HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2004
5. Jahrgang
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Schrifttum

Klaus Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht. Einführung und allgemeiner Teil mit wichtigen Rechtstexten. Carl Heymanns Verlag, Köln, Berlin, München, 2004, II 233 S., kart., ISBN 3-452-25740-1, EUR 22,00

I. Die enorme praktische Bedeutung des Wirtschaftsstrafrechts ist nicht zuletzt durch spektakuläre Verfahren in der jüngsten Vergangenheit - exemplarisch genannt seien hier nur der Mannesmann-Prozess (vgl. dazu Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113), die Entscheidung des BGH zur Untreue bei Vulkan (NJW 2004, 2248) sowie die Entscheidung des BVerfG zur Aufhebung des dinglichen Arrests in der Strafsache gegen Alexander Falk (HHRS 2004, 228 (Nr. 546) = StV 2004, 409) - überdeutlich geworden. Eine Reihe von Indizien spricht dafür, dass die praktische Bedeutung dieses Rechtsgebiets (etwa im Bereich der Präventivberatung) noch zunehmen wird. Sogar sicher erscheint jedoch, dass die Bedeutung des Wirtschaftsstrafrechts für die Ausbildung anwachsen wird: Waren bislang nämlich eventuelle "strafrechtsnahe" Wahlfachgruppen in den meisten Bundesländern eher "kriminologielastig", so zeichnet sich für die zukünftige universitäre Schwerpunktbereichsausbildung in vielen Fakultäten ab, dass das Wirtschaftsstrafrecht in strafrechtlichen und/oder forensisch orientierten Schwerpunktbereichen eine Rolle spielen wird. Möglicherweise auch vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass nunmehr nahezu zeitgleich neben die schon länger bestehenden mehr oder weniger umfangreichen Handbücher zum Wirtschaftsstrafrecht mit den beiden Werken von Hell-

mann/Beckemper (Kohlhammer) und Tiedemann (Heymanns) zwei Lehrbücher zu dieser Materie erschienen sind.

Das hier anzuzeigende Werk von Tiedemann ist daher als (uneingeschränkt auch allein nutzbarer) erster Band einer zumindest zweiteiligen Darstellung konzeptioniert und enthält eine Einführung sowie einen Allgemeinen Teil des Wirtschaftsstrafrechts samt einer Sammlung wichtiger (und in den klassischen strafrechtlichen Sammlungen oftmals schwer zugänglicher) Rechtstexte. Abzüglich dieser Rechtstexte umfasst das Buch freilich nur noch rund 145 Seiten "Nettotext", was zwar immer noch deutlich mehr ist, als die nur rund 45 (quasi den Allgemeinen Teil darstellenden) Seiten zum Unternehmensstrafrecht bei Hellmann/Beckemper, gleichwohl für die komplexe und weitgespannte Materie nicht sonderlich viel ist. Man kann sich daher leicht vorstellen, dass die Darstellung bei Tiedemann grundsätzlich bereits auf einem soliden Verständnis des allgemeinen Strafrechts aufbaut und selbst die wirtschaftsstrafrechtlichen Spezialfragen des Allgemeinen Teils eher punktuell anspricht und nur selektiv vertieft. Der Inhalt und auch die Art und Weise der Darstellung dessen, was Tiedemann als ein unbestrittener "Altmeister" des Wirtschaftsstrafrechts darbietet, führen aber dazu, dass das Buch - so viel sei hier schon vorweggenommen - nicht nur für den studentischen Leser ein wertvolles Hilfsmittel, sondern auch für den fortgeschrittenen Strafrechtler ein echtes Lesevergnügen ist.

