HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2005
6. Jahrgang
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Schrifttum

Uwe Freyschmidt, Verteidigung in Straßenverkehrssachen (Praxis der Strafverteidigung, Band 1), 8. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, C. F Müller Verlag, Heidelberg 2005, 315 S., kart. € 40,-.

Klaus Himmelreich/Michael Bücken, Verkehrsunfallflucht - Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB (Praxis der Strafverteidigung, Band 15), 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2005, 308 Seiten. kart. € 45,­-.

Praktisch zeitgleich mit der Einführung des Fachanwalts für Verkehrsrecht hat der Verlag C. F. Müller in der Reihe "Praxis der Strafverteidigung" zwei Bände zur Verteidigung in straßenverkehrsrechtlichen Bereich vorgelegt. Ein - wie sich zeigt - für den verkehrsrechtlichen tätigen Rechtsanwalt glückliches Zusammentreffen.

Mit dem vorgelegten Band von Freyschmidt ist die Reihe "Praxis der Strafverteidigung" vor bald zwanzig Jahren, damals noch betreut von Elmar Müller, gestartet. Ihre Zielsetzung war und ist es, den Rechtsanwalt für eine erfolgreiche Verteidigung bestens zu rüsten. Deshalb hat es sich die Reihe zum Ziel gesetzt, ihm dazu eine praktische Darstellung prozesstaktischer Erwägungen auf der Basis des geltenden Rechts, ergänzt durch geeignete Muster und Anträge, an die Hand zu geben. Vorweg lässt sich feststellen: Beide Bände erreichen diese selbst gesetzten Ziele der Reihe ohne Schwierigkeiten.

Der nun in der 8. Auflage vorliegende Band über die "Verteidigung in Straßenverkehrssachen" von Freyschmidt stellt eine besonderes gelungene Realisierung des Konzepts der Reihe " Praxis der Strafverteidigung" dar. Das Handbuch bietet einen Rat­geber und Leitfaden durch das gesamte verkehrsstrafrechtliche Mandat von der Mandatsübernahme bis hin zur Revision. Dabei werden die verschiedenen Stadien des Mandats erörtert, aber auch die Fragen der Nebenklage, des Verletzten- und Nebenklagebeistandes sowie das an Bedeutung zunehmende Adhäsionsverfahren nicht vergessen. Auch Strafbefehlsverfahren und beschleunigtes Verfahren sind als besondere Verfahrensarten behandelt worden.

Der Schwerpunkt dieses Werkes liegt in dem knapp 80 Seiten starken Überblick über die wichtigsten Straftatbestände, wobei naturgemäß die in der Praxis bedeutsamen §§ 142 und 316 StGB im Vordergrund stehen. Neu aufgenommen worden sind aus dem materiellen Recht die mit dem Fahren ohne Fahrerlaubnis zusammenhängenden Fragen. Das Werk kann und will von seinem Ansatz her kein Kommentar zum materiellen Recht sein. Es verschafft aber einen guten Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung und gibt genügend Hinweise um im Mandat auftretende Rechtsfragen in weiterführender Rechtsprechung und Literatur zu vertiefen. Bedeutsam für die Verteidigung sind in dem Zusammenhang die praktischen deliktsbezogenen Hinweise, die der Autor für eine sachgerechte Verteidigung des Mandanten gibt. Diese führen den Verteidiger durch das Mandat und richten sein Augenmerk auf das, was jeweils für die Verteidigung von Bedeutung ist, was dem Verteidiger die tägliche Arbeit in erheblichem Umfang erleichtert. Weiß er doch, worauf er achten muss.

Auch im verfahrensrechtlichen Teil führt Freyschmidt in vorbildlicher Weise durch das Mandat. Der Weg beginnt bei dessen Übernahme und endet mit der Revision. Keine der zwischendurch liegenden Verfahrenssituationen ist übersehen. Auch hier liegt der Schwerpunkt weniger im Bereich der reinen Vermittlung des geltenden Verfahrensrechts als vielmehr in der Behandlung von und der Hilfestellung für bestimmte Prozesssituationen. Auch hier erleichtern Schriftsatzmuster und Formulierungsvorschläge die tägliche Arbeit im verkehrsrechtlichen Mandat.

