HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2012
13. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das Verhältnis von verweigerter Reihenuntersuchung nach § 81h StPO zur molekulargenetischen Untersuchung gemäß der §§ 81c, 81e StPO

Von Privatdozent und Rechtsanwalt Dr. Joachim Kretschmer, Berlin/Bremen

Tatort Hochschule: Während einer Party auf dem Gelände der Hochschule wird eine junge Frau, eine Studentin der Hochschule, auf der Mädchentoilette vergewaltigt. Das Opfer kann als einziges persönliches Merkmal des Täters dessen ungefähre Körpergröße mit 1,70 bis 1,90 m angeben. Es lassen sich Spermaspuren des Täters am Opfer sicherstellen. Die Tickets für die Party wurden namentlich verkauft und jeder namentlich bekannte Gast konnte eine Begleitung mitbringen. Auf diese Weise waren alle 450 männlichen Gäste namentlich bekannt – sei es als Käufer einer Karte oder als Begleitung. In das Größenraster passen 399 männliche Gäste.

Was werden die Strafverfolgungsorgane veranlassen, um die Tat aufzuklären? Stichwort: Molekulargenetische Untersuchung nach § 81e StPO. Zu § 81e StPO gelangt man über § 81a StPO – Beschuldigte – und § 81c Abs. 2 StPO – andere Personen als Beschuldigte. Auf diesem strafprozessualen Weg ist eine zwangsweise Anordnung und Durchführung einer molekulargenetischen Untersuchung möglich. Nach § 81h StPO ist eine DNA-Reihenuntersuchung auf freiwilliger Grundlage zulässig. Welchen Weg gehen kann man gehen, um den Spurenleger zu ermitteln? Die Frage ist, ob § 81h StPO eine Sperrwirkung für Maßnahmen nach den §§ 81a und § 81c StPO entfaltet. Schließt Freiwilligkeit möglichen Zwang aus?

1. § 81h StPO

Der Massengentest wurde mit § 81h StPO 2005 gesetzlich geregelt. Sind die Voraussetzungen für eine DNA[1] -Reihenuntersuchung nach § 81h StPO erfüllt?

Absatz 1 regelt was gegen wen unter welchen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Zusammen mit Absatz 2, in dem geregelt ist, wer die Maßnahme anordnen darf, sind diese vier "Ws" die klassischen Voraussetzungen einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme: Wer darf was gegen wen unter welchen Voraussetzungen anordnen? In Absatz 3 findet sich die Regelung, wie die Maßnahme durchgeführt wird und was mit dem gewonnenen Erkenntnismaterial geschieht. Die Freiwilligkeit gewinnt die DNA-Reihenuntersuchung durch Absatz 4: Die betroffenen Personen sind schriftlich darüber zu belehren, dass die Maßnahme nur mit ihrer Einwilligung durchgeführt werden darf.

Es gilt zum einen ein absoluter Richtervorbehalt nach § 81h Abs. 2 StPO und zum anderen nach § 81h Abs. 4 StPO das Prinzip der absoluten Freiwilligkeit. Eine ungewöhnliche und in der StPO einmalige Kombination.[2] Hintergrund ist, dass auch der freiwillige Massengentest eine funktionale Zwangswirkung beinhaltet. Diese doppelte Absicherung wird als Absurdität bezeichnet.[3]

Entscheidend für die freiwillige DNA-Reihenuntersuchung ist die Bestimmung des Täterprofils: "Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen". Betroffen sind sog. Merkmalsträger: alle männlichen Gäste zwischen 1,70 und 1,90, die Gast auf der Party waren. Mit den Prüfungsmerkmalen sind Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände gemeint, die nach dem bisherigen Ermittlungsstand vermutlich auf den Tatbeteiligten zutreffen.[4] Die Strafverfolgungsorgane, die Polizei, können im Rahmen konventioneller Ermittlungsarbeit ein Täterprofil erstellen, mit dem der Kreis der Merkmalsträger eingegrenzt werden kann. Die Merkmale müssen in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die spezielle Gruppe der Betroffenen objektiv zu definieren. Das geschieht vor allem durch die Auswertung von Tatortspuren und durch Zeugenaussagen. Das Vergewaltigungsopfer kann Angaben zum Täter machen – Alter, Größe, Haar- oder Augenfarbe, Fahrzeugtyp. Der Personenkreis muss hinreichend deutlich abgegrenzt sein. Das ist bei geschlossenen Personenkreisen eher möglich als bei offenen Personenkreisen. Die Rede ist von sog. Schützenfestfällen oder Partykellerfällen als Beispiele für Ersteres.[5] Als ein entgegen gesetztes Beispiel kann gelten: alle Männer zwischen 25 und 45 mit einer Körpergröße von 1,65 bis 1,85, die in der Zeit ab dem 1.9.2005 in Dresden und angrenzenden