II. Das Buch ist in eine Einführung sowie sechs nachfolgende Paragraphen und den o.g. Anhang gegliedert:

1. In der knappen Einführung (S. 1-18) werden der behandelte Stoff sowie das Wirtschaftsstrafrecht als Gebiet knapp skizziert. Es finden sich u.a. bereits Hinweise auf das Phänomen der Internationalisierung der Wirtschaftskriminalität (vgl. Rn. 7 ff.), eine erste Auflistung der einschlägigen (in dem Buch dann aber nicht vertieft behandelten) Tatbestände des Besonderen Teils (vgl. Rn. 12 ff.) sowie eine Übersicht über "Gesetzessammlungen und literarische Hilfsmittel" (vgl. Rn. 33 ff.), welche insbesondere für Studenten, die sich erstmals mit der Materie befassen (oder aber sich für die Erstellung einer Seminararbeit darin vertiefen müssen), gewiss hilfreich ist.

2. Der anschließende § 1 bringt noch einmal eine Art Einführung in die Materie, in der andere Aspekte in den Vordergrund rücken, nämlich der Versuch einer Begriffsbestimmung, die historische Entwicklung sowie allgemeine Prinzipien des Wirtschaftsstrafrechts (vgl. S. 19 ff.):

a) Hinsichtlich des umstrittenen Begriffs des Wirtschaftsstrafrechts legt sich Tiedemann nicht eindeutig auf eine Linie fest, sondern zeigt (m.E. zu Recht) die unterschiedlichen Perspektiven auf, unter denen das Phänomen betrachtet werden kann, so etwa die kriminologische oder rechtsdogmatische Sicht; die entsprechenden Bestimmungen werden dabei eher miteinander kombiniert als gegeneinander abgegrenzt. Als Fazit kommt er zu dem Ergebnis (vgl. Rn. 47), dass das Wirtschaftsstrafrecht zusammen mit dem privaten und dem öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsrecht die Teile der Gesamtmaterie "Wirtschaftsrecht" bildet und dabei mit seinen Sanktionen vor allem wirtschaftsverwaltungsrechtliche, handelsrechtliche und verbraucherschützende Regelungen flankiert.

b) Ausgesprochen gut gelungen ist der Abschnitt über Besonderheiten und Prinzipien der wirtschaftsstrafrechtlichen Gesetzgebung (Rn. 55 ff.), wo auf den Charakter vieler Wirtschaftsstraftaten als Sonderdelikte und abstrakte Gefährdungsdelikte sowie auf die im Wirtschaftsstrafrecht besonders problematischen Aspekte der Subsidiarität des Strafrechts als staatlichem Steuerungsinstrument und des Verhältnisses zwischen materiellem Recht und Prozessrecht (etwa im Spannungsfeld zwischen Vorfeldtatbeständen und Beweiserleichterungen) eingegangen wird. Es handelt sich hier um Grundsatzfragen, welche im größeren Zusammenhang allein in der jüngeren Vergangenheit von drei Habilitationsschriften (von Hefendehl, Wohlers und Zieschang) behandelt worden sind und bei allen Bemühungen um effektiven Rechtsgüterschutz nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Der studentische Leser wird anhand der von Tiedemann verwendeten Beispiele Sinn, aber auch Problematik der genannten dogmatischen Kategorien gut erfassen können.

3. Die §§ 2 und 3 befassen sich in geraffter Form mit Kodifikationen und sonstigen Quellen des Wirtschaftsstrafrechts sowie mit einem knappen Hinweis auf das Prozessrecht (in dem in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis ja teilweise auch "eigene Gesetze gelten", welche in der Literatur vielfach noch nicht so ausführlich behandelt werden wie das materielle Wirtschaftsstrafrecht).