Freyschmidt schreibt in einem flüssigen, sachlichen Stil. Er übersieht nicht, dass gegenüber der Einlassung bzw. den Angaben des Mandanten auch von Verteidigerseite manchmal Vorsicht geboten sein kann und weist darauf, z.B. bei der Nachtrunkeinlassung, hin. Was sich mir nicht erklärt ist, warum die Rechtsprechung szitate alle mit Datumsangabe versehen sind. Das ist überflüssig, da i.d.R. nicht jeweils nur eine Fundstelle genannt ist, man

also, wenn die ein oder andere Zeitschrift nicht zur Verfügung steht, ohne weiteres auf andere Fundstellen zurückgreifen kann.

Der in nun vierter Auflage vorgelegte Band von "Himmelreich/Bücken" hat es sich zum Ziel gesetzt, dem Verteidiger den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) näher zu bringen, dessen Probleme auch nach 20 Jahre nach der Neufassung noch immer alle nicht gelöst sind.

Auch Himmelreich/Bücken legen einen praxisorientierten Leitfaden zu § 142 StGB vor, der naturgemäß weit über das hinaus geht, was Freyschmidt zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort darstellen kann. Die Probleme der Vorschrift werden im Hinblick auf die einzuschlagenden Verteidiger strategien erschöpfend dargestellt. Besonders gelungen ist es, wenn häufig zugleich anhand von Rechtsprechung sbeispielen die behandelten Fragen verdeutlich werden. Kann der Verteidiger daran doch immer sofort erkennen, ob es "für seinen Fall passt".

Den materiellen Ausführungen voran gestellt haben Himmelreich/Bücken Ausführungen zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung, die durch zahlreiche Muster für Verteidigungsanträge und Schreiben ergänzt werden. Diese sind im Mandat eine gute Hilfe.

Es ist selbstverständlich, dass Himmelreich/Bücken die Neuauflage auf den aktuellen Stand von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur gebracht haben. Hervorzuheben ist das neu aufgenommene umfangreiche Kapitel zur "Verkehrsunfallflucht im Ausland" mit Ausführungen u.a. zum Rechtshilfeverkehr im europäischen Ausland (Vollstreckungsabkommen, sowie Europäischer Haftbefehl etc.) sowie zur Verfolgung der Unfallflucht in den wichtigsten europäischen Urlaubsländern. Stark überarbeitet worden sind die in der Praxis bedeutsamen versicherungsrechtlichen Aspekte der Unfallflucht sowohl im Hinblick auf die Haftpflicht- und die Vollkaskoversicherung als auch auf die Rechtsschutzversicherung sowie der Einsatz von Nachschulung und Therapie zum Wegfall oder zur Reduzierung von Fahrerlaubnis-Entzug und Fahrverbot im Rahmen der Verteidigung.

Fazit: Beide Bände sind zu loben. Es handelt sich um zwei Werke, die nicht nur dem verkehrsrechtlich nicht so versierten Rechtsanwalt unverzichtbare Hilfestellungen geben, sondern gerade auch demjenigen noch Gewinn bringen, der häufig(er) im verkehrsrechtlichen Mandat tätig ist. Auch die (zukünftigen) Fachanwälte für Verkehrsrecht werden in ihnen noch so manches finde, wozu Kommentare und Monografien schweigen. Beide Bände sollten daher in der Bibliothek des auf dem Gebiet des Verkehrsstrafrechts tätigen Rechtsanwalt s nicht fehlen, zumal es Spaß macht, auch mal "nur so" in ihnen zu lesen. Der jeweils recht moderate Preis macht die Anschaffung möglich.

RiOLG Detlef Burhoff , Münster.

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Heike Jung, Kriminalsoziologie. Nomos, Baden-Baden 2005, 117 S., ISBN 3-8327-1138-3, 16,80 €.

