HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2005
6. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen


(Nichts) Neues zum Missbrauch des Beweisantragsrechts

Zugleich Besprechung des Beschlusses BayObLG 4St RR 22/04 vom 5.3.2004 (HRRS 2005 Nr. 2).

Von Prof. Dr. Hans Kudlich, Univ. Erlangen.

I. Mitten in die Diskussionen um die Schaffung eines (stärker) partizipatorischen Ermittlungsverfahrens,[1] dessen mögliche Anfälligkeit für "Störungen" bei der Sachverhaltsermittlungen - soweit neben anderen möglichen Problemen überhaupt ins Blickfeld genommen - auch von Autoren eingestanden wird,[2] die gewiss nicht der Justizlastigkeit und der Nivellierung von Beschuldigtenrechten verdächtig sind, nun auf einmal wieder ein Beitrag zum mittlerweile wahrlich viel diskutierten[3] Missbrauch des Beweisantragsrechts in der (schon traditionell im hohem Maße partizipatorisch gestalteten) Hauptverhandlung - muss das sein? So wenig bei Beachtung eines strengen "kategorischen Inhibitivs"[4] von "müssen" die Rede sein kann, so sehr ist der Missbrauch von Verfahrensrechten als Fragestellung nach wie vor aktuell und allemal einige kurze Überlegungen wert: Die einschlägige Diskussion wurde zwar - möglicherweise als Reaktion auf die Leitentscheidung BGHSt 38, 111[5] - besonders intensiv vor allem Mitte der 90-er Jahre geführt,[6] hat aber nichts von ihrer Bedeutung verloren. Es findet in der Literatur nach wie vor Beachtung[7] und beschäftigt - wie

die hier interessierende Entscheidung des BayObLG deutlich zeigt - selbstverständlich auch nach wie vor die Gerichte.

Auf den ersten - und letztlich auch auf den zweiten - Blick nun ist die Entscheidung nicht wirklich spektakulär: Das BayObLG hält in Anlehnung an BGHSt 38, 111 ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot für an sich möglich, welches offenbar auch die konkret angeordnete Beschränkung des Beweisantragsrechts auf den Verteidiger tragen kann (wobei zumindest bemerkenswert ist, wie ausführlich das Gericht zunächst frühere Judikate zitiert, die sich in sehr grundsätzlicher Weise gegen eine Missbrauchskontrolle mit im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Maßnahmen aussprechen). Im konkreten Fall allerdings sieht es die - darüber besteht wohl weitgehend Einigkeit - sehr hohen Anforderungen an das Eingreifen eines solchen Verbots als nicht gegeben, zumindest aber nicht als hinreichend dargetan an.

II. Zugleich ist die Entscheidung aber in mehrerlei Hinsicht symptomatisch für das Missbrauchsproblem: Denn die Tatsache, dass sich Tat- und Revisionsgericht im Ausgangspunkt zumindest mehr oder weniger hinsichtlich der Respektierung der in BGHSt 38, 111 aufgestellten Grundsätze einig sind, dass aber andererseits die Einschätzung der konkreten Verfahrenssituation stark differiert, ist wohl mehr als nur Ausfluss der Binsenweisheit, dass verschiedene Juristen bestimmte Fragen eben unterschiedlich beantworten. Vielmehr wird dreierlei deutlich:

-          Je knapper ein Obergericht in einer Leitentscheidung zu einem komplexen Problem[8] seine Sichtweise entwickelt und begründet, desto weiter differiert auch die Umsetzung in der späteren instanzgerichtlichen Rechtsprechung. Die Entscheidung BGHSt 38, 111 ist insoweit zwar keinesfalls ein "Negativbeispiel" - ein wirklich ausführliche Begründung und vor allem auch Handreichungen für die praktische Anwendung eine Missbrauchsverbots finden sich aber allenfalls angedeutet.

-          Trotz aller Bemühungen um eine stärker rationale Begründung eines Missbrauchsurteils wird die Frage, wann eine Verfahrensbefugnis nicht nur "zweckwidrig, aber eben noch in den Grenzen dessen, was der Gesetzgeber durch die Einräumung eines Rechts zwangsläufig auch an Missbrauch des Rechts hinnehmen muss",[9] sondern bereits in einer Weise einseitig zweckwidrig eingesetzt wird, die nicht mehr hinnehmbar ist, selten trennscharf zu entscheiden sein. Die unterschiedliche Perspektive von Revisionsgericht[10] einer- und Tatgericht[11] andererseits wird hier immer wieder einmal zu verschiedenen Beurteilungen führen.

-          Zuletzt ist[12] der Vorwurf des BayObLG, ein offenkundiger Missbrauch werde "weder aus dem Hauptverhandlungsprotokoll noch aus der Begründung des Gerichtsbeschlusses ersichtlich" und das LG habe sich nicht nur vorhergehend "seiner Pflicht zur Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht (...) jeweils gänzlich entzogen", sondern dem Revisionsgericht auch sonst "keine Kontrollmöglichkeit" an die Hand gegeben, "ob das Landgericht zu Recht von einem missbräuchlichen Verhalten des Angeklagten ausgehen durfte oder ob und warum ein solches Handeln zu erwarten war", besonders hervorzuheben: Wenn man nicht unterstellen möchte, dass sich Tatgerichte in solchen Situationen in der Begründung bewusst bedeckt halten, um damit (vermeintlich) weniger angreifbar zu werden,[13] so müssen sie sich zumindest den Vorwurf machen lassen, dass die Einschlägigkeit eines ungeschriebenen Missbrauchsverbots stets ein Ausnahmefall ist, der von der Regelanordnung einer Rechtsnorm abweicht und damit eine erhebliche Begründungslast nach sich zieht.[14]

III. Lässt sich nun mangels näher Hinweise auf das tatsächliche Prozessgeschehen in den Gründen des Beschlusses nicht verbindlich sagen, ob - die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Vorgehens einmal unterstellt[15] - das Tatgericht mit seiner "Missbrauchsreakti-

on"[16] in der Sache zu schnell bei der Hand oder aber "nur" eine hinreichende Begründung unterlassen hat,[17] so gibt die Entscheidung doch Anlass dazu, darüber nachzudenken, ob in entsprechenden "Extremfällen" und bei ordnungsgemäßer Begründung das vom Tatgericht angesonnene Vorgehen einer Beschränkung des Beweisantragsrechts auf den Verteidiger überhaupt vorstellbar ist oder ob dieser auch von BGHSt 38, 111 eingeschlagene Weg mit der lex lata letztlich nicht zu vereinbaren ist:

1. Versucht man, sich dem Missbrauchsproblem in allgemeiner Form von den strukturellen Grundlagen her anzunähern, so zeichnen sich drei grundsätzliche Fragen ab: Kann ein "Missbrauchsverbot" überhaupt begründet und insbesondere mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes legitimiert werden? Bejahendenfalls:[18] Was sind seine Voraussetzungen? Und: Welche Rechtsfolgen kann es (auch in welcher formalen Weise) nach sich ziehen?[19]

a) Ohne dass der ersten - auch in der einschlägigen Literatur selten vertieft und etwa in ihren methodischen[20] und verfassungsrechtlichen Dimensionen[21] angesprochenen - Frage hier angemessen nachgegangen werden könnte, dürfte - aus Sicht des Verfassers: zu Recht! - verbreitet Konsens darüber bestehen, dass ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot auch im Strafprozessrecht jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen ist:[22] Sieht man als wesentliches Strukturmerkmal des Missbrauchs den zweckwidrigen Ein­satz einer Befugnis, erscheint die grundsätzliche Zulässigkeit einer Missbrauchskontrolle nämlich durchaus mit den anerkannten Regeln der Methodenlehre, aber auch mit den meisten Aspekten des Gesetzes­vorbehalts (Demo­kratieprinzip, Gewaltenteilungsgrundsatz und wohl auch Willkür­verbot) vereinbar. Dies freilich nur unter der Voraussetzung, dass es dadurch nicht im konkreten Einzelfall zu einem klaren Überspielen des Wortlauts bei einer deutlich als abschließend beabsichtigten Regelung kommt.

Aber davon kann jedenfalls in dieser Allgemeinheit für das Strafverfahrensrecht keine Rede sein: Zwar geben die de lege lata bestehenden missbrauchsrelevanten Vorschriften[23] wohl angesichts ihrer Punktualität und ihres jeweils sehr speziellen Regelungsbereichs keine taugliche Analogiebasis her; dem Rückgriff auf einen allgemeinen Rechtsgedanken wie das Missbrauchsverbot stehen aber gesetzliche Einzelausprägungen nicht entgegen, wie insbesondere im Zivilrecht (als dem traditionellen Hauptanwendungsgebiet des Missbrauchs­prinzips) deutlich wird: So enthält z.B. § 814 BGB eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben in Form des Verbots des venire contra pro­prium factum und § 226 BGB[24] sogar eine (allerdings an enge Voraus-

setzungen geknüpfte) generalklauselartige Ausprägung des Missbrauchsgedankens - unge­achtet dessen werden der Grundsatz von Treu und Glauben bzw. das allgemeine Missbrauchsverbot im Zivilrecht auch in vielen anderen (insbesondere die Vor­aussetzungen des § 226 BGB nicht erfüllenden) Fällen angewendet.

Möchte man dies anders sehen, müsste man konsequenterweise wohl davon ausgehen, dass einem auch noch so krassen Missbrauch - der gewiss nicht den Regelfall bildet, aber eben auch nicht auszuschließen ist - nicht in rechtsstaatlicher Weise begegnet werden kann. Der Begründung eines Missbrauchsverbots mit methodischen Standards[25] jedenfalls kaum überlegen erscheint die zuletzt von Spiekermann vorgeschlagene Lösung, das im Einzelfall auch von ihr zugestandene Bedürfnis nach einer Missbrauchsreaktion § 34 StGB zu befriedigen. Denn von den bekannten grundsätzlichen Einwänden gegen die Interpretation eines Rechtfertigungsgrundes als staatliche Eingriffsermächtigung (die hier nicht vertieft werden sollen) einmal abgesehen, gelten die gegen ein allgemeines Missbrauchsverbot traditionell erhobenen Einwände der geringen Bestimmtheit, des Fehlens verlässlicher Aussagen zur Rechtsfolge, des Erfordernisses einer ausführlichen Begründung usw. hier ganz genauso. Hinzu kommt u.a. das Problem, dass bei der nach § 34 StGB erforderlichen Abwägung auf der "Rettungsseite" jedes Mal in unveränderter Form die "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" steht, d.h. etwaige Unterschiede könnten sich nur auf der "Eingriffsseite" ergeben, wo mal schwerer, mal weniger schwerer Missbrauch unterbunden wird; damit läuft aber die vorgeblich umfassende Abwägung im Ergebnis doch nur auf eine Bewertung des Maßes der Zweckwidrigkeit hinaus - und damit auf die Gedanken, die auch einem ungeschriebenen Missbrauchsverbot zu Grunde liegen.

