.


Entscheidung

1018. BGH 4 StR 54/18 - Beschluss vom 1. August 2018 (LG Essen)

Hehlerei (Versuch; Absatzhilfe); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs; Absehen von der Maßregelanordnung im Einzelfall).

§ 27 StGB; § 64 StGB; § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB; § 259 Abs. 1 StGB; § 260 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB

1. Wegen versuchter Hehlerei in der Variante der Absatzhilfe macht sich strafbar, wer den Vortäter, der die bema-

kelte Sache durch einen Diebstahl, eine andere Vermögensstraftat oder als Zwischenhehler erlangt hat, bei seinen nicht erfolgreichen Verwertungsbemühungen unterstützt.

2. Die Anordnung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Sofern sich dies nicht von selbst versteht, ist es daher erforderlich, unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums der Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Angeklagten konkrete Anhaltspunkte zu benennen, die dafür sprechen, dass es innerhalb eines zumindest „erheblichen“ Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird.

3. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung vermag die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht zu stützen.

4. Durch die Umwandlung in eine Soll-Vorschrift ist § 64 StGB zwar noch keine Ermessensvorschrift im engeren Sinn geworden. Ein Absehen von einer Maßregelanordnung kommt aber – trotz gegebener Voraussetzungen – in Ausnahmefällen in Betracht. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll dies insbesondere bei Angeklagten möglich Fall sein, denen „gerade noch“ eine positive Behandlungsprognose gestellt werden kann, bei denen aber im Übrigen sehr ungünstige Ausgangsbedingungen vorliegen, etwa weil eine Ausweisung droht oder vorhandene Sprachdefizite nur schwer auszugleichen sind. Geben die Feststellungen danach Anlass, die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB in Erwägung zu ziehen, hat der Tatrichter die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen.