HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2017
18. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

736. BGH 5 StR 8/17 – Beschluss vom 28. Juni 2017 (LG Potsdam)

Fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe bei Feststellung besonderer Schuldschwere (privilegierte Ausgestaltung des Strafvollzugs; kein symptomatischer Zusammenhang zwischen psychischem Defekt und begangenen Taten; Symptomwert der Anlasstat; zu erwartende Haltungsänderungen während der Haft bei therapiefähigem Verurteiltem; Ermessensentscheidung).

§ 66 StGB; § 66c StGB; 67a StGB

1. Neben lebenslanger Freiheitsstrafe, auch bei Feststellung besonderer Schuldschwere, ist die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung zulässig. (BGH)

2. Auch nach der Novellierung des Rechts der Sicherungsverwahrung bleibt es aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers dabei, dass die (obligatorische und fakultative) Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe – auch bei Annahme besonderer Schuldschwere – gesetzlich zulässig ist. Es kommt namentlich hinzu, dass auch der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte im Fall zusätzlicher Anordnung der Sicherungsverwahrung an der privilegierten Ausgestaltung des Strafvollzugs gemäß § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB teilnimmt, die ihm eine besondere Betreuung gewährt. Er steht auf diese Weise, was den Vollzug der Strafe anbelangt, besser als ein „nur“ zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter. (Bearbeiter)

3. Anders als die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB setzt die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem etwaigen psychischen

Defekt des Angeklagten und den von ihm begangenen Taten voraus. Vielmehr muss den Anlasstaten Symptomwert hinsichtlich des festzustellenden Merkmals des Hangs beizumessen sein. Dass eine Persönlichkeitsstörung und eine damit einhergehende Neigung zur Begehung erheblicher Straftaten den Indizwert verstärken kann, bleibt davon unberührt. (Bearbeiter)

4. Im Rahmen der gem. § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung ist zu erwägen, welche Wirkungen ein langer Strafvollzug sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters eines therapiefähigen Angeklagten erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen haben werden und ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung unter diesen Umständen trotzdem angezeigt. Das gilt in verstärktem Maße bei der lebenslangen Freiheitsstrafe unter Annahme besonderer Schuldschwere. Wenn sich etwa wegen Therapieerwartungen im Regelvollzug belegen lässt, dass eine konkrete Chance zur Reduzierung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit besteht, kann von der Verhängung der Maßregel abzusehen sein. (Bearbeiter)


Entscheidung

733. BGH 3 ARs 21/16 – Beschluss vom 7. März 2017 (BGH)

Anfrageverfahren; Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung der Absicht bei Tötungsdelikten: kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot).

§ 15 StGB; § 46 StGB; § 212 StGB; § 132 Abs. 3 GVG

Der Senat teilt die Ansicht des 2. Strafsenats (zur Anfrage BGH HRRS 2017 Nr. 63), dass das unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet ist, die individuelle Tatschuld zu erhöhen und dass insofern im Einzelfall die Tötungsabsicht taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein kann. An entgegenstehender früherer Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.


Entscheidung

816. BGH 4 StR 186/17 – Beschluss vom 7. Juni 2017 (LG Bielefeld)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung der Altersdifferenz beim sexuellen Missbrauch von Kindern).

§ 46 Abs. 3 StGB; § 176 StGB

1. Das Verbot der Doppelverwertung erfasst über den Wortlaut der Vorschrift zu den Grundsätzen der Strafzumessung hinaus auch solche Umstände, die – ohne Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu sein – gerade den gesetzgeberischen Anlass für seine Schaffung bildeten oder für die Tat typisch sind.

2. Das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer als solchem ist in dem Schutzzweck des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angelegt. Eine nicht unerhebliche Höhe dieses Altersgefälles ist für Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zumindest typisch. Allenfalls in einer geringen Altersdifferenz zwischen einem (jugendlichen oder heranwachsenden) Täter und einem kindlichen Opfer kann ein strafzumessungsrechtlicher Sonderfall liegen, dem indes strafmildernde Wirkung zukommt.


