HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2008
9. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

710. BGH 3 StR 142/08 – Beschluss vom 8. Mai 2008 (LG Hildesheim)

Bedingter Tötungsvorsatz (Beweiswürdigung; besonders gefährliche Gewalthandlungen; objektive Gefährlichkeit; intellektuelles Element; voluntatives Element).

§ 211 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO

1. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt – auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich.

2. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist.


Entscheidung

736. BGH 1 StR 59/08 – Urteil vom 3. Juni 2008 (LG Augsburg)

Tötungsvorsatz beim Schütteln eines Kleinkindes (Beweiswürdigung; Zirkelschluss: Erörterungsmangel); Versuch (fehlgeschlagener; beendeter; Grenzen des geltenden Zweifelsgrundsatzes); Rechtsfehler bei der Strafzumessung (Beruhen).

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB; § 354 Abs. 1 StPO analog

1. Einzelfall der Feststellung des voluntativen Vorsatzelements beim Schütteln eines Kleinkindes.

2. Ein Versuch ist (unter anderem) dann nicht fehlgeschlagen, wenn der Täter die Tat zwar auf der Stelle kurzfristig nicht fortsetzen kann, ihm dies aber ohne nennenswerte zeitliche Zäsur möglich bleibt (BGH, Beschl. vom 27. November 2002 – 1 StR 462/02 m.w.N. = NStZ-RR 2003, 199 <LS>; BGHSt aaO m.w.N.).

3. Ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt, richtet sich nach der Vorstellung, die der Täter zu dem Zeitpunkt hat, zu dem er auf die ihm mögliche Weiterführung der Tat verzichtet („Rücktrittshorizont“; st. Rspr. seit BGHSt 33, 295 ff. unter Hinweis auf BGHSt 31, 170). Geht er davon aus, sein bisheriges Handeln reiche nicht aus, den Erfolg der Tat herbeizuführen, so läge ein unbeendeter Versuch vor. Glaubt er dagegen, sein bisheriges Verhalten werde zum Erfolg der Tat führen – oder macht er sich überhaupt keine Vorstellungen hierüber (vgl. BGHSt 40, 304, 306) – so liegt ein beendeter Versuch vor.

4. Der Zweifelssatz ist auch auf das Vorliegen von Rücktrittsvoraussetzungen anzuwenden, wenn bei einer Gesamtbeurteilung der Tatsachen keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden können. Jedoch ist es auch in diesem Zusammenhang nicht zulässig, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt (st. Rspr. vgl. d. N. oben II 1 c; speziell zum Rücktritt vgl. BGH, Urt. vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07). All dies führt auch bei einem schweigenden beziehungsweise pauschal bestreitenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Gang der Hauptverhandlung zu schöpfen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 – 2 BvR 1378/06; BGH NJW 2007, 2274).

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

792. BGH 5 StR 109/07 – Urteil vom 25. Juni 2008 (LG Potsdam)

BGHSt; mehrere Tatbeteiligte derselben Straftat als Parteien im Sinne des Parteiverrats (sukzessive Mehrfachverteidigung; pflichtwidriges Dienen; dieselbe Rechtssache; vermeidbarer Verbotsirrtum); Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes; versuchte Nötigung (Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts).

§ 356 StGB; § 201 StGB; § 240 StGB; § 146 StPO; § 273 BGB; § 43a Abs. 4 BRAO; § 50 Abs. 3 BRAO; § 17 StGB

1. Mehrere Tatbeteiligte derselben Straftat können Parteien im Sinne des § 356 StGB sein. (BGHSt)

2. Rechtssache kann jede rechtliche Angelegenheit sein, die zwischen mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll (vgl. BGHSt 5, 301, 304; 18, 192). Auch Strafsachen gehören zu den unter § 356 StGB fallenden Rechtssachen, wenn an ihnen mehrere Personen mit widerstreitenden Interessen rechtlich beteiligt sind (BGHSt 5, 284, 285; 301, 304). Diese Personen sind dann Parteien im Sinne des § 356 StGB. Ein engeres Verständnis vom Begriff der Partei verlangt Art. 103 Abs. 2 GG nicht. (Bearbeiter)

3. Dass eine Person an einem bestimmten Verlauf einer Rechtssache ein rein tatsächliches Interesse hat, macht sie nicht zur „Partei“. Soweit daraus gefolgert wurde, dass zwischen den Teilnehmern an derselben strafbaren Handlung keine vom Recht geschützten Beziehungen bestehen, die Gegenstand eines rechtlichen Verfahrens unter ihnen als „Parteien“ sein können, wird dies hiermit aufgegeben. (Bearbeiter)

4. Dieselbe Rechtssache ist nicht nur gegeben, wenn es sich um ein und dasselbe Verfahren handelt; sie liegt vielmehr auch vor, wenn in Verfahren verschiedener Art und verschiedener Zielrichtung ein und derselbe Sachverhalt maßgeblicher Verfahrensgegenstand ist (vgl. BGHSt 5, 301, 304; 18, 192). Den Vergleichsmaßstab hat das dem Rechtsanwalt unterbreitete Lebensverhältnis in seinem gesamten Tatsachen- und materiellen Rechtsgehalt zu bilden. (Bearbeiter)

5. § 43a Abs. 4 BRAO verbietet dem Rechtsanwalt auch vor dem Hintergrund des heutigen § 146 StPO die Übernahme von Mandaten mit konkreten Interessenkollisionen. (Bearbeiter)

6. Ein Rechtsanwalt dient dann pflichtwidrig, wenn er einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache bereits Rat und Beistand geleistet hat (vgl. BGHSt 5, 284, 286; 15, 332, 334; 34, 190, 192). (Bearbeiter)

7. Für das Anvertrauen im Sinne des § 356 StGB ist es ausreichend, dass der Mandant dem Anwalt den fraglichen Sachverhalt mitteilt und damit bezweckt, dass der Rechtsanwalt seine Interessen in dieser Sache wahrnimmt (vgl. BGHSt 18, 192, 193). Eine ins Einzelne gehende Feststellung bestimmter anvertrauter Umstände erfordert das Tatbestandsmerkmal der anvertrauten Angelegenheiten nicht. (Bearbeiter)

8. Ein Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB kommt nur in Betracht, wenn dem Täter die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht der Täter die Strafbarkeit seines Vorgehens nicht zu kennen; es genügt, dass er wusste oder hätte erkennen können, Unrecht zu tun (BGHSt 15, 377, 383; BGH NStZ 1996, 236, 237; wistra 1986, 218). Wird die Unrechtskenntnis durch eine weitergehende berufsrechtliche Verpflichtung vermittelt, kann es Fälle geben, in denen das Bewusstsein, gegen berufliches Standesrecht zu verstoßen, einen Verbotsirrtum nicht ausschließt. (Bearbeiter)

9. Nach der Rechtsprechung besteht an Geschäftspapieren, die von einem Mandanten für die ordnungsgemäße Bearbeitung der Angelegenheiten, auf die sie sich beziehen, alsbald benötigt werden, in aller Regel kein Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts nach § 273 BGB (vgl. BGH WM 1968, 1325; NJW 1997, 2944, 2945). Die Ausübung eines vermeintlich bestehenden Zurückbehaltungsrechts kann hier die Nötigung verwirklichen. (Bearbeiter)


Entscheidung

738. BGH 1 StR 217/08 – Beschluss vom 19. Juni 2008 (LG Traunstein)

Heimtückemord (Arglosigkeit und Wehrlosigkeit bei sich wandelndem Tatgeschehen und anfänglichem Körperverletzungsvorsatz); Anforderungen an die Überzeugungsbildung (Urteilsgründe; Beweiswürdigung).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 261 StPO; § 267 StPO

1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei heimtückisch begangenem Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 jew. m.w.N.). Arglosigkeit des Tatopfers ist allerdings auch dann anzunehmen, wenn der überraschende Angriff zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt wird, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem

Zeitpunkt andauert, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergeht, sodass die Situation völlig unverändert ist und dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen bleibt. Die Tat muss vielmehr vom ersten Angriff an ihren ganz ungehemmten und nicht zu hemmenden Fortgang nehmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 16 und 27; BGH NStZ-RR 2004, 234).

