HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2005
6. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht ist wirksam, ist unwirksam, ist wirksam"

Anmerkung zum Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 03. März 2005 GSSt 1/04 = BGH HRRS 2005 Nr. 310.

Von Dr. Frank Meyer, LL.M. (Yale), New Haven*

I. Einleitung

Fast sechs Jahre sind vergangen, seit der 4. Senat erstmals einen Rechtsmittelverzicht, den der Angeklagte vorab im Rahmen einer Absprache zugesagt hatte, für unwirksam erklärte.[1] Man erinnert sich an die Kritik, die sich dieser Senat gefallen lassen musste, weil er nach Auffassung vieler durch Bezugnahme auf die besonderen Umstände des Einzelfalles ein - angesichts entgegenstehender Rechtsprechung des 1. und 2. Senats schon damals fälliges - Anfrageverfahren gem. § 132 III GVG zur Sicherung einheitlicher Rechtsprechung gezielt vermieden habe.[2] Anfrage- und Vorlageverfahren sind nunmehr auf Initiative des 3. Senat durchgeführt worden. Ob der nunmehr ergangene Beschluss des Großen Senats aber die seit 1999 in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt hat,

erscheint fraglich.[3] Nach der ständigen Rspr. des BGH war ein Rechtsmittelverzicht bisher unwiderruflich und unanfechtbar.[4] Für den Rechtsmittelverzicht, dem eine verfahrensbeendende Absprache voran gegangen ist, soll nunmehr das genaue Gegenteil gelten: Der Rechtsmittelverzicht ist unwirksam, wenn er auf eine Urteilsabsprache gleich welcher Art folgt. Allerdings soll dies dann nicht der Fall sein, wenn der Rechtsmittelberechtigte durch das Gericht qualifiziert dahin gehend belehrt wurde, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen.

Der Große Senat versucht also, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Er legt das rechtliche Schicksal des Rechtsmittelverzichts in die Hände gerade derjenigen Prozessbeteiligten, deren prozessuales Verhalten den Rechtsmittelverzicht eigentlich der Unwirksamkeit anheim fallen lassen soll. Der Beitrag zeichnet in einem ersten Schritt die Argumentationslinien des Großen Senats nach. Eine kritische Auseinandersetzung folgt sodann im zweiten, wobei der Schwerpunkt auf der dogmatischen Tragfähigkeit der Begründung, dass ein Rechtsmittelverzicht, dem eine Absprache voranging, unwirksam ist sowie der Eignung der qualifizierten Rechtsmittelbelehrung als prozessuales Instrument zur Beseitigung der Unwirksamkeit liegen wird. Zuvor soll allerdings zur Erleichterung des Verständnisses nochmals in aller Kürze der Gang des Anfrage- und Vorlageverfahrens in Erinnerung gebracht werden.

II. Das Anfrage- und Vorlageverfahren

Ausgangspunkt waren zwei Revisionen, in denen der 3. Senat sich veranlasst sah, vorab die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts zu prüfen, der im Zusammenhang mit einer Absprache im Strafverfahren erfolgt war.[5] Während der Rechtsmittelverzicht im ersten Fall (3 StR 415/02) unzulässiger Weise in der Absprache vereinbart wurde, wirkte das Gericht im zweiten Fall (3 StR 368/02) lediglich auf diesen hin. Um zu verhindern, dass missbräuchliche Praktiken in der Absprachepraxis der revisionsgerichtlichen Kontrolle gezielt entzogen werden, beabsichtigt der Senat sowohl den vereinbarten Rechtsmittelverzicht für unwirksam zu erachten, als auch jegliches Hinwirken des Gerichts auf einen Rechtsmittelverzicht zu untersagen.[6] An der Annahme der Unwirksamkeit sah sich der 3. Senat zumindest im ersten Fall durch die entgegenstehende Rechtsprechung des 1., 2. und 5. Senats gehindert, woraufhin er ein Anfrageverfahren gem. § 132 III 1 GVG durchgeführt hat.[7] Während der 1. und 2. Senat es bei ihrer Beurteilung des abgesprochenen Rechtsmittelverzicht als wirksam belassen und dem 3. Senat überdies ein recht heterogenes Bündel an Gegenargumenten vorgehalten haben,[8] hat der 5. Senat seine Rechtsprechung aufgegeben und dem Anfragebeschluss - wie auch der 4. Senat - zugestimmt.[9]

Aufgrund der fortbestehenden Divergenz hat sich der 3. Senat gezwungen gesehen, nunmehr gem. §§ 132 II, IV[10] GVG dem Großen Senat für Strafsachen anzurufen. Da der 2. Senat in seiner Antwort zudem die seit BGHSt 43, 195 geltende Rechtsprechung, dass die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts als solche im Rahmen einer Absprache unzulässig sei, in Frage gestellt hat[11], ist der 3. Senat darüber hinaus veranlasst worden, auch diese grundlegende Vorfrage einzubeziehen. Durch seinen Vorlagebeschluss vom 15.6.2004 hat er dem Großen Senat sodann folgende Rechtsfragen vorgelegt:[12]

(1) Ist es zulässig, im Rahmen einer Urteilsabsprache zu vereinbaren, dass auf ein Rechtsmittel verzichtet wird?

(2) Ist es zulässig, dass das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache darauf hinwirkt, dass ein Rechtsmittelverzicht erklärt wird, indem es diesen ausdrücklich anspricht oder befürwortet?

(3) Ist die Erklärung des Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten, wirksam, wenn ihr eine Urteilsabsprache vorausgegangen ist, in der unzulässigerweise ein Rechtsmittelverzicht versprochen worden ist oder bei der das Gericht, ohne sich ihn im Rahmen der Absprache unzulässigerweise versprechen zu lassen, lediglich auf diesen hingewirkt hat?

III. Die Entscheidung des Großen Senats

Die Beantwortung der vorgelegten Rechtsfragen durch den Großen Senat erfolgte mit Beschluss vom 5.3.2005[13]:

(1) Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken.

(2) Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte.

(3) Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt worden ist.

1. Verlauf der Entscheidung

Der Große Senat beginnt seine Ausführungen mit der Vorfrage, ob Urteilsabsprachen generell zulässig sind.[14] Er nutzt die Gelegenheit, BGHSt 43, 195 zu bestätigen und in geringem Umfang zu konkretisieren.[15] Den entwickelten Mindestanforderungen an Absprachen im Strafverfahren wird so nachträglich höchste Verbindlichkeit verliehen. Der Große Senat umreißt skizzenartig den rechtlichen status quo und geht dabei auch auf die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung ein.[16] Zugleich werden Fragestellungen herausgearbeitet, die gerade nicht zufriedenstellend gelöst werden können, solange es an einem geregelten Verständigungsverfahren als solchem fehlt, aus denen allgemeine Maßstäbe für die Lösung dieser Rechtsfragen abgeleitet werden können.[17] In diesem Zusammenhang verdeutlicht der Große Senat, dass er drängenden Handlungsbedarf auf Seiten der Legislative sieht, was am Ende des Beschlusses nochmals durch einen ausdrücklichen Appell bekräftigt wird.[18]

Auf dieser Grundlage wendet sich der Große Senat sodann den eigentlichen Vorlagefragen zu. Er folgert daraus, dass Urteilsabsprachen nur im vorher dargelegten Rahmen zulässig seien, dass die Vereinbarung des Rechtsmittelverzicht sowie ein Hinwirken auf diesen unzulässig sein müsse. An einem Rechtsmittelverzicht bestünden auch keine legitimen Interessen. Die Urteilsabsprache dürfe nicht stillschweigend als informelles Verfahren und unter dem Deckmantel der Unkontrollierbarkeit neben der eigentlichen Hauptverhandlung eingeführt werden.[19] Es bestünden sonst nachhaltige Gefahren für die Rechtskultur sowie die effektive Wahrung unverzichtbarer Anliegen eines rechtsstaatlich geführten Strafverfahrens. Es müsse die effektive Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen erhalten bleiben.[20] Zudem werde der Autorität des Gerichts Schaden zugefügt, da ernsthaft zu besorgen sei, dass das Gericht es bei Sachverhaltsermittlung und Strafzumessung aufgrund der ausgeschlossenen Kontrolle an der notwendigen Sorgfalt fehlen lasse.[21] Aus diesem Grunde müsse sogar unzulässig sein, an jedwedem Zustandekommen einer Absprache als solcher mitzuwirken, soweit ihr Gegenstand auch einen Rechtsmittelverzicht enthalte. Das Gericht dürfe sich nicht aktiv an Gesprächen über einen Rechtsmittelverzicht beteiligten, wobei der Terminus aktive Beteiligung im Folgenden konkretisiert wird. Untersagt sind nicht nur ansprechen, befürworten, und verlangen, sondern jedwede Äußerungen, die objektiv als Kundgabe gerichtlichen Interesses oder der Vorteilhaftigkeit des Verzichts verstanden werden könnte.[22]

