HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2002
3. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 3 StR 503/01 - Urteil vom 18. April 2002 (LG Lüneburg)

Totschlag; Mord; Notwehr (Unmittelbarkeit; Notwehrlage; Putativnotwehr; Einschränkungen der Notwehr in sozialen Näheverhältnissen; Ehe; Konfliktvermeidungsgebot); Beweiswürdigung (Widersprüche; Gesamtwürdigung).

§ 212 StGB; § 32 StGB; § 33 StGB; § 261 StPO

1. Allein eine subjektive Befürchtung, ein Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet für sich genommen noch keine Notwehrlage. Sollte die Angeklagte den irrigen Schluss gezogen haben, ein neuer Angriff stehe unmittelbar bevor, so kämen allenfalls die rechtlichen Grundsätze der Putativnotwehr in Betracht, auf die aber § 33 StGB keine Anwendung findet (BGH NStZ 1987, 20; 2002, 141).

2. Zwar haben frühere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Ehegatten unter bestimmten Umständen abverlangt, auf ein sicher wirkendes, aber tödliches Verteidigungsmittel zu verzichten, auch wenn die Anwendung eines milderen Mittels die Beseitigung der Gefahr nicht mit Sicherheit erwarten ließ (BGH GA 1969, 117; NJW 1969, 802 und 1975, 62; BGHR StGB § 33 Furcht 3). Ob an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann (einschränkend schon BGH NJW 1984, 986), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Unter den hier gegebenen Umständen war der Angeklagten schon deshalb Zurückhaltung auferlegt, weil sie in der Vergangenheit, auch als die Trennungen von bereits erfolgreich vollzogen waren, immer wieder von sich aus ohne Zwang oder Notwendigkeiten trotz ihrer negativen Erfahrungen zu diesem zurückkehrte und dadurch selbst dazu beigetragen hat, dass das spätere Opfer sie und die Tochter körperlich misshandeln konnte. Es war ihr zumindest zuzumuten, bei den ersten Anzeichen eines möglicherweise eskalierenden Streites die Wohnung mit dem Kind zu verlassen.


Entscheidung

BGH 5 StR 613/01 - Urteil vom 10. April 2002 (LG Zwickau)

Versuch; Totschlag; unmittelbares Ansetzen; Koinzidenz des Vorsatzes; unbeachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf (Wesentlichkeit; Feststellung der Gleichwertigkeit durch das Revisionsgericht).

§ 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 22 StGB; § 212 StGB

1. In der Rechtsprechung ist als Rechtsfigur der unerheblichen Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten Kausalverlauf anerkannt, dass eine Divergenz zwischen dem eingetretenen und dem vom Täter gedachten Geschehensablauf unter Gesichtspunkten des Vorsatzes regelmäßig dann unbeachtlich ist, wenn sie unwesentlich ist, namentlich weil beide Kausalverläufe gleichwertig sind (BGHSt 7, 325, 329; 23, 133, 135; BGH NJW 2002, 1057).

2. Bewirkt der Täter, der nach seiner Vorstellung vom Tatablauf den Taterfolg erst durch eine spätere Handlung herbeiführen will, diesen bereits durch eine frühere Handlung, so kommt eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Taterfolges dann in Betracht, wenn er bereits vor der Handlung, die den Taterfolg verursacht, die Schwelle zum Versuch überschritten hat oder sie zumindest mit dieser Handlung überschreitet (BGH GA 1955, 123, 124; BGH NJW 2002, 1057).

3. Die Entscheidung über die Gleichwertigkeit des vorgestellten Kausalverlaufes ist nicht als Tatsachenentscheidung dem Tatgericht vorbehalten, sondern steht als Subsumtionsentscheidung auch dem Revisionsgericht zu.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 5 StR 485/01 - Urteil vom 10. April 2002 (LG Hamburg)

BGHSt; BGHR; Strafverteidiger (verteidigungsfremdes Verhalten; indizielle Wirkung bei revisionistischen Thesen; einschlägige Vorverurteilung; Vorleben; Benennung eines einschlägig verurteilten Sachverständigen); Volksverhetzung (Leugnen des Völkermordes); Beweisantrag (Offenkundigkeit); Tatbestandsausschlussklausel; Gefährdung des öffentlichen Friedens; Vorsatz (Verdrängung; Unkenntnis; Fehlen einer bewussten Lüge).