2. Bei einem Tatgeschehen, bei dem sich die Situation wiederholt gewandelt hat, der Angeklagte in seinem Angriff innegehalten hat, die Geschädigte versucht hat, den Angriff verbal zu beenden und zudem eine nicht unbeträchtliche Verteidigungsmöglichkeit erlangt hat und bei dem die ersten beiden Angriffe lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführt wurden, kann nicht davon gesprochen werden, die Situation sei von Beginn an völlig unverändert gewesen und es sei keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen geblieben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).

3. Die Wehrlosigkeit des Opfers kann selbst dann entfallen, wenn ihm die nicht von vorneherein gänzlich aussichtslose Möglichkeit bleibt, auf den Täter verbal einzuwirken, um den Angriff zu beenden. Von einer Wehrlosigkeit des Opfers im Sinne eines Ausschlusses jedes nicht gänzlich sinnlosen Versuchs, den Täter von der Tötungshandlung abzubringen, kann nur dann ausgegangen werden, wenn festgestellt ist, dass der Entschluss des Täters zur Tötung so unumstößlich war, dass jeder Versuch, ihn davon abzubringen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt war (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8).


Entscheidung

757. BGH 4 StR 58/08 – Beschluss vom 27. Mai 2008 (LG Rostock)

Schwere räuberische Erpressung; Betrug (Besitz als Vermögensposition; wirtschaftlicher Vermögensbegriff; Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe: untergeordnete Bedeutung); vollendete Nötigung.

§ 253 StGB; § 255 StGB; § 263 StGB; § 27 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 240 StGB

1. Auch der durch einen Diebstahl erlangte rechtswidrige Besitz gehört zu dem von § 263 StGB geschützten Vermögen.

2. Zum Konkurrenzverhältnis von Betrug und (räuberischer) Erpressung bei einer täuschungsbedingten Erlangung eines werthaltigen Besitzes und einer anschließenden Drohung zur Bewahrung des erlangten Besitzes.

3. Zwar kann eine Erpressung auch dadurch begangen werden, dass der Täter das Tatopfer durch Drohung oder Gewalt dazu veranlasst, auf die Geltendmachung einer Forderung zu verzichten. Der von dem Tatbestand vorausgesetzte Vermögensschaden tritt in diesen Fällen aber nur ein, wenn eine Forderung besteht und auch werthaltig ist. Dies ist bei einer Forderung, die auf die Bezahlung eines gestohlenen Fahrzeuges gerichtet ist und die der Erwerber von vornherein nicht bezahlt wollte, nicht der Fall.


Entscheidung

695. BGH 3 StR 102/08 – Urteil vom 8. Mai 2008 (LG Oldenburg)

Schwerer Raub (gefährliches Werkzeug; Verwenden: Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben; Mitsichführen); Zweifelssatz (hypothetische Sachverhalte); lückenhafte Beweiswürdigung.

§ 250 StGB; § 261 StPO

1. Das „Verwenden“ eines gefährlichen Werkzeugs beim schweren Raub (§ 250 Abs. 2 StGB) ist immer dann zu bejahen, wenn es der Täter zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache gerade als Mittel entweder der Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht. Dabei setzt vollendetes Verwenden zur Drohung voraus, dass das Opfer das Nötigungsmittel als solches erkennt und die Androhung seines Einsatzes wahr nimmt.

2. Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will. Die Äußerung der Drohung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.

3. Kein „Verwenden“ in diesem Sinne ist das bloße Mitsichführen, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn es offen erfolgt.

4. Der Zweifelssatz gebietet es nicht, zu Gunsten des Angeklagten zum objektiven wie zum subjektiven Tatbestand einen Sachverhalt zu unterstellen, für dessen Vorliegen nach den festgestellten Umständen nichts spricht.