Sodann wendet sich der Große Senat der Kernfrage zu, wie es um die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bestellt ist, sollte ihm eine Verletzung dieser Regeln vorangegangen sein. Er setzt bei der Interpretation von § 302 I 1 StPO an und stellt daraufhin die grundsätzliche Wirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts fest. Allgemeine Ausführungen zu Natur und Wirkung des Rechtsmittelverzichts folgen, bevor der Große Senat schließlich knapp die Rechtsprechung des BGH zu den besonderen Ausnahmen von dieser Regel referiert.[23]

Nur aufgrund schwerwiegender Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts oder wegen der Art und Weise seines Zustandekommens könne die Wirksamkeit versagt werden. Der vorab zugesagte Rechtsmittelverzichts sei insofern nicht bereits deshalb unwirksam, weil er unzulässig als Bestandteil einer Absprache vereinbart wurde. Es handele sich um unterschiedliche Prozesshandlungen, die verschiedene Verfahrensabschnitte beträfen. Der Rechtsmittelberechtigte könne ohne rechtliche Bindung an seine vorherige Zusage über die Wahrnehmung der Rechtsmittelbefugnis disponieren. Allerdings genügten die gesetzlich vorgesehenen Korrektive zum Schutz vor übereilten Entscheidungen, namentlich §§ 35a, 273 III 3 StPO, nicht, um dem Rechtsmittelbe-

rechtigten seine unvermindert fortbestehende Rechtsmittelbefugnis zu verdeutlichen.[24]

Aus den erörterten rechtlichen Gesichtspunkten und praktischen Gegebenheiten schließt der Große Senat, dass es unerlässlich für die effektive Durchsetzung der Anliegen ist, die mit der Annahme der Unzulässigkeit einer gerichtlichen Mitwirkung an Absprachen über einen Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung verfolgt werden, den daraufhin später erklärten Rechtsmittelverzicht für unwirksam zu erachten.[25]

Ferner erstreckt der Senat diese Rechtsfolge aufgrund einer Abwägung zwischen dem Anliegen des fairen Verfahrens und der Rechtssicherheit auf alle Fälle, in denen überhaupt eine Urteilsabsprache erfolgt war.[26] Dies gebiete auch die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten. Im Interesse der Rechtssicherheit könne dies aber nicht absolut gelten. Die Unwirksamkeit entfalle, wenn dem Rechtsmittelberechtigten eine qualifizierte Belehrung bezüglich seiner Freiheit, ungeachtet der Absprache auf Rechtsmittel zu verzichten, erteilt wird.[27] Eine solche sei von nun an bei jeder Urteilsabsprache, und zwar unabhängig von einer Vorabzusage, zu erteilen und als wesentliche Förmlichkeit zu protokollieren.[28] Infolge einer solchen Belehrung sieht der Große Senat sichergestellt, dass der Betroffene trotz getroffener Absprache und der Empfehlung seines Verteidigers in seiner Entscheidung frei ist. Es liege allerdings in der Verantwortung der Tatrichter, dieses Korrektiv zur Sicherung der Willensfreiheit des Rechtsmittelberechtigten effektiv auszugestalten und nicht zur bloßen Formalität verkommen zu lassen. Eine infolgedessen in voller Kenntnis von Bedeutung und Tragweite des Verzichts abgegebene Erklärung sei wirksam und unwiderruflich.[29]

Bei unterbliebener Belehrung kann der Berechtigte andererseits noch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist Rechtsmittel einlegen. Nach Fristablauf bleibt nur die Möglichkeit der Wiedereinsetzung, bezüglich derer der Große Senat ausführt, dass die gesetzliche Vermutung des § 44 S. 2 StPO nicht die qualifizierte Belehrung umfasst. Vielmehr müsse der Antragsteller glaubhaft machen, aufgrund unstatthafter Einwirkungen vom Beschreiten des Rechtsweges abgebracht worden zu sein. Diese Glaubhaftmachung sei jedoch keine Selbstverständlichkeit, da der Betroffene häufig mit dem gefundenen Ergebnis zufrieden gewesen sei und lediglich später ein Motivwechsel erfolgt wäre.[30]

Der Große Senat schließt die Begründung mit rechtspolitischen Ausführungen. Die derzeitige Absprachenpraxis entwickele sich in Richtung einer quasivertraglichen Vereinbarung und befinde sich damit im Widerspruch zu dem strafprozessualen Leitbild der materiellen Wahrheit. Systemimmanente Korrekturen oder systemkonforme Integrationen seien daher nur bedingt möglich und erschwerten die Lösung zahlreicher aufgeworfener Rechtsfragen im Zusammenhang mit Absprachen, da die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung erreicht seien.[31] Die Gestaltung solch grundsätzlicher Fragen gehöre zu den Aufgabe des Gesetzgebers. Der Große Senat appelliert daher am Ende seiner Ausführungen an den Gesetzgeber, sich endlich umfassend legislativ mit der Zulässigkeit von Absprachen im Strafverfahren auseinander zu setzen.

2. Eigene Anmerkungen zum Beschluss des Großen Senats

Vor allem der rechtspolitische Teil der Ausführungen verdient in seiner Direktheit Zustimmung. Die Fortbildung des Rechts gehört zu den anerkannten Aufgaben der obersten Gerichte,[32] da sie regelmäßig nur so die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen können, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden.[33] Zutreffend streicht der Senat aber insofern Grenzen seiner schöpferischen Rechtsfindungsmöglichkeiten heraus, die infolge der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung der Rechtsprechung bestehen. Dadurch wird dem Gesetzgeber nicht nur - nochmals - der Regelungsbedarf vor Augen geführt, sondern auch dessen Umfang verdeutlicht. Den Ausführungen des Großen Senats ist zu entnehmen, dass die derzeitigen Reformentwürfe nicht ausreichend sein können, um eine Vielzahl der aktuell auftretenden Sachfragen, vor allem solche die mit sog. gescheiterten Absprachen verbunden sind, einer tragfähigen Lösung zuzuführen.[34] Unterstellt man die grundsätzliche Erforderlichkeit konsensualer Elemente im Strafverfahren, so kann es nur begrüßt werden, wenn der Senat zur Abhilfe die Einführung ebensolcher Verfahrenselemente anmahnt.[35] Zutreffend stellt der Senat fest,

dass die verfassungsrechtlichen und systematischen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung weiter gehende Rechtsschöpfungen als "Ersatzgesetzgeber" auf Grund der notorischen Inaktivität der Legislative nicht mehr zulassen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, ein System zu schaffen, in welches sich verfahrensbeendende Absprachen friktionslos einfügen.[36] Die normersetzende Heranziehung des fair trial-Grundsatzes auf Rechtsanwendungsebene, wie durch BGHSt 43, 195 vorgeführt, ist von vornherein auf die Erfüllung systemimmanenter Kontroll- und Berichtigungsfunktionen beschränkt.[37] Eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht ist nur intra ius, d. h. im Rahmen der zwingenden prozessualen Grundstrukturen, möglich. Von Lückenfüllung kann daher nicht mehr gesprochen werden, wenn das prozessuale System selbst verändert wird. Die Rechtsprechung stößt hier in der Tat an die Grenzen ihrer verfassungsgemäßen Aufgabenzuweisung.[38]

Gänzlich im Rahmen der Aufgaben der Judikative liegt aber die Entwicklung dogmatisch tragfähiger Regeln zur Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts. Dem wird der BGH erneut nicht gerecht. Trotz einzelner Befunde, die im Ergebnis durchaus Zustimmung verdienen, ist die Entscheidung dogmatisch ein Rückschritt gegenüber dem Anfragebeschluss. Durch Einführung der qualifizierten Belehrung werden schließlich auch diese zustimmungswürdigen Befunde nivelliert, da hier ein prozessuales Instrument legitimiert wurde, dass es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, den Rechtsmittelverzicht als Element einer Absprache zu erhalten und die missbräuchliche Umgehung der Verfahrensregeln für Absprachen effektiv gegen Kontrolle und Sanktionen abzuschirmen. Dazu sei im Einzelnen Folgendes ausgeführt.

a) Zur Zulässigkeit der Vorabzusage

Veranlasst durch die geäußerten Zweifel des 2. Senats, sah sich der Große Senat zunächst gezwungen, die Zulässigkeit einer Vorabzusage zu erörtern.[39] Unter Aufbietung der schon zuvor in der BGH-Rechtsprechung diesbezüglich etablierten Argumente wird die Unzulässigkeit überzeugend dargelegt.[40] Die Erstreckung dieser Bewertung auf Fälle des bloßen Hinwirkens verdient in Begründung wie Ergebnis ebenfalls Zustimmung, da alle Gesichtspunkte die sich gegen die Zulässigkeit der Vorabzusage anführen lassen auch hinsichtlich des bloßen Hinwirkens gelten.[41] Zur Erschwerung von Umgehungsstrategien in der Praxis sollte dabei der Begriff der aktiven Beteiligung nicht nur verbale, sondern auch konkludente Äußerungen jeder Art umfassen. In diesem Zusammenhang erklärt sich dann auch, warum nach dem Großen Senat für das Gericht sogar unzulässig ist, an jedwedem Zustandekommen einer Absprache als solcher mitzuwirken, soweit ihr Gegenstand auch einen Rechtsmittelverzicht enthält.[42] Würde sich das beteiligte Gericht nämlich ausdrücklich auf die zulässigen Inhalte zurückzuziehen, könnte die Bereitschaft, überhaupt eine Absprache in diesem Umfeld einzugehen, leicht als Duldung weiter gehender Abreden zwischen den Rechtsmittelberechtigten verstanden werden.

Der Große Senat sieht allerdings auch den Ausweg, den die Praxis hier voraussichtlich suchen wird: eine diskrete Abrede zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Den Rechtsmittelberechtigten sei es nämlich unbenommen, ohne das Gericht Gespräche über die Einlegung des Rechtmittels zu führen. Das ist aber so nicht richtig. Die Staatsanwaltschaft ist ein Recht und Gesetz verpflichtetes Rechtspflegeorgan, vgl. § 150 GVG,[43] und wie das Gericht rechtlich angehalten, das Verbot der Vorabzusage zu beachten.[44] Ein Hinwirken der StA auf den Rechtmittelverzicht würde regelmäßig als objektive Irreleitung durch staatliche Strafverfolgungsbehörden zur Unwirksamkeit des Verzichts führen.[45] Zudem ist die Rechtsmit-

telbefugnis und ihre Wahrnehmung für die Staatsanwaltschaft ganz anders ausgestaltet als für eine Partei.[46]

Ferner kann das Gericht sich auch nicht selbst aus der Verantwortung für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens entlassen. Es ist der von der Verfassung berufene Hüter des Prozessordnungsmäßigkeit des Verfahrens. Selbst beim US-amerikanischen "plea bargaining", an dem sich das Gericht aufgrund des adversatorischen Charakters des dort herrschenden Strafverfahrensmodells nicht beteiligen darf, ist den Parteien keine freie Hand gewährt. Im Rahmen eines plea colloquy - für das Bundesstrafverfahren in § 11 der Federal Rules of Criminal Procedure geregelt[47] - hat das Gericht die Legalität des plea zu prüfen und auch Willensmängel aufzuspüren.[48] Hierzulande muss das Gericht umso mehr dazu angehalten sein, möglichen nicht offen gelegten Abreden auf den Grund zu gehen und Willensmängel durch gezielte Nachfragen aufzuspüren und zu beheben.[49] Indirekt erkennt der Große Senat diese Notwendigkeit ebenfalls an, indem er die qualifizierte Belehrung zum zwingenden Verfahrensbestandteil macht, wenn eine Absprache erfolgt. Ist das Gericht an der Vorabzusage nicht beteiligt, wäre eine nachfolgende Belehrung auch nicht notwendig mit dem Makel der Formalität behaftet.

Im Kontext der Gesamtentscheidung ist dies allerdings nur ein Nebenschauplatz. Von umso größerer Relevanz ist, dass die Aspekte, mit denen die Unzulässigkeit der Vorabzusage begründet wurde, nunmehr auch die Begründung für die Unwirksamkeit des später erklärten Rechtsmittelverzichts liefern sollen.

b) Zur Unwirksamkeit des vereinbarten Rechtsmittelverzichts

Der Große Senat setzt zwar zunächst bei der Interpretation von § 302 I 1 StPO an und referiert dann kurzkommentarartig allerlei zur Prozesshandlung des Rechtsmittelverzichts, doch schließt er "im Hinblick auf die erörterten rechtlichen Gesichtspunkten und praktischen Gegebenheiten", dass es unerlässlich für die effektive Durchsetzung der Anliegen ist, die mit der Annahme der Unzulässigkeit einer gerichtlichen Mitwirkung an Absprachen über einen Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung verfolgt werden, den daraufhin später erklärten Rechtsmittelverzicht für unwirksam zu erachten.[50] De facto begründet der Große Senat damit eine materielle Mindestvoraussetzung für die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, wie sie schon vom 3. Senat angedacht wurde.[51] Als Kehrseite stehen die zuvor erörterten Gesichtspunkte der ausnahmsweise eintretenden Unwirksamkeit aufgrund schwerwiegender Willensmängel und des Schutzes vor übereilten Entscheidungen dadurch aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr mit dem Grund, welcher die Unzulässigkeit der Vorabzusage trägt. Vielmehr verkehrt der Große Senat seine allgemeine Aussage, dass der vorab zugesagte Rechtsmittelverzichts nicht bereits deshalb unwirksam sei, weil er unzulässig als Bestandteil einer Absprache vereinbart wurde, in ihr Gegenteil. Er soll gerade deshalb unwirksam sein. Nur so ließen sich die verfolgten Anliegen, namentlich effektive Wahrung unverzichtbarer Anliegen eines rechtsstaatlich geführten Strafverfahrens, schuldangemessenes Strafen, Schutz der Rechtskultur, Wahrung von Würde und Autorität des Gerichts, notwendige Sorgfalt bei der Ermittlung des Sachverhalts,[52] effektiv durchsetzen. Aufgrund dieser Argumentationsführung kommt der potentiellen Willensbeeinflussung, aus der die Unwirksamkeit ebenfalls hätte abgeleitet werden können, keine tragende Bedeutung mehr zu.[53] Dies hat erhebliche Folgen für die Eignung der qualifizierten Belehrung als Mittel zur Sicherung der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts. Auf diese wird noch zurückzukommen sein.

Zunächst muss aber der Blick auf eine weitere dramatische Änderung der bisherigen Rechtsprechung gelenkt werden, die der Große Senat mit einem knappen Absatz begründet glaubt: Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Verzichts wird auf alle Fälle erstreckt, in denen überhaupt eine Absprache stattfand. Damit wird das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach der erklärte Rechtsmittelverzicht grundsätzlich wirksam ist, für Absprachen umgekehrt: Der erklärte Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich unwirksam, wenn er einer verfahrensbeendenden Verständigung im Strafverfahren nachfolgt. Zur Begründung dieser Umwälzung, die nicht einmal der absprachekritische 3. Senat angedacht hatte, wird auf eine Abwägung zwischen dem Anliegen des fairen Verfahrens und der Rechtssicherheit rekurriert.[54] Bei allem gebotenen Respekt muss man sich aber fragen, wo diese Abwägung so plötzlich und unvermittelt herkommt und wie es um ihre dogmatische Legitimität im Zusammenhang mit der zu behandelnden Problematik steht.

