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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2003
4. Jahrgang
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1. Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung fachgerichtlichen Rechtsschutzes bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). (BVerfG)
2. Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere die des Art. 101 Abs. 1 und des Art. 103 Abs. 1 GG, sichern in Form eines grundrechtsgleichen Rechts die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards. In einem Rechtsstaat gehört zu einer grundrechtlichen Garantie die Möglichkeit einer zumindest einmaligen gerichtlichen Kontrolle ihrer Einhaltung. (Bearbeiter)
3. Die von der Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffenen außerordentliche Rechtsbehelfe, zur Schließung von Lücken im System zum Schutze des Anspruches auf rechtliches Gehör genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht. Die Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein, denn wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz der Rechtssicherheit. Er wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts unter anderem in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen. (Bearbeiter)
4. Auf Grund ihrer rechtsstaatlichen Defizite gehören die von der Rechtsprechung geschaffenen außerordentlichen Rechtsbehelfe nicht zu dem Rechtsweg, dessen Erschöpfung § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG fordert. Soweit die bisherige Praxis des Bundesverfassungsgerichts dies anders gesehen hat, wird daran nicht (mehr) festgehalten. (Bearbeiter)
5. Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG. Rechtsschutz bei entscheidungserheblichen Verletzungen des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG setzt nicht voraus, dass der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG neu bestimmt wird; diese Norm steht der Annahme nicht entgegen, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz unter zum Teil anderen tatbestandlichen Voraussetzungen garantiert. Das Plenum gibt die vom Bundesverfassungsgericht bisher vertretene gegenteilige Auffassung auf. (Bearbeiter)
6. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Rechtliches Gehör sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. (Bearbeiter)
7. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, ist nicht nur ein Anspruch formell anzukommen, sondern auch substantiell anzukommen, also wirklich gehört werden. Begeht ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß, so vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen. (Bearbeiter)
8. Hat die Partei sich in einer Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vortragen können, was mit Blick auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt. (Bearbeiter)
9. Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. (Bearbeiter)
10. Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt in erster Linie den Fachgerichten anvertraut. Bei entscheidungserheblichen Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG muss die gebotene Abhilfemöglichkeit daher grundsätzlich bei den Fachgerichten eingerichtet werden, auch wenn zusätzlich eine Rechtsverfolgung mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde möglich ist. Bei der Ausgestaltung des Rechtsbehelfssystems hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum. (Bearbeiter)
11. Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist nicht auf Rechtsschutz gegen Akte der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt, sondern umfassend angelegt. Sie sichert allerdings keinen Rechtsmittelzug. Zur Ausübung öffentlicher Gewalt gehören ebenfalls Anordnungen der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde (vgl. BVerfGE 103, 142, 156). (Bearbeiter)
12. Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, auch den Akt der gerichtlichen Überprüfung selbst daraufhin kontrollieren zu können, ob in ihm die für den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Rechtsnormen nunmehr vom Gericht verletzt wurden. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nimmt das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem bei der Überprüfung eines Verhaltens ein verbleibendes Risiko falscher Rechtsanwendung durch das Gericht in Kauf. (Bearbeiter)
1. Die Meinungsfreiheit ist für die demokratische Gesellschaft von konstitutiver Bedeutung. Sie stellt eine der grundlegenden Voraussetzungen für ihre Fortentwicklung und die Selbstverwirklichung des Einzelnen dar. Ihr Schutzbereich umfasst auch Meinungen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen.
2. Die Meinungsfreiheit kann ausnahmsweise eingeschränkt werden, jedoch sind die Ausnahmen eng auszulegen und das Bedürfnis für eine Einschränkung muss überzeugend dargelegt werden. Erforderlich kann eine Einschränkung gemäß Art. 10 II EMRK nur sein, wenn für sie ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis besteht. Für dessen Feststellung ist den Vertragsstaaten ein Einschätzungsermessen zuzugestehen, welches jedoch der Überprüfung durch den EGMR sowohl hinsichtlich der Gesetzgebung als auch der Gesetzesanwendung - einschließlich der Rechtsprechung - unterliegt. Der EGMR ist befugt, letztentscheidend einzuschätzen, ob eine Einschränkung mit Art. 10 EMRK vereinbar ist.
3. Der Schutz des Ansehens der Gerichte ist ein legitimes Ziel im Sinne des Art. 10 EMRK. Die für die Gerichte tätigen Personen haben die gleichen Persönlichkeitsrechte wie alle anderen Mitglieder der Gesellschaft, jedoch müssen die Staaten zwischen Kritik und Beleidigungen klar unterscheiden. Die verhältnismäßige Bestrafung einer Beleidigung verstößt nicht grundsätzlich gegen Art. 10 EMRK.
4. Auch wenn eine Bestrafung grundsätzlich gemäß Art. 10 EMRK zulässig ist, muss sich auch die Bestrafung im Einzelfall am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen. Wenn auch in erster Linie die nationalen Gerichte die Strafzumessung vorzunehmen haben, wahrt der EGMR fallbezogen die Einhaltung allgemeiner Standards im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei diesen handelt es sich um die Schwere der Schuld, die Bedeutung der Straftat und die mögliche wiederholte Begehung der Tat.
Ein Abweichen vom europäischen Standard ist auch im Hinblick auf die Verbürgungen des Grundgesetzes rechtfertigungsbedürftig. Die Gerichte haben die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beachten, wonach bei der Auslegung von Vorschriften über ein Werbeverbot die Meinungsfreiheit des Betroffenen und das Informationsbedürfnis der Mandanten zu berücksichtigen sind.
1. Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/397/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung ist dahin auszulegen, dass sich ein Hersteller nach dieser Bestimmung gegenüber den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auf ein Recht zur Einholung eines Gegengutachtens berufen kann, wenn diese Behörden aufgrund einer Analyse von im Einzelhandel entnommenen Proben seiner Erzeugnisse die Auffassung vertreten, dass diese nicht den nationalen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen genügen. (EuGH)
2. Ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf befasst ist, wie er im Ausgangsverfahren eingelegt wurde, hat anhand aller ihm verfügbaren tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu prüfen, ob die Ergebnisse der Analysen von Proben von Erzeugnissen eines Herstellers als Beweismittel zum Nachweis eines von diesem Hersteller begangenen Verstoßes gegen die nationalen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen eines Mitgliedstaats auszuschließen sind, wenn der Hersteller sein Recht auf Einholung eines Gegengutachtens nach Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie nicht hat ausüben können. Hierbei hat das nationale Gericht zu prüfen, ob die im Rahmen eines solchen Rechtsbehelfs anwendbaren nationalen Beweisregeln nicht weniger günstig ausgestaltet sind als bei innerstaatlichen Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Außerdem hat das nationale Gericht zu prüfen, ob ein solches Beweismittel auszuschließen ist, um Maßnahmen zu vermeiden, die mit den Grundrechten, namentlich dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem Gericht nach Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unvereinbar sind. (EuGH)
3. Es ist mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). (Bearbeiter)
4. Was den Effektivitätsgrundsatz angeht, so ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen; dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens. (Bearbeiter)
5. Die Grundrechte gehören nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Nach seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof in Vorabentscheidungsverfahren, wenn eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof sichert und die sich insbesondere aus der EMRK ergeben. Insbesondere ist das Recht auf ein faires Verfahren vor einem Gericht zu berücksichtigen, wie es in Artikel 6 Absatz 1 EMRK niedergelegt und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgelegt worden ist. (Bearbeiter)