Entscheidung

772. BGH 4 StR 220/08 – Beschluss vom 10. Juli 2008 (LG München)

Festsetzung der Strafe durch das Revisionsgericht (analoge Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO); Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs.

§ 354 Abs. 1 StPO analog; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 223 StGB

Rutscht das Tatopfer von dem vom Angeklagten geführten Pkw ab und verletzt es sich durch den Sturz auf die Strafe, macht sich der Angeklagte nicht der gefährlichen Körperverletzung „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ schuldig.


Entscheidung

762. BGH 4 StR 105/08 – Urteil vom 19. Juni 2008 (LG Dessau)

Prüfung niedriger Beweggründe und Strafzumessung bei einer „Kindstötung“ durch die Mutter (Mord; Totschlag; verminderte Schuldfähigkeit; Einbeziehung generalpräventiver Erwägungen zur Strafschärfung).

§ 212 StGB; § 211 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 217 StGB aF; § 21 StGB

1. Bei Kindstötungen wird selbst unter den engeren Voraussetzungen des früheren § 217 StGB eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine unabhängig hier-

von bestehenden rechtlich relevanten körperlichen und geistig-seelischen Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juni 2003 – 3 StR 55/03). Dies gilt erst recht, wenn die Tat – anders als im früheren § 217 StGB vorausgesetzt – nicht „in oder gleich nach der Geburt“ erfolgt.

2. Einzelfall einer unvertretbar hohen, keinen gerechten Schuldausgleich darstellenden Strafe bei einer Kindstötung, die das für vergleichbare Fälle übliche Maß erheblich überschreitet.

3. Angesichts einer sich in letzter Zeit ersichtlich häufenden Zahl einschlägiger Fälle dürfen bei der Findung des (noch) schuldangemessenen Strafmaßes von Kindstötungen auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Bei der Gewichtung der primär maßgeblichen Tatschuld darf aber insbesondere die häufig verzweifelte Situation der Kindesmütter nicht außer Betracht bleiben.

4. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiter reichendem Maße als ein Totschlag – verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters, und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; jew. m.w.N.).


Entscheidung

781. BGH 4 StR 298/08 – Beschluss vom 10. Juli 2008 (LG Essen)

Schwerer Raub durch Beisichführen eines sonstigen Mittels zum Bruch von Widerstand (einschränkende Auslegung bei objektiv ersichtlich ungefährlichen Gegenständen und Täuschungen).

§ 249 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB

Ein Gegenstand, der aus der Sicht eines objektiven Betrachters nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich ist, ist kein taugliches Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB, denn bei Verwendung eines objektiv ersichtlich ungefährlichen Gegenstandes, den das Opfer nicht oder nur unzureichend sinnlich wahrnehmen kann (und soll), wird die Zwangswirkung beim Opfer zwar mittels dieses Gegenstandes, maßgeblich jedoch durch Täuschung hervorgerufen.


Entscheidung

805. BGH 5 StR 193/08 – Beschluss vom 11. Juni 2008 (LG Berlin)

Sexuelle Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage; Nötigung (konkludente Drohung mit Zwang zur Prostitution).

§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 240 StGB

1. Voraussetzung für die Annahme einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, dass das Opfer die Tat aus Angst vor Gefahren für Leib oder Leben über sich ergehen lässt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 51, 280, 284; BGHSt 50, 359, 365). Dabei reicht es aus, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Schutzlose Lage 5, 7, 8). Die Annahme eines solchen schutzlosen Ausgeliefertseins erfordert Feststellungen zu den äußeren Umständen des Tatgeschehens, etwa zum Tatort, zu den Fluchtmöglichkeiten oder zur Anwesenheit Dritter ebenso wie solche zur Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstands (vgl. BGHSt 50, 359, 362).

2. Darüber hinaus ist darzulegen, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung nicht gegen den Täter zur Wehr gesetzt hat. Das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage erfasst nur solche Fälle, in denen ein möglicher Widerstand aus Angst vor körperlichen Gewalthandlungen unterbleibt. Es genügt hingegen nicht, dass das Opfer dies aus Angst vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 284; vgl. auch BGH NStZ 2003, 533, 534).