§§ 130 Abs. 3, 5; 86 Abs. 3 StGB; §§ 15, 16 StGB; §§ 244, 245 StPO

1. Wer als Strafverteidiger in einem Verfahren wegen Volksverhetzung in einem Beweisantrag den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Völkermord leugnet, macht sich damit grundsätzlich seinerseits nach § 130 Abs. 3 StGB strafbar. Eine derartige Erklärung ist regelmäßig als verteidigungsfremdes Verhalten zu bewerten, für das die Tatbestandsausschlussklausel des § 86 Abs. 3 StGB (i.V.m. § 130 Abs. 5 StGB) nicht gilt. (Im Anschluss an BGHSt 46, 3, 6). (BGHSt)

2. Der (insbesondere) an den Juden begangene Völkermord unter der nationalsozialistischen Herrschaft ist historisch eindeutig belegt und damit offenkundig (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 90, 241, 249; BGHZ 75, 160; BGHSt 40, 97, 99; 46, 36, 46 f.; 46, 212, 216). Er wird in § 130 StGB tatbestandlich vorausgesetzt. Das zur Störung des öffentlichen Friedens geeignete öffentliche Billigen, Leugnen oder Verharmlosen einer Völkermordhandlung ist unter Strafe gestellt, um rechtsextremistische Propaganda, die zur Vergiftung des politischen Klimas geeignet ist, zu verfolgen und zu verhindern (vgl. BGHSt 46, 36, 40; ferner BGHSt 46, 212, 218). (Bearbeiter)

3. Jedenfalls bei einer Äußerung, die nicht nur eine begrenzte Völkermordhandlung, sondern den gesamten Holocaust oder ein ihn kennzeichnendes Teilgeschehen betrifft, kann es für den Vorsatz des Angeklagten nicht auf die Frage ankommen, ob ihm etwa abzunehmen wäre, dass er die historisch unzweifelhafte Tatsache des Vernichtungsgeschehens in Auschwitz in revisionistischer Verblendung negiert. Der Gesetzgeber wollte mit der Strafnorm des § 130 Abs. 3 StGB gerade auch Unbelehrbaren begegnen. Danach ist als vorsätzliches Leugnen im Sinne dieses Tatbestandes das bewusste Abstreiten des bekanntermaßen historisch anerkannten Holocaust ausreichend. Eine "bewusste Lüge" wird nicht verlangt. Deren Fehlen ist selbst für die Strafzumessung ohne Bedeutung (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 32). (Bearbeiter)

4. Eine Äußerung, die sonst die Voraussetzungen des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt, gilt dann nicht als tatbestandlich, wenn sie der Strafverteidigung dient; diese steht den in § 86 Abs. 3 StGB ausdrücklich benannten Zwecken gleich (BGHSt 46, 36, 43). Bei der Bestimmung der Reichweite dieser Norm gebietet die Achtung der rechtsstaatlich geforderten Gewährleistung einer effektiven Strafverteidigung auch im Blick auf Art. 12 GG erhebliche Zurückhaltung bei gerichtlicher Inhaltskontrolle von Verteidigerhandeln; dies muss auch für die Abgrenzung von erlaubtem und unerlaubtem Verteidigerverhalten gelten (vgl. BGHSt 46, 36, 43 ff.). Im Rahmen einer solchen Abgrenzung sind daher auch der Verwertung des Indizes der objektiven Aussichtslosigkeit einer Prozesshandlung, deren Strafbarkeit oder Rechtfertigung durch Verfolgung erlaubter Verteidigungsziele in Frage steht, gewisse Grenzen gesetzt. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 52/02 - Urteil vom 18. April 2002 (LG Hannover)

Raub; schwere Gesundheitsbeschädigung (individuelle Schadensdisposition; konkrete Gefährdung); Raub als Vortat zum räuberischen Diebstahl; Gesetzeseinheit zwischen Raub und (schwerem) räuberischem Diebstahl; verminderte Schuldfähigkeit (Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Beschaffungskriminalität; BtM-Auswirkungen); Bedrohung und Nötigung gegenüber einem Dritten zur Beendigung eines Raubes.