Das Lehrbuch von Heike Jung ist die jüngste Neuerscheinung auf dem bisher noch recht überschaubaren Gebiet mit Literatur zur Kriminalsoziologie. Es richtet sich insbesondere an den Studenten der Rechtswissenschaft, der sich mit dem Wahlschwerpunkt Kriminologie beschäftigt. Nichtsdestotrotz bietet es auch für Studenten anderer Fachrichtungen, aber auch für den im strafrechtlich-kriminologischen Bereich tätigen Praktiker die Gelegenheit einer Annäherung an die Kriminalsoziologie.

Das schmale Büchlein umfasst insgesamt 117 Seiten, von denen exklusive des Anhangs, Literatur- und Inhaltsverzeichnis 89 Seiten der inhaltlichen Darstellung gewidmet sind. Das Lehrbuch von Jung basiert auf einem von ihm konzipierten Skript, mit welchem seine Saarbrücker Studenten in seiner Vorlesung zur Kriminalsoziologie gearbeitet haben. Das verdeutlicht bereits den wesentlichen Vor- und Nachteil des Werkes: Es bietet einerseits eine komprimierte und überschaubare Darstellung des Themas. Andererseits kann eine solche kurzgefasste Abhandlung die behandelten Themen nur anreißen, einige denkbare Punkte müssen außen vor bleiben und eine Reflexion des Dargestellten muss weit gehend unterbleiben. So verweist Jung denn auch selbst darauf, dass es im Rahmen eines Skripts "bei Andeutungen verbleiben muss" (S. 12). Er versucht dieses Dilemma zu lösen, indem er weiterführende Literaturhinweise nennt, die dem Leser bei Interesse zur Vertiefung dienen können. Dabei stellt er zum einen seinem Lehrbuch eine recht ausführliche Literaturliste voran, die sich auf die gängigen Werke zur Kriminologie, Rechts- und Kriminalsoziologie bezieht. Zum anderen finden sich in den einzelnen Kapiteln zu den jeweiligen Themenkreisen teilweise recht umfangreiche Verweise auf spezielle Literatur und Internet-Links.

Jung gliedert das Buch in neun Kapitel. In den einleitenden Kapiteln 1 und 2 führt er kurz in die Kriminalsoziologie ein und skizziert selbige vor dem Hintergrund der Kriminologie und der Soziologie. Dabei betont er die interdisziplinäre Ausrichtung der Kriminalsoziologie, welche in einem gesellschaftlich ausgerichteten Ansatz rechtswissenschaftliche und soziologische Fragestellungen zusammen zu führen versuche. Jung legt bei der Betrachtung der Kriminalsoziologie den Schwerpunkt auf die sozialen Bedingungen und die gesellschaftlichen Reaktionen auf Kriminalität. Dabei sieht er die Kriminalsoziologie als eng verwandt mit der Rechtssoziologie an, da beide die Interaktionen zwischen Recht und Gesellschaft zu erklären versuchten.

In Kapitel 3 erläutert er kriminalsoziologische Grundbegriffe wie Norm/Abweichung/Sanktion oder soziale Kontrolle, welche die Grundlage für die weiteren Ausführungen seiner Arbeit bilden. Hier geht er auch auf die jüngst diskutierten alternativen Reaktionsmöglichkeiten auf abweichendes Verhalten wie restorative justice oder Mediation ein.

Kapitel 4 widmet sich fünf klassischen Autoren, welche mit ihren Werken die Kriminalsoziologie entscheidend geprägt haben: Durkheim, Weber, Elias, Foucault und Bourdieu. Aufgrund des begrenzten Umfangs des Skripts bleibt dabei nicht nur die Auswahl der Autoren begrenzt, sondern auch die inhaltliche Abhandlung. Jung beschränkt sich hier auf die Kernthesen der Autoren.

Das 5. Kapitel beschreibt zunächst die Relevanz, den praktischen Aufbau und Ablauf eines empirischen Forschungsvorhabens in der Kriminologie. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Methodenauswahl und den Gütekriterien. Anschließend erfolgt eine Übersicht der verschiedenen Kriminalstatistiken einschließlich ihrer Stärken und Schwächen. Hierauf folgt eine kurze Einführung in die Dunkelfeldforschung.