Nach ganz h. M. kann ein Rechtsmittelverzicht nur ausnahmsweise unwirksam sein, wenn überwiegenden Gründen der Gerechtigkeit der Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit einzuräumen ist.[55] Das Gebot materieller Gerechtigkeit ist im Wege verfassungskonformer, das Gesetz ergänzender oder umbildender Rechtsfortbildung

zu verwirklichen.[56] Eine Norm, die selbst bei eklatanten Verstößen gegen allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen daraus resultierenden Willensmängeln die Beachtlichkeit versagt, muss demnach korrigiert werden.[57] Soll ein Fundamentalprinzip wie die Gerechtigkeit aber als unmittelbar wirkender Rechtsgrundsatz gelten, so kann dies nur funktionieren, wenn man diesen Rechtsgrundsatz hinreichend konkretisieren und nachprüfbar machen kann.[58] Unterstellte man hier, dass der Große Senat zumindest äußerlich an diese hergebrachten Grundsätze anknüpfen wollte und das "Anliegen des fairen Verfahrens" daher als Ausdruck und Konkretisierung materieller Gerechtigkeit zu verstehen ist, bestünde dennoch Anlass zur Kritik:

Zwar hat das BVerfG den Grundsatz des fairen Verfahrens zu einer prägenden Prozessmaxime für das Strafverfahren erhoben,[59] doch sind Geltungsgrund, dogmatische Bedeutung und Funktionsweise nicht abschließend geklärt.[60] Es ist methodisch nur eingeschränkt möglich, aus dem Fairnessprinzip konkrete Ergebnisse zur Lösung von Einzelfragen abzuleiten.[61] Das Fairnessprinzip enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote, sondern bedarf behutsamer Konkretisierung.[62] Der BGH warnt selbst vor einer ausufernden Anwendung, die eine Lockerung der Bindung an das positive Recht und eine unsichere Rechtsanwendung bewirken kann.[63] Will man also unmittelbare Wirkungen herleiten und Einbußen an Rechtssicherheit vermeiden, bedarf es einer sorgfältigen Konkretisierung für den jeweiligen Anwendungsfall. Der BGH macht sich diese Mühe nicht. Weder nennt er die Einzelgesichtspunkte des fairen Verfahrens, die für die Situation des Rechtsmittelverzichts einschlägig sein könnten, noch begründet er sein Abwägungsergebnis - abgesehen von dem Hinweis auf Beweisschwierigkeiten - überhaupt.[64]

Im Zusammenhang der Entscheidung mag dies zumindest für den Großen Senat zu verschmerzen sein, denn er hat das Serum gegen die Wirkung dieser fundamentalen Änderung der bisherigen Rechtsprechung bereits parat: die qualifizierte Rechtsmittelbelehrung. Im Interesse der Rechtssicherheit könne die Unwirksamkeitsfolge nämlich nicht absolut gelten.[65]

c) Zur Eignung der qualifizierten Belehrung

Nach Auffassung der Großen Senats entfalle die Unwirksamkeitsfolge, wenn dem Rechtsmittelberechtigten eine qualifizierte Belehrung bezüglich seiner Freiheit, ungeachtet der Absprache auf Rechtsmittel zu verzichten, erteilt wird.[66] Folgt man aufmerksam der Begründung des Großen Senat, beruht die Unwirksamkeit aber gerade nicht auf der potentiellen, unzulässigen Willensbeeinflussung des Rechtsmittelberechtigten, sondern eben auf der effektiven Durchsetzung der Anliegen, die mit der Annahme der Unzulässigkeit einer gerichtlichen Mitwirkung an Absprachen über einen Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung verfolgt werden.[67] Es bleibt daher unklar, wie die Sicherstellung der Willensfreiheit des Rechtsmittelberechtigten etwas am Verdikt der Unwirksamkeit ändern soll. Das Vorhandensein materieller Mindestvoraussetzungen für die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, namentlich die Absenz einer Vorabzusage oder eines Hinwirkens zur Wahrung - u.a. - der Rechtskultur, Würde und Autorität des Gerichts sowie der notwendigen Sorgfalt bei der Ermittlung des Sachverhalts, kann die qualifizierte Belehrung nicht herbeiführen. Alles andere wäre eine Fiktion.

Selbst wenn aber die Entscheidung ausschließlich auf die Willensmängelproblematik gestützt worden wäre, wie sowohl vom 3., 4. und 5. Senat angedacht als auch vorherrschend im Schrifttum vertreten,[68] wäre die qualifizierte Belehrung gleichwohl nur ein äußerst begrenzt taugliches Mittel zur Wahrung der Entscheidungsaut-

onomie des Rechtsmittelberechtigten. Eine Einschätzung, dass alle Probleme bezüglich der Willensfreiheit des Angeklagten mit ihr auszuräumen wären, scheint zu optimistisch.

Die qualifizierte Belehrung wurde im strafprozessualen Schrifttum und in der Rechtsprechung bisher primär in Verbindung mit der Fortwirkung einer Beeinträchtigung der Aussagefreiheit gem. §§ 136, 136a StPO erwähnt.[69] Sie findet auch nach Verstößen gegen die Belehrungspflicht bezüglich des Rechts auf Verteidigerkonsultation und des Aussageverweigerungsrechts, § 136 I StPO Anwendung.[70] Die qualifizierte Belehrung stellt insofern sicher, dass derartige Rechtsverletzungen keine Auswirkungen auf spätere erneute Vernehmungen mehr zeitigen.[71] Ihr Inhalt setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Der Beschuldigte muss vor Beginn der erneuten Vernehmung nicht nur über seine Rechte belehrt werden, sondern auch darauf hingewiesen werden, dass seine frühere Aussage auf Grund des Verstoßes unverwertbar ist.[72] Dem Angeklagten muss bewusst gemacht werden, dass er von seinen Rechten ohne prozessuale Nachteile Gebrauch machen und seine Entscheidung völlig neu treffen kann.[73] Eine qualifizierte Belehrung muss demnach stets im Zusammenhang mit dem konkret vorliegenden Willensmangel oder staatlich verursachten Autonomiedefizit gesehen werden.

Wollte man die qualifizierte Belehrung als generelle Voraussetzung zur Heilung von Verfahrensverstößen auf andere Konstellationen als Vernehmungen erstrecken, so bedarf es der Prüfung, ob die neue Fallgruppe ähnliche Parameter aufweist wie die etablierten. Bezüglich des Rechtsmittelverzichts ist es nun in der Tat so, dass in der Vorabzusage als Verfahrensfehler der Auslöser eines Willensmangels gesehen wird. Dies ist die Irreleitung über die rechtliche Zulässigkeit und Bindungswirkung der Verzichtszusage, welche nach Ansicht vieler noch zum Zeitpunkt der späteren Verzichtserklärung fortwirkt.[74] Prima facie erscheint die Anwendung der qualifizierten Belehrung zur Beseitigung der Fortwirkung und zur Neutralisierung dieses Verfahrensfehlers daher durchaus plausibel, soweit sie klarstellt, dass keine rechtliche Bindungswirkung besteht und die Erklärung des Rechtsmittelverzichts dem Rechtsmittelberechtigten frei steht.[75] Dies ist nach der vom Großen Senat vorgeschlagenen Lösung der Fall. Trotz Beseitigung des Irrtums über rechtliche Bindungswirkung und Zulässigkeit der Vorabzusage muss aber angezweifelt werden, dass die qualifizierte Belehrung ferner geeignet ist, den faktischen Erwartungsdruck, der durch die Vorabzusage entstanden ist, nachträglich zu mindern.[76]

Auch bei Wissen um die fortbestehende Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung verbleibt ein faktischer Druck auf dem Angeklagten, da die Abwicklung der Absprache bereits weit fortgeschritten sind. Der Große Senat erkennt dieses Problem dem Grunde nach auch selbst, spricht es aber nicht im Rahmen der qualifizierten Belehrung, sondern bereits zuvor im Zusammenhang mit der Herleitung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts an. Der Angeklagte stehe danach unter "Zugzwang", wenn er seine Vorleistung, regelmäßig das Geständnis, bereits erbracht und der Absprache auf Empfehlung seines Verteidigers zugestimmt hat.[77] Ferner werde der Verteidiger dem Angeklagten häufig bedeuten, dass ein Verzicht in seinem wohlverstandenen Interesse sei. Es möge dem Angeklagten daher schwerfallen, von seiner Vorabzusage wieder abzurücken.[78] Hinreichende Korrektive zum Schutz der Entscheidungsfreiheit nach Urteilsverkündung enthalte die StPO nach Meinung des Großen Senats nicht. Sofern der Große Senat aber später das von ihm ergänzend gewählte Korrektiv der qualifizierten Belehrung erörtert, tauchen die vorgenannten faktischen Probleme nicht mehr auf. Eine Überprüfung, ob die qualifizierte Belehrung geeignet ist, den vom Senat selbst geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen, erfolgt nicht.

