HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2004
5. Jahrgang
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IV. Nebengebiete (Wirtschaftsstrafrecht, Jugendstrafrecht, Ordnungswidrigkeiten)


Entscheidung

BGH 4 StR 239/03 - Beschluss vom 25. November 2003 (LG Kaiserslautern)

BGHSt; Abgrenzung von Untreue und Betrug gegenüber Krankenkasse und Apotheker beim Bezug kassenärztlich verordneter, aber nicht notwendiger Medikamente (tatsächliche und rechtliche Besonderheiten des kassenärztlichen Abrechnungssystems / Sachleistungssystems; Täuschung: Prüfpflichten des Apothekers bei ärztlichen Verordnungen); Vermögensbetreuungspflicht des Kassenarztes (Missbrauchstatbestand).

§ 263 StGB; § 266 StGB; § 12 SGB V

1. Zur Abgrenzung von Untreue und Betrug gegenüber Krankenkasse und Apotheker beim Bezug kassenärztlich verordneter, aber nicht notwendiger Medikamente. (BGHSt)

2. Ein Kassenarzt darf Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen (§§ 12 Abs. 1 Satz 2, 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Verschreibt der Kassenarzt dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, dass er die Leistung im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewirken darf, missbraucht er diese ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnisse und begeht eine Untreue (Missbrauchstatbestand). (Bearbeiter)

3. Zu den tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten des kassenärztlichen Abrechnungs- und Sachleistungssystems. (Bearbeiter)

4. Über die pharmazeutische und pharmakologische Prüfungspflicht hinaus ist der Apotheker grundsätzlich nicht verpflichtet, die Angaben des Arztes zu überprüfen, insbesondere ob die Verschreibung sachlich begründet ist. Ob etwas anderes für den Fall gilt, dass die kassenärztliche Verordnung in der Weise offensichtlich missbräuchlich ist, so dass (ausnahmsweise) die Verpflichtung des Apothekers begründet wird, die Abgabe der Überverordnungsmenge zu verweigern, kann hier offen bleiben. (Bearbeiter)

5. Täuschung ist jedes Verhalten, das objektiv irreführt oder einen Irrtum unterhält und damit auf die Vorstellung eines anderen einwirkt (BGHSt 47, 1, 3 m.w.N.). Bei schlüssigem Verhalten ist entscheidend, welcher Erklärungswert dem Gesamtverhalten des Täters nach der Verkehrsanschauung zukommt (vgl. auch BGH NJW 1995, 539 f.). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 24/03 - Urteil vom 6. November 2003 (LG Stuttgart)

BGHSt; verbotene Insidergeschäfte (Scalping kein Insidergeschäft; Frontrunning); Kursmanipulation / Marktpreismanipulation (sonstige Täuschung; fachmännische Rechtfertigung; Unrechtskontinuität; richtlinienkonforme Auslegung: Information; Feststellung der Kurseinwirkung); unerlaubter Eigenhandel nach dem Kreditwesengesetz; milderes Gesetz.

§ 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG; § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG; § 20 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG; § 38 Abs. 1 Nr. 4 WpHG a.F.; § 39 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F.; § 88 Nr. 2 BörsG; Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB; § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG; EG-Insiderrichtlinie vom 13. November 1989; § 2 Abs. 3 StGB; § 261 StPO

1. Der Erwerb von Insiderpapieren in der Absicht, sie anschließend einem anderen zum Erwerb zu empfehlen, um sie dann bei steigendem Kurs - infolge der Empfehlung - wieder zu verkaufen (sog. Scalping), ist kein Insidergeschäft, sondern eine Kurs- und Marktpreismanipulation im Sinne von § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG. (BGHSt)

2. Eine solchermaßen motivierte Empfehlung ist auch dann eine verbotene Kurs- und Marktpreismanipulation, wenn die Empfehlung nach fachmännischem Urteil sachlich gerechtfertigt wäre. (BGHSt)

3. Zwischen den Vorschriften des § 88 Nr. 2 BörsG aF und den § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG besteht Unrechtskontinuität. (BGHSt)

4. Der Tatbestand des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG ist hinreichend bestimmt. (Bearbeiter)

5. Für die Beurteilung der Frage, ob durch die marktmanipulative Handlung tatsächlich eine Einwirkung auf den Kurs eingetreten ist, dürfen angesichts der Vielzahl der - neben Tathandlung - regelmäßig an der Preisbildung mitwirkenden Faktoren keine überspannten Anforderungen gestellt werden, weil der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Nr. 4 WpHG ansonsten weitgehend leer liefe. Vergleiche von bisherigem Kursverlauf und Umsatz, die Kurs- und Umsatzentwicklung des betreffenden Papiers am konkreten Tag sowie die Ordergröße können eine Kurseinwirkung hinreichend belegen. Eine Befragung der Marktteilnehmer ist dazu nicht veranlasst. (Bearbeiter)