In Kapitel 6 werden einige soziologisch ausgerichtete Kriminalitätstheorien erörtert. Der Autor behandelt hier die Anomietheorie in Durkheims und Mertons Ausprägung, die Theorie der differentiellen Assoziation, Subkultur-, Kulturkonflikt-, Kontrolltheorie sowie den labeling approach. Einer kurz gefassten Darstellung der Theorien folgt jeweils eine knappe Auflistung einiger Schwächen der Ansätze. Leider wird die Rational-Choice-Theorie nur gestreift, der Routine-Activity-Approach findet sogar überhaupt keine Erwähnung.

Kapitel 7 enthält eine äußerst knappe Auflistung zur Institutionenforschung (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Strafvollzug).

In Kapitel 8 setzt Jung strafrechtliche Grundbegriffe in Bezug zur Kriminalsoziologie. In Hinblick auf die Strafzumessung stellt er die Frage, wie die kriminalsoziologisch wünschenswerte Gleichheit bei der Strafzumessung praktisch umsetzbar sein könnte (S. 89 f.). Leider fällt eine Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen wie just desert dem begrenzten Umfang des Buches zum Opfer. Sodann erfolgt eine umfangreiche Beschäftigung mit der steigenden Bedeutung des Sicherheitsbegriffs für die Kriminalpolitik. Jung betont, dass in den letzten Jahren die Übergänge zwischen Prävention und Repression zunehmend unklarer geworden seien. Hierzu hätten die Ausweitung von Eingriffsbefugnissen und ein immer früheres staatliches Intervenieren in einem von der konkreten Bedrohung durch Straftaten losgelösten Bereich beigetragen (S. 90). Jung setzt sich dann weiter kritisch mit dem fragwürdigen Einfluss der Kriminalitätsfurcht auf die Kriminalpolitik auseinander. Er warnt davor, nicht erfüllbare Sicherheitserwartungen, wie sie sich gerade aus der Furcht vor Terroranschlägen ergeben, als Legitimationsgrundlage für weitere Einschränkungen von Freiheitsrechten zu nutzen (S. 91 f.).

Das Buch schließt im 9. Kapitel mit einem Fazit. Jung sieht in der Kriminalsoziologie die Chance, unterschiedliche kriminologische Strömungen miteinander zu verbinden.

Im Anhang finden sich schlussendlich noch Vertiefungs- und Wiederholungsfragen sowie ein Überblick über Postgraduierten-Studiengänge im Bereich der Kriminologie. Dieser beschränkt sich leider auf europäische Universitäten, trotz des vielfältigen amerikanischen Einflusses auf die Kriminologie und des dort breit gefächerten Angebots kriminologischer Aufbaustudiengänge.

Das Werk ist weit gehend deskriptiv gehalten. Jung hält sich mit eigenen Ideen, die er in anderen Werken vielfach geäußert hat, zurück. Das kommt der Intention, einen skizzenhaften Zustand des gegenwärtigen Zustands der Kriminalsoziologie zu geben, entgegen. Die leicht verständliche Schreibweise erleichtert die Annäherung an die Thematik. In Hinblick auf den begrenzten Umfang ist das Werk insgesamt gelungen. Als eine erste Einführung in die Thematik ist "Kriminalsoziologie" gut brauchbar.

Das Preis-Leistungs-Verhältnis des für 16,80 € angebotenen dünnen Buches kann jedoch nicht überzeugen. Die primär studentische Zielgruppe sollte sich die Anschaffung deshalb gut überlegen.

Rechtsreferendar Sören Braun LLM (Cape Town), Hamburg.

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Harald Maihold, Strafe für fremde Schuld? Die Systematisierung des Strafbegriffs in der spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre. Böhlau Verlag, Köln 2005, XVI, 393 S., geb., 49,90 EUR.