Das mag seinen Grund haben, denn bei genauerem Hinsehen ist die qualifizierte Belehrung nicht geeignet, auch die faktischen Zwänge hinreichend zu neutralisieren.[79] Die qualifizierte Belehrung bringt den Angeklagten vielmehr in eine paradoxe Situation.[80] Dasselbe Gericht, das rechtswidrig auf eine Vereinbarung des Rechtsmittelverzichts hingewirkt hat, offenbart dem Angeklagten nun, dass dies unzulässig und er daher in seiner Entscheidung frei sei.[81] Dies wird den Angeklagten als Rechtslaien regelmäßig überfordern,[82] zumal die übrigen Absprachebeteiligten inklusive des Verteidigers wie

zuvor vereinbart fortfahren werden. Gaede/Rübenstahl führen völlig zutreffend aus, dass von einem durchschnittlich intelligenten und durchschnittlich verteidigten Angeklagten keine Entscheidung erwartet werden kann, die alle beteiligten Juristen vor den Kopf stoßen muss.[83] Der Rechtsmittelberechtigte kann seine Entscheidung gerade nicht völlig neu treffen, wie dies durch die qualifizierte Belehrung in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich ermöglicht wird. Es findet keine Auswechslung der Verfahrenssituation statt. Vielmehr stehen sich dieselben Beteiligten gegenüber, häufig ohne zeitliche Zäsur. Wie Satzger/Höltkemeier richtig bemerken, kann einer qualifizierten Belehrung in diesem Kontext nur Alibifunktion zukommen.[84] Der Große Senat merkt insofern lediglich mit einem Satz an, dass es in der Verantwortung der Tatrichter stehe, dass dieses Korrektiv der qualifizierten Belehrung nicht etwa als nur formelhafte, tatsächlich nicht ernstgemeinte Prozesshandlung ausgestaltet wird.[85]

Letztlich ist damit eine qualifizierte Belehrung plus X erforderlich, da es sich nicht um die qualifizierte Belehrung in ihrer klassischen Form handelt. Neben der Belehrung muss durch Verhalten des Gerichts auch die wahrgenommene Widersprüchlichkeit der Belehrung beseitigt werden. Genaue Ratschläge, wie das geschehen soll, gibt der Große Senat nicht, obgleich es Aufgabe der obergerichtlichen Rechtsprechung ist, im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass von ihr aufgestellte Verfahrensregeln auch beachtet werden.[86] Er überlässt die Ausarbeitung von Maßstäben vielmehr den betroffenen Tatgerichten, die ihre Eignung und Bereitschaft zur Effektivierung höchstrichterlicher Verfahrensregeln ja bereits zuvor eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

Es ist somit bereits absehbar, dass sich Folgestreitigkeit darüber entspinnen werden, ob eine erfolgte Belehrung hinreichend war. Da der Große Senat keinerlei Maßstäbe liefert, ist eine Vielzahl einzelfallspezifischer Auseinandersetzungen, die dann zumeist im Rahmen eines Wiedereinsetzungsverfahrens zu klären wären, und die Entstehung einer umfangreichen Kasuistik vorprogrammiert. Von seinem Ziel, durch die qualifizierte Belehrung ein Mehr an Rechtssicherheit zu schaffen, entfernt sich der Senat dadurch.

Effektive Wirkung entfalten könnte die qualifizierte Belehrung wohl nur in dem Bereich, der über den Abwendungsbereich, der schon vom 4. Senat in BGHSt 45,227 angedacht wurde, hinausgeht.[87] Ohne eingehende Begründung wird die Belehrungspflicht nämlich auf alle Fälle erweitert, in denen eine verfahrensbeendende Verständigung erfolgte.[88] Wie bereits oben knapp ausgeführt, kann eine solche Belehrung tatsächlich die Entscheidungsautonomie des Angeklagten schützen, soweit das Gericht nicht an der Vorabzusage beteiligt war. Die Belehrungspflicht gründet sich dann aber auf die gerichtliche Fürsorgepflicht und dient nicht mehr primär der Beseitigung der Fortwirkung eines Verfahrensfehlers.[89]

Probleme werden aber auch in dieser Konstellation deutlich, soweit man nicht bei der isolierten Betrachtung der Vorabzusage stehen bleibt, sondern diese im Gesamtzusammenhang der Absprache begreift und nach deren verschiedenen Inhalten differenziert.[90] Die Entscheidungssituation und die Einflussfaktoren auf die Autonomie des Rechtsmittelberechtigten sind nämlich weitaus komplexer, als dies zunächst scheint. Im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung können noch weitere beachtliche faktische Beeinträchtigungen der Willensbildungsfreiheit bestehen. Insbesondere soweit die zugesagten Leistungen von staatlicher Seite zu diesem Zeitpunkt

noch nicht erbracht sind,[91] kommt der Aussicht auf die spätere Erbringung maßgeblicher Einfluss zu.[92] Der Angeklagte weiß, dass er noch nicht alles Erforderliche getan hat, um sich die Vorteilsgewährung zu sichern und ein Unterlassen des Verzichts zwangsläufig das Ausbleiben der noch ausstehenden staatlichen "Gegenleistung" nach sich zieht. Die Vorabzusage wäre insofern allenfalls mitursächlich für den Rechtsmittelverzicht. Diese Erkenntnis bietet allen Anlass dazu, den eigentlichen Kern des Problems in den Blick zu nehmen: den Inhalt der jeweiligen Absprache. Eine vorrangige Ausrichtung der Diskussion um die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts am Problem der Vorabzusage ließe diesen entscheidenden Gesichtspunkt unberücksichtigt. Maßgeblicher Aspekt in dieser Situation ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die Einhaltung der Absprache.[93] Da der notwendige Inhalt einer effektiven qualifizierten Belehrung in unmittelbarer Wechselbeziehung mit den Einflussfaktoren stehen muss, erfordert die Neutralisierung ihrer motivierenden Wirkung hier den zusätzlichen Hinweis, dass die Zusagen des Staates bezüglich künftiger Leistungen unverbindlich und unter Umständen nicht der Rechtskraft fähig oder gar rechtswidrig sind.[94]

All dies ist aber gleichwohl nur ein oberflächliches Herumkurieren an den Symptomen einer ungeregelten Absprachepraxis. Eine wirklich kohärente Lösung der derzeitigen Probleme bei Verständigungen im Strafverfahren kann nur ausgehend von einer grundlegenden Regelung durch den Gesetzgeber erfolgen. Aus dieser ließen sich dann auch wichtige Parameter für die Behandlung des Rechtsmittelverzichts bei Absprachen gewinnen, die sodann in eine allgemeine Dogmatik zur Lösung der Willensmangelproblematik beim Rechtsmittelverzicht integriert werden könnten. Zur Entwicklung Letzterer trägt der Große Senat leider nichts bei.