b) Hinsichtlich des tatsächlichen Vorliegens eines Missbrauchsfalles in der konkreten Situation muss geprüft werden, ob die Zweckwidrigkeit ein Maß erreicht, das es gerechtfertigt erscheinen lässt, als Ausnahme von der gesetzlichen Regelanordnung die Ausübung einer prozessualen Befugnis als unzulässig anzusehen[26] oder sie für die Zukunft sogar völlig zu entziehen bzw. einzuschrän­ken. Hinsichtlich der Bestimmung dieser Zweckwidrigkeit ist zu beachten, dass die konkrete Bezugsgröße dieses Urteils nicht der Zweck des Strafverfahrens als Institution oder der Zweck des Strafverfahrensrechts insgesamt sein kann, sondern stets der Zweck der jeweils betroffenen Befugnis. Zwar ist dieser oft durch den Zweck des Verfahrens als Institution mehr oder weniger stark beeinflusst; gleichwohl kann nur das Anknüpfen an der Einzelbefugnis zu überzeugenden Ergebnissen führen. Dies ergibt sich nicht nur methodisch aus der allgemeinen Regel des Vorrangs der lex specialis, sondern auch aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber mit der Einräumung bestimmter Verteidigungsbefugnisse bewusst in Kauf genommen hat, dass durch sie z.B. der Verfahrensabschluss erschwert wird, und ganz offenbar auch davon ausgeht, dass die Meinungen etwa über die Zweckmäßigkeit einer Beweiserhebung zwischen Gericht und Verteidigung auseinander gehen.

c) Drittes Kernproblem ist schließlich die Auswahl einer Missbrauchsreaktion, bei der das Gesetz im Anwendungsbereich eines ungeschriebenen Missbrauchsverbots notwendigerweise keine klaren Vorgaben macht. Es kommt zum einen in Betracht, eine einzelne Befugnisausübung zurückzuweisen (wobei sich durchgesetzt hat, diese im Sinne der prozessualen Wertkategorien als "unzulässig" zu bezeichnen) oder - effektiver, aber auch eingriffsintensiver[27] - ihre zukünftige Ausübung zu untersagen. Wichtiges Kriterium für die Auswahl der konkreten Rechtsfolge muss dabei zum einen sein, ob nur eine einzelne Befugnisausübung "missbräuchlich" war oder aber das "Ausübungsverhalten" insgesamt, m.a.W.: die Missbrauchsreaktion sollte mit dem Gegenstand des Missbrauchs korrespondieren.[28] Zum anderen ist aber jede Missbrauchsreaktion als Eingriff in (prozess-) grundrechtlich geschützte Positionen[29] am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Hier kann etwa auf das Erfordernis einer "Abmahnung" hingewiesen werden,[30] die - um ihrem Zweck gerecht werden zu können - hinreichend klar sein muss, die mögliche Missbrauchsreaktion nennen sollte und erst einem bereits erfolgten Missbrauch nachfolgen (und nicht "gleichsam auf Vorrat" zu Beginn der Verhandlung erfolgen) darf. Eher "technischer Natur" ist die - im vorliegenden Fall offenbar unproblematische - Frage, ob die Missbrauchsreaktion durch eine bloße Verfügung des Vorsitzenden erfolgen kann oder aber eines Beschlusses des Gerichts als Kollegium bedarf. Vorzugswürdig erscheint, generell einen solchen Beschluss zu fordern, wie etwa auch der Vergleich mit den geschriebenen Fällen einer Missbrauchsreaktion in §§ 26a I Nr. 3, II, 244 III 2 Mod. 6, VI StPO zeigt und was auch dem o.g. Ausnahmecharakter besser gerecht wird.[31]

2. Mit Blick auf die konkrete Verfahrenssituation - also hypothetischer zweckfremder Einsatz des Beweisantragsrechts in erheblichem Umfang - lassen sich diese allgemeinen Überlegungen folgendermaßen näher konkretisieren (wobei die Erwägungen zur grundsätzlichen Möglichkeit eines ungeschriebenen Missbrauchsverbots [oben 1a] konstellationsunspezifisch sind und daher hier nur auf die Missbrauchsargumente und die Missbrauchsreaktion eingegangen werden muss[32]):

a) Wurde oben als Grenze einer Anwendung des Missbrauchsverbots im Einzelfall postuliert, dass klare gesetzliche Regelungen dadurch nicht konterkariert werden dürfen, so ist zunächst zu fragen, ob die "missbrauchsrelevanten" Vorschriften im Bereich des Beweisantragsrechts[33] hier in jeder Hinsicht abschließend sind. Dies ließe sich zwar für die Zurückweisung von Be­weisanträgen im Einzelfall angesichts der ausführlichen Aufzählung in §§ 244 III 2, 245 StPO (zumindest innerhalb ihres thematischen Anwendungsbereichs) vertreten; die Frage der Beschränkung des Beweisantragsrechts für die Zukunft ist hier aber nicht einmal angesprochen und liegt damit außerhalb des Regelungsbereichs der §§ 244, 245 StPO. Ebenso wenig lässt sich aus dem detaillierten System von Zurück­weisungsgründen entnehmen, dass dieses - etwa um eine Umgehung zu verhin­dern - auch gegenüber anderen Beschränkungen abschließend sein müsste; denn An­knüpfungspunkt einer solchen Missbrauchsreaktion sind ja gerade nicht ein­zelne Beweisanträge, sondern das Beweisantragsverhalten insgesamt.