 

Im deutschen Sprachraum wird gegenwärtig mit Vehemenz über die Einführung einer Verbandsstrafe gestritten. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis sind strafrechtliche Sanktionen gegen juristische Personen bereits seit längerem weit verbreitet. Zahlreiche kontinentaleuropäische Staaten erkennen mittlerweile ebenfalls die Zulässigkeit von Verbandsstrafen an. Auch die Mehrheit der deutschen Autoren tendiert dazu, die Möglichkeit einer strafrechtlichen Haftung von Unternehmen zu bejahen. Nach Auffassung der Kritiker löst sich das Strafrecht mit der Zulassung von Verbandsstrafen hingegen von der Vorstellung, individuelle Schuld sei eine notwendige Bedingung von Strafbarkeit. An die Stelle einer im Sinne von persönlicher Vorwerfbarkeit verstandenen Schuld trete in dem sich abzeichnenden künftigen Strafrecht die vage und äußerst dehnbare Kategorie der Verantwortlichkeit. Wenn eine Tradition sich ihrem Ende zuneigt, stellt sich die Frage nach ihren Anfängen mit besonderem Nachdruck. In seinem Werk "Strafe für fremde Schuld", einer bei Kurt Seelmann entstandenen Dissertation von imponierender Gelehrsamkeit, zeigt Harald Maihold anhand minutiöser Quellenstudien, daß die Eingrenzung des Strafbegriffs auf die "Schuldstrafe" ihrerseits in einer sich über mehrere Jahrhunderte hinziehenden Diskussion erfolgte, die im Mittelalter mit Thomas von Aquin (1224-1274) einsetzte und erst in der Spanischen Spätscholastik des 16. Jahrhunderts einen gewissen Abschluß fand. In systematischer Hinsicht ging es dabei vor allem um zwei Fallgruppen: zum einen darum, wie mit den Söhnen von Häretikern und Majestätsverbrechern verfahren werden

dürfe, und zum anderen darum, ob es zulässig sei, die Exkommunikation bzw. das (weniger schwerwiegende) Interdikt auch gegen Personengesamtheiten (etwa die gesamte Einwohnerschaft einer Stadt) zu verhängen.

Die mittelalterlichen Kanonisten und Legisten stützten sich auf den Grundsatz, daß Strafe zwar manchmal ohne Schuld, aber niemals ohne Grund eintreten dürfe (sine culpa, nisi subsit causa). Nur bei der Strafe der Exkommunikation, der man nachsagte, der Seele Schaden zufügen zu können, wurde strikt an dem Erfordernis persönlicher Schuld festgehalten. Im übrigen wurde ein umfangreicher Katalog von Gründen anerkannt, die trotz fehlender Schuld die Bestrafung rechtfertigen könnten. So wurde die Verhängung von Strafen gegen die Häretikersöhne auf die Erwägung gestützt, daß Kinder die Sünden ihrer Eltern nachzuahmen pflegten, und das Interdikt gegen eine Personengesamtheit wurde als Aufruf zur Umkehr interpretiert. Erst Thomas von Aquin brachte Ordnung in diese unübersichtliche Gemengelage von Schuldvergeltung und Prävention. Er schied die "eigentliche Strafe" (poena rationem poenae) als Schuldstrafe von Strafmaßnahmen mit anderen Zielen. Die "eigentliche Strafe" bezwecke einen Ausgleich der freiwilligen Sünde durch ein unfreiwilliges Leiden. Sie sei niemals für die Sünde eines anderen möglich, weil die Sünde etwas Höchstpersönliches sei. Anders liege es bei der "medizinischen Strafe" (poena medicinalis). Mit ihr dürften präventive Zwecke verfolgt werden: Heilung von der begangenen Sünde oder Bewahrung vor künftigen Sünden. Unbeschadet ihrer Abhebung von der "eigentlichen Strafe" hielt Thomas somit auch für jene Sanktionen, die keine persönliche Schuld voraussetzten, an der Bezeichnung "Strafe" fest. Dies konnte er, weil er Strafe noch ganz als moraltheologische Größe begriff, die in all ihren Erscheinungsformen letztlich nur dem einen Ziel diene, den sündhaften Menschen vorsichtig und stufenweise auf den Weg zur Tugend zu führen.

