HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2005
6. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

557. BGH 2 StR 122/05 - Beschluss vom 7. Juni 2005 (LG Limburg (Lahn))

Verjährung (milderes Recht); Qualifikation; Regelbeispiel; Geltungszeitpunkt bei neuem Verfahrensrecht.

§ 2 Abs. 3 StGB; § 78 Abs. 3 Nr. 3 und 4 StGB; § 179 StGB aF

1. Bei der Prüfung des milderen Rechts ist die Frage der Verjährung jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn ein Gesetz infolge der Umwandlung eines Qualifikationstatbestandes in ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall bei gleichem Strafrahmen den Eintritt der Verjährung zur Folge hat. (BGHSt)

2. Wird die Verjährungsfrist geändert, gilt das neue Recht mangels einer besonderen Übergangsregelung grundsätzlich auch für bereits begangene Taten. Anders sieht die Rechtslage jedoch aus, wenn eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf einer nachträglichen Verschärfung der bei der Berechnung zugrundezulegenden Höchststrafen beruht (§ 78 Abs. 3 StGB). Eine Verschärfung der Strafdrohung muss nach § 2 Abs. 3 StGB außer Betracht bleiben, entsprechend bleibt es auch hinsichtlich der Verjährung bei der Anknüpfung an die mildere Strafdrohung. (Bearbeiter)

3. Der Tatrichter hat stets das für ihn am Gerichtsort aktuell geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Bereits aufgehobene oder abgeänderte Verfahrensregelungen finden grundsätzlich nur Anwendung, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich regelt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - KRB 28/04). (Bearbeiter)


Entscheidung

617. BGH 5 StR 12/05 - Urteil vom 30. Juni 2005 (LG Düsseldorf)

Mittäterschaft und Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Umsatzsteuerhinterziehung); Recht auf Verfahrensbeschleunigung (Kompensation; sich aufdrängender Verstoß nach den Urteilsgründen; Verfahrensrüge; Durchentscheidung).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 370 AO; § 27 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (vgl. BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.).

2. In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für die ihm obliegende Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 71 m.w.N.).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

552. BGH 2 StR 30/05 - Urteil vom 15. Juni 2005 (LG Hanau)

BGHSt; Betrug im Lastschriftverfahren (konkludente Täuschung über Kreditbeschaffungsabsicht; schadensgleiche Vermögensgefährdung durch Zulassung zum Lastschriftverfahren); Beweiswürdigung (Einlassungen des Angeklagten).

§ 263 StGB; § 261 StPO

1. Bei "Lastschriftreiterei" mit dem Ziel der Kreditbeschaffung wird die erste Inkassostelle (Gläubigerbank) konkludent getäuscht, wenn den Lastschriften kurzfristige Darlehen mit einem deutlich erhöhten Risiko des Widerrufs zugrunde liegen und der Gläubiger seiner Bank dies nicht offen legt. (BGHSt)

2. Den Zahlungsempfänger trifft im Rahmen des Lastschriftverfahrens aufgrund seiner vertraglichen Vereinbarung mit seiner Bank eine Aufklärungspflicht, wenn die Lastschriften funktional atypisch verwendet werden. Legt er die Lastschriften ohne entsprechende Angaben seiner Bank zur Gutschrift vor, täuscht er diese konkludent darüber, dass die Lastschrift hier entgegen ihrem Zweck nicht lediglich Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist. (Bearbeiter)

3. Der Angestellte der ersten Inkassobank, der dem Konto des Zahlungsempfängers den Lastschriftbetrag gutschreibt, hat bei Vorlage einer Lastschrift mit Einzugsermächtigung die Vorstellung, dass seiner Bank durch die Gutschrift letztlich kein Schaden entsteht, sei es weil die Lastschrift nicht widerrufen wird, sei es weil die Bank - bei einem etwaigen Widerruf - den Betrag beim Zahlungsempfänger unschwer einziehen kann. Wird er kumulativ darüber getäuscht und trifft er durch den bei ihm hierdurch erregten Irrtum die Vermögensverfügung, die dann später zum Schaden der Bank führt, ist bei entsprechender Bereicherungsabsicht und Betrugsvorsatz ein Betrug zum Nachteil der ersten Inkassostelle gegeben. (Bearbeiter)