Liegt somit kein in jeder Richtung abschließender Regelungskomplex vor, so könnte man für die konkrete "Zweckwidrigkeitsprüfung" aber immer noch in mehr oder weniger pauschaler Form darauf abstellen, dass die Einräumung des Beweisantragsrechts nach h.M. den Antragsberechtigten bewusst die Möglichkeit schafft, das Gericht auch in einem Bereich, der über den Umfang der Amtsermittlungspflicht hinausgeht, zur Beweiserhebung zu zwingen, so dass die nach der Amtsermittlungspflicht und auf etwaige Beweisanträge hin jeweils durchzuführenden Beweisaufnahmen sich zwar teilweise, aber eben keineswegs völlig decken, sondern vielmehr zwei sich überscheidende Kreise bilden.[34] Diese Möglichkeit müsse aber, so könnte man weiter argumentieren, ausnahmslos unangetastet bleiben, da sie gerade damit zusammenhänge, dass trotz der grundsätzlichen Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden zur Neutralität naturgemäß teilweise unterschiedliche Sichtweisen darüber bestehen, welche Beweise im Einzelnen noch etwas zur Wahrheitsfindung beitragen könnten.[35]

Aber damit würde - so richtig der Gedankengang im Ausgangspunkt ist - zu kurz gegriffen. Vielmehr kann auch hier der Zweckwidrigkeitsgedanke als wichtigstes Kriterium des Miss­brauchs gewinnbringend herangezogen werden. Speziell für das Beweisantragsrecht lässt er sich folgendermaßen präzi­sieren: Wie insbesondere die systematische Stellung der §§ 244 ff. StPO zeigt, dient das Beweisantragsrecht der Teilhabe an der Sachverhaltsaufklärung, d.h. die Wahrheitsfindung ist hier als wichtigstes (Zwischen-) Ziel zum Verständnis der Befugnis prägend. Zwar kann das Beweisantragsrecht dabei natürlich auch legitimerweise "destruktiv" dahingehend ausgeübt werden, dass mit den beantragten Beweisen die Überzeugungsbildung des Gerichts erschüttert wird und daher der Nachweis einer tatsächlich begangenen Tat nicht mehr zur Überzeugung des Gerichts gelingen kann - das Verfahrensziel wird ja nicht nur durch die Wahrheitsfindung (und schon gar nicht: nur durch eine Verurteilung) erreicht, sondern auch durch das Ergebnis, dass ein bestimmter Verdacht sich nicht prozessordnungsgemäß bestätigen lässt (bzw. dagegen vorgebrachte Einwände sich nicht hinreichend widerlegen lassen). Diese Überlegung zeigt aber gerade, dass die Einräumung eines eigenen Beweisantragsrecht dem Schutz des Angeklagten gerade durch die Teilhabe an der Wahrheitsfindung bzw. am Herbeischaffen der für die richterliche Überzeugungsbildung entscheidenden Fakten gewährleistet werden soll - dagegen wird es nicht eingeräumt, um durch eine Vielzahl von völlig unergiebigen Anträgen des Verfahren insgesamt zu obstruieren. Oder anders gewendet: auch das Beweisantragsrecht des Angeklagten ist in einem bestimmten Sinne funktional gebunden, und wenn die Analyse einer großen Vielzahl von Beweisanträgen zeigt, dass ein Beitrag zur Wahrheitsfindung bzw. Überzeugungsbildung in nahezu keiner Weise vorliegt, wird das Beweisantragsrecht als solches im konkreten Fall zweckwidrig eingesetzt.

Oder in einen noch größeren Zusammenhang gestellt: Die Vorschriften über das Beweisantragsrecht sind in den 6. Abschnitt des 2. Buches der StPO über die Hauptverhandlung eingebunden, der den Ablauf der Hauptverhandlung von ihrem Beginn (vgl. § 243 I StPO) bis zu ihrem Abschluss (vgl. §§ 260 ff. StPO zum Urteil, insbesondere § 275 StPO zur Urteilsausfertigung) regelt. Dies zeigt, dass die Beweisaufnahme integrierter Bestandteil eines auf einen Abschluss gerichteten Verfahrens ist,[36]

zumal ohne einen solchen Abschluss auch das weitergehende Ziel der Durchsetzung des materiellen Strafrechts nicht verwirklicht werden kann. Deswegen ist es keinesfalls Zweck des Beweisantragsrechts, den Verfahrensab­schluss in grundsätzlicher Weise zu vereiteln oder länger als bis zur Erforschung und rechtlichen Bewertung des Sachverhalts erforderlich hinaus zu zögern. Auch aus die­sem Grunde ist das exzessive Stellen von nicht weiterführenden Beweisanträ­gen als Missbrauch des gesamten Beweisantragsrechts zu sehen.