Noch entschiedener als Thomas bekannten sich die Theologen der Spanischen Spätscholastik zu der zentralen Rolle der Schuldkategorie innerhalb des Strafbegriffs. Bei Francisco de Vitoria (1486-1546) avancierte die Schuldstrafe von der "eigentlichen" zur "eigentlichsten" (propriissime) Strafe. Der wichtigste Beitrag zur Subjektivierung des Strafbegriffs aber stammt von Alfonso de Castro (1495-1558). Seine Straflehre war geprägt durch einen engen Zusammenhang zum Bußsakrament. Dies hatte zur Folge, daß Castro den Strafbegriff erstmals ganz auf die Schuldstrafe reduzierte und andere Phänomene - insbesondere jene Übel, die einem "medizinalen" Zweck zu dienen bestimmt seien - außerhalb des Strafbegriffs neu ansiedelte. Die Differenzierungen der Theologen fanden über die spanische Kanonistik des 16. Jahrhunderts allmählich Eingang in die Jurisprudenz und wurden von dort an die spätere Naturrechtslehre und die sich herausbildende rein weltliche Rechtswissenschaft weitergegeben.

Mit diesem Übernahmeprozeß ging indessen eine tiefgreifende Veränderung des ursprünglichen theologischen Sinnes der Unterscheidung zwischen echten Strafen und präventiv ausgerichteten sonstigen Übeln einher. So wurde das mit der poena medicinalis ursprünglich verbundene Anliegen der Rettung bedrohter Seelen ersetzt durch den Maßstab eines rein irdischen Staatswohls und in dieser Gestalt allmählich in ein auf Sicherung der Gesellschaft und Besserung der Delinquenten abstellendes neuartiges Präventionsrecht überführt. "So entsteht", wie Maihold resümierend feststellt, "aus dem scholastischen Anliegen der spätmittelalterlichen Theologie, für die in der Bibel berichteten Fälle Erklärungen zu liefern, die 'Zweigleisigkeit' des 'modernen' Strafrechts". Der Schuldgedanke sperrte sich hingegen einer vergleichbar glatten Transformation. Ursprünglich verstanden als "Prinzip des Trostes, der Hoffnung auf eine göttliche Gerechtigkeit, die jedem das zuteilt, was er verdient hat" (Maihold), mußte das Prinzip der Schuldstrafe in ein Rechtsdenken eingebaut werden, das seine Aufgabe nicht zuletzt in der Kompensation von zweifelhaft gewordenen Glaubensgewißheiten durch einen säkularen Begründungsstil erblickte. Es ist deshalb nicht überraschend, daß dem Produkt dieses Zusammentreffens - dem neuzeitlichen Strafrechtsverständnis - von vornherein ein beträchtliches Spannungspotential innewohnte. Vor diesem Hintergrund ist es etwas vorschnell, wenn Maihold die gegenwärtigen Angriffe auf das Schuldprinzip - etwa die eingangs erwähnten Gleichstellung der Verbandsstrafe mit den Strafen gegen natürliche Personen - hauptsächlich als Bruch mit einer fünfhundertjährigen Tradition wahrnimmt. Möglicherweise lassen diese Attacken sich mit dem gleichen Recht als Ausprägungen einer konkurrierenden Tradition interpretieren; in dieser Lesart erscheinen sie als die bislang jüngsten Zeugnisse des gleichfalls schon mehrere Jahrhunderte zurückreichenden Prozesses der Säkularisierung des Rechtsdenkens.