Entscheidung

825. BGH 4 StR 575/16 – Beschluss vom 20. Juni 2017 (LG Kaiserslautern)

Grundsätze der Strafzumessung (Feststellung strafzumessungserheblicher Tatsachen; Maß der Pflichtwidrigkeit); Untersuchungsgrundsatz (Vernehmung eines Sachverständigen bei verständlicher Sachlage).

§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 244 Abs. 2 StPO

1. Strafzumessungserhebliche Tatsachen sind in der gleichen Weise bestimmt festzustellen und zu belegen wie die Tatsachen, die für die Schuldfrage von Bedeutung sind.

2. Zwar können als strafzumessungserheblich grundsätzlich auch solche für den Täter voraussehbare Tatfolgen Berücksichtigung finden, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten stehen und außerhalb des eigentlichen Tatbereichs liegen.

3. Da aber die Schwere der Tat und der Grad der persönlichen Schuld des Täters die Grundlage der Strafzumessung bilden, muss in diesen Fällen als weitere Voraussetzung hinzutreten, dass diese Auswirkungen geeignet sind, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen.

4. Der Senat kann offenlassen, ob es sich zudem auch um Folgen handeln muss, die in den Schutzbereich der strafrechtlichen Norm fallen, deren Verletzung dem Täter vorgeworfen wird.


Entscheidung

768. BGH 4 StR 415/16 – Urteil vom 6. Juli 2017 (LG Köln)

Strafaussetzung zur Bewährung (besondere Umstände bei einer Freiheitsstrafe von über 12 Monaten: Darstellung im Urteil; Verwehrung der Bewährung zur Verteidigung der Rechtsordnung: Voraussetzungen; revisionsrechtliche Kontrolle); Strafzumessung (revisionsrechtliche Kontrolle).

§ 56 Abs. 2, Abs. 3 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO, § 46 StGB

1. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen. Dazu können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Wenn auch einzelne durchschnittliche Milderungsgründe eine Aussetzung nicht rechtfertigen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB jedoch keine „ganz außergewöhnlichen“ Umstände. Vielmehr können sich dessen Voraussetzungen auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben. Die besonderen Umstände müssen allerdings umso gewichtiger sein, je näher die Freiheitsstrafe an der Zweijahresgrenze liegt (vgl. BGH NJW 2016, 2349, 2351).

2. Bei der Prüfung ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten in einer für das Revi-

sionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Eine erschöpfende Darlegung aller Erwägungen ist weder möglich noch geboten; nachprüfbar darzulegen sind lediglich die wesentlichen Umstände. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts; das Revisionsgericht hat dessen, ganz maßgeblich auf dem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck beruhende Wertungen bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (st. Rspr).

3. Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46).

4. Dies darf freilich einerseits nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen (st. Rspr). Andererseits gibt es keine „Regel“, wonach bei Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB die Verteidigung der Rechtsordnung nach § 56 Abs. 3 StGB der Strafaussetzung nicht entgegensteht. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Gesichtspunkte; die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet, ist deshalb unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden (vgl. BGHSt 24, 64, 69), wobei generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukommt (vgl. BGHSt 24, 40, 45). Auf das dem jeweiligen Fall entgegengebrachte Medieninteresse kommt es dabei nicht an.


Entscheidung

748. BGH 1 StR 598/16 – Beschluss vom 24. Mai 2017 (LG Karlsruhe)

Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen: Voraussetzungen, erforderliche richterliche Gesamtbetrachtung, Bedeutung der zeitlichen Verteilung vergangener Straftaten; Schluss von positiver Gefährlichkeitsprognose auf Hang).

§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB

1. Das Merkmal „Hang“ in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (vgl. BGHSt 50, 188, 195 f.). Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festzustellenden gegenwärtigen Zustand (vgl. BGHSt 50, 188, 196).