Gemeinden gemeldet waren.[6] Betroffen waren über 100.000 Personen. Mit diesem Erfordernis eines Täterprofils wird deutlich, dass der Massengentest keine Standardmaßnahme ist, sondern Ausnahmecharakter hat und nicht am Anfang der Ermittlungsarbeit stehen darf und kann.

Beispiel[7]: "Am 24.8.2000 wurde die Leiche eines weiblichen Neugeborenen in zwei mit Steinen beschwerten Plastiktüten im Uferbereich des Rhein-Main-Donau-Kanals im Gemeindebereich Essing aufgefunden. Nach dem Obduktionsbefund ist nicht sicher feststellbar, ob das Kind nach der Geburt gelebt hatte. Als mögliche fremd verschuldete Todesursache kommt Ersticken oder Ertrinken in Betracht. Nachdem die kriminalpolizeilichen Ermittlungen nach der Herkunft des Neugeborenen und seiner Mutter erfolglos waren, führte die KPI Landshut im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Regensburg einen so genannten Massen-DNA-Test durch. Zielgruppe dieser Reihenuntersuchung waren etwa 1.500 Frauen, die zum Zeitpunkt des Leichenfundes in Essing und der näheren Umgebung gewohnt hatten und den Geburtsjahrgängen 1979 bis 1984 angehören. Von den heute noch im fraglichen Bereich wohnenden 1.300 Frauen dieser Altersgruppe hatten im Mai 2002 1.240 freiwillig eine Speichelprobe abgegeben. Die restlichen Personen konnten noch nicht erreicht werden oder hatten die Speichelprobe verweigert. Die Auswertung der erlangten Speichelproben war bislang erfolglos."

Ein Beispiel für einen sehr ungewöhnlichen Weg, die Prüfungsmerkmale des Täterprofils zu bestimmen – kriminalistische Phantasie – zeigt folgendes Geschehen des LG Dortmund[8]: "Die Voraussetzungen des § 81h StPO sind gegeben: Es besteht nicht nur der begründete Verdacht eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sondern es liegen auch bestimmte, auf den benannten Täterkreis von 284 Frauen vermutlich zutreffende Prüfungskriterien vor. Dass die Prüfungskriterien lediglich aus einer Kombination bestimmter Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen gefolgert werden (hier: nahe liegende Tötung des Neugeborenen durch die Kindsmutter, Durchschnittsalter von Müttern bei Tötung Neugeborener, Analyse des möglichen Lebensraums der Kindsmutter vor der Geburt auf Grund Isotopenuntersuchung, Ortskenntnisse der mutmaßlichen Täterin wegen der Auffindesituation der Leiche), hindert die Anwendung von § 81h StPO nicht. § 81h StPO verlangt nicht die Gewissheit, dass sich der mutmaßliche Täter unter den von der Maßnahme betroffenen Personen befindet, sondern es reicht für die Anordnung aus, dass sich die Untersuchung auf Personen bezieht, die auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen."

Eine Grenze bildet die Verhältnismäßigkeit. Diese rechtsstaatliche Schranke gilt für alle Zwangsmaßnahmen, seien sie präventiver oder repressiver Natur. § 81h StPO sagt, dass die Maßnahme insbesondere im Hinblick auf die Anzahl der von ihr betroffenen Personen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat stehen darf. Fraglich ist, ob es eine absolute Zahl der Betroffenen gibt, die einen Massengentest stets und in aller Regel unverhältnismäßig machen. Teilweise wird die Zahl 10.000,[9] teilweise wird die Zahl 100.000[10] genannt. Da stehen dann oft auch die finanziellen Kosten vor. Die individuelle molekulargenetische Untersuchung kostet etwa 200 Euro.[11]

Beispiel: Im Fall "Mirco" wurde am Tatort ein VW Passat gesehen. Man konnte mittels Faserspuren Baureihe und Ausstattungsvariante bestimmen. Einschlägig waren 155.000 Fahrzeuge, von denen zur Tatzeit etwa 105.000 in Deutschland zugelassen waren.