4. Den umfangreichsten Abschnitt des Buches bildet § 4 über den "Allgemeinen Teil des Wirtschaftsstrafrechts". In ihm werden vor allem Besonderheiten bei Tatbestands-, Rechtfertigungs-, Irrtums- und Beteiligungslehre dargestellt:

a) Als Besonderheiten bei der Tatbestandsbildung (S. 55 ff.) hebt Tiedemann insbesondere das Phänomen der "Blankettstrafgesetzgebung" hervor (vgl. Rn. 99 ff.), welche das Wirtschaftsstrafrecht im besonderen Maße prägen. In diesem Abschnitt geht es dabei zunächst nur um die Beschreibung der Regelungstechnik und die Frage ihrer Zulässigkeit (insbesondere auch bei dynamischen Verweisungen [vgl. Rn. 109]). Auch die Verwendung von Generalklauseln wird erörtert, wobei Tiedemann das nur selten überhaupt gesehene Problem der "Normspaltung" anspricht, die seines Erachtens notwendig werden kann, wenn wirtschaftsrechtliche Begriffe in anderen Rechtsgebieten zwar noch akzeptabel sind, den besonderen Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes jedoch nicht genügen können.

Ausgesprochen instruktiv ist auch die Darstellung (und deutliche Unterscheidung) von Schein- und Umgehungshandlungen (vgl. Rn. 137 ff.), welche naturgemäß im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ebenfalls eine große

Rolle spielen. Tiedemann arbeitet dabei klar heraus, dass bei Umgehungs- bzw. Vermeidungshandlungen insbesondere deskriptive Tatbestandsmerkmale einer erweiternden Auslegung nur schwer zugänglich sind, wodurch Strafbarkeitslücken entstehen könnten. Gesetzliche "Umgehungsklauseln" seien für eine Anwendung im Strafrecht oftmals zu unbestimmt.

Weitere Fragestellungen in diesem Abschnitt sind Kausalitätsprobleme (vgl. Rn. 167 ff.), insbesondere bei der strafrechtlichen Produkthandlung sowie bei Kollegialentscheidungen, sowie spezielle Fragen der Garantenstellung, insbesondere in Unternehmen (vgl. Rn. 181).

b) Im Rahmen der Rechtfertigungslehren (S. 95 ff.) wird zunächst das Phänomen der Sozialadäquanz und des berufsrollengemäßen Verhaltens angesprochen, welches in der sonstigen (auch wirtschaftsstrafrechtlichen) Diskussion insbesondere unter dem Schlagwort der neutralen Beihilfe bzw. der berufsbedingten Unterstützungshandlung diskutiert wird; die etwas ungewohnte Verankerung im Kapitel Rechtfertigungslehre verdeutlicht dabei jedoch zutreffend, dass es sich nicht allein um ein Problem der Teilnahme handelt.

Des Weiteren wird die Bedeutung des Notstands (vgl. Rn. 193 ff.) sowie von Genehmigungen und Einwilligungen (vgl. Rn. 201) erörtert; im letztgenannten Kontext spricht Tiedemann auch das Problem der Organuntreue (vgl. Rn. 210 ff.) an, welche trotz eines Handelns im Einvernehmen mit allen Gesellschaftern vorliegen kann, wenn der Gesellschaft in unzulässiger Weise Stammkapital entzogen wird und dadurch Gläubigerinteressen gefährdet werden.

c) Knapp, aber ausgesprochen eingängig wird anschließend die Irrtumslehre behandelt (vgl. S. 110 ff.), welche naturgemäß insbesondere im Zusammenhang mit normativen Tatbestandsmerkmalen und Blanketttatbeständen vor Schwierigkeiten stellt. Tiedemann übt dabei (m.E. berechtigte) Kritik an der h.M. des "Zusammenlesens" von Blankett- und Ausfüllungstatbestand, welches regelmäßig dazu führt, dass außerstrafrechtliche Irrtümer im Vorfeldbereich nur zu Verbotsirrtümern führen können; insbesondere, soweit es um die Verletzung "sittlich neutraler" Pflichten geht, hat die von Tiedemann präferierte Annäherung der Behandlung an diejenige von normativen Tatbestandsmerkmalen (vgl. Rn. 225) einiges für sich.

d) Nachdem das Problem der berufsbedingten Beihilfe und der Kollegialentscheidungen bereits in vorhergehenden Kapiteln angesprochen wurde, kann sich der Abschnitt über Täterschaft und Teilnahme (vgl. S. 117 ff.) auf eine allgemeine Beschreibung von Verantwortlichkeitsstrukturen auf vertikaler und horizontaler Ebene innerhalb von Wirtschaftsunternehmen sowie auf die "Unternehmenstäterschaft" (einschließlich einer Diskussion der Frage nach der Strafbarkeit von Personenverbänden [vgl. Rn. 242 ff.]) beschränken.