b) Hinsichtlich der möglichen Rechtsfolgen eines Missbrauchs (also der hier sogenannten "Missbrauchsreaktion") wurde bereits auf das Korrespondieren zwischen Missbrauchsgegenstand und -reaktion hingewiesen. Ist hier das Beweisantragsverhalten insgesamt betroffen, ist es nur konsequent, dass auch die Reaktion des Gerichts daran anknüpft. Dass das Beweisantragsrecht dabei nicht schlechterdings entzogen, sondern "nur" gleichsam gefiltert wird, lässt sich als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deuten. Denn auch wenn eine solche Filterfunktion sicher nicht dem Leitbild der StPO vom eigenen Antragsrecht des Ange­klagten entspricht, verringert sich sub specie Art. 103 I GG die Eingriffsintensität ganz erheblich.[37] Hinzu kommt, dass durch die einer solchen Entziehung zwangsläufig vorhergehende mehr oder weniger ausführliche Beschäftigung mit Beweisanträgen[38] in derartigen Fällen bereits in er­heblichem Umfang rechtliches Gehör gewährt worden ist, was die Eingriffsintensität noch weiter herabsetzt.

Aus systematischer Sicht bedarf jedoch das Verhältnis der gesetzlich geregelten Rechts­folge einer "Zurückweisung eines Beweisantrags" zu der Entziehung bzw. Beschneidung des gesamten Beweisantragsrechts noch ergänzender Erläuterung: Zumindest auf den ersten Blick könnte man nämlich - wie von Hamm in seiner Besprechung der Entscheidung BGHSt 38, 111 vorgetragen[39] - einen Widerspruch darin sehen, dass bei der Vielzahl von zukünftigen Beweisanträgen, die als bloße Gefährdung des Rechtsguts "Lauterkeit des verfahrensrechtlichen Handelns" zu bewerten seien, eine schär­fere Sanktion ausgesprochen werden könne als bei einem einzelnen vorangegangenen in Verschleppungs­absicht gestellten Beweisantrag, der dieses Rechtsguts sogar bereits verletzt habe. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch zweierlei: Zum einen könnte man das vermeintliche Stufenverhältnis auch umgekehrt sehen, indem man einen Missbrauch des Beweisantragsverhaltens insgesamt, der auf die Verhinderung eines Verfahrensab­schlusses abzielt, gegenüber der Verzögerung bzw. Verschleppung gerade als ein maius sieht;[40] zugegebenermaßen ist jedoch diese Unterscheidung zwischen Pro­zessverschleppung und -verhinderung (zwar theoretisch klar, aber) praktisch nur schwer durchführbar. Entscheidender ist daher der oben bereits angesprochene Gesichtspunkt einer Unterscheidung zwischen der Zurückweisung eines ganz bestimmten Antrags (etwa wegen Verschleppungsabsicht) und dem Beweisantragsverhalten insge­samt. Dem tatbestandlichen Unterschied zwischen der Stellung eines einzel­nen Beweisantrags in Verschleppungsabsicht und einem insgesamt missbräuch­lichen Beweisantragsverhalten (an dessen Vorliegen auch entsprechend höhere Anforderungen zu stellen sind!) entspricht bei der Wahl der Rechtsfolge die Unterscheidung zwischen der Zurückweisung dieses einzelnen Beweisantrages und der Beschneidung des Beweisantragsrechts insgesamt.[41]

IV. Was bleibt als Fazit? Die Entscheidung beschreitet kein Neuland, sondern orientiert sich - wenngleich mit aus dem Duktus der Entscheidung deutlich werdender großer Zurückhaltung gegen das Institut des "Rechtsmissbrauchs im Strafverfahren" - an den Ergebnissen und Schlagworten der Grundlagenentscheidung BGHSt 38, 111. Dass diese auch einer näheren (in dieser Form weder damals vom BGH noch nunmehr vom BayObLG geleisteten) Überprüfung und Einlösung der Begründungspflicht standhalten könnten, sollte vorliegend deutlich geworden sein. Darüber hinaus zeigt die Entscheidung aber zwei praktisch wichtige Aspekte noch einmal sehr klar: Zwar scheinen auf der einen Seite Tatgerichte zuweilen der Versuchung zu erliegen, über die Figur des Missbrauchs "nur lästige oder unbequeme Beweisanträge" zu bewältigen;[42] das BayObLG hat aber auf der anderen Seite die Hoffnung bzw. Prognose bestätigt, dass die Revisionsgerichte gerade über die Anwendung eines "allgemeinen Missbrauchsverbots" sorgfältig und kritisch wachen werden,[43] so dass eine Anerkennung dieses Instituts in engen Grenzen kein Grund ist, das drohende Ende eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens anzumahnen.


[1] Vgl. dazu die Forderungen im Gutachten C zum 65. Deutschen Juristentag 2004 von Satzger sowie dazu statt vieler die Stellungnahme von Meier, GA 2004, 441 ff.; zum "Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens" vom Februar 2004 der Koalitionsfraktionen und des Justizministeriums (vgl. auch Zypries, StraFo 2004, 221 f.) statt vieler Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 ff.

[2] Vgl. in jüngerer Zeit Schünemann, in Triffterer (Hrsg.), Vogler-GS (2004), S. 81 ff.