IV. Fazit

Mit dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs geht eine der interessantesten und intensivsten innergerichtlichen Kontroversen in der jüngeren Geschichte des Strafprozessrechts zu Ende. Von den zahlreichen Argumenten, die in den Anfrage- und Antwortbeschlüssen ausgetauscht wurden, findet sich allerdings nicht viel in der zuvor besprochenen Entscheidung. Auf das reichhaltige Schrifttum wird gar nicht erst eingegangen. Der Große Senat rang ersichtlich um einen Kompromiss, so dass die Gründe wohl lediglich den Minimalkonsens widerspiegeln, auf den sich die Senate verständigen konnten. Dies mag auch erklären, warum der Senat den Ausführungen zur Vorfrage der Zulässigkeit der verfahrensbeendenden Absprache als solcher immerhin 13 Seiten widmet, während der Kerngegenstand des Vorlageverfahrens mit seinen weitreichenden Änderungen auf lediglich 10 Seiten abgehandelt wird.[95]

Faktische Konsequenz des Beschlusses ist, dass dem im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache erklärten Rechtsmittelverzicht künftig Wirksamkeit zukommen wird. Ermöglicht wird dies durch das neu eingeführte Korrektiv der qualifizierten Belehrung. Der 3. Senat, der ausgezogen war, um Entwicklungen in der Praxis, die Grundprinzipien des Strafprozessrechts gefährden, zu korrigieren,[96] steht mit leeren Händen da. Noch im Vorlagebeschluss hatte dieser Senat herausgestellt, dass der wirksamste Schutz gegen Fehlentwicklungen bei der Urteilsabsprache darin besteht, dass sich die Beteiligten nicht sicher sein können, dass das Urteil nicht doch zur Überprüfung gestellt wird.[97] Damit ist es nun endgültig vorbei. Der Beschluss des Großen Senats gibt ihr mit der qualifizierten Belehrung ein vorzügliches Mittel zur Hand, Umgehungen der richterrechtlichen Mindestvoraussetzungen für Absprachen nunmehr prozessual zulässig gegen eine Rechtsmittelkontrolle abzusichern.[98] Leidtragender sind der Angeklagte und die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens. Der Praxis wird indessen ein höchstrichterlicher Freifahrtsschein für die Fortführung missbräuchlicher Praktiken erteilt.

Wie zuvor Widerspruchslösung, Strafzumessungslösung oder Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe wird erneut ein prozessuales Vehikel geschaffen bzw. erweitert, dass schützende Formen im Strafverfahrens aufbricht und zur weiteren Erosion der Rechtsposition des Angeklagten beiträgt. Das Perfide dieser Konstruktion ist, dass sie selbst in das Gewand einer schützenden Form gekleidet daherkommt. In Wahrheit ist sie ein trojanisches Pferd, dem die Tore zur Absprachenpraxis nicht hätten geöffnet werden dürfen.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass damit der parlamentarische Gesetzgeber die einzige Hoffnung bleibt, den Wildwuchs der Absprachenpraxis einzudämmen und die Entscheidungsautonomie des Angeklagten hinreichend zu sichern.[99]


* Der Autor ist derzeit als Visiting Scholar an der Yale Law School tätig.

[1] BGHSt 45, 227.

[2] Weigend StV 2000, 63f.; Satzger JuS 2000, 1157, 1160; Bömeke, Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen im deutschen und englischen Recht, 2001, S. 132.

[3] Gaede/Rübenstahl, HRRS 2004, 342, 352 hatten bereits zuvor argumentiert, dass ein Kompromiss, der die Einführung einer qualifizierten Belehrung zur Folge hat, den Aufwand von Anfrage- und Vorlageverfahren nicht gelohnt hätte.

[4] BGHSt 10, 245, 247; BGH GA 68, 86; wistra 92, 309, 310; NStZ 96, 202; NStZ-RR 2002, 101.

[5] Hinsichtlich der genauen Sachverhalte sei auf den Anfragebeschluss verwiesen, BGH StV 2003, 544.

[6] BGH StV 2003, 544.

[7] Für eine knappe Darstellung der Innendivergenz siehe Meyer StV 2004, 23, 24.

[8] BGH NStZ 2004, 164 (1. Senat); BGH NJW 2004, 1336f. (2. Senat); eine knappe Darstellung des Disputs findet sich bei Satzger/Höltkemeier NJW 2004, 2487, 2488. Dem 3. Senat gelingt in seinem Vorlagebeschluss die Widerlegung der stärksten Gegenargumente, siehe BGH NJW 2004, 2536, 2539; kritisch bezüglich der Überzeugungskraft der von 1. und 2. Senat vorgetragenen Einwände mit beachtlicher Argumentation auch Gaede/Rübenstahl, HRRS, 2004, 342, 344-347, 352f. Anzumerken bleibt, dass zahlreiche Probleme, deren Auftreten 1. und 2. Senat auf Grund der beabsichtigten Änderung der Rechtsprechung befürchten, zum einen schon jetzt und unabhängig von einer potentiellen Rechtsprechungsänderung bestehen und sich zum anderen ohne Weiteres durch eine fundierte allgemeine Dogmatik zur Willensmangelproblematik beim Rechtsmittelverzicht lösen lassen sollten.

[9] BGH NJW 2004, 1335 (5. Senat); BGH 4 Ars 32/03, Beschluss v. 25. November 2003 (4. Senat). Dies dürfte zu einer vorentscheidenden Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Großen Senat geführt haben.

[10] 1., 2. und 4. Senat hatten angeregt, den Großen Senat auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen anzurufen, BGH NJW 2004, 2536.

[11] BGH NJW 2004, 1356.

[12] BGH NJW 2004, 2536.

[13] BGH GSSt 1/04, Bl. 2.

[14] BGH GSSt 1/04, Bl. 13. Obgleich sich die Strafsenate scheinbar ohne größere Differenzen an BGHSt 43, 195 zu orientieren schienen, hatte der 2. Senat fast beiläufig angemerkt, dass im Gesamtsenat unterschiedliche Grundauffassungen zur Zulässigkeit von Absprachen bestehen, BGH NJW 2004, 1336, 1337.

[15] Z. B. im Hinblick auf die sog. "Sanktionsschere" oder das Geständnis "zu Lasten Dritter", vgl. BGH GSSt 1/04, Bl. 15, 16.

[16] Diese hält der Große Senat für gewahrt, BGH GSSt 1/04, Bl. 17, wobei an die ergänzenden Ausführungen des 3. Senats im Vorlagebeschluss angeknüpft wird, vgl. BGH NJW 2004, 2536, 2357f.

[17] Insbesondere werden die Fragen der Bindungswirkung von Zusagen und der Verwertbarkeit des "vorgeleisteten Geständnisses" genannt, BGH GSSt 1/04, Bl. 17, 18.

[18] BGH GSSt 1/04, Bl. 24, 34f.

[19] BGH GSSt 1/04, Bl. 24.

[20] Der Große Senat gesteht allerdings ein, dass ein rechtliches Interesse an der Überprüfung bei einwandfreier Absprache nicht häufig anzutreffen sein wird, BGH GSSt 1/04, Bl. 26.

[21] BGH GSSt 1/04, Bl. 25.

[22] Eine Frage nach einem Rechtsmittelverzicht unmittelbar nach Urteilsverkündung, wie vom 5. Senat für nicht sachwidrig gehalten, vgl. BGH NJW 2004, 1335, ist danach nicht mehr möglich.

[23] BGH GSSt 1/04, Bl. 27.

[24] BGH GSSt 1/04, Bl. 29. Der Große Senat führt in diesem Zusammenhang auch aus, dass es dem Rechtsmittelberechtigten schwer fallen kann, von der Zusage Abstand zu nehmen. Empfehlungen des Verteidigers und Vorleistung des Geständnisses könnten einen "Zugzwang" erzeugen.

[25] BGH GSSt 1/04, Bl. 30; bereits der 3. Senat hatte in seinem Vorlagebeschluss in Ergänzung zu seinen Ausführungen im Anfrageverfahren deutlich gemacht, dass wegen der zentralen Bedeutung des Verbots, die Konsequenz aus einem Verstoß nur die Unwirksamkeit sein könne, BGH NJW 2004, 2536, 2538.

[26] BGH GSSt 1/04, Bl. 30.

[27] Die Einführung eines solchen Instruments war sowohl vom 3. Senat als auch vom 2. Senat zuvor abgelehnt worden, siehe BGH NJW 2004, 2536, 2539; NJW 2004, 1336, 1337. 5. Senat und 4. Senat hatte hingegen angedeutet, darin eine denkbare Lösung des Wirksamkeitsproblems zu sehen, BGH NJW 2004, 1335 (5. Senat); BGHSt 45, 227, 233 (4. Senat).