Zurück zu unserem Eingangsbeispiel: So sind die Voraussetzungen des § 81h StPO vorliegend erfüllt und der Weg des § 81h StPO ist möglich, indem alle 399 männlichen Gäste auf der Basis einer gerichtlichen Anordnung um ihre freiwillige Mitwirkung gebeten werden. Und: Machen Sie mit? Oder haben Sie was zu verbergen? Maßnahmen nach § 81h StPO dürfen nur durchgeführt werden, wenn der Merkmalsträger einwilligt. Da dieser kein Verdächtigter ist, stellt § 81h Abs. 4 StPO hohe Anforderungen an die Einwilligung. Und was ist mit den 20 Studenten, die "nein" sagen? Wer sich weigert, wird automatisch zum Beschuldigten? Kann man diese nach § 81a oder § 81c Abs. 2 StPO zur Abgabe einer Speichel- oder Blutprobe zwingen, um dann nach § 81e StPO eine molekulargenetische Untersuchung durchzuführen? Wer freiwillig nicht mitmacht, dem droht eben Zwang. Sie erkennen den Widerspruch?!

2. § 81a StPO

Sind nicht vielleicht bereits alle 399 Merkmalsträger Beschuldigte nach § 81a StPO, so dass es auf die Freiwilligkeit gar nicht ankommt? Für den Beschuldigtenstatus bedarf es des Tatverdachts und zudem der Inkulpation durch die Strafverfolgungsorgane. Diese kann in der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens liegen, aber auch schlüssig in dem Verhalten der Strafverfolgungsorgane. Als ein konkludenter Akt kommen die Art und Weise einer Vernehmung in Betracht, aber auch die Anordnung einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme wie § 81a StPO. Der Tatverdacht muss aber ein gewisses Maß an Konkretisierung erreicht haben, so dass sich der Kreis der Beschuldigten nicht uferlos weit auf eine Vielzahl von Betroffenen erstreckt. Der Unterschied: § 81a StPO bezweckt, einen vorhandenen Tatverdacht gegen den Beschuldigten zu bestätigen oder aber zu widerlegen (§ 160 Abs. 2 StPO). Es liegt daher bereits ein personalisierter Tatverdacht vor. Dagegen liegt bei § 81h StPO nur ein situativer Tatverdacht vor, der durch die freiwillige DNA-Reihenuntersuchung personalisiert werden soll. Sind bereits die 399 Männer als Merkmalsträger Beschuldigte oder erst die übrig gebliebenen 20 Studenten, die nicht bereit sind, an der DNA-Reihenuntersuchung mitzuwirken?

Die 399: Es ist möglich, dass mehrere Personen Beschuldigte sind, die sich gegenseitig als Täter ausschließen. Bei einem Reihengentest liegen nur wenige Prüfungsmerkmale vor, so dass der Kreis der Betroffenen noch relativ groß und unspezifisch bestimmt ist. Stehen die 399 allein daher unter Tatverdacht, weil sie Männer sind und weil sie zu Gast auf der Hochschulparty waren? Lassen sich durch diese allgemeinen Prüfungsmerkmale ein konkreter Tatverdacht und so der Beschuldigtenstatus begründen? Lediglich allgemeine Merkmale bei den betreffenden Personen lassen einen Beschuldigtenstatus nicht zu, wenn der Kreis der betroffenen Personen noch unüberschaubar ist. Es gibt keine genaue Zahl und Grenze, wie viele Personen gleichzeitig Beschuldigte sein können.[12] Das ist abhängig vom Einzelfall. Das überrascht nicht. Der Schwellenwert liegt teilweise bei 10 Merkmalsträgern, anderen nennen die Zahl 100 und bei einer relativ großen Zahl – 750 - von Merkmalsträgern soll Zurückhaltung geübt werden.[13]