4. Bereits die Eröffnung eines Firmenkontos mit Abschluss einer Vereinbarung über die Teilnahme am Lastschriftverkehr kommt als Betrug in Betracht, wenn der Täter schon zu diesem Zeitpunkt "Lastschriftreiterei" zum Nachteil seines Vertragspartners, der ersten Inkassostelle, vorhatte. In diesem Falle liegt eine - schadensgleiche - konkrete Vermögensgefährdung seiner Bank bereits mit der Zulassung zur Teilnahme am Lastschriftverkehr vor und später erfolgende Gutschriften dienen nur der Schadensvertiefung. (Bearbeiter)


Entscheidung

602. BGH 4 StR 28/05 - Beschluss vom 21. Juni 2005 (LG Landau)

BGHR; Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (Absicht, eigene sexuelle Handlungen an der minderjährigen Person vorzunehmen; systematische und teleologische Auslegung); Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen (Begehung einer Sexualstraftat durch List).

§ 180 Abs. 1 StGB; § 69 Abs. 1 StGB

1. Der Tatbestand des § 180 Abs. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn der Täter nicht nur fremden sexuellen Handlungen Vorschub leistet, sondern zugleich auch eigene sexuelle Handlungen an der minderjährigen Person vornehmen will. (BGHR)

2. Verbringt der Täter das Tatopfer unter Anwendung einer List in seinem Fahrzeug zu einem abgelegenen Ort, um dort eine Sexualstraftat zu begehen, so erweist er sich allein dadurch noch nicht als ungeeignet für das Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 27. April 2005 - GSSt 2/04). (BGHR)


Entscheidung

613. BGH 4 StR 299/04 - Beschluss vom 28. Juni 2005 (LG Berlin)

BGHR; räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (opferbezogenes Tatbestandsmerkmal "unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs": Fallgruppenkonkretisierung).

§ 316a StGB

1. Zur Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" (im Anschluss an BGHSt 49, 8). (BGHR)

2. Für eine Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ist es erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird (BGHSt 49, 8, 11). Das ist objektiv der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (vgl. BGHSt 49, 8, 14 f.). Für das Ausnutzen der darin liegenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ist in subjektiver Hinsicht allerdings nicht zu verlangen, dass der Täter eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht; vielmehr genügt es, dass er sich in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Welche Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals in den Urteilsgründen zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. (Bearbeiter)

3. Verübt der Täter den Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs im fließenden Verkehr, ist dies ein gewichtiges Indiz dafür, dass er dabei auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Im fließenden Verkehr ist dem Führer eines Kraftfahrzeugs infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung bei einem Angriff eine Gegenwehr erschwert (vgl. BGHSt 38, 196, 197), so dass er gerade deshalb leichter Opfer eines räuberischen Angriffs werden kann (vgl. BGHSt 49, 8, 14 f. m.w.N.). Einer besonderen Begründung durch den Tatrichter bedarf es daher regelmäßig nicht. (Bearbeiter)

4. Diese Gesichtspunkte gelten auch dann, wenn das Kraftfahrzeug während der Fahrt verkehrsbedingt - und mit laufendem Motor - hält und der Fahrer darauf wartet, seine Fahrt zugleich nach Veränderung der Verkehrssituation fortsetzen zu können und sich das Fahrzeug mithin - trotz des vorübergehenden Halts - weiterhin im fließenden Verkehr befindet (vgl. BGHSt 38, 196, 197 f.), wie etwa bei einem Halt an einer Rotlicht zeigenden Ampel (vgl. BGHSt 49, 8, 14 f.). (Bearbeiter)

5. Bei einem nicht verkehrsbedingten Halt müssen, was der Tatrichter im einzelnen darzulegen hat, neben der Tatsache, dass der Motor des Kraftfahrzeuges noch läuft, weitere verkehrsspezifische Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer zum Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt war, dass es gerade deshalb leichter Opfer des räuberischen Angriffs wurde und der Täter dies für seine Tat ausnutzte (vgl. BGHR StGB § 316 a Abs. 1 Straßenverkehr 18). (Bearbeiter)