Entscheidung

789. BGH 5 StR 46/08 – Urteil vom 23. Juli 2008 (LG Hamburg)

Schwerer Raub (Absicht rechtswidriger Zueignung: Tatbestandsirrtum bezüglich bestehender Zahlungsansprüche); Nötigung; Selbsthilfe.

§ 249 StGB; § 250 StGB; § 240 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 229 BGB

1. Wie bei der Prüfung, ob ein Zahlungsanspruch aus einem Drogenverkauf der Annahme der Absicht einer unrechtmäßigen Bereicherung im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB beim nötigenden Einfordern dieses Anspruchs entgegensteht (vgl. BGHSt 48, 322, 328 f.), kommt es auch bei der Prüfung, ob ein Angeklagter zur Verwirklichung eines solchen Zahlungsanspruchs zu Selbsthilfezwecken in Erfüllung eines vorgestellten Übereignungsanspruchs gehandelt hat darauf an, ob der Angeklagte nach laienhafter Bewertung der Umstände einen Anspruch auf die erstrebte Leistung sich nicht zumisst oder für zweifelhaft hält (vgl. BGHSt aaO S. 329).

2. Ein Irrtum über das Bestehen eines solchen Anspruchs liegt nicht vor, wenn sich der Nötigende lediglich nach den Anschauungen der einschlägig kriminellen Kreise als berechtigter Inhaber eines Zahlungsanspruchs gegen das Opfer fühlt. Entscheidend ist, ob er sich vorstellt, dass dieser Anspruch auch von der Rechtsordnung anerkannt wird und er seine Forderung demgemäß mit gerichtlicher Hilfe in einem Zivilprozess durchsetzen könnte (vgl. BGHSt aaO).


Entscheidung

810. BGH 5 StR 219/08 – Beschluss vom 25. Juni 2008 (LG Hamburg)

Mittäterschaft und Beihilfe bei gewerbsmäßiger Bandenhehlerei (Beleg der Verabredung; Gehilfen als Bandenmitglieder; minder schwerer Fall); gewerbsmäßige Hehlerei (Absetzen: Absatzerfolg und Eignung der Handlung; untergeordnete Tätigkeiten).

§ 259 StGB; § 260a StGB; § 260 StGB; § 27 StGB

1. Der 5. Strafsenat hält an der gefestigten, indes vehement angegriffene Rechtsprechung des Bundesgerichts-

hofs, nach der ein Absetzen keinen Absatzerfolg voraussetzt, fest.

2. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der gestohlene, zur Verschiffung nach Übersee vorgesehene Fahrzeuge zum Speditionsgelände bringt, Mitglied der die Verschiffung ausführenden Hehlerbande ist (vgl. auch BGH wistra 2002, 57). Es muss bewiesen werden, dass zwischen mindestens drei Personen die gebotene deliktische Vereinbarung zustande gekommen ist (vgl. BGHSt 50, 160, 164).

3. Eine Bande liegt auch vor, falls sich ein Haupttäter und zwei Gehilfen bei ersichtlicher Organisationsgefahr zusammengeschlossen haben (vgl. BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 2 Bande 7).


Entscheidung

730. BGH 1 StR 126/08 – Beschluss vom 5. Juni 2008 (LG Mannheim)

Gewerbsmäßiges Handeln beim Betrug.

§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB

Für Gewerbsmäßigkeit reicht es aus, wenn der Täter sich mittelbare Vorteile aus den Tathandlungen verspricht, insbesondere wenn die Vermögensvorteile an eine von ihm beherrschte Gesellschaft fließen (vgl. BGH NStZ 1998, 622). Insoweit ist erforderlich, dass der Täter ohne weiteres auf diese Vorteile zugreifen kann (vgl. BGH, Beschl. vom 16. April 2008 – 5 StR 615/07), was bei einem faktischer Geschäftsführer der Fall ist.