Die 20: Anders und leichter mag die rechtliche Situation bezogen auf die übrigen 20 Männer sein. Aber: Allein aus der Tatsache, dass sie eine freiwillige Mitwirkung an der DNA-Reihenuntersuchung ablehnen, kann und darf nicht auf den Tatverdacht geschlossen werden.[14] Das ist absoluter Kernsatz. Die Teilnahmeverweigerung ist tatverdachtsneutral. Bei allem sozialen und moralischen Druck darf es keinen rechtlichen Druck geben. Wer von ihm zustehenden Rechten Gebrauch macht, darf dadurch keine rechtlichen Nachteile erleiden. Ansonsten bliebe nichts von der Freiwilligkeit übrig. Es folgt noch ein aber: Der Tatverdacht kann sich jedoch aus anderen – externen – Umständen ergeben. Es bedarf einer Neubewertung der Verdachtslage nach Auswertung des durchgeführten Massengentests. Zu denken ist an das Aussageverhalten bei einer Vernehmung, wohl noch einer Zeugenvernehmung in diesem Stadium, oder an ein zweifelhaftes Alibi. Die Möglichkeit der Tatbegehung lässt sich bei einem geschlossenen Kreis von Personen auch daraus schließen, dass nach einer durchgeführten Reihenuntersuchung mit negativem Ausgang an den 379 freiwilligen Probanden der Tatverdacht sich aus der spezifischen Tatortbeziehung auf die übrigen 20 Männer konkretisiert, da nur diese es gewesen sein können: Merkmalsträger und Tatortnähe.[15] Andere sehen bei geschlossenen Fällen auf Grund der spezifischen Tatortkonstellation alle Betroffene als Beschuldigte an.[16]

Dazu abschließend der BGH:[17] "Die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) findet ihre Grenzen in dem "nemo tenetur" Grundsatz, wonach der Beschuldigte im Strafverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern. Die Verweigerung der Probe darf auch nicht als belastendes Beweiszeichen gewertet werden." Und weiter heißt es: "Ob es hingegen im Ermittlungsverfahren einen Tatverdacht i.S. der Anordnungsvoraussetzungen für die Entnahme einer Speichelprobe verstärken kann, wenn es aus der Menge nach abstrakten Grundsätzen Tatverdächtiger (z.B. die männliche Bevölkerung eines Dorfes zwischen 14 und 45 Jahren) sich ein kleiner Teil zu einer freiwilligen Speichelprobe nicht bereit erklärt, ist eine Frage des Einzelfalls. Wenn andere verdachtsbegründende Kriterien angeführt werden können und sich der Kreis der grundsätzlich Verdächtigten durch die Abgabe einer Vielzahl freiwilliger Speichelproben verdichtet hat, wird auch jemand zur Entnahme einer solchen Probe durch strafprozessuale Anordnung gezwungen werden können, der bis dahin keine abgegeben hat."

3. § 81c StPO

§ 81c StPO gestattet die Untersuchung anderer Personen, Personen, die nicht Beschuldigte sind. Diese erbringen unter den Voraussetzungen des § 81c StPO im Interesse der effektiven Strafrechtspflege ein Sonderopfer. Ihr grundrechtliches Individualinteresse muss zurücktreten. In der Kollision zwischen dem grundrechtlichen Individualinteresse und dem Allgemeininteresse der effektiven Strafrechtspflege liegt der klassische und stete Konflikt des Strafverfahrens. Mit Blick auf eine zwangsweise DNA-Reihenuntersuchung kommt allein eine Entnahme von Blutproben ohne Einwilligung nach Absatz 2 in Betracht, um diese Proben dann nach § 81e StPO molekulargenetisch untersuchen zu lassen. Es gilt der Aufklärungsgrundsatz. Grenzen bilden die Zumutbarkeit und die Verhältnismäßigkeit. Zudem ist zu beachten, dass Absatz 3 ein Untersuchungsverweigerungsrecht parallel zum Zeugnisverweigerungsrecht gewährt. Es soll die freie Entscheidung des Angehörigen gewährleisten, ob er sich in einem Strafverfahren gegen einen Angehörigen als Beweismittel zur Verfügung stellen will. § 55 StPO greift nicht – so bedauerlicherweise die überwiegende Ansicht.[18]