2. Bei dem „Hang“ handelt es sich um einen der gerichtlichen Würdigung unterliegenden Rechtsbegriff, in Bezug auf den die Beurteilung seines Vorliegens nicht einem Sachverständigen überantwortet werden darf. Die gerichtliche Würdigung ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume zwar im Grundsatz aber nicht zwingend gegen einen Hang sprechen.

3. Es bedarf keiner Entscheidung, ob im Fall einer rechtsfehlerfreien Prognose zukünftiger Gefährlichkeit allein aus dieser auf das Vorliegen eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB geschlossen werden kann, was der Senat ohnehin wegen der vergangenheitsbezogenen Betrachtung beim Hang auf der einen und der Zukunftsperspektive der Gefährlichkeitsprognose auf der anderen Seite für zweifelhaft hält.


Entscheidung

807. BGH 4 StR 65/17 – Urteil vom 6. Juli 2017 (LG Siegen)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anordnung aufgrund Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen; Anordnung aufgrund verminderter Schuldfähigkeit; mehrstufige Prüfung der Schuldfähigkeit).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

2. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres geeignet, den für die Anordnung der Unterbringung nach in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu belegen. Erforderlich ist vielmehr, dass sicher feststeht, dass der Täter aufgrund der Persönlichkeitsstörung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.


Entscheidung

781. BGH 2 StR 174/17 – Beschluss vom 13. Juni 2017 (LG Frankfurt am Main)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anforderungen an Prognoseentscheidung: konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung, Darstellung in den Urteilsgründen, gegenläufige Indizien).

§ 63 StGB

1. Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln.

2. Einzustellen sind die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren.

3. Wenn ein Täter aber trotz fortbestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Taten.


Entscheidung

809. BGH 4 StR 106/17 – Beschluss vom 23. Mai 2017 (LG Hagen)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: Berücksichtigung des Verhaltens des Täters).

§ 63 StGB

Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände darf auch das einer eingestellten Tat zugrunde liegende Verhalten des Täters, wenn es prozessordnungsgemäß festgestellt ist, für die Gefährlichkeitsprognose verwertet werden.


Entscheidung

725. BGH 3 StR 97/17 – Beschluss vom 14. Juni 2017 (LG Koblenz)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei notwendiger Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren (Gesamtwürdigung; Therapieunwilligkeit als bloßes Indiz für fehlende Erfolgsaussicht); Art des Rauschgifts als strafzumessungsrelevanter Faktor („harte“ und „weiche“ Drogen; Amphetamin keine harte Droge); Doppelverwertungsverbot (strafschärfende Berücksichtigung des in-den-Verkehr-Gelangens der Betäubungsmittel bei der Verurteilung wegen Handeltreibens).

§ 46 StGB; § 64 StGB; § 67 StGB; § 67d StGB; § 29 BtMG

1. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist, wenn daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt; die Höchstfrist der Unterbringung verlängert sich in diesen Fällen vielmehr nach Maßgabe des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe. Durch den Verweis auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann angeordnet werden kann, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist.

2. Der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit kommt im Rahmen der Strafzumessung zwar grundsätzlich eine eigenständige Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht insoweit indes ein für die Strafzumessung maßgebliches Stufenverhältnis, das von sog. harten Drogen, wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen, wie Cannabis reicht.


Entscheidung

722. BGH 3 StR 38/17 – Beschluss vom 22. März 2017 (LG Hannover)

Unzureichende Auseinandersetzung mit der Erfolgsprognose beim Absehen von der Unterbringungsanordnung bei gleichzeitiger Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung (Vorrang der Unterbringungsanordnung; unterschiedliche Maßstäbe für die Behandlungsprognose).

