HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2004
5. Jahrgang
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IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

604. BGH 5 StR 73/03 - Urteil vom 13. Mai 2004 (LG Bremen)

BGHSt; Untreue (grundsätzlich keine Vermögensbetreuungspflicht bei Investitionsbeihilfen und Subventionen; Vermögensbetreuungspflicht von Vorstandsmitgliedern einer AG gegenüber einer von dieser abhängigen GmbH; Schuldumfang bei der Untreue durch existenzgefährdenden Eingriff und Grundsätze des BGH zur begrenzten Verfügungsbefugnis der Gesellschafter einer juristischen Person: Sicherungspflicht; Schutzgesetz und Ausfallhaftung); Grenzen der freien Beweiswürdigung bei der Vertragsauslegung (Berücksichtigung zivilrechtlicher Auslegungsregeln und der zivilrechtlichen Rechtslage im Konzern); Subventionsbetrug; mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft bei Unternehmen; Strafzumessung (Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung).

§ 25 Abs. 1 StGB; § 266 StGB; § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 46 StGB; § 823 Abs. 2 BGB; § 264 StGB; § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB

1. Investitionsbeihilfen begründen grundsätzlich keine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1

StGB, es sei denn, der Empfänger hat zugleich über den Subventionszweck hinausgehende Vermögensinteressen des Subventionsgebers zu beachten. (BGHSt)

2. In einem Konzern verletzen die Vorstandsmitglieder der beherrschenden Aktiengesellschaft jedenfalls dann ihre Vermögensbetreuungspflicht gegenüber einer abhängigen GmbH, wenn deren Vermögenswerte in einem solchen Umfang ungesichert im Konzern angelegt werden, dass im Fall ihres Verlustes die Erfüllung von Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft oder deren Existenz gefährdet wäre. (BGHSt)

3. Zur Bestimmung des Schuldumfangs bei Untreue durch existenzgefährdenden Eingriff. (BGHSt)

4. Auch bei der Auslegung von Verträgen beschränkt sich die revisionsrichterliche Kontrolle auf die Prüfung, ob ein Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln vorliegt (BGH NJW 2003, 1821; vgl. auch BGHSt 37, 55, 61; 21, 371, 372). (Bearbeiter)


Entscheidung

605. BGH 5 StR 548/03 - Urteil vom 5. Mai 2004 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHSt; BGHR; Steuerhinterziehung; steuerrechtliches Verwendungsverbot (Handeln in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten; Grenzen des Verwendungsverbotes: auf die Erzwingbarkeit der steuerlichen Erklärungspflicht bezogene einschränkende Auslegung; Irrelevanz für Allgemeindelikte; nemo tenetur Grundsatz; Schweigerecht); Selbstanzeige (Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO; Tatentdeckung; Normzweck; auf Steuerstraftaten beschränkte Reichweite; erforderlicher Verurteilungsverdacht; ausnahmsweise Entbehrlichkeit der Kenntnisgabe der eigenen Tatbeteiligung; persönliche Erklärung; Verhältnis zum Allgemeinen Teil); Urkundenfälschung (Vorlage der Ablichtungen angeblicher Rechungen; unechte Urkunde).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 393 Abs. 2 Satz 1 AO; § 371 AO; § 267 Abs. 1 StGB

1. Zu den Grenzen des Verwendungsverbots nach § 393 Abs. 2 Satz 1 AO. (BGHSt)

2. Die Regelung des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO untersagt - soweit es um die Verfolgung einer Nichtsteuerstraftat geht - die Verwendung von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat. In Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten handelt der Steuerpflichtige, wenn er Informationen aufgrund seiner Mitwirkungspflichten mitteilt. Ein Steuerpflichtiger, der vorsätzlich falsche Angaben gegenüber den Finanzbehörden macht, um unberechtigte Vorsteuererstattungen zu erlangen, erfüllt keine steuerrechtlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten. Gleiches gilt für die dabei erfolgte Vorlage gefälschter oder verfälschter Urkunden (vgl. BGH wistra 2003, 429). (Bearbeiter)

