HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2012
13. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Sicherungserpressung oder räuberischer Betrug

Besprechung von BGH 3 StR 318/10 – Beschl. vom 26. Mai 2011 = HRRS 2011 Nr. 770

Von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, Universität Potsdam

1. Kurze Entscheidungskritik

Der BGH nennt die Tat "Sicherungserpressung", verneint aber zugleich eine Strafbarkeit wegen (schwerer räuberischer) Erpressung. Es fehle an einem Vermögensnachteil, der Ergebnis einer das Opfer nötigenden Gewaltausübung oder Drohung durch den Täter ist. Denn den Vermögensnachteil habe der Geschädigte bereits vor der gegen ihn verübten Gewalt erlitten. Keine klare Stellung nimmt der BGH zu der Frage, ob die Lage des Geschädigten nach der Gewaltausübung vielleicht ein Vermögensnachteil ist, der vor dieser Gewaltausübung noch nicht vorlag. Die Bemerkung, die Gewaltanwendung habe die Vermögenssituation des Geschädigten nicht beeinflusst und dem Verzicht auf Geltendmachung von "(Rück-)Forderungsansprüchen" komme "keine eigenständige Bedeutung" zu, soll wohl besagen, dass die Gewalt keine Verschlechterung der Vermögenssituation des Geschädigten, also keinen neuen Vermögensnachteil, bewirkt habe. Einfacher und dogmatisch präziser kann man das auch so ausdrücken, dass durch den Sachverhalt, um dessen strafrechtliche Beurteilung es geht, das objektive Tatbestandsmerkmal "Vermögensschaden" nicht erfüllt worden ist.[1] Unverständlich ist vor diesem Hintergrund jedoch, dass nach Ansicht des BGH eine räuberische Erpressung in Betracht gekommen wäre, "wenn die – von vornherein beabsichtigte – Gewalt unmittelbar nach der Täuschung eingesetzt worden wäre, um das Opfer zu nötigen, die Schädigung des Vermögens endgültig hinzunehmen." Sogar grob falsch wird die Begründung des Beschlusses im folgenden Satz, wo der Senat darauf abstellt, dass der Angeklagte den Gewaltanwendungswillen nicht bereits bei Vorspiegelung seines Zahlungswillens bzw. vor Beginn der geplanten Wegfahrt gehabt habe. Nicht der Zeitpunkt des Nötigungswillens, sondern der Zeitpunkt des Vollzugs der Nötigungshandlung ist entscheidend, soweit es um die Erfüllung des objektiven Erpressungstatbestandes geht. Eine von Anfang an vorhandene Gewaltanwendungsabsicht vermag das Fehlen eines Kausalzusammenhangs zwischen Gewalt und Vermögensschaden nicht zu überbrücken, wenn die Absicht erst nach Eintritt des Vermögensschadens in die Tat umgesetzt, also die Gewalt erst im Anschluss an die Vermögensschädigung zur Sicherung des erlangten Vorteils verübt wird. Die Tat ist dann eben nicht – wie der BGH schwammig formuliert – "von Anfang an durch nötigende Elemente geprägt". Zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes erforderlich sind nicht "nötigende Elemente", sondern ist eine nötigende Handlung des Täters und ein dadurch verursachter Vermögensschaden des Opfers. Als Anhänger der herrschenden Literaturmeinung müsste man zudem noch verlangen, dass der Zusammenhang zwischen Nötigung und Vermögensschaden durch eine Vermögensverfügung des genötigten Opfers hergestellt worden ist.[2]

2. Behandlung des Themas in der Literatur

An der "verwirrenden"[3] und nicht zufriedenstellenden Behandlung[4] von Fällen wie dem vorliegenden ist aber nicht nur die teils widersprüchliche Rechtsprechung schuld, sondern auch die Literatur, die als Straflosigkeitsgrund den Gesichtspunkt der "mitbestraften Nachtat" in den Vordergrund stellt[5] oder als Begründungsalternative vorschlägt[6]. Erläuterungen zur "Sicherungserpressung" oder zum "Sicherungsbetrug" stehen in Lehrbüchern und Kommentaren üblicherweise im Abschnitt "Konkurrenzen"[7] . In den Kommentierungen der §§ 52 ff