5. § 5 beschreibt einen allgemeinen, aus mehreren Verordnungen ableitbaren Teil des EU-Sanktionenrechts (vgl. S. 125 ff.). Dieses wird als Recht der Verwaltungssanktionen gekennzeichnet und mit den Regelungen des nationalen Straf- und Bußgeldrechts verglichen.

6. § 6 schließlich bringt einen Überblick zu denjenigen Sanktionen (vgl. S. 139 ff.), denen in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren eine besondere Bedeutung zukommt, d.h. insbesondere zu der (mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten und daher in Rn. 278 nur knapp genannten) Vermögensstrafe, dem Verfall, der Gewinnabschöpfung, der Mehrerlösabschöpfung im Kartellstrafrecht sowie den Auflagen bei einer in Wirtschaftstrafsachen nicht unwichtigen Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO.

III. Durch die Beschränkung auf den Allgemeinen Teil wird es das Buch von Tiedemann - jedenfalls solange nur dieser eine Band erschienen ist - schwer haben, als vorrangige oder gar alleinige Begleitlektüre in einer Veranstaltung zum Wirtschaftsstrafrecht empfohlen zu werden. Das ist schade (und deswegen kann man nicht nur jedem mit der Materie befassten Praktiker die Lektüre raten, sondern auch jeden Lehrenden nur ermahnen, den Studierenden das Werk als zusätzliche/ergänzende Lektüre zu empfehlen), da sich das Buch mit einer selten gelungenen Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit der Materie annähert. Man spürt fast auf jeder Seite die Souveränität, mit der Tiedemann die Materie beherrscht. Besonders gut gefallen haben mir neben der ständigen Einbeziehung europarechtlicher und anderer internationaler Bezüge insbesondere der häufige Rekurs auf Grundlagen (der klar macht, dass auch für die Beschäftigung mit dem Wirtschaftsstrafrecht ein solides Fundament im Allgemeinen Strafrecht unverzichtbar ist) sowie die große Aktualität der von Tiedemann angeführten Beispiele. Der Verfasser ist damit der Gefahr mancher - sit venia verbo - Alterswerke entgangen, ein Buch, das nach eigenen Angaben im Vorwort in seinem Kern "in langjährigen Vorlesungen (...) erprobt" ist, vor allem mit Problemen und Fällen aus den ersten dieser langen Jahre zu füllen.

Prof. Dr. Hans Kudlich, Univ. Erlangen.

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Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - Die amtliche Sammlung auf CD-ROM; Mohr Siebeck, 2003/04 (Grundwerk Bände 1-105; Update Bände 106-107); Grundwerk ohne Subskription € 398,00; Update 44,00€ (jeweils Einzelplatzlizenz).

I. Während die amtliche Sammlung etwa des BGH seit einiger Zeit in elektronischer Form vorliegt, ließ die aus dem Hause Mohr Siebeck zu erwartende amtliche Sammlung des BVerfG etwas auf sich warten. Heute aber lässt