§ 64 StGB; § 35 BtMG

1. Nicht jedes Risiko, dass in einer Entziehungsanstalt ein nachhaltiger Behandlungserfolg nicht erzielt wird, bedeutet zugleich, dass keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht i.S.d. § 64 StGB besteht. Einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Erfolgsprognose hätte bedarf es insbesondere, wenn bereits mit dem angefochtenen Urteil der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zugestimmt wird, da darin zum Ausdruck kommt, dass der Angeklagten grundsätzlich therapiebedürftig und nicht therapieunfähig ist.

2. Im Einzelfall kann zwar nach Bewertung der Erfolgsaussicht – auf Grund der unterschiedlichen Maßstäbe, die an die Behandlungsprognose anzulegen sind – eine Entscheidung dahin in Betracht kommen, dass allein eine Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG möglich ist, wohingegen eine Maßregel nach § 64 StGB ausscheidet. Ohne nähere Erörterung versteht sich dies jedoch in der Regel nicht von selbst.


Entscheidung

751. BGH 2 StR 24/17 – Beschluss vom 13. Juni 2017 (LG Wiesbaden)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen; dauerhafte Einschränkung der Schuldfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose: zu erwartende Straftaten von erheblichen Gewicht, Körperverletzung).

§ 63 StGB; § 223 Abs. 1 StGB

Straftaten, die – wie die einfache Körperverletzung – im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sind, sind nicht ohne Weiteres dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen. Daher vermag nicht jede einfache Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigen (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 12, 13).


Entscheidung

806. BGH 4 StR 49/17 – Beschluss vom 7. Juni 2017 (LG Münster)

Besonders schwerer Fall des Diebstahls (Zurechnung der tatbezogenen Umstände an einen Teilnehmer).

§ 243 Abs. 1 StGB; § 27 StGB

Bei der Teilnahme an einer als besonders schwer verschärften Haupttat besteht an sich keine Akzessorietät, da der besonders schwere Fall des Diebstahls lediglich eine Strafrahmenerweiterung enthält. Für die Anlastung besonders gefährlicher Begehungsweisen bzw. schutzobjektbezogener Erschwerungsgründe im Sinne der Norm ist zudem ein entsprechender Vorsatz auch des Teilnehmers erforderlich. Die tatbezogenen Umstände können also nur zugerechnet werden, wenn der Teilnehmer Kenntnis davon hatte.


Entscheidung

754. BGH 2 StR 337/14 – Beschluss vom 11. Mai 2017 (LG Meiningen)

Schmerzensgeld (Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld: Einzelfallabwägung; Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren).

§ 253 Abs. 2 BGB

1. Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können.

2. Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes: Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

3. Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.


Entscheidung

793. BGH 2 StR 536/16 – Beschluss vom 6. Juni 2017 (LG Kassel)

Grundsätze der Strafzumessung (Darlegung der von Vorderrichtern angestellten Strafzumessungsgesichtspunkte); Antrag des Verletzten (separate Stellung eines Adhäsionsantrages nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe).

§ 46 StGB; § 404 Abs. 1 StPO

1. Misst die Strafkammer bei der Gesamtstrafenbildung den vom jeweiligen Vorderrichter angestellten Strafzumessungsgesichtspunkten „ausschlaggebende Bedeutung“ zu, versäumt dann aber, diese in den Urteilsgründen darzulegen, ist es dem Senat nicht möglich, die getroffenen Gesamtstrafenentscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Dies führt – auch eingedenk des beschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen – zur Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche.

2. Wird ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, so ist nach erfolgter Bewilligung noch eine Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren führt weder zur Rechtshängigkeit der Anträge noch macht es die Fristenregelung des § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gegenstandslos.


Entscheidung

756. BGH 2 StR 364/16 – Beschluss vom 3. Mai 2017 (LG Bonn)

Strafzumessung (Berücksichtigung einer erfolgten Einziehung); unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Täterschaft: erforderliche Gesamtbetrachtung, kein eigenhändiges Delikt).

§ 46 StGB; § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 25 StGB

Wird dem Täter nach § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 370).