§ 250 Abs. 1 Nr. 1 c StGB; § 251 StGB; § 252 StGB; § 21 StGB; § 52 StGB

1. Die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung umfasst außer den Risiken, die generell für jeden Betroffenen von der Raubhandlung ausgehen, auch die konkreten Gefahren, denen das Opfer allein wegen seiner individuellen Schadensdisposition ausgesetzt ist. (BGH)

2. Der Begriff der schweren Gesundheitsbeschädigung im § 250 Abs. 1 Nr. 1 c StGB reicht weiter als derjenige der schweren Körperverletzung. Es kommt demgemäß nicht darauf an, ob der Täter oder Tatbeteiligte durch den Raub für einen anderen die Gefahr einer der in § 226 StGB nF genannten Körperverletzungsfolgen begründet. Vielmehr reicht es beispielsweise aus, wenn die Raubtat das Opfer in die konkrete Gefahr einer ernsten langwierigen Krankheit, einer ernsthaften Störung der körperlichen Funktionen oder einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Arbeitskraft bringt. (Bearbeiter)

3. Erst wenn alle durch die Raubtat für den Betroffenen nach den individuellen Gegebenheiten und dem jeweiligen Tatablauf objektiv gesetzten konkreten Gesundheitsgefahren festgestellt sind, kann verlässlich geprüft werden, ob sie subjektiv vom Vorsatz des Täters (vgl. BGHSt 26, 176, 180 ff.) erfasst waren, insbesondere ob der Täter eine individuelle Schadensdisposition des Opfers und die gegebenenfalls erst hieraus resultierende Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung erkannt hat. (Bearbeiter)

4. Vortat eines räuberischen Diebstahls kann auch ein Raub sein (BGHSt 21, 377). Wird aber vom Täter nicht nur zur Erlangung des Gewahrsams an der Beute, sondern auch nach Gewahrsamsbegründung zu deren Sicherung eines der in §§ 249, 252 StGB genannten Nötigungsmittel eingesetzt, kommt dem erneuten Angriff auf das Vermögen durch den räuberischen Diebstahl grundsätzlich keine selbständige Bedeutung mehr zu, da dieses Rechtsgut bereits durch die Raubtat geschädigt wurde (vgl. BGH GA 1969, 347, 348). Zwischen beiden Tatbeständen besteht dann Gesetzeseinheit in der Weise, dass § 249 StGB grundsätzlich den § 252 StGB verdrängt. (Bearbeiter)

5. Wiegt die Nötigungshandlung in der Beendigungsphase der Tat schwerer, weil erst nach der Vollendung der Wegnahme ein Qualifikationstatbestand der §§ 250 oder 251 StGB verwirklicht wurde, so verdrängt der zur Beutesicherung begangene schwere räuberische Diebstahl bzw. räuberische Diebstahl mit Todesfolge den Raub.

6. Der Senat neigt der Ansicht zu, dass jedenfalls beim Einsatz von Nötigungsmitteln gegen einen weiteren, bisher nicht selbst durch den tateinheitlichen Raub (räuberischen Diebstahl) Geschädigten eine Verurteilung nach §§ 240, 22, 23 StGB bzw. § 241 StGB in Betracht kommt. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 4/02 - Beschluss vom 12. März 2002 (LG Mönchengladbach)

BGHR; Absicht der unrechtmäßigen Bereicherung (Schadensersatzanspruch des betrogenen Käufers von Rauschgift); Vermögensschaden (Vermögensbegriff); entschuldigender Notstand (Abwendbarkeit); Tatbestandsirrtum.

§ 253 Abs. 1 nF StGB; § 263 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 35 StGB; § 240 StGB; § 817 BGB; § 823 Abs. 2 BGB.

1. Dem Käufer von Rauschgift, der durch Betrug zu einer Geldzahlung veranlaßt wird, ohne das vereinbarte Rauschgift zu erhalten, kann gegen den Verkäufer ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB zustehen. Dieser kann, wenn er mit Nötigungsmitteln durchgesetzt wird, der Absicht unrechtmäßiger Bereicherung entgegenstehen. (BGHR)

2. Für den Tatbestand des Betrugs ist Identität zwischen Getäuschtem und Verfügendem, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem erforderlich (vgl. BGHSt 18, 221, 223). Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch derjenige an seinem Vermögen geschädigt wird, der eine Geldleistung im Rahmen eines verbotenen oder sittenwidrigen Geschäfts erbringt, ohne die vereinbarte Gegenleistung zu erhalten. Betrug ist daher auch beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln möglich (vgl. BGH NStZ 2002, 33). (Bearbeiter)