Maihold selbst scheint freilich zu befürchten, daß ein konsequent säkularisiertes Strafrecht nicht nur gottlos, sondern auch zutiefst inhuman sein würde; und weder die bislang vorgelegten Konzeptionen eines um den Gedanken einer défense sociale zentrierten Strafrechts noch der mitunter erschreckend sorglose Umgang des heutigen Gesetzgebers mit dem Strafrecht sind dazu geeignet, diese Befürchtung zu entkräften. Aber läßt sich einem rechtsstaatlich nicht hinreichend domestizierbaren Präventionsdenken wirklich nur - wie Maihold dies suggeriert - das Modell des auf das einzelne menschliche Individuum zugeschnittenen überkommenen Schuldstrafrechts entgegenstellen? Die Kritiker des herkömmlichen Strafrechtsdenkens heben zu Recht hervor, daß diesem Modell seine Herkunft aus der Theologie des Bußsakraments gleichsam mit Großbuchstaben auf der Stirne geschrieben steht. Das Bild ändert sich jedoch, sobald man die Strafe strikt innerweltlich als Ausgleichung einer von dem Täter zu verantwortenden Beeinträchtigung der bestehenden rechtlichen Freiheitsordnung versteht. Weshalb sollten dann nicht auch Personengesamtheiten und juristische Personen - gleichsam als Preis für die ihnen eingeräumte Betätigungsfreiheit - zur Loyalität gegenüber der Strafrechtsordnung verpflichtet werden und im Fall einer ihnen zurechenbaren Zuwiderhandlung als Täter kriminellen Unrechts angesehen werden können? Kurzum: Läßt sich die von Maihold als exemplarischer

Fall einer Strafe für fremde Schuld herangezogene Verbandsstrafe nicht auch als Beispiel einer Strafe für eigenes Kriminalunrecht heranziehen? Derartige Anfragen als substantielle Einwände gegen Maiholds Arbeit auszugeben, liefe allerdings darauf hinaus, dem Verfasser vorzuhalten, er hätte statt einer Abhandlung sogleich zwei Bücher vorlegen sollen. Deshalb sei abschließend nochmals klargestellt: Die Quellenarbeit, die Maihold geleistet hat, ist großartig. Er hat die beste strafrechtliche Qualifikationsarbeit vorgelegt, die dem Rezensenten seit geraumer Zeit unter die Augen gekommen ist. Gratulation nach Basel!

Prof. Dr. Michael Pawlik LLM (Cantab), Univ. Regensburg.

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Thilo Pfordte/Karl Degenhard, Der Anwalt im Strafrecht, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005, 724 S., € 89,--.

I. An Anleitungsliteratur für Strafverteidiger herrscht kein Mangel, im Gegenteil: Nachdem das Dahs'sche Handbuch, 1969 erstmals aufgelegt, zwei Jahrzehnte lang einen damals noch überschaubaren Markt mehr oder weniger allein bedient hatte, erlebt dieses literarische Subgenre seit Beginn der letzten Dekade eine erstaunliche Konjunktur, die mit dem exponentiellen Wachstum der Zulassungszahlen allein kaum begründet werden kann (ein nützlicher Überblick über diese Praktikerliteratur findet sich im hier zu besprechenden Werk in § 39 Rn. 4). Es existiert ein erhebliches Bedürfnis nach Rechtsberatung für strafrechtliche Rechtsberater, das mit der hergebrachten Kommentar- und Lehrbuchliteratur allein nicht mehr befriedigt werden kann. Provoziert wird diese Entwicklung einerseits durch das vielbeklagte Anwachsen der Komplexität des Prozessrechts. Die dabei auftretenden Fehlentwicklungen in der fachgerichtlichen Rechtsprechung müssen dann nicht selten von höherer, verfassungsrechtlicher Warte wieder korrigiert werden müssen. Ein aktuelles Beispiel für einen solchen Prozess sind die revisionsrechtlichen (oder genauer: revisionsrichterlichen) Anforderungen an die Ausführung der Verfahrensrüge im Bereich des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BVerfG - 2. Senat -, NJW 2005, 1999 = HRRS 2005, 193[Ls.]). Den extremen Gegenpol bildet die auf der anderen Seite feststellbare Tendenz einer fortschreitenden Informalisierung der Praxis des Strafverfahrens in der Hauptverhandlung (Konsensorientierung), die sich auch im Ermittlungsverfahren reflektiert (Partizipation). Dieses " soft law" findet sich nicht mehr so sehr " in books" (und, wie der Große Senat im März dieses Jahres bekanntlich beklagt hat, noch viel weniger im Bundesgesetzblatt), sondern vor allem " in action" und ist daher auf andere Formen der Vermittlung angewiesen. Die Weitergabe von Erfahrungswissen durch Handbücher wie das hier zu besprechende Werk ist dabei eine aussichtsreiche Strategie. Das Auseinanderklaffen der Schere zwischen rigider Formstrenge und ungebundener Informalisierung bietet jedoch nicht nur Chancen für interessensensible Verfahrensgestaltungen jenseits des geschriebenen Strafprozessrechts im Einzelfall, sondern birgt enorme Risiken, die für Außenstehende - und dazu gehören die abertausend Rechtsanwälte, die neben ihren anders gelagerten Tätigkeits- und Interessenschwerpunkten als Ge- oder Verlegenheitsverteidiger wirken - nur schwer zu kalkulieren sind. Auf diese Bedürfnislage muss ein Buch, das sich an den Anwalt im Strafrecht wendet, angemessen reagieren.