Fällt damit nicht jeder Merkmalsträger im Sinne des § 81h StPO in den Anwendungsbereich des § 81c Abs. 2 StPO? Der betroffene Personenkreis nach § 81c Abs. 2 StPO sind andere Personen als Beschuldigte. Es geht um tatunverdächtige Personen wie Tatopfer und unbeteiligte Dritte. Die Maßnahme muss einen Aufklärungserfolg erwarten lassen. Die Maßnahme verlangt ein Sonderopfer von an der Tat unbeteiligten Personen – Unschuldsvermutung. Daher muss es sich bei dem Dritten um eine beweisgeeignete Person handeln, bei der konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Inanspruchnahme zu einem Beweiserfolg führen kann. Verlangt wird eine spezifische Beweisbeziehung.[19] Reihenuntersuchungen erlaubt § 81c StPO gerade nicht. Und nicht jeder Merkmalsträger ist eine solche beweisgeeignete Person. Die

Merkmalsträger – zum Beispiel alle männlichen Porschefahrer – müssen einen spezifischen Bezug zur Tat aufweisen: Teilnehmer eines Porschetreffens zum Tatzeitpunkt im Nachbarort.

Beispiel[20]: "Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das AG die Entnahme einer Blutprobe bei dem Betr. gem. § 81c Abs. 2 StPO und deren molekulargenetische Untersuchung an. Dem Betr. wurde nachgelassen, die Blutentnahme durch die Abgabe einer Speichelprobe abzuwenden. Vor dem Erlass des Beschlusses wurde dem Vertreter des Betr. der Antrag der StA zur Kenntnis- und Stellungnahme zugeleitet. In dem Antrag wurden die Tatsachen aufgeführt, auf die sich das vom LKA ermittelte Täterprofil stützt. Dem Ermittlungsverfahren, das bis dahin gegen Unbekannt geführt wurde, lag ein Tötungsdelikt zu Grunde, bei dem der Täter sich an dem Opfer auch sexuell verging. Als Täter kam daher nur eine männliche Person in Frage. Die StA ging auf Grund einer vom LKA erstellten Fallanalyse davon aus, dass der Täter entweder in Tatortnähe wohnte oder jedenfalls über gute Ortskenntnisse verfügte. Des Weiteren wurde am Tatort eine Unterhose des mutmaßlichen Täters gefunden, die eine Größe aufwies, die der Konfektionsgröße des Betr. entsprach. Weiterhin wurde von einer in der Nähe des Tatortes installierten Überwachungskamera am Tattag ein bisher unbekannter Mann gefilmt, bei dem es sich möglicherweise um den Täter handeln könnte. Die Körpergröße dieser Person korrespondierte mit der des Betr. Auf Grund des vorgenannten Täterprofils beabsichtigte die Polizei, bei allen tatortnah beschäftigten Männern auf freiwilliger Basis eine Speichelprobe zu erheben und diese einer molekulargenetischen Untersuchung zu unterziehen. Bisher wurden ca. 3000 Speichelproben erhoben. Der Täter konnte noch nicht ermittelt werden. Der Betr. verweigerte die freiwillige Teilnahme."

Schließt aber nicht die Einführung des § 81h StPO den zwangsweisen Massengentest aus? Das behaupten viele.[21]

1. Gegenargument: Die DNA-Reihenuntersuchung nach § 81h StPO ist eine abschließende Regelung für die Anordnung von DNA-Reihenuntersuchungen, die auf der Grundlage von § 81c StPO nicht angeordnet werden darf. Es ist nicht erlaubt, zwangsweise Massengentests nach den §§ 81c Abs. 2, 81e StPO unter weicheren Voraussetzungen zuzulassen als freiwillige Reihenuntersuchungen nach § 81h StPO. Das stelle das Gesetz auf den Kopf. § 81h StPO hat nach dieser Auffassung eine Sperrwirkung.[22] Das überzeugt nicht. Ein möglicher Massengentest nach § 81c Abs. 2 mit § 81e StPO unter Zwang steht unter seinen eigenen spezifischen Voraussetzungen, die weder enger noch weiter als die Bedingungen des § 81h StPO auf freiwilliger Grundlage sind. Jede Vorschrift hat ihre eigenen spezifischen materiellen und formellen Voraussetzungen. Der Personenkreis der Merkmalsträger, der für den freiwilligen Test ausreichend ist, wird bei der zwangsweisen Grundlage unter § 81c Abs. 2 StPO auf die spezifische Beweisbeziehung verengt.[23] Die Merkmalsträger müssen eine spezifische Beweisbeziehung zur Tat aufweisen. Das muss beachtet werden.