3. An der Absicht einer unrechtmäßigen Bereicherung fehlt es auch dann, wenn sich die Angeklagten einen Rückforderungsanspruch lediglich vorgestellt und deshalb in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum über die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung gehandelt hätten (vgl. BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 6). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 100/02 - Beschluss vom 23. April 2002 (München II)

Nötigung (Versperren einer Fahrbahn; verfassungskonforme Auslegung der Gewalt); Strafzumessung (unzulässige Strafschärfung wegen zulässigen Verteidigungsverhaltens).

§ 240 StGB; § 46 Abs. 2 StGB; Art. 8 GG

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Merkmals der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB liegt solche dann nicht vor, wenn die Handlung lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Betroffenen nur psychischer Natur ist (BVerfGE 92, 1, 16 ff. = BVerfG NStZ 1995, 275, 276). Stellt sich jemand auf die Straße und zwingt so - ohne Gefährdung anderer (vgl. § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB) - den ersten herannahenden Autofahrer zum Anhalten, so ist dies nicht strafbar. Dies gilt nicht nur im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen. Die Auslegung des Merkmals der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB kann nicht davon abhängen, welche Ziele der Täter weiter verfolgt, ob er also von seinem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen oder den zum Anhalten gezwungenen Autofahrer zu einem persönlichen Gespräch veranlassen will.

2. Prozessverhalten, mit dem ein Angeklagter - ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten - den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden oder die Tat sonst in einem milderen Licht erscheinen zu lassen versucht, darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, weil hierin eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 m.w.Nachw.).


Entscheidung

BGH 4 StR 2/02 - Urteil vom 11. April 2002 (LG Arnsberg)

Erpresserischer Menschenraub; schwere räuberische Erpressung; Sichbemächtigen (stabile Zwischenlage; Bemächtigungslage im Dreipersonenverhältnis).

§ 239a StGB; §§ 253, 255, 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung macht sich der Täter eines Banküberfalls - tateinheitlich zum Erpressungsdelikt - auch wegen erpresserischen Menschenraubs schuldig, wenn er die durch den Einsatz einer (Schein-)Waffe erlangte physische Herrschaft über einen Bankkunden dazu ausnutzt, den Kassierer zu veranlassen, ihm aus Angst um das Leben des Bankkunden die erstrebte Beute zu übergeben (vgl. nur BGHSt 25, 386; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1, 6, 7, 8). Danach kommt es für die Erfüllung des Tatbestands des § 239 a Abs. 1 StGB darauf an, ob der Angeklagte den Bankkunden an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert hat und er in der Absicht handelte, seine mit erpresserischen Mitteln begehrte unrechtmäßige Bereicherung durch die Sorge des Kassierers um das Wohl der bedrohten Kundin zu erreichen (vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 3, 5; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32).

2. Die für § 239 a Abs. 1 StGB erforderliche stabile Bemächtigungslage ist bei einem "Dreipersonenverhältnis" regelmäßig gegeben (vgl. BGHSt 40, 350, 356; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32; StV 1999, 646).


Entscheidung

BGH 2 StR 66/02 - Beschluss vom 3. April 2002 (LG Limburg a.d.Lahn)

Selbstbegünstigung (irrtümliche Befürchtung eigener Strafverfolgung); strafbefreiender Rücktritt vom Versuch der Strafvereitelung.

§ 258 Abs. 5 StGB

Die Selbstbegünstigung ist gemäß § 258 Abs. 5 StGB auch dann straflos, wenn die Befürchtung eigener Strafverfolgung unbegründet ist (BGHSt 2, 375). Entscheidend ist, wie der Betroffene die Situation einschätzte.


Entscheidung

BGH 4 StR 66/02 - Beschluss vom 9. April 2002 (LG Dortmund)

Ausbeuterische und dirigierende Zuhälterei; Überwachen bei der Ausübung der Prostitution; Bestimmen anderer Umstände der Prostitution; Entziehung der Fahrerlaubnis (Zusammenhang; Angemessenheit der Sperrfrist).