II. Den Autoren, zwei Münchener Strafverteidigern und Fachanwälten für Strafrecht mit großer forensischer Erfahrung (Pfordte war etwa im berühmten Sedlmayr-Verfahren Verteidiger vor der Schwurgerichtskammer) gelingt das auf gut 700 Seiten ohne Abstriche. Für die gängigen Verfahrenssituationen finden sich stets praxisgesättigte Hinweise, die den Leser klar und direkt ansprechen. Positiv zu vermerken ist insbesondere im Abschnitt über das Ermittlungsverfahren, dass der Verteidiger vielfach zur Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft ermutigt wird, so etwa beim verabredeten Strafbefehl (§ 6 Rn. 19). Hier kann nicht oft genug betont werden, dass der Griff zum Telefon oder das persönliche Gespräch mit den anderen Verfahrensbeteiligten oftmals mehr für den Mandanten bewirken kann als der elaborierteste Schriftsatz. Dass Pfordte/Degenhard nicht davor zurückschrecken, auch solche eher schlichten Einsichten herauszustreichen, ist besonders zu loben. Zwar werden andere Imperative der Verfasser nicht stets auf ungeteilte Zustimmung stoßen (beispielhaft § 1 Rn. 32: "Der Mandant wird auch nicht gedutzt"), aber der mündige Leser hat so Gelegenheit, sich zu den ohne Zweideutigkeiten behandelten Fragen eine eigene Meinung zu bilden. Das in zehn Teile untergliederte Werk deckt dabei vom Zeitpunkt der Mandatsbegründung bis hin zum Vollstreckungsverfahren die typischen Verfahrenssituationen ab und behandelt zudem auch Gebühren- und Vergütungsfragen auf dem aktuellen Stand des RVG. Die Darstellung wird durch die eingestreuten Formulierungsmuster und Checklisten sinnvoll und in vernünftigem Umfang abgerundet. Freilich: Geht es wirklich " ans Eingemachte", muss ergänzend weitere Spezialliteratur konsultiert werden. So sind die Ausführungen zu dem oben angesprochenen Problemfeld der Revisionsklippen beim Vortrag von Negativtatsachen zwar inhaltlich gediegen (§ 31 Rn. 25), bleiben aber letztlich doch leitsatzartig und werden bei der konkreten Abfassung der Revisionsbegründung kaum den Griff zum Dahm'schen Revisionsbuch oder zum Sarstedt/Hamm (der in den "Literaturhinweisen" der Verfasser in § 39 erstaunlicherweise nicht erwähnt wird) ersparen. Das mindert aber nicht den Gebrauchswert des Buches, denn die Verfasser räumen schon im Vorwort freimütig ein, dass das hochspezialisierte Handwerkszeug des Fachanwalts für Strafrecht in ihrem Werk "durchaus nicht ausreichend" (S. 5) dargestellt wird. Wählt man ihren Text aber als Ausgangspunkt für eine Vertiefung der Spezialprobleme, wird dieser Einstieg mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg der Verteidigungsbemühungen beitragen. Und das ist angesichts des heutigen Zustands des Strafverfahrensrechts schon eine ganze Menge. Kurz: Für den ersten Zugriff eine gute Wahl.

RiOLG Prof. Dr. Matthias Jahn, Erlangen.

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