StGB werden Täuschungen oder Nötigungen zur Sicherung eines durch anderweitiges deliktisches Handeln zuvor bereits erlangten Vermögensvorteils als Beispiele für mitbestrafte und daher hinter dem ersten Delikt zurücktretende Nachtaten präsentiert.[8] Dass die Nachtat vielleicht schon deshalb als Bestrafungsgrund ausscheidet, weil sie den Straftatbestand der Erpressung oder des Betruges nicht erfüllt, ist eine Überlegung, die zwar häufig angedeutet, aber letztlich nicht richtig "ernst genommen"[9] wird.[10] Es ist gewiss ein erheblicher Unterschied, ob eine Tat als Erpressung deshalb nicht strafbar ist, weil sie den Tatbestand der Erpressung nicht erfüllt oder weil sie als mitbestrafte Nachtat hinter einer Vortat zurücktritt. Im letzteren Fall erfüllt sie nämlich sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer Erpressung,[11] was z. B. die Möglichkeit einer strafbaren Teilnahme anderer an dieser Tat eröffnet oder die Geltung deutschen Strafrechts gem. §§ 3, 9 StGB begründet, wenn die Vortat im Ausland und nur die Nachtat auf deutschem Territorium begangen worden ist. Die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen Vor- und Nachtat stellt sich hingegen überhaupt nicht, wenn die Nachtat den Erpressungs- oder Betrugstatbestand nicht erfüllt, weil sie keine Vermögensbeschädigung verursacht hat, die nicht schon infolge der Vortat eingetreten war.[12] Regelrecht perplex sind deshalb Formulierungen, die das Zurücktreten der Nachtat als "mitbestraft" in einem Atemzug mit dem Fehlen eines neuen Vermögensschadens nennen und letzteres sogar als Grund für ersteres angeben: "Grundsätzlich ist das Abheben des Geldes von einem zuvor entwendeten Sparbuch als mitbestrafte Nachtat zum Diebstahl anzusehen, weil dieses Verhalten in der Regel nicht zu einer Erweiterung oder Vertiefung des durch das Eigentumsdelikt verursachten Schadens führt"[13] .