§ 181 a Abs. 1 StGB; §§ 69, 69a StGB

1. Der Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) setzt in allen Begehungsweisen eine bestimmende Einflussnahme auf die Prostitutionsausübung voraus; eine bloße Unterstützung reicht nicht aus. Das Verhalten muss vielmehr geeignet sein, die Prostituierte in Abhängigkeit vom Täter zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltigerer Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen (BGH StV 2000, 357, 361; BGHR StGB § 181 a Abs. 1 Nr. 2 Dirigieren 2).

2. Das Merkmal des Überwachens setzt voraus, dass der Angeklagte kontrollierte, wie und was die Geschädigte verdiente (vgl. BGH NStZ 1982, 379; 1986, 358 f.). Die Überwachung muss im Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung stehen.

3. Die dritte Alternative des § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst nur Vorkehrungen, die das Opfer in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen geeignet und darauf gerichtet sind, ihm den Weg aus der Prostitution zu verbauen. Es kann offen bleiben, ob eine fehlende Absicht der Geschädigten, aus der Prostitution auszusteigen schon für sich der Annahme dieser Tatbestandsalternative entgegensteht. Voraussetzung wäre jedenfalls, dass die Geschädigte sich vom Angeklagten gerade in der Prostitution durch Zwang oder Drohung festgehalten fühlte (vgl. BGH NStZ 1994, 32). Dass die Geschädigte sich von dem Angeklagten trennen wollte, genügt jedenfalls nicht.

4. Ein Bestimmen anderer Umstände der Prostitutionsausübung ist noch nicht darin zu erblicken ist, dass die Geschädigte dem Angeklagten die Gelder nicht freiwillig gegeben hat.

5. Der Begriff der Ausbeutung verlangt ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle, das zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten führt (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 180 a Abs. 2 Nr. 2 Ausbeuten 1 und StGB § 181 a Abs. 1 Nr. 1 Ausbeuten 3). Die Beantwortung der Frage, ob eine spürbare Verschlechterung der Vermögenslage in diesem Sinne vorliegt, setzt grundsätzlich Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und Abgaben der Prostituierten voraus (vgl. BGH NStZ 1989, 67 f.). Die Rechtsprechung hat dies angenommen, wenn die Abgaben 50 % der Einnahmen ausmachen (vgl. BGH NStZ 1989, 67 f.; 1999, 350, 351).

6. Die zweite Alternative des § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB scheidet nicht notwendigerweise deshalb aus, weil sich die Geschädigte dem Angeklagten im wesentlichen freiwillig unterworfen hat (vgl. BGH NJW 1987, 3209, 3210).

7. Voraussetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist, dass der Täter die Tat "bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat" (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Nach der Rechtsprechung besteht ein solcher Zusammenhang nicht schon dann, wenn der Täter mit seinem Fahrzeug zum Tatort fährt, sofern dadurch nicht die tatbestandliche Handlung selbst gefördert wird (BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 8). Ob durch die Belassung der Fahrerlaubnis Gefahren für die Allgemeinheit erwachsen würden, denen durch die Entziehung der Fahrerlaubnis zu begegnen ist, bedarf einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls.

8. Maßstab für die Bemessung der Dauer der Sperrfrist nach § 69 a ist allein die voraussichtliche Dauer der Ungeeignetheit des Täters zum Führen eines Kraftfahrzeugs, nicht dagegen, ob die Sperrfrist mit Blick auf die Tatschuld angemessen ist (st. Rspr. BGHR StGB § 69 a Abs. 1 Dauer 1 f).


Entscheidung

BGH 2 StR 531/01 - Urteil vom 17. April 2002 (LG Mühlhausen)

Untreue; Vermögensschaden (pflichtwidrige Verfügung über Haushaltsmittel; Maßgeblichkeit der einzelnen Verfügung; vage Chance kein ausgleichender Vermögensvorteil).