[3] Siehe in den letzten Jahren allein die Monographien von Abdallah, Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren (2002, dazu Kudlich, GA 2003, 852 ff.), Eschenhagen, Der Mißbrauch des Beweisantragsrechts (2001), Grüner, Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß (2000), sowie Spiekermann, Der Mißbrauch des Beweisantragsrechts (2001 - dazu und zur Monographie von Eschenhagen bereits Kudlich, JA 2002, 580 ff.).

[4] "Schreibe nur das, was Du wahrscheinlich auch lesen würdest, wenn es ein anderer geschrieben hätte und das Thema nicht zufällig zu Deinen bevorzugten Interessen gehört!".

[5] Vgl. dazu auch die Besprechungen von Hamm, NJW 1993, 289 ff.; Maatz, NStZ 1992, 513 ff.; Scheffler, JR 1993, 170 ff., sowie Widmaier, NStZ 1992, 519 ff.

[6] So waren Aspekte des Themas kurz nacheinander Gegenstand der strafrechtlichen Abteilung des 60. Deutschen Juristentags 1994, des 20. Strafverteidigertages 1996 sowie des 6. Strafrechtsfrühjahrssymposium des DAV 1996. Umfangreiche Nachweise zur Diskussion in dieser Zeit (statt aller nur Fischer, NStZ 1997, 212 ff.; Kempf, StV 1996, 507 ff.; Kröpil DRiZ 1996, 448 ff.; ders., ZRP 1997, 9 ff.; ders., JuS 1997, 355 ff.; ders., JR 1997, 315 ff.; ders., JZ 1998, 135 f. Kühne, StV 1996, 684 ff.; Niemöller, StV 1996, 501 ff.; Rüping, JZ 1997, 865 ff.) in den Monographien von Jahn, Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime (1998) und Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot (1998).

[7] Vgl. aus der jüngeren Zeit etwa die Beiträge von Fezer, Weber-FS (2004), S. 475 ff., sowie Senge, NStZ 2002, 225 ff., die Dissertation von Abdallah (Fn. 3) sowie vor allem die voluminöse Habilitationsschrift von Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß (2003), der insbesondere das Verdienst zukommt, eine Reihe von Sachfragen, die man mit der Missbrauchsproblematik im Zusammenhang sehen könnte, in einen solchen zu stellen und dabei auch die Frage nach einem Missbrauch durch andere Verfahrensbeteiligte (d.h. vor allem auch die Strafverfolgungsbehörden, vgl. hierzu auch bereits instruktiv Kühne, StV 1996, 684 ff.) nicht auszublenden. Eine so weite Perspektive kann vorliegend schon aus Raumgründen nicht eingenommen werden, was die Ambivalenz der Problematik nicht in Frage stellen soll.

[8] Und der Rechtsmissbrauch ist - nicht nur tatsächlich, sondern insbesondere auch methodisch - ein sehr komplexes Problem, vgl. zu den methodischen Grundlagen der Problematik Kudlich (Fn. 6) S. 60 ff., sowie ausführlich auch Christensen/Kudlich in: Feldner/Forgó (Hrsg.) Norm und Entscheidung (2000), S. 189 ff.

[9] Vgl. hierzu auch das Statement von Schulz, StV 1991, 354, 362, wonach ein strafprozessuales "Verfahrensrecht, das nicht mißbraucht werden kann, (...) den Namen nicht (verdient)". Daraus freilich die Konsequenz zu ziehen, dass jede Form von Missbrauchsbekämpfung des Rechts in grundsätzlicher und unzulässiger Weise in Frage steht, wäre in jeder Hinsicht zu kurz gegriffen.

[10] Vgl. etwa die hohen Anforderungen, welche die revisionsgerichtliche Rechtsprechung an das Vorliegen der ja ebenfalls im Zusammenhang mit dem Missbrauchsproblem stehenden Verschleppungsabsicht nach § 244 III 2 Mod. 6 StPO entwickelt hat.

[11] Vgl. nur die anschauliche Darstellung von Schmitt (als Vorsitzendem Richter einer Großen Strafkammer), GA 2001, 411 (speziell zum Beweisantragsrecht S. 417 mit anschaulichem Beispiel aus seiner Praxis), der etwa in der "Konfliktverteidigung" auch den wesentlichen Kern der Absprachenproblematik sieht.

[12] Und zwar ungeachtet der Frage, ob das Vorgehen des LG bei einer ausführlicheren Begründung gehalten worden wäre.

[13] Insoweit sind Urteilsaufhebung und Kritik des BayObLG ein wichtiges und richtiges Signal (wenn einmal unterstellt wird, dass die - dem Verfasser nicht vorliegenden - tatrichterlichen Gründe hier wirklich so "dünn" sind).

[14] Vgl. dazu bereits Kudlich (Fn.  6 ), S. 247 f. sowie ders., NStZ 1998, 588, 589.

[15] Dazu näher sogleich.

[16] Zur Frage nach der zulässigen Missbrauchsreaktion als zentralem Punkt dieser Problematik vgl. näher Kudlich (Fn.  6 ), S. 115 f., 176 f., 229 ff., 267 ff., 333.

