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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 772

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 220/08, Beschluss v. 10.07.2008, HRRS 2008 Nr. 772


BGH 4 StR 220/08 - Beschluss vom 10. Juli 2008 (LG München)

Festsetzung der Strafe durch das Revisionsgericht (analoge Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO); Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs.

§ 354 Abs. 1 StPO analog; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 223 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Rutscht das Tatopfer von dem vom Angeklagten geführten Pkw ab und verletzt es sich durch den Sturz auf die Strafe, macht sich der Angeklagte nicht der gefährlichen Körperverletzung "mittels eines gefährlichen Werkzeugs" schuldig.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2007 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall III. A 8 der Urteilsgründe wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten,

b) das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 154 a Abs. 2 StPO im Tatkomplex III. A der Urteilsgründe auf die dort bezeichneten Fälle 2 b, 2 d, 2 e, 7 a, 9 sowie 10 a beschränkt,

c) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen, des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen sowie des schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist,

d) in den Aussprüchen über die im Tatkomplex III. A der Urteilsgründe erkannte Gesamtstrafe und die im Tatkomplex III. B der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Verfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten des gemeinschaftlich begangenen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in sieben vollendeten und drei versuchten Fällen für schuldig befunden und ihn insoweit unter Einbeziehung einer dreimonatigen Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und ferner wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Senat stellt aus verfahrensökonomischen Gründen im Tatkomplex III. A des angefochtenen Urteils das Verfahren in dem dort bezeichneten Fall 8 auf Antrag des Generalbundesanwalts ein und beschränkt im selben Tatkomplex das Verfahren gegen den Angeklagten auf die dort bezeichneten Fälle 2 b, 2 d, 2 e, 7 a, 9 und 10 a. Dementsprechend ist der diesen Tatkomplex betreffende Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier vollendeten und zwei versuchten Fällen schuldig ist. Der Senat setzt in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe im Fall 2 b auf acht Monate Freiheitsstrafe fest; er folgt damit der Strafbemessung des Landgerichts in den übrigen jeweils nur einen geschleusten Ägypter betreffenden vollendeten Fällen. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der in diesem Tatkomplex erkannten Gesamtstrafe zur Folge, die nunmehr aus den verbleibenden Einzelstrafen von viermal acht Monaten Freiheitsstrafe (Fälle 2 b, 2 d, 9 und 10 a) und zweimal sechs Monaten Freiheitsstrafe (Fälle 2 e und 7 a) unter Einbeziehung der dreimonatigen Freiheitsstrafe aus der früheren Verurteilung zu bilden ist.

2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch im Übrigen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nur insoweit ergeben, als das Landgericht ihn im Tatkomplex III. B der Urteilsgründe tateinheitlich zum schweren räuberischen Diebstahl und zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden hat. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Mai 2008 zutreffend ausgeführt hat, ergeben die Feststellungen insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen (tateinheitlich begangener) "einfacher" Körperverletzung nach § 223 StGB. Denn dadurch, dass das Tatopfer von dem vom Angeklagten geführten Pkw abrutschte, auf die Straße stürzte und sich dabei verletzte, hat der Angeklagte die Körperverletzung nicht "mittels eines gefährlichen Werkzeugs" im Sinne der vom Landgericht angenommenen Tatbestandsalternative der Nr. 2 des § 224 Abs. 1 StGB begangen (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch insoweit dahin, dass der Angeklagte statt gefährlicher Körperverletzung der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig ist. Der Geschädigte hat rechtzeitig Strafantrag gestellt.

Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts hebt der Senat den Einzelstrafausspruch in dieser Sache auf. Denn er kann nicht ausschließen, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf die Strafrahmenwahl und die Bemessung der - zumal angesichts des geringfügigen Werts der Tatbeute - vergleichsweise hohen Strafe ausgewirkt hat.

3. Der vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 30. Mai 2008 beantragten Nachholung eines Teilfreispruchs bedarf es nicht. Denn die Anklage richtete sich in dem vom Generalbundesanwalt bezeichneten Fall 6 im Tatkomplex III. A der Urteilsgründe nicht gegen den Angeklagten, sondern nur gegen die beiden früheren Mitangeklagten.

4. Von der Aufhebung der Gesamtstrafe im Tatkomplex III. A sowie der Einzelstrafe im Tatkomplex III. B der Urteilsgründe sind die zugehörigen Feststellungen nicht betroffen, diese können daher bestehen bleiben. Im Übrigen weist der Senat für das weitere Verfahren vorsorglich darauf hin, dass der neue Tatrichter angesichts der im angefochtenen Urteil festgestellten Verfahrensverzögerung auch die zur Kompensation geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - NJW 2008, 860, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; sogenannte Vollstreckungs- anstelle der Strafabschlagslösung) zu beachten haben wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 772

Bearbeiter: Karsten Gaede