[28] BGH GSSt 1/04, Bl. 31.

[29] BGH GSSt 1/04, Bl. 32.

[30] BGH GSSt 1/04, Bl. 33 - Auch Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von der bisherigen Rechtsprechung sowie dieses Beschlusses berechtigten nicht zur Wiedereinsetzung; so ebenfalls jüngst der 5. Senat in 5 StR 586/04.

[31] BGH GSSt 1/04, Bl. 34.

[32] Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 3. Aufl., 2001, § 132 Rn. 37.

[33] BVerfGE 84, 212, 226.

[34] Siehe zu den geplanten Neuregelungen www.stpo-reform.de. Nach wie vor erschöpfen sich die Reformpläne weit gehend in der Implementierung der richterrechtlichen Verfahrensregeln.

[35] Satzger/Höltkemeier, NJW 2004, 2487, 2490, sprechen daher von einer "großen Lösung". Eine ganz andere Frage ist, in welchen Grenzen dies möglich ist, vgl. dazu z. B. Weßlau, ZStW 116 (2004), 150, 164-171, die wohl nur geringen Spielraum für die Integration eines konsensualen Verfahrensmodells sieht; zu Recht sehr skeptisch auch Duttge ZStW 115 (2003), 539 ff.

[36] Meyer, Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht des Angeklagten im Strafverfahren, 2003, S. 389.

[37] SK/StPO-Rogall, vor § 133 Rn 102.

[38] Ob diese Grenze erst jetzt erreicht wurde, mag allerdings nach wie vor bezweifelt werden, siehe u.a. Kritik von Noak, StV 2002, 445, 446, Weigend, BGH-FG, 2001, S. 1011, 1016, und Schünemann, FS Rieß, 2002, S. 525, 536. Gleichwohl ist diese Problematik bereits vielfach und ausführlich erörtert worden. Sie soll hier nicht erneut vertieft diskutiert werden. Zu den konkreten Ausführungen des BGH ist aber zumindest anzumerken, dass die gewählte Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG auf tönernen Füßen steht. Die Entscheidungen, denen die Zitate entnommen wurden, behandelten die Anwendung ganz konkreter materiell zivilrechtlicher Vorschriften. Im ersten Fall wurde die Frage des Ersatzes immaterieller Schäden bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts entschieden, während es im zweiten Fall um die analoge Anwendung des § 569a Abs. 2 S.1 BGB a.F. auf nichteheliche Lebenspartner als "andere Familienangehörige" ging. Das BVerfG hat zudem ausdrücklich erklärt, dass es keine Formel für alle Rechtsgebiete gibt, um die Grenzen der Rechtsfortbildung zu bestimmen, und seine Entscheidung ausdrücklich auf das Gebiet des Privatrechts beschränkt, BVerfGE 34, 269, 288. Ob dessen Ausführungen sich insofern auf eine Situation übertragen lassen, in denen das gesamte Verfahrenssystem in einem anderen Rechtsgebiet neuausgerichtet werden soll, muss kritisch beurteilt werden. Das Gericht darf jedenfalls nicht anstelle einer Gesetz gewordenen Regelung eine andere treffen, von der nicht feststeht, ob der Gesetzgeber sie gewollt hat oder gewollt hätte, Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 1990, § 1 Rn. 6.

[39] Über die Motive des 2. Senats mag dabei spekuliert werden. Angesichts der Heftigkeit der Debatte erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Einwand der Obstruktion oder Schaffung von Verhandlungsmasse gedient haben könnte.

[40] Vgl. z. B. BGHSt 43, 195; BGH NJW2004, 2536, 2538.

[41] Zustimmend auch Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 345f. unter Ausleuchtung der psychischen Konsequenzen des Hinwirkens für den Angeklagten.

[42] Ohnehin stellte sich für das Gericht hier ein praktisches Problem, da der künftige Abspracheinhalt ex ante prognostiziert werden müsste.

[43] BGHSt 24, 170, 171; Meyer-Goßner, GVG vor § 141 Rn. 7.

[44] Sie soll sogar gerade über die Einhaltung der Rechts wachen, siehe Meyer-Goßner, GVG vor § 141 Rn. 8.

[45] Siehe Meyer, Fn. 36, S. 332f.

[46] Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, 1994, S. 278-286; siehe gerade auch im Zusammenhang mit der Erklärung eines vereinbarten Rechtsmittelverzichts durch die Staatsanwaltschaft Gaede/Rübenstahl, HRRS 2004, 342, 358f.

[47] Ähnliche Regelungen finden sich in den Prozessordnungen vieler Einzelstaaten.

[48] Saltzburg/Capra, American Criminal Procedure, 7th ed., 2004, 1066f., 1081-1083.

[49] Grundlage dafür wäre die gerichtliche Fürsorgepflicht, vgl. dazu BGHSt 25, 325, 330; SK/StPO-Rogall, Vor § 133 Rn 115.

[50] BGH GSSt 1/04, Bl. 30 - Der Zeitpunkt der Erklärung spielt dabei nach Auffassung des Senats keine Rolle.

[51] Siehe BGH StV 2003, 544, 546.

[52] Siehe BGH GSSt 1/04, Bl. 24f.

[53] Die Begründung lässt sich auch nicht als Integration von Willensmängelproblematik und abstrakter, normativierter Wirksamkeitsvoraussetzung verstehen, wie sie z. B. von Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 348 angedacht wurde.

[54] BGH GSSt 1/04, Bl. 30.

[55] BGHSt 17, 14, 18; vgl. auch BGH wistra 94, 30 m.w.N.

[56] Ossenbühl DÖV 72, 25, 34; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 7. Auflage, 1999, S. 11.

[57] So ausdrücklich für erhebliche Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht BGH wistra 94, 30 m.w.N.

[58] Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auflage, 1991, S. 490.

[59] LR-Rieß, Einl. Abschn. H Rn 99; Marczak, Das Fairnessgebot im Prozess unter besonderer Berücksichtigung des Strafprozesses, 2000, S. 80.

[60] LR-Rieß, Einl. Abschn. H Rn 100; SK/StPO-Rogall, § 133 Rn 102 ff.; Sinner, Der Vertragsgedanke im Strafprozess, 1999, S. 125, 126.

[61] LR-Rieß, Einl. Abschn. H Rn 103.

[62] BVerfGE 57, 250, 276; 63, 45, 61.

[63] BGHSt 40, 211, 217f.

[64] Wie eine solche Konkretisierung aussehen könnte, habe ich an anderer Stelle darzulegen versucht, Meyer, Fn. 36, S. 96ff.

[65] Man fragt sich allerdings, wieso dies so sein muss, denn wegen der Weite der Neuregelung ist ein Höchstmaß an Rechtssicherheit gerade gewährleistet: Der Rechtsmittelverzicht kann bei Absprachen rechtlich schlicht nicht mehr vorkommen. Ein derartiger Paternalismus gibt natürlich seinerseits Anlass zum Widerspruch, doch ist dies nicht Thema des Beitrags.

[66] Dies macht vor allem die vom 2. Senat als kaum möglich beschriebene Motivforschung für den Verzicht entbehrlich, BGH NJW 2004,1336.

[67] Wegen der offensichtlichen Friktionen mit der vorangehenden Begründung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bei Absprachen kann das Abstellen auf die qualifizierte Belehrung auch nicht als eine Normativierung der Frage, ob tatsächlich ein Willensmangel vorliegt, verstanden werden. Dies entspräche einer Idee von Rieß, welche dieser zur Bewältigung von Kausalitätsproblemen entwickelt hatte, um zum Nachweis des "Beruhens” auf einen vorwiegend an objektiven Kriterien orientierten, normativ begründeten Zusammenhang abzustellen zu können, Rieß, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 645, 652, 655; zustimmend Bömeke, Fn. 2, S. 135. Dieser Ansatz würde einen Bogen zwischen den beiden Argumentationssträngen des 3. Senats aus seinem Anfragebeschluss schlagen und neben der Klärung des Willensmangel zugleich eine neue abstrakte Wirksamkeitsvoraussetzung für den Rechtsmittelverzicht schaffen. Gleichwohl begegneten einer solchen Ansicht, dieselben Bedenken gegen die Eignung der qualifizierten Belehrung, wie sie unten vorgetragen werden.