Unterscheiden sich die beiden Konstruktionen auch in der Bewertung der "zweiten Tat" gewaltig, so scheint ihnen hinsichtlich der "ersten Tat" – der Vortat – doch einheitlich dieselbe Prämisse vorangestellt zu werden: Die Vortat ist ihrerseits bereits ein strafbares Vermögensdelikt. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann die Nachtat als "mitbestrafte" konsumiert werden, wobei zusätzlich noch die Einschränkung gemacht werden muss, dass nur eine von demselben Täter begangene Vortat diesen Konsumtionseffekt auslösen kann.[14] Und auch die Verneinung eines (neuen, vertieften) Vermögensschadens leuchtet ein, wenn der Verlust bereits durch ein vorangegangenes Verhalten des Täters verursacht worden ist. Aber schon der Umstand, dass es dabei nicht auf Identität des Vor- und Nachtäters ankommen kann, begründet Zweifel, die das Bemühen um gedanklichen Nachvollzug dieser Tatbestandslösung stören. Wieso soll die Bewertung der Vermögenssituation nach der Gewaltanwendung – als "Schaden" oder "Nachteil" – überhaupt davon abhängig sein, dass das Vermögen vor der Gewaltanwendung durch anderes strafbares Verhalten – desselben Täters (?) – geschmälert worden ist? Muss nicht allein entscheidend sein, dass die Vermögenslage eben schon vorher so war, wie sie nun nach der Tat – immer noch – ist, egal, wodurch dies ursprünglich verursacht worden ist? Hat nicht auch der Verkäufer die verkaufte Sache verloren, nachdem er sie vorleistend einem ehrlichen Käufer übergeben hat, bevor dieser den Kaufpreis entrichtet?[15] Von einem "Vermögensschaden" würde aber in einem solchen Fall wohl niemand sprechen, weil der Verlust der Sache durch den Anspruch auf Kaufpreiszahlung und die begründete Aussicht auf seine Erfüllung kompensiert wird. Erleidet jetzt also dieser Verkäufer nachträglich einen nötigungsbedingten Schaden, wenn er – aus welchem Grund auch immer – von dem Käufer die Rückgabe der Sache verlangt und der Käufer dies nicht nur verweigert, sondern den Verkäufer auch noch gewaltsam daran hindert, sich die Sache eigenhändig wieder zu verschaffen? Dass der Käufer ein Recht auf die Sache hat und deshalb keine rechtswidrige Bereicherung erstrebt sowie möglicherweise gerechtfertigte Notwehr übt, kann aus straftatsystematischen Gründen die Erfüllung des objektiven Erpressungstatbestandes nicht verhindern. Dennoch erscheint es merkwürdig, dass der "ehrliche" Käufer objektiv tatbestandsmäßig Erpressung begeht, während dasselbe Verhalten des von Anfang an betrügerisch agierenden Käufers bloß Nötigung sein soll. Oder wie verhält es sich mit dem Finder einer vom Eigentümer verlorenen Sache, der zur Rückgabe nur gegen Zahlung eines wucherischen "Finderlohns" bereit ist und den Versuch des Eigentümers, sich die Sache eigenmächtig zurück zu holen, mit Gewalt unterbindet? Ist die Zufügung eines den Erpressungstatbestand erfüllenden Vermögensschadens damit zu begründen, dass der den Eigentümer bereits zuvor betroffene Verlust seiner Sache nicht auf einer Straftat (desselben Täters) beruht? Diese Begründung hätte die Konsequenz, dass der Finder keine Erpressung beginge, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden wäre und der Dieb sie weggeworfen oder seinerseits verloren hätte, bevor der Finder sie in Besitz nahm. Wieso der hohe Preis, den der Eigentümer für die Rückerlangung der ihm gehörenden Sache zahlen muss, in diesem Fall kein Vermögensschaden sein soll, entzieht sich einer einleuchtenden Begründung.

3. Erfüllung des Erpressungstatbestands

Eine dogmatisch saubere und widerspruchsfreie Beurteilung von Sachverhalten, die der Kategorie "Sicherungser-

pressung" – für den "Sicherungsbetrug" gilt entsprechendes – zugehören, muss also zunächst klären, ob die vorteilssichernde Nötigung[16] die Strafbarkeitsvoraussetzungen der (räuberischen) Erpressung (§§ 253, 255 StGB) erfüllt oder nicht. Nur wenn die Antwort "ja" lautet, ist anschließend die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zur vorangegangenen vermögensschädigenden Tat zu erörtern. Das Thema "mitbestrafte Nachtat" wird also gar nicht berührt, wenn sich bereits auf der ersten Prüfungsstufe herausstellt, dass die Sicherungstat den objektiven Tatbestand der Erpressung nicht erfüllt. Das einzige objektive Tatbestandsmerkmal, dessen Erfüllung fraglich ist, ist der Vermögensschaden, in der Terminologie des StGB der dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen zugefügte "Nachteil". Das Problem besteht aber nicht darin, dass das Vermögen des Betroffenen überhaupt keine nachteilige Veränderung erfahren hat, sondern vielmehr darin, dass diese bereits vor der Tat – genauer: vor der Nötigung – auf Grund anderer Ursachen entstanden war. Der Effekt der (Sicherungs-)Nötigung ist insoweit nicht die Herbeiführung der Vermögensverschlechterung, sondern deren Aufrechterhaltung bzw. Verhinderung einer den Verlust wieder ausgleichenden Vermögensmehrung.[17] An der Argumentation des BGH in dem vorliegend besprochenen Beschluss ist daher vollkommen richtig die Bemerkung, dass der Verlust des Lenkgetriebes den Geschädigten schon vor der Gewaltanwendung seitens des Angeklagten getroffen hatte. Diesen Vermögensnachteil hat also nicht die Nötigungshandlung herbeigeführt,[18] weshalb auf die Tatsache, dass das Lenkgetriebe nach der Nötigungshandlung faktisch dem Vermögen des Geschädigten nicht (mehr) angehörte, die Erfüllung des Erpressungstatbestandes nicht gestützt werden kann.