§ 266 StGB

1. Bei der Beurteilung pflichtwidriger Verfügungen über Haushaltsmittel ist nicht auf das Gesamtergebnis einer Wirtschaftsperiode oder eine "letzten Endes" erreichbare Saldierung möglicher Vor- und Nachteile für das zu betreuende Vermögen abzustellen, sondern auf die einzelne Untreuehandlung (vgl. BGHSt 40, 287, 298; 43, 293, 296 f.; BGH NStZ 2001, 248, 251); es kommt für die Feststellung eines Vermögensschadens daher darauf an, ob zum Zeitpunkt des Eintritts des Vermögensnachteils dem Treugeber zugleich ein ausgleichender vermögenswerter Vorteil zufließt (BGH NStZ 1997, 543). Ein solcher Ausgleich kann bei pflichtwidrigen Entgeltleistungen an Dritte insbesondere in der Gleichwertigkeit der erlangten Gegenleistung liegen (vgl. BGHSt 40, 293, 298).

2. Hat der Verzicht auf einen möglichen Anspruch zum Zeitpunkt der schädigenden Vermögensverfügung keinen auch nur annähernd konkretisierbaren Vermögenswert ist eher zur Saldierung nicht geeignet. Eine allenfalls vage Chance zukünftiger Vermögensmehrung stellt keinen den Nachteil unmittelbar ausgleichenden Vorteil dar (vgl. BGHSt 17, 147, 148; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 38).


Entscheidung

BGH 2 StR 133/02 - Beschluss vom 3. Mai 2002 (LG Kassel)

Schwerer räuberischer Diebstahl (Tenorierung); (fahrlässige) Körperverletzung (Tenorierung).

§ 252 StGB; § 250 StGB; § 223 StGB; § 229 StGB.

1. Bei der Körperverletzung ist nur die fahrlässige Begehungsform im Tenor zu erwähnen.

2. Über §§ 252, 250 StGB ist die Begehung eines schweren räuberischen Diebstahls möglich; sie wird im Urteilstenor ausgesprochen (BGH StV 1985, 13 ff).


Entscheidung

BGH 1 StR 95/02 - Beschluss vom 23. April 2002 (LG München II)

Konkurrenzen (Bedrohung; Nötigung; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung); Gesetzeseinheit (Konsumtion).

§ 241 StGB; § 177 StGB; § 240 StGB

1. Der Tatbestand der Bedrohung tritt hinter der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung zurück, wenn das Opfer zur Durchführung der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung mit dem Tode bedroht wird. Die Drohung ist hier Mittel der sexuellen Nötigung. Gleiches gilt für das Verhältnis von Nötigung zu sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 12).

2. Anders könnte es sich für die vorliegende Fallgestaltung nur dann verhalten, wenn die Nötigung und auch die Bedrohung einem anderen Zweck als dem der Erzwingung sexueller Handlungen gedient hätte, wenn der Täter also damit ein weiteres, von § 177 StGB nicht erfasstes Ziel verfolgt hätte.


Entscheidung

BGH 5 StR 5/02 - Beschluss vom 9. April 2002 (LG Hamburg)

Heimtückemord (Bewusstsein; Arglosigkeit: drohende ernsthafte Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit); Totschlag.

§ 212 StGB; § 211 StGB

Müssen die Opfer über eine offene Feindschaft hinaus in der konkreten Tatsituation ersichtlich auch mit ernsthaften Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit rechnen, so beseitigt dies ihre Arglosigkeit (vgl. BGHSt 33, 363; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27).


Entscheidung

BGH 5 StR 149/02 - Beschluss vom 22. April 2002 (LG Braunschweig)

Strafrahmenwahl bei Vergewaltigung; minder schweren Fall (Prüfungspflicht bei außergewöhnlichen Milderungsgründen; vorangegangene einvernehmliche sexuelle Stimulation).

§ 177 Abs. 5 1. Halbsatz StGB; § 177 Abs. 2 StGB; § 46 StGB

In außergewöhnlichen Umfang schuldmindernde Umstände, die es als möglich erscheinen lassen, die Tat - über die Beseitigung der Regelwirkung hinaus - als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 1. Halbsatz StGB zu beurteilen (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 5 i.d.F. des 6. StrRG Strafrahmenwahl 1, 2, 3; StGB § 177 Abs. 2 i.d.F. des 6. StrRG Strafrahmenwahl 13) erfordern eine Prüfung des minder schweren Falles. Eine solche Prüfung hätte sich auf im Hinblick auf vorangegangenen Vertraulichkeiten und zunächst einvernehmliche sexuelle Stimulationen auf. Solche Umstände sind als bedeutende Milderungsgründe zu werten (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 9).