[17] Zur Klarstellung: Auch falls es "nur" an der erforderlichen Begründung für ein in der Sache möglicherweise gerechtfertigtes Vorgehen gefehlt haben sollte, wäre die Aufhebung des Urteils zu begrüßen; denn angesichts der oben bereits kurz skizzierten besonders hohen Anforderungen an die Darlegung eines "Missbrauchsfalls", der eine von der gesetzlichen Regelanordnung abweichende Rechtsfolge legitimieren soll, handelt es sich bei der fehlenden Begründung um einen ernst zu nehmenden Rechtsverstoß und beim Beharren auf eine solche Begründung keinesfalls um eine leere Förmelei; zur Bedeutung der Entscheidungsbegründung zur Legitimierung staatlicher Gewaltausübung allgemein Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens (2001), passim; speziell zu den Begründungsanforderungen im Strafverfahren(srecht) vgl. Kudlich/Christensen, GA 2002, 237 ff.

[18] Verneinendenfalls würde sich die Frage stellen: Sollte dies de lege ferenda geändert werden? Vgl. dazu näher Eschenhagen (Fn. 3), S.  215 ff.

[19] Vgl zu dieser Fragentrias Kudlich (Fn 35), passim, insb. S. 189 ff., 248 ff., sowie ders., NStZ 1998, 588 ff.

[20] Also: Wie ist die Figur des Rechtsmissbrauchs in das (insbesondere traditionelle) System der Rechtsfindung einzuordnen? Vgl. hierzu nochmals Christensen/Kudlich in: Feldner/Forgó (Hrsg.) Norm und Entscheidung (2000), S. 189 ff. So geht etwa Fahl (Fn. 7), S. 116 ff., insb. 124 ff., davon aus, dass jedes Recht von vornherein nur in den Grenzen seines zweckmäßigen Einsatzes eingeräumt wird, und dürfte damit letztlich von einem Fall der teleologischen Auslegung ausgehen, während Weber, GA 1975, 289, 295, darin einen Sonderfall der teleologischen Reduktion sieht.

[21] Insbesondere: Wie ist die Beschränkung prozessualer Rechte (die - wie besonders deutlich beim Beweisantragsrecht - häufig Ausfluss des grundrechtlich geschützten rechtlichen Gehörs sind) unter Berücksichtigung des natürlich auch und gerade im Strafverfahrensrechts geltenden Vorbehalt des Gesetzes zu legitimieren, vgl. dazu zunächst grundlegend zur Vorbehaltsproblematik im Strafverfahren Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht (1977), passim; ders., Keine Strafe ohne Gesetz (1983), passim; ders. Parallelitäten und Divergenzen zwischen strafrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Gesetzesvorbehalt, in: Blau-FS (1985), 123 ff.; speziell mit Blick auf die Missbrauchsproblematik näher m.w.N. Kudlich (Fn. 6), S. 126 ff.; soweit es um die Beschneidung von Rechten speziell des Verteidigers geht, stärker auf Art. 12 I GG abstellend Jahn (Fn.  6 ), S. 192 ff., 220 f.

[22] Die Entscheidung BGHSt 38, 111 wird nicht nur in der Kommentarliteratur überwiegend zustimmend zitiert, sondern zumindest im Ergebnis etwa auch in der Monographie von Spiekermann (Fn. 3), S. 138; krit. allerdings (de lege lata) Eschenhagen (Fn. 3), S. 183.

[23] Vgl. zu diesen Kröpil, JR 1997, 315 ff., ders., AnwBl 1997, 575 ff., sowie Kudlich (Fn. 6), S. 26 ff.

[24] Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Kontext ein Vorschlag von Scheffler (JR 1993, 170, 172 f.), ein strafprozessuales Missbrauchsverbot generell an die engeren und nach seiner Meinung schärfer konturierten Voraussetzungen des Schikaneverbots nach § 226 BGB zu binden. Zwingend erforderlich ist dies allerdings trotz des Vorteils einer (allerdings wohl eher schein-) positivistischen Anbindung nicht: Denn zum einen dürften die tatsächlich bedeutsamen Fallgruppen des Missbrauchs unter eine Schädigung des Gerichts (Verschleppung, Verfahrenssabotage) oder Dritter (Zeugenbeleidigung, de­monstrative Zwecke) zu subsumieren und damit auch von § 226 BGB erfasst sein, zumal ein mögliches Interesse des Angeklagten an der Obstruktion des Verfahrens jedenfalls nicht rechtlich schützenswert ist, selbst falls diese ihm tatsächlich äußerst gelegen kommen sollte. Soweit zum anderen § 226 BGB dennoch einen engeren Anwendungsbereich hat, wäre zu beachten, dass die engere Interpretation aus dem Privatrecht herrührt. Dort darf aber (außerhalb des Grundsatzes von Treu und Glauben) zumindest nach dem Modell der Pri­vatautonomie jeder Rechtsträger seine Rechte grundsätzlich so ausüben darf, wie er es will, und es gibt (anders als oben für das Strafverfahrensrecht beschrieben) regelmäßig keine funktionale Bindung. Dass das Vorliegen solcher "funktionaler Bindungen" bedeutsam ist, wird ebenfalls wieder im Privatrecht deutlich: Wo dort solche ange­nommen werden, führen sie ebenso zu weitergehenden Beschränkungen der Rechtsausübungsmöglich­keiten, wie das Beispiel des (Wohnungs-) Mietrechts zeigt. Dort ist wegen der Sozialbindung des Eigentums nicht jeder privatrechtlich mögliche Gebrauch (so z.B. eine unbeschränkte Kündigung) auch rechtlich zulässig, sondern es findet vielmehr in verschiedener Weise eine (wenngleich hier gesetzlich geregelte) Billigkeitskontrolle statt.