Jedoch berücksichtigt diese Argumentation nicht, dass ein nötigungsbedingter Vermögensnachteil des Geschädigten möglicherweise durch geringfügige Veränderung des Blickwinkels begründet werden könnte. Als Objekt eines solchen Nachteils könnte zum einen der Anspruch bzw. die Aussicht auf Rückerlangung der Sache – hier des Lenkgetriebes – und zum anderen der Anspruch bzw. die Aussicht auf die Gegenleistung – hier Zahlung der 100 Euro – in Betracht kommen.[19] Dass Forderungen auf vermögenswerte Güter ihrerseits Vermögensgutqualität haben, steht außer Zweifel. In Rechtsprechung und Literatur wird sogar über – auf Grund §§ 134, 138 BGB – "nichtige Forderungen" als Gegenstand von Betrug diskutiert.[20] Der Geschädigte hätte hier aus § 985 BGB und § 812 Abs. 1 BGB gegen den Angeklagten einen Anspruch auf Rückgabe des Lenkgetriebes, wenn er sich um dessen Rückerlangung bemüht und damit konkludent die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) erklärt hätte. Die Voraussetzungen eines solchen Anfechtungsrechts hat der Angeklagte durch sein betrügerisches Verhalten geschaffen. Einen Anspruch auf Zahlung von 100 Euro hatte der Geschädigte auf Grund der Vereinbarung mit dem Angeklagten hinsichtlich der Überlassung des Lenkgetriebes. Im Folgenden wird der Anspruch auf Rückgabe des Lenkgetriebes in die Erörterungen einbezogen, auch wenn es dem Geschädigten allein auf die Zahlung der 100 Euro angekommen sein mag. Die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Vermögensschaden" ließe sich in Bezug auf diese beiden Ansprüche ganz einfach begründen, wenn diese nach der Gewaltanwendung des Angeklagten nicht mehr existierten. Aber so verhält es sich selbstverständlich nicht. Den Anspruch auf Zahlung der 100 Euro hat bzw. den Anspruch auf Rückgabe des Lenkgetriebes hätte – wenn er angefochten hätte – der Geschädigte auch nach der Gewalttätigkeit des Angeklagten. Insoweit ist er nicht ärmer geworden und hat er keine Vermögenseinbuße erlitten.[21]