Hier kann man unterscheiden zwischen einem geschlossenen und einem offenen Personenkreis. Alle 399 männlichen Gäste einer Party kommen als Täter in Betracht. Die Rede ist zum Teil von kausalen Masseuntersuchungen. Die Betroffenen stehen zur Tat oder zum Opfer in einem tatortspezifischen Verhältnis.[24] Die noch große Anzahl von Probanden verhindert den Beschuldigtenstatus aller. Aber rechtlich zulässig ist eine zwangsweise Untersuchung nach § 81c Abs. 2 StPO. Bei offenen Personenkreisen – sog. finale Masseuntersuchungen, bei denen die Strafverfolgungsorgane Verdächtige allein anhand statistischer Kriterien ermitteln: alle Porschefahrer zwischen 25 und 40 Jahre – fehlt es den Merkmalsträgern an einem Bezug zur Tat. Das Sonderopfer im Interesse der Strafrechtspflege würde sich uferlos weit erstrecken. Es bleibt allein eine freiwillige Reihenuntersuchung.

2. Gegenargument: Das 1. Gegenargument ist ein eher rechtswissenschaftliches Argument, eine Art dogmatisches Glaubensbekenntnis, wenn nach dem Normverhältnis gefragt wird. Das 2. Gegenargument blickt auf die Zweckbindung des § 81e StPO. Dessen Absatz 1 Satz 1 sagt, dass an dem durch § 81a Abs. 1 StPO vom Beschuldigten gewonnenen Material molekulargenetische Untersuchungen durchgeführt werden dürfen zur Feststellung der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzen stammt. Und Satz 2 sagt dann, dass Untersuchungen nach Satz 1 auch zulässig für entsprechende Feststellungen an dem durch Maßnahmen nach § 81c StPO erlangten Material sind. Bei dem zwangsweisen Gentest auf der Grundlage nach § 81c Abs. 2 StPO sucht man aber einen molekulargenetischen Abgleich zwischen Spurenmaterial und dem unbeteiligten Personenkreis, der weder beschuldigt noch verletzt ist. Die Zweckbindung des § 81e Abs. 1 StPO soll daher gegen einen zwangsweisen Massengentest nach § 81c Abs. 2 StPO sprechen.[25] Das überzeugt nicht. § 81e Abs. 1 Satz 2 StPO gestattet entsprechende Untersuchungen an dem nach § 81c StPO erlangtem Material. Das kann nur bedeuten: ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem durch Maßnahmen nach § 81c StPO erlangten Material stammt.[26] Ist der Teilnehmer der Reihenuntersuchung der Spurenleger? Wo läge sonst der Gesetzeszweck? Die Norm selbst enthält eine erlaubte Analogie.

Zwangsweise Reihenuntersuchungen sind daher unter den spezifischen Voraussetzungen des § 81c Abs. 2 mit § 81e StPO zulässig. Übrigens: Wenn § 81c Abs. 2 StPO im Wortlaut alleine die Entnahme einer Blutprobe er-

laubt,[27] die nach § 81e StPO molekulargenetisch untersucht wird, ist es als geringere Maßnahme erlaubt, auch nur eine Speichelprobe zu entnehmen, wie es üblicherweise bei einer Reihenuntersuchung nach § 81h StPO gemacht wird.

Bleibt noch eine Frage: Dürfen Sie sich als männlicher Partygast zwischen 1,70 und 1,90 der zwangsweisen Entnahme einer Blutprobe zur molekulargenetischen Untersuchung auf der gefundenen Grundlage des § 81c Abs. 2 mit § 81e StPO verweigern? Worauf berufen Sie sich? Auf § 55 StPO. Gilt § 55 StPO? Überwiegend heißt die Antwort "nein", vor allem in den Kommentaren, die die Praxis prägen.[28] Strafverteidiger sehen das natürlich und zutreffend anders.[29] Die Frage stellt sich gerade bei geschlossenen Personenkreisen. Gerade bei diesen ergibt sich die Möglichkeit einer zwangsweisen Reihenuntersuchung an beweisgeeigneten Merkmalsträgern. Die Gewährung von § 55 StPO bei einer möglichen Selbstbelastung schließt die Maßnahme bei einer sog. kausalen Reihenuntersuchung wieder aus.[30] § 81c Abs. 3 StPO spricht zwar vom Zeugnisverweigerungsrecht und nicht vom Auskunftsverweigerungsrecht. Die Angehörigenbelastung soll gesetzlich verhindert werden. Es ist aber nur konsequent, auch bei der Gefahr einer Selbstbelastung eine Berechtigung zur Untersuchungsverweigerung anzuerkennen. Die Freiheit vor Selbstbelastung darf nicht unterlaufen werden. Wenn bereits die Fremdbelastung eines Angehörigen gesetzlich vermieden werden soll, muss das für die Selbstbelastung erst recht gelten.