[68] BGHSt 45, 227, 231; BGH NJW 2004, 2536, 2538; BGH NJW 2004, 1335

[69] Zur Figur der qualifizierten Belehrung und ihrer Funktion siehe grundlegend Geppert, GS Meyer, 1990, S. 93ff. vgl. auch BGH StV 95, 450; BGH StV 96, 360; LR-Hanack, § 136a Rn 65.

[70] LR-Hanack, § 136 Rn 74; Beulke NStZ 96, 257, 261; Geppert, GS Meyer, 1990, S. 93, 101ff.

[71] G. Fezer JZ 89, 348; Neuhaus NStZ 97, 312, 314.

[72] Geppert, GS Meyer, 1990, S. 93, 94f.; BGH StV 96, 360 (5.Senat); ähnlich BGH StV 88, 45 (3.Senat).

[73] LR-Hanack, § 136 a Rn 65 sowie § 136 Rn 74; vgl. KK-Boujong, § 136 Rn 29.

[74] Rieß, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 645, 656 - motivierende Kraft kann zumindest nicht ausgeschlossen werden; Satzger JuS 2000, 1157, 1160; Bömeke, Fn. 2, S. 134; Meyer, Fn. 36, S. 331ff.

[75] Zudem müsste man sich fragen, ob in Anlehnung an die anerkannten Fälle der qualifizierten Belehrung nicht ebenfalls Klarheit darüber zu schaffen wäre, dass bei Zuwiderhandlung gegen die Vorabzusage keinerlei Sanktionierung droht.

[76] Bömeke, Fn. 2, S. 135.

[77] BGH GSSt 1/04, Bl. 29

[78] BGH GSSt 1/04, Bl. 29.

[79] Nicht gesagt ist damit aber, dass der Rechtsmittelverzicht zwingend unwirksam ist, siehe dazu Meyer, Fn. 36, S.344.

[80] Bömeke spricht von einem "für den Angeklagten nur schwer verständlichen Widerspruch”, Fn. 2, S. 135.

[81] Meyer, Fn. 36; S. 343; Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 351.

[82] Von einer Neutralisierung der Willensbeeinträchtigung könne nach Auffassung von Satzger/Höltkemeier, NJW 2004, 2487, 2489, kaum die Rede sein. Moldenhauer, Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den BGH, 2004, spricht von einem bloßen Formalismus, S. 233f.

[83] Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 351.

[84] Satzger/Höltkemeier NJW 2004, 2487, 2489. Gleichwohl sehen diese die Notwendigkeit eines alternativen Lösungsansatzes, da die Folge genereller Unwirksamkeit nicht praxistauglich sei. Verständigungen würden in die Heimlichkeit gedrängt und der Angeklagte umso schutzloser. Soweit aber als eigener Vorschlag die Vorabzusage unter Wahrung rechtlicher Mindeststandards erlaubt werden soll, stellt sich bei aller Notwendigkeit praxistauglicher Lösungen doch die Frage, warum vor der unzulässig agierenden Praxis kapituliert werden soll. Die Botschaft dieser Lösung wäre, dass letztlich gerade die hartnäckigsten und erfindungsreichsten Rechtsverletzer mit der Legitimation ihrer Praktiken belohnt würden. Schließlich hegen die Verfasser selbst Zweifel, ob bei Zulassung der Vorabzusage die übrigen rechtsstaatlichen Minimalforderungen fortan überhaupt gewahrt würden. Soweit dies nicht vollständig der Fall wäre, erwiese sich dieser Ansatz als ebenso schädlich wie die qualifizierte Belehrung. M.E. scheint daher eher umgekehrt die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts der einzig praxistaugliche Weg, um BGHSt 43, 195 Schlagkraft zu verleihen.

[85] Zumindest eine eindeutige Belehrung sehen Bömeke, Fn. 2, S. 135, und wohl auch Rieß, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 645, 655f., als ausreichend zur Neutralisierung der motivierenden Kraft der unzulässigen Absprache an.

[86] So noch der 3. Senat im Vorlagebeschluss, BGH NJW 2004, 2536, 2539.

[87] Bömeke, Fn. 2, S. 134, 135, vertrat bereits in seiner Reaktion auf BGHSt 45, 277, dass eine qualifizierte Belehrung in Absprachefällen generell angemessen ist, um dem Angeklagten zu verdeutlichen, dass eine Verständigung nicht eo ipso von einer revisionsrechtlichen Kontrolle präkludiert ist. Das Gericht sollte den Angeklagten deutlicher als nach einem streitigen Verfahren auf die Rechtsmittelmöglichkeit hinweisen.

[88] Diese Erweiterung federt die Unschärfe des Begriffs des "Hinwirkens" ab, die vom 1. Senat, BGH NStZ 2004, 164, 165, kritisiert worden war, da keinerlei Streitigkeiten über die Notwendigkeit der Belehrung entstehen können sowie bei erfolgter Belehrung keine vertiefte Auseinandersetzung mit potentiellen Einwirkungshandlungen des Gerichts erfolgen muss.

[89] Das Vorliegen einer Absprache typisiert die Hilfsbedürftigkeit des Angeklagten, welche die Fürsorgepflicht des Gerichts zur Wahrung autonomen, selbstbestimmten Handeln seitens des Angeklagten auslöst. Vgl. zum maßgeblichen Grund für die Forderung nach einer qualifizierten Belehrung in ihrem klassischen Anwendungsbereich Geppert, GS Meyer, 1990, S. 93, 105, 118.

[90] Weigend hat bereits frühzeitig ausgeführt, dass der Zusage des Rechtsmittelverzichts neben dem sonstigen Inhalt der Absprache nur unwesentliche zusätzliche Motivationswirkung zukomme. Er begrüße eine qualifizierte Belehrung zwar aus Gründen der Fairness, doch begründe ihr Fehlen nicht ohne weiteres die Unwirksamkeit des Verzichts, StV 2000, 63, 65 Fn. 18.

[91] Damit sind u.a. Vorteilszusagen durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane gemeint, die ihrer Natur entsprechend erst nach Eintritt der Rechtskraft gewährt werden (können). Dies sind typischerweise Nichtverfolgungszusagen der StA und Zusagen bzgl. Strafvollzug und -vollstreckung.

[92] Weigend StV 2000, 63, 66; zuletzt Satzger/Höltkemeier NJW 2004, 2487, 2489.

[93] Meyer, Fn. 36, S. 346f.

[94] Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf die Erfüllung der denkbaren nachträglichen staatlichen Leistungen. Die Nichtverfolgungszusage gem. § 154 I Nr. 1 StPO ist faktisch nur vorläufiger Natur und entfaltet keine Rechtskraft, KK-Boujong, § 154 Rn 24. Auch Beschränkungen der Strafverfolgung gem. § 154a StPO sind lediglich vorläufiger Natur, Meyer-Goßner, § 154a Rn. 19, 24. Zusagen zu Strafvollzug oder -vollstreckung sind regelmäßig rechtswidrig.

[95] So werden Bedenken des 2. und 3. Senats gegenüber einer qualifizierten Belehrung nicht kritisch gewürdigt. Mehr noch: Das Kernproblem des Zerwürfnisses zwischen den Senaten, namentlich ob eine Vorabzusage tatsächlich zu einem beachtlichen Willensmangel führt, wird gemieden, obgleich gerade hier wegen der diametral entgegengesetzten Einschätzungen der Verfahrenswirklichkeit eine Harmonisierung notwendig ist, vgl. z. B. die Beurteilung des regelmäßigen Ablaufs einer Absprache und der Aufgabenwahrnehmung des Verteidigers in deren Verlauf durch den 1. Senat, BGH NStZ 2004, 164f.

[96] BGH StV 2003, 544, 545.

[97] BGH NJW 2004, 2536, 2538 unter Anlehnung an Salditt ZStW 115 (2003), 570, 580.

[98] Ähnlich kritisch bereits Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 351.

[99] Gem. §§ 257b II, 302 I 2 StPO-E soll ein Rechtsmittelverzicht unwirksam sein, wenn er Gegenstand einer vorangegangenen Verständigung war.