Also kann ein Vermögensschaden nur noch damit begründet werden, dass infolge der Gewalttätigkeit des Angeklagten die tatsächliche Aussicht des Geschädigten auf Erlangung der 100 Euro oder des Lenkgetriebes vernichtet oder zumindest erheblich verschlechtert wurde.[22] Der BGH stellt dazu fest, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung nicht beeinträchtigt worden sei. Das ist gewiss zutreffend, aber als Begründung für die Verneinung eines Erpressungsschadens nicht ausreichend. Der Geschädigte hatte gegen den Angeklagten einen Anspruch auf sofortige Zahlung der 100 Euro bzw. – nach der Anfechtung – auf sofortige Rückgabe des Lenkgetriebes. Diesen Anspruch wollte er durchsetzen, woran er durch die Gewalttätigkeit des Angeklagten gehindert wurde. Ohne diese Gewalttätigkeit hätte der Geschädigte sich das Lenkgetriebe einfach nehmen können und wäre dann wieder im Besitz dieser Sache. Den Wert des Gesamtvermögens würde das Haben des Lenkgetriebes sicher günstiger beeinflussen als das Haben eines Anspruchs auf Rückgabe des Lenkgetriebes oder auf Zahlung der 100 Euro. Wenn nun der Geschädigte vor der Gewalttätigkeit des Angeklagten eine Aussicht auf Rückerlangung des Lenkgetriebes gehabt hätte, die der Angeklagte durch seine Gewalt zunichte gemacht hat, wäre eine nötigungsbedingte Verschlechterung der Vermögenslage nicht zu bezweifeln. Eine Aussicht auf freiwillige Zahlung der 100 Euro oder Rückgabe des Lenkgetriebes durch den Angeklagten hatte der Geschädigte allerdings nicht. Der Angeklagte war von Anfang an nicht bereit, die noch geschuldeten 100 Euro zu zahlen oder das Lenkgetriebe zurückzugeben. Die Gewalttätigkeit des Angeklagten hat somit allein die Chance des Geschädigten, durch eigenmächtigen Zugriff die Sachherrschaft über das Lenkgetriebe zurückzuerobern, vereitelt. Ob diese Chance ein Vermögensgut ist, welchen Wert sie hatte, bevor der Angeklagte gewalttätig wurde und ob dieser Wert geringer war, als vor der Gewalttätigkeit, hängt entscheidend davon ab, ob von dem Angeklagten ein chancenvereitelnder Widerstand zu erwarten war. Tatsächlich hat der Angeklagte die Rückeroberung des Lenkgetriebes durch den Geschädigten vereitelt. Das wäre ein Vermögensschädigungserfolg, wenn der Geschädigte vor der Gewaltanwendung bessere Aussichten auf Rückerlangung des Lenkgetriebes gehabt hätte. So verhielte es sich z. B., wenn der Geschädigte die

Sache einem ohnehin rückgabebereiten oder physisch unterlegenen Dritten abnehmen wollte und der Täter dies durch gewaltsame Intervention unterbunden hätte. Hier aber stieß der Angeklagte auf einen von vornherein zahlungs- und rückgabeunwilligen, gewaltbereiten und physisch überlegenen Widersacher. Die Chance, sich gegen diesen Gegner mit körperlicher Gegengewalt durchzusetzen, war von Anfang an gering oder sogar gleich Null. Durch die praktizierte Gewalt des Angeklagten wurde lediglich bestätigt, dass der Geschädigte von vornherein keine Chance gehabt hat.[23] Die Vermögenslage des Geschädigten ist daher im Hinblick auf die Rückerlangungsaussicht nach der Gewalt des Angeklagten genauso schlecht wie sie zuvor schon war. Der Vermögensschaden, der nach der Gewaltanwendung vorlag, bestand in gleicher Qualität und Stärke schon vor der Gewaltanwendung[24] . Die Gewalttätigkeit des Angeklagten hat also keinen Vermögensschaden verursacht, der objektive Tatbestand der Erpressung wurde nicht erfüllt.

Dieses Ergebnis verhindert im Übrigen eine Aufweichung der Exklusivität des § 252 StGB, der die gewaltsame Beutesicherung allein im unmittelbaren Anschluss an einen Diebstahl oder Raub als räuberisches Verbrechen bewertet, nicht dagegen im Anschluss an andere Vermögensdelikte wie z. B. Betrug.[25] Der "räuberische Betrug" ist daher kein Fall der räuberischen Erpressung.[26]