4. Ergebnis

Maßnahmen nach § 81a und § 81c Abs. 2 StPO mit § 81e StPO kommen sowohl vor der Durchführung eines freiwilligen Reihengentests nach § 81h StPO als auch nach dessen Durchführung in Betracht, wenn die jeweiligen speziellen Voraussetzungen der Normen vorliegen. Den Zwangsmaßnahmen gebührt gar der gesetzliche Vorrang[31] vor dem freiwilligen Reihengentest, weil dieser eine besonders weite Form einer gerasterten Öffentlichkeitsfahndung ist. In § 81h StPO ist der mögliche Personenkreis ein weiter: Merkmalsträger. Bei § 81a StPO verengt sich der Kreis auf die Beschuldigten und bei § 81c StPO muss der Merkmalsträger eine beweisgeeignete Person sein. Bei Freiwilligkeit ist ein weit gefasster Personenkreis betroffen, der sich bei einer zwangsweisen Reihenuntersuchung personell verengt. Im Eingangsbeispiel spricht alles für die Möglichkeit einer zwangsweisen DNA-Reihenuntersuchung auf der Grundlage von § 81c Abs. 2 und § 81e StPO.


[1] DNA = Desoxyribonucleinsäure – acid.

[2] Siehe LR/Krause, Löwe-Rosenberg, 26. Aufl. (2008), § 81h Rn 4; Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 194.

[3] So Rogall, FS F. C. Schroeder, 2006, S. 691, 711.

[4] Siehe LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 11; Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 195.

[5] So Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 195.

[6] Davon berichten Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 195.

[7] LG Regensburg StraFo 2003, 127

[8] LG Dortmund NStZ 2008, 175.

[9] So Meyer-Goßner, 54. Aufl. (2011), § 81h Rn 5.

[10] So Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 196.

[11] Nach Handbuch für den Staatsanwalt/Siebenbürger, 3. Aufl. (2007), S. 99.

[12] Siehe SK-StPO/Rogall, 46. Lfg. (Jan 2006), § 81h Rn 6.

[13] Dazu LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 6; SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 6.

[14] So LG Mannheim NStZ-RR 2004, 301; LG Regensburg StraFo 2003, 127; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 7. Aufl. (2011), Rn 1688; LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 7; Murmann, in: Handbuch zum Strafverfahren (2008), Kap. III Rn 383; Rogall, FS Schroeder, S. 691, 713; Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 196 f.; SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 6.

[15] Siehe LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 7; SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 6.

[16] So Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 198.

[17] BGHSt 49, 60 = NStZ 2004, 393.

[18] So KK/Senge, 5. Aufl. (2003), § 81c Rn 10; Meyer-Goßner (Fn. 9), § 81c Rn 23.

[19] So SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 7.

[20] LG Mannheim NStZ-RR 2004, 301

[21] So LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 2, 5; Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO (2011), § 81h Rn 1; Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 199.

[22] So Saliger/Ademi JuS 2008, 193, 199.

[23] So SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 7.

[24] Vgl. SK-StPO/Rogall (Fn. 12, § 81h Rn 1.

[25] So LR/Krause (Fn. 2), § 81h Rn 2; Saliger/Ademi JuS 2008, 193.

[26] So LG Mannheim NStZ-RR 2004, 301; SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81e Rn 7 mit § 81e Rn 10.

[27] Darauf schränkt Rogall FS Schroeder S. 691, 714 die Maßnahme ein.

[28] So Beck-OK-StPO/Ritzert (2011) § 81c Rn 18; KK/Senge (Fn. 18), § 81c Rn 10; Meyer-Goßner (Fn. 9), § 81c Rn 20.

[29] Siehe GS-HK/Neuhaus, Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. (2011), § 81c Rn 12; siehe auch Radtke/Hohmann-Beukelmann (Fn. 21) § 81c Rn 12.

[30] So SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81c Rn 45.

[31] So SK-StPO/Rogall (Fn. 12), § 81h Rn 5.