3. Auch falsche Angaben zur Erlangung unberechtigter Vorsteuererstattungen führen dazu, dass ein Steuerverfahren in Gang gesetzt wird. Innerhalb dieses Steuerverfahrens besteht zwar keine strafbewehrte oder mit steuerrechtlichen Zwangsmitteln durchsetzbare Pflicht zu einer Richtigstellung. Der Steuerpflichtige erfüllt gleichwohl mit den wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben einer Selbstanzeige nunmehr seine steuerrechtlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten und ermöglicht dem Finanzamt so eine zutreffende Steuerfestsetzung. Offenbart der Steuerpflichtige im Rahmen einer Selbstanzeige eine allgemeine Straftat, die er zugleich mit der Steuerhinterziehung begangen hat, besteht kein Verwendungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO hinsichtlich eines solchen Allgemeindelikts. (Bearbeiter)

4. Eine wirksame Selbstanzeige im Sinne des § 371 Abs. 1 AO setzt voraus, dass die bisher unrichtigen, unvollständigen oder ganz unterbliebenen Angaben wahrheitsgemäß nachgeholt werden. Das Finanzamt muss durch die nunmehrige Mitteilung der steuerlich erheblichen Tatsachen in die Lage versetzt werden, auf ihrer Grundlage ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen (vgl. BGH NJW 2003, 2996, 3000 m.w.N.). Straffreiheit tritt nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Berichtigung einer der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vorliegt oder wenn die verkürzten Steuern nicht innerhalb angemessener Frist nachgezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO). (Bearbeiter)

5. Die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht beruht vor allem auf fiskalischen Erwägungen (vgl. BGHSt 35, 36, 37; BGHR AO § 371 Abs. 1 Unvollständigkeit 2). Der Staat will dadurch, dass er bei einer Selbstanzeige Straffreiheit in Aussicht stellt, sowohl Hinweise auf bisher verschlossene Steuerquellen erlangen, um in den Besitz aller ihm geschuldeten Steuern zu kommen, als auch Hinweise auf unberechtigt geltend gemachte Steuererstattungen erhalten, um im Besitz der Steuern zu bleiben, damit er seine Aufgaben erfüllen kann (vgl. BGHSt 29, 37, 40; 12, 100 f.). Die Selbstanzeige nach § 371 AO schließt die Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches über den Rücktritt vom Versuch nicht aus (BGHSt 37, 340, 345 f.). (Bearbeiter)

6. Die Selbstanzeige, für die eine bestimmte Form nicht eingehalten werden muss, ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund (vgl. BGHR AO § 371 Selbstanzeige 6). Demzufolge erlangt Straffreiheit nur, wer als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung die Selbstanzeige persönlich erstattet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Selbstanzeige durch einen - zuvor bevollmächtigten - Vertreter erstattet wird. Dabei ist auch eine verdeckte Stellvertretung zulässig. Entscheidend ist, dass der Täter die Mitteilung veranlasst hat (vgl. BGH wistra 1990,

308) und sie ihm deshalb zuzurechnen ist. Es ist jedoch regelmäßig erforderlich, dass durch die Mitteilung die Person des Vertretenen den Finanzbehörden bekannt wird. Der Täter oder Teilnehmer einer (versuchten) Steuerhinterziehung muss in der Selbstanzeige grundsätzlich neben den Besteuerungsgrundlagen auch seinen eigenen Tatbeitrag offen legen (vgl. BGH NJW 2003, 2996, 3000). Dies erfährt jedoch eine Ausnahme, wenn eine Fristsetzung und Zahlung von hinterzogenen Steuern nicht in Betracht kommt, das heißt jedenfalls dann, wenn durch die Angaben in der Selbstanzeige ohne weiteres feststeht, dass ein Steuererstattungsanspruch nicht besteht. (Bearbeiter)