4. Nötigung

Der BGH beurteilt die vorteilssichernde Gewaltanwendung als strafbare Nötigung (§ 240 StGB). Diese Einschätzung findet sich auch in vielen Stellungnahmen in der Literatur, die Strafbarkeit aus §§ 253, 255 StGB entweder wegen Nichterfüllung des Tatbestandsmerkmals "Vermögensschaden" oder wegen Zurücktretens als mitbestrafte Nachtat verneinen.[27] Ob diese Tatbewertung richtig ist, erscheint jedoch fraglich. Zwar ist an der Erfüllung des Nötigungstatbestandes nicht zu zweifeln, sofern man dem Aspekt, dass der Geschädigte durch die Gewalt möglicherweise nur an einer Handlung gehindert wird, die ihm das Recht ohnehin verbietet, auf Tatbestandsebene nicht berücksichtigt. Jedoch kommt der Rechtsanwender auf der Rechtswidrigkeitsebene nicht mehr daran vorbei zu prüfen, ob die Gewaltanwendung gerechtfertigt ist, weil sie der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs diente. Die Nötigung wäre nicht "verwerflich" (§ 240 Abs. 2 StGB), wenn sie durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt wäre.[28] Da der Geschädigte seinerseits Nötigungsmittel anwendete, um den Angeklagten zur Zahlung der 100 Euro zu bewegen, lag ein gegenwärtiger Angriff vor. Dieser wäre jedoch nicht rechtswidrig, wenn dem Geschädigten ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stünde. Eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 32 StGB) scheitert daran, dass der in dem Betrug enthaltene Angriff auf das Vermögen nicht mehr gegenwärtig war[29] und die Zahlungsverweigerung kein Angriff (durch Unterlassen) ist.[30] Der einzige in Betracht kommende Rechtfertigungsgrund ist das Selbsthilferecht des § 229 BGB.[31] Dessen Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Der BGH hebt selbst hervor, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung nicht einmal durch die Schläge des Angeklagten beeinträchtigt worden ist. Dann war diese Möglichkeit zuvor erst recht nicht gefährdet. Denn anders als in dem "Gänsebrust-Fall"[32] waren hier dem Geschädigten die Personalien seines Schuldners bekannt. Man kann sich zwar denken, dass eine Klage des Geschädigten auf Zahlung der 100 Euro wenig Aussicht auf Erfolg hat, da die Parteien ihre Vereinbarung bzgl. Lenkgetriebe und 100 Euro mündlich getroffen haben. Aber zur Rettung aus Beweisnot ist das Selbsthilferecht nicht bestimmt.[33] Der Angeklagte wehrte sich also gegen einen gegenwärtigen Angriff, der nicht gerechtfertigt war. Allerdings könnte die Rechtswidrigkeit dieses Angriffs gem. § 240 Abs. 2 StGB ausgeschlossen sein. Denn obwohl die Selbsthilfeaktion des Geschädigten weder von § 32 StGB noch von § 229 BGB gedeckt ist, hat sie doch starke Notwehrähnlichkeit. Hätte sich der Angeklagte das Lenkgetriebe nicht durch Betrug, sondern durch einen (Trick-)Diebstahl verschafft, wäre der Angriff auf das Eigentum des Geschädigten noch gegenwärtig und daher eine Rechtfertigung durch Notwehr möglich. Es ist schwer einzusehen, dass dies deswegen anders sein soll, weil der Angeklagte das Vermögen des Geschädigten nicht als Dieb, sondern als Betrüger attackierte. Jedenfalls ist die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB elastisch genug, um dem Geschädigten rechtmäßiges Verhalten bescheinigen zu können. Für die Beurteilung der Gewaltanwendung durch den Angeklagten hat dies zur Folge, dass eine Rechtfertigung durch Notwehr ausgeschlossen ist. Da der Angeklagte auf Grund seines Vorverhaltens in dem von ihm ausgelösten Konflikt mit dem Geschädigten die Pflicht zur Deeskalation und zum Nachgeben hatte, ist seine gewalttätige Reaktion als verwerflich iSd § 240 Abs. 2 StGB zu bewerten. Im Ergebnis wurde er also zu Recht wegen Nötigung verurteilt.


[1] So Krey/Hellmann, Strafrecht Besonderer Teil, Band 2, 15. Aufl. (2008), Rdn 395.

[2] Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I, 13. Aufl. (2011), § 11 Rdn 25; Schröder MDR 1950, 398, 400.

[3] Rengier, (Fn. 2), § 11 Rdn. 55.

[4] Sickor GA 2007, 590.

[5] Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 2. Aufl. (2009), § 18 Rdn 23.