sich sagen, dass sich dieses Warten gelohnt hat. Der Verlag hat nun ein mittlerweile durch ein Update erweitertes Grundwerk auf CD-ROM erstellt, das 107 Bände der deutschen Verfassungsrechtsprechung des BVerfG in bester Form elektronisch aufbereitet. Die CD-ROM hat dabei folgende Systemvoraussetzungen: Als Betriebssysteme kommen WindowsTM 9x, NT 4x, 2000, ME, XP in Frage. Erforderlich sind ebenso der - mitgelieferte - Internet Explorer, ein Pentium-Prozessor, ein VGA-Monitor mit 256 Farben und ein Arbeitsspeicher von 32 MB. Für eine komplette Installation sind mindestens 318 MB Plattenspeicher einzuplanen. Die Installation gelingt Dank der Informationen des Verlages problemlos. Die Lizenzierung wird vom Verlag ebenfalls insbesondere über das Internet zügig durchgeführt, wobei - wie der Rezensent selbst auf Grund seines eigenen Anwenderfehlers feststellen konnte - die Mitarbeiterinnen des Verlages zügig und hilfsbereit entstandene Probleme lösen. Die CD-ROM-Ausgabe ist in Einzelplatz- und Netzwerkversionen erhältlich und wird laut Verlag in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Der Bezug der Updates setzt den Erwerb einer CD mit dem seitherigen Grundwerk voraus. Der Erwerb allein des Grundwerks ist möglich.

II. Auch dem Nutzer, der sich wie der Rezensent nicht als Experte für die Ausschöpfung von Windowsprogrammen bezeichnen würde, bietet die CD-ROM überzeugende Arbeitsmöglichkeiten. Die CD-ROM erschließt die Entscheidungen der Bände über benutzerfreundliche Menüs. Eine Hilfe beantwortet etwaige Fragen. Selbstverständlich zeichnet sich die Benutzeroberfläche durch eine ganze Reihe von Suchstrategien aus, die sich etwa nach Senaten, Zeiträumen oder Bänden ausrichten lassen. Der Benutzer kann die Bände wie Bücher aufschlagen, eine Direktsuche (etwa nach dem Zitat der Sammlung: BVerfGE 57, 250) und eine Volltextsuche durchführen. Die Volltextsuche ist dabei hinsichtlich der Schreibweise auch bei Gesetzeszitaten tolerant gestaltet, so dass der Nutzer hier recht frei suchen kann. Die Entscheidungen sind untereinander verknüpft, so dass Verweisen auf andere Entscheidungen mittels einer blauen, anklickbaren Sprungmarke ("Hyperlink") nachgegangen werden kann. Die dabei aufgefundenen Entscheidungen und Zitate lassen sich problemlos in Schriftsätze oder Publikationen unter Word übernehmen. Die Entscheidungen werden mit dem seitengenauen Umbruch der Bandausgabe dargestellt, so dass Zitate uneingeschränkt nach der CD-ROM möglich sind. Liest man die Entscheidungen am Bildschirm, so zeichnet sich das Schriftbild durch einen klaren Kontrast aus. Eine Zoomansicht fehlt hingegen, was freilich durch die Kopie in Word überwunden werden kann. Der Entscheidungsausdruck funktioniert problemlos. Der Nutzer kann sich die Arbeit mit der CD-ROM individuell ertragreicher gestalten, indem er Notizen schreibt - in denen sodann auch gesucht werden kann und die dauerhaft erhalten bleiben - oder einzelne Stellen in den Entscheidung farblich markiert.