[25] Wie auch immer diese aussehen sollen, vgl. nochmals Fn.  20.

[26] So etwa im (zutreffend entschiedenen) Fall BGHSt 40, 287 m. Anm. Kudlich, JuS 1997, 507 ff. (missbräuchliche Verknüpfung zwischen Bedingung und Antragsinhalt beim Hilfsbeweisantrag).

[27] Sogar die einzige Möglichkeit einer Reaktion ist dieses Vorgehen, wo es für den Berechtigten auf eine Entscheidung über Zulässigkeit, Wirksamkeit etc. seiner Erklärungen nicht ankommt, so etwa beim "Abschneiden" eines missbräuchlich ausufernden (hypothetischer Extremfall: viele Verhandlungstage dauernden und keinen Bezug zur angeklagten Tat herstellenden) letzten Wortes des Angeklagten.

[28] Vgl. auch bereits Kudlich (Fn. 6), S. 256, 333.

[29] Vgl. nochmals oben Fn. 21.

[30] Vgl. bereits OLG Hamburg NStZ 1998, 586, 587 f.

[31] Freilich ist Fahl (Fn. 7), S. 434 (dort mit Fn. 3099 - 3101) zuzugestehen, dass Vorschriften wie § 238 I, II oder insb. 241 I StPO zumindest auf den ersten Blick auch die Anordnung von Missbrauchsreaktionen durch den Vorsitzenden nicht ausgeschlossen erscheinen lassen - in diesen Fällen müsste der Betroffene eine Entscheidung nach § 238 II StPO herbeiführen, um einen Beschluss des ganzen Kollegiums erlangen zu können.

[32] Vgl. auch bereits (ausführlicher als hier) zur - von der Missbrauchsreaktion her gleich gelagerten - Entscheidung BGHSt 38, 111 Kudlich (Fn. 6), S. 279 ff.

[33] Vgl. zu diesen Eschenhagen (Fn. 3), S. 77 ff., sowie Spiekermann, (Fn. 3), S. 98 ff.

[34] Vgl. Schlüchter GA 1994, 397, 412 f.; umfangreiche Nachweise für die h.M. bei Frister StV 1994, 445, 448 (dort Fn 50); zur entgegengesetzten "Identitätslehre" Wessels JuS 1969, 1, 3; zusf. Eschenhagen (Fn. 3), S. 16 ff.; Spiekermann (Fn. 3), S. 87 ff.

[35] Vgl zu diesen in einer antagonistischen Verfahrensstruktur angelegten unterschiedlichen Sichtweisen Kudlich (Fn. 6), S. 228.

[36] Insoweit ist Malmendier, NJW 1997, 227, 228, zuzustimmen, wenn er postuliert, dass i.d.R. keine Befugnis dazu führen darf, dass "der Angeklagte und sein Verteidiger es in der Hand haben, die Durchführung des Strafverfahrens nach Belieben zu verhindern". Sein Schritt, die dazu erforderliche Einschränkung von Verteidigungsrechten durch eine unter dem Gesichtspunkt des Funktionstüchtigkeitstopos gebotene verfassungskonforme Auslegung zu erreichen, erscheint gleichwohl (zumindest in dieser Formulierung) sehr weit gehend.

[37] Dass das Erfordernis einer Rechtsausübung durch einen Anwalt nicht grundsätz­lich gegen Art. 103 I GG verstößt, wird beispielsweise im Zivilprozessrecht deutlich (in dem Art. 103 I GG ganz genauso Geltung beansprucht), wo bei Prozessen vor dem Landgericht die anwaltlose Partei alleine nicht einmal postulationsfähig ist. Allerdings stößt diese sinnvolle und verhältnismäßige Maßnahme an ihre Grenzen, wenn der Angeklagte unverteidigt ist oder wenn das missbräuchliche Verhalten gerade beim Verteidiger liegt: Im ersten Fall, weil dann gar keine Beweisanträge mehr gestellt werden könnten, im zweiten, weil (zumindest in den Fällen notwendiger Verteidigung) der Verlust des Antragsrechts des juristisch ausgebildeten Beraters durch das eigene Antragsrecht des Angeklagten schwerlich ausgeglichen werden kann.

[38] Ohne eine solche könnte das Missbrauchsurteil über das "Beweisantragsverhalten" nicht getroffen werden.

[39] Vgl. NJW 1993, 289, 296.

[40] Von einem solchen Stufenverhältnis zwischen Missbrauch i.S.d. Verfahrensvereitelung und der Verfahrensverschleppung geht z.B. Niemöller, StV 1996, 501, 503, aus.

[41] Zur Frage, wie in einer solchen Verfahrenssituation mit (möglicherweise vielen) bereits gestellten, aber noch nicht beschiedenen Anträgen umgegangen werden könnte, vgl. Kudlich (Fn. 6), S. 287 ff.

[42] So schon zu BGHSt 38, 111, die Warnung bei Scheffler, JR 1993, 170, 171.

[43] Dazu bereits (in etwas anderem Kontext) Kudlich (Fn. 6), S. 359 f.