[6] So Rengier, (Fn. 2), § 11  Rdn 54, nach dem "die Erpressung zumindest als mitbestrafte Nachtat" einzustufen sei.

[7] Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 2. Aufl. (2009), § 20 Rdn 144; Eisele, Strafrecht Besonderer Teil II (2009), Rdn 623; Habetha, in: AnwaltKommentar zum StGB (2011), § 252 Rdn 19; B. Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, aaO, § 17 Rdn 40; § 18 Rdn 23; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil 1, 10. Aufl. (2010), § 41 Rdn 157; § 42 Rdn 50; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, 27. Aufl. (2010), § 253 Rdn 39; Schönke/Schröder/Cramer/Perron aaO § 263 Rdn 184; vgl. dagegen Habetha, in: AnwaltKommentar zum StGB aaO, § 253 Rdn 14: "An einem Vermögensschaden fehlt es regelmäßig in Fällen einer Sicherungserpressung"; ebenso Vogel, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Band 8, 12. Aufl. (2010), § 253 Rdn 25.

[8] Fischer, StGB, 59. Aufl. (2012), vor § 52 Rdn 65; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben (Fn. 7), vor § 52 Rdn 129 ff.

[9] So zutreffend Sickor GA 2007, 590, 596.

[10] Kindhäuser, in: Nomos Kommentar zum StGB, 3. Aufl. (2010), § 263 Rdn 413: "Fraglich ist allerdings, wie überhaupt der Tatbestand des Betruges erfüllt sein soll, wenn die Täuschung keinen neuen Schaden bedingt".

[11] So – in Bezug auf Sicherungsbetrug – Arzt (Fn. 7), § 20 Rdn 144.

[12] Hillenkamp JuS 1997, 217, 220; Schröder MDR 1950, 398; Sickor GA 2007, 590, 596.

[13] BGH NStZ 1993, 591; ähnlich BGH GA 1957, 409, 410; 1961, 83; BGH StV 1992, 272; BGH wistra 1999, 108; richtig BGH wistra 1992, 342, 344. Vgl. auch Herffs wistra 2006, 63, 65: "Die Betrugshandlung … verursacht keinen neuen selbständigen Schaden, ist also mitbestrafte Nachtat" (Hervorh. W. M.).

[14] Schröder SJZ 1950, 94, 99.

[15] Schröder SJZ 1950, 94, 95.

[16] Beim Sicherungsbetrug: Täuschung.

[17] Schröder MDR 1950, 398.

[18] Hillenkamp JuS 1997, 217, 220; Kienapfel JR 1984, 388, 389; Seier NJW 1981, 2152, 2155.

[19] Schröder MDR 1950, 398.

[20] Arzt (Fn. 7), § 20 Rdn 116.

[21] Sickor GA 2007, 590, 595.

[22] Seier NJW 1981, 2152, 2156.

[23] Hillenkamp JuS 1997, 217, 220; Seier NJW 1981, 2152, 2156.

[24] Seier NJW 1981, 2152, 2157.

[25] Habetha, (Fn. 7), § 252 Rdn 19; § 253 Rdn 14; Kindhäuser, (Fn. 10), § 252 Rdn 32; § 253 Rdn 48.

[26] Kienapfel JR 1984, 388.

[27] Schröder MDR 1950, 398, 401.

[28] Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 12. Aufl. (2011), § 23 Rdn 58.

[29] Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. (2006), § 15 Rdn 28.

[30] Roxin (Fn. 29), § 15 Rdn 12.

[31] Das an sich begründete Festnahmerecht (§ 127 Abs. 1 S. 1 StPO) übte der Geschädigte nicht aus, weil es ihm nur um "sein" Geld und nicht darum ging, den Angeklagten der Strafverfolgungsbehörde zuzuführen.

[32] BayObLG NStZ 1991, 133.

[33] Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2008), § 9 Rdn 4; Laubenthal JR 1991, 519, 520; Roxin (Fn. 29), § 17 Rdn 30.