III. Bei der Arbeit mit der Entscheidungssammlung kommen die Vorzüge einer CD-ROM zum Ausdruck. Sie ermöglicht eine vollständige Erfassung der einschlägigen Grundentscheidungen des BVerfG und vor allem ermöglicht sie, Querverbindungen zwischen Entscheidungen oder Rechtsprechungen des BVerfG leichter zu erkennen. Gerade der Strafrechtler stößt so vielleicht auf bedeutende verfassungsrechtliche Ansätze. So mancher Schatz früher Entscheidungen (vgl. etwa zur Messbarkeit und Kontrollierbarkeit von Grundrechtseingriffen bereits BVerfGE 20, 162, 224 [Spiegel-Urteil] und heute wieder BVerfGE 96, 44, 51) lässt sich auf diese Art und Weise heben bzw. lassen sich bedeutende Passagen wieder auffinden und in die aktuelle Diskussion einführen. Auch wenn es wie etwa bei Verfassungsbeschwerden darum geht, verfassungsrechtliche Argumentationen gegenüber der problematischen "Willkürformel" abzusichern, können gerade präzise dargestellte frühere konkrete Ansätze des BVerfG selbst bedeutend sein. Auch für rechtswissenschaftliche Analysen ist die CD-ROM sehr hilfreich. Sie lässt etwa den bekannten Aufstieg und Fall der ominösen Wendung "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" (vgl. etwa Hassemer StV 1982, 275 ff. und heute Hassemer, Meyer-Goßner-FS, S. 127, 142 Fn. 76) sichtbar werden. Mehr noch weist sie sogar auf einen Ansatz zu einer möglicherweise positiv gewandelten Wiedergeburt hin (vgl. BVerfGE 103, 44, 64). Ernüchternd stellt man Dank der CD-ROM fest, dass das BVerfG in 53 Jahren ganze 21 Mal (!) in für die amtliche Sammlung bedeutsamen Entscheidungen auf die europäischen Menschenrechte der EMRK und ganze 9 Mal auf den EGMR Bezug genommen hat. Gleichwohl sieht man auch hier deutlich: die Bezugnahmen finden sich in den letzten dreißig Bänden, und sie nehmen zu.

Die CD-ROM lädt schließlich auch ganz allgemein dazu ein, die für die deutsche Rechtskultur prägenden Entscheidungen des BVerfG nicht nur zum Strafrecht einmal zur Hand zu nehmen. In den Bänden der CD-ROM schlägt sich viel jüngere deutsche Geschichte nieder. Gerade auch straf- oder strafverfahrensrechtliche je nach Standpunkt grundlegende und/oder bedenkliche Entscheidungen wie BVerfGE 37, 1 ff. (Schwangerschaftsabbruch I); BVerfGE 90, 145 ff. (Cannabis-Urteil) und BVerfGE 57, 250 ff. (V-Mann-Sperrung und Zeuge vom Hörensagen) stehen durch die CD-ROM nach wenigen Mausklicks bequem zur Verfügung, so dass man eingeladen ist, prägende Entscheidungen (erneut) zu lesen, um sich so auch von ihren grundlegenden Aussagen in Praxis und/oder Wissenschaft anregen zu lassen.

IV. Kurzum: die elektronische Publikation der amtlichen Sammlung des BVerfG ist ein überzeugendes Produkt. Sie bereitet in elektronischer Form wesentliche Beiträge zur deutschen Rechtskultur leicht handhabbar auf und eröffnet damit zahlreiche Möglichkeit, die Rechtsprechung des BVerfG und damit auch das Grundgesetz optimal zu berücksichtigen. Natürlich hat die CD-ROM einen stolzen Preis, der viele von einem Kauf abhalten kann. Ein etwas niedriger Einstiegspreis und insbesondere eine vergünstigte Version für Studenten und Referendare wäre wünschenswert, wenngleich zu bedenken ist, dass der Verlag immerhin 2.800 Entscheidungen mit rund 48.000 Druckseiten aufzuarbeiten hatte, die er nun in vorbildlicher Form präsentiert. Immerhin stellt die

elektronische Version im Vergleich zur - sicherlich auch eigene Vorteile aufweisenden - Druckausgabe aller Bände preislich einen Fortschritt dar: Für das Paket aus CD-ROM und gedruckten Bänden veranschlagt der Verlag derzeit 3935.00 €. Soweit der Preis der CD-ROM jedoch im Bereich des Möglichen liegt, sollte eine Anschaffung angesichts der Vorzüge der elektronischen Version durchaus überdacht werden.

Wiss. Ass. Karsten Gaede, Hamburg/Zürich

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