7. Einer Selbstanzeige steht die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AO allerdings dann nicht entgegen, wenn zum Zeitpunkt, in dem ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat erschienen ist, der von einer späteren Selbstanzeige umfasste Sachverhalt weder vom Ermittlungswillen des Amtsträgers erfasst war noch mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in engem sachlichen Zusammenhang stand (vgl. BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 1 Sperrwirkung 3). Für die Annahme einer Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein bloßer Anfangsverdacht nicht aus. Erforderlich ist mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist. Der Tatverdacht muss sich vielmehr soweit konkretisiert haben, dass bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist (vgl. BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 2 Tatentdeckung 3). (Bearbeiter)


Entscheidung

586. BGH 1 StR 466/03 - Beschluss vom 27. April 2004 (OLG Stuttgart)

Keine verfahrensrechtliche Tateinheit zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und der zeitgleich begangenen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung von berauschenden Mitteln (Tat im prozessualen Sinne; innerer Zusammenhang zum Mitsichführen der Betäubungsmittel).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG; § 24a Abs. 2 StVG; § 264 StPO

1. Zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) und der zeitgleich begangenen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung von berauschenden Mitteln (§ 24a Abs. 2 StVG) besteht verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht. (BGH)

2. Sachlich-rechtlich selbständige Taten sind grundsätzlich auch prozessual selbständig. (Bearbeiter)


Entscheidung

602. BGH 5 StR 139/03 - Urteil vom 5. Mai 2004 (LG Halle)

Bestechlichkeit; Steuerhinterziehung (Schätzungsgebot bei belegter Schuld als solcher; Grenzen der Suspendierung der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen infolge des nemo tenetur Grundsatzes; Schweigerecht; Verwendungsverbot); Verfall bei Bestechungsgeldern (keine Ansprüche des Arbeitgebers; Vorrang der Ansprüche des Steuerfiskus).

Art. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 332 Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO; § 46 StGB; § 393 Abs. 1 AO; § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO; § 73 StGB; § 73a StGB

1. Bestechungsgelder sind erklärungspflichtige sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG (BGHSt 30, 46, 51).

2. Steht bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Täters fest, so kann die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen (BGHSt 36, 320, 328; 40, 374, 376). Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen (BGHR StGB vor § 1 Serienstraftaten Betrug 1). Die Schätzung ist dann sogar unumgänglich, wenn über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen. Die Feststellung der Zahl der Einzelakte und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese Einzelakte erfolgt sodann nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" (BGHSt 40, 374, 376 f.; BGH NStZ 1999, 581). Lässt sich nicht für jedes Steuerjahr der Empfang von Zahlungen klären, kommt auch eine Feststellung im Wege der Wahlfeststellung in Betracht.

3. Bei einer Sachlage, bei der die Schuld des Angeklagten hinsichtlich der Steuerhinterziehung als solche feststeht, dagegen lediglich die Verteilung der Höhe der hinterzogenen Steuern auf die einzelnen Jahre ungewiss ist, gibt es für einen Freispruch keinen Raum. Es ist jedoch erforderlich, bei einer Tatserie die Einzelakte so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes ergibt (BGHSt 40, 374, 376).

4. Zwar regelt § 393 Abs. 1 AO, dass der Einsatz von Zwangsmitteln unzulässig ist, soweit der Steuerpflichtige eigene Steuerstraftaten offenbaren müsste, was in bestimmten Fällen sogar dazu führt, dass die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert ist (vgl. BGHSt 47, 8, 12; BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 2 und 3). Soweit der Steuerpflichtige mit einer wahrheitsgemäßen Erklärung allgemeine Straftaten offenbart, ist er durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie das in § 393 Abs. 2 AO normierte begrenzte strafrechtliche Verwertungsverbot geschützt (vgl. BVerfGE 56, 37, 47).

5. In Anbetracht der überragenden Bedeutung der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter für ein ordnungsgemäß funktionierendes Gemeinwesen wird dem Steuerpflichtigen

die Erklärung auch solcher Einkünfte zugemutet, durch deren Offenbarung er in den Verdacht einer Straftat geraten und durch die er sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen kann. Um einen Ausgleich im gegebenen Spannungsfeld - zwischen den in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgütern einerseits, dem Schutz vor erzwungener Selbstbelastung und dem Steuergeheimnis andererseits, jeweils vor dem Hintergrund der gebotenen Sicherung eines vollständigen Steueraufkommens - zu finden, wird es naheliegen, an die Konkretisierung der gebotenen steuerlichen Erklärungen möglicherweise niedrigere Anforderungen zu stellen als sonst nach § 90 AO geboten. Eine solche Reduzierung des Erklärungsumfangs könnte etwa darin bestehen, dass die Einkünfte nur betragsmäßig, nicht aber unter genauer Bezeichnung der Einkunftsquelle zu benennen sein werden.

6. Eine steuerliche Erklärungspflicht im Hinblick auf erhaltene Schmiergelder ist verfassungsrechtlich und konventionsrechtlich (Art. 6 Abs. 1 MRK) nur dann hinnehmbar, wenn bei der Rechtsfolgenentscheidung der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung berücksichtigt wird und dem durch eine straffe Zusammenziehung der zu verhängenden Einzelstrafen Rechnung getragen wird.


Entscheidung

594. BGH 4 StR 49/04 - Beschluss vom 4. Mai 2004 (LG Dortmund)

Bestechlichkeit (auf eine pflichtwidrige Diensthandlung bezogene Unrechtsvereinbarung; Dienstpflicht zur Anzeige von Korruptionssystemen bei Vorgesetzten und außerhalb des Aufgabenbereichs im engeren Sinne); Strafvereitelung im Amt.

§ 332 Abs. 1 StGB; § 52 BBG; § 55 BBG; § 258 StGB; § 258a StGB

Nach Auffassung des Senats ist nicht nur bei Vorgesetzten über den eigentlichen Aufgabenbereich hinaus eine beamtenrechtliche Dienstpflicht anzunehmen, ein bekannt gewordenes Korruptionssystem von großem Ausmaß bei der vorgesetzten Behörde anzuzeigen oder auf sonstige geeignete Weise den stattfindenden Manipulationen entgegenzutreten.


Entscheidung

588. BGH 1 StR 522/03 - Urteil vom 21. April 2004 (LG Traunstein)

Verwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO und § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO; Feststellung von bedingtem Vorsatz bei Kurierfahrten (Fahrlässigkeit; subjektive Zurechnung der gesamten, erheblichen Rauschgiftmenge; Strafzumessung); Entziehung der Fahrerlaubnis bei Kurierfahrten (charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen; Zurückweisung der Anfrage des vierten Strafsenats).

§ 15 StGB; § 29 BtMG; § 46 StGB; § 69 Abs. 1 StGB; § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO; § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO

1. Ein Drogenkurier, der weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel auch damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Lässt er sich auf ein solches Unternehmen ein, dann liegt auf der Hand, dass er die Einfuhr einer Mehrmenge billigend in Kauf nimmt. Gegen einen derartigen bedingten Vorsatz können aber Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm die Wahrheit gesagt (vgl. nur BGH NStZ 1999, 467).

2. Führt der Täter eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sie sich vorgestellt hat, so darf die von seinem Vorsatz nicht umfasste Mehrmenge dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. auch § 29 Abs. 4 BtMG; BGH StV 1996, 90).


Entscheidung

572. BGH 3 StR 116/04 - Beschluss vom 27. April 2004 (LG Duisburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bestimmung des Schuldumfangs; Menge der Betäubungsmittel; nicht geringe Menge; Eigenkonsum).

§ 29a BtMG

1. Zur Bestimmung des Schuldumfangs bei unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist der Gehalt reinen Betäubungsmittels in den vom Täter gehandelten Betäubungsmittelzubereitungen notfalls im Wege der Schätzung und unter Beachtung des Zweifelssatzes zu bestimmen. Verwendet der Täter einen Teil der erworbenen Rauchgiftmenge zum Eigenkonsum, so sind die Anteile der weiterveräußerten und der konsumierten Betäubungsmittel in gleicher Weise zu bestimmen.

2. Im Rahmen der Beurteilung, ob Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln vorliegt, können die Einzelmengen verschiedener Betäubungsmittel gewichtet und addiert werden (vgl. BGH 1 StR 473/02 - Beschluss vom 16. Januar 2003).