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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 488/01, Urteil v. 07.03.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 488/01 - Urteil vom 7. März 2002 (LG Düsseldorf)

Sicherungsverwahrung (Prüfungspflicht; Begründungspflicht bei einem Absehen trotz Vorliegens der Voraussetzungen); Ermessensentscheidung

§ 66 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Tatrichter ist jedenfalls zur Begründung seiner Entscheidung verpflichtet, wenn er die Sicherungsverwahrung nicht anordnet, obwohl die formellen Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind und die Feststellungen zu der Annahme drängen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Stellt der Tatrichter die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung der Sicherungsverwahrung fest, so hat er nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Auch wenn seine Ermessensentscheidung der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Umfang zugänglich ist, so müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2, 4, 5; BGH NStZ 1996, 331).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 2. Juli 2001 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Sachbeschwerde gestützten, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Urteil hat hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung keinen Bestand. Das Landgericht hat nicht erkennbar geprüft, ob gegen den Angeklagten gemäß § 66 Abs. 2 StGB die genannte Maßregel angeordnet werden kann. Das begründet einen sachlich-rechtlichen Mangel.

Der Tatrichter ist jedenfalls dann zur Begründung seiner Entscheidung verpflichtet, wenn er die Sicherungsverwahrung nicht anordnet, obwohl die formellen Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind und die Feststellungen zu der Annahme drängen, daß der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Stellt der Tatrichter die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung der Sicherungsverwahrung fest, so hat er nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Auch wenn seine Ermessensentscheidung der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Umfang zugänglich ist, so müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2, 4, 5; BGH NStZ 1996, 331; NStZ-RR 1996, 196).

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht:

Die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen durch die drei abgeurteilten Taten. (jeweils Einzelstrafen von vier Jahren und sechs Monaten) vor. Die Feststellungen legen die Annahme nahe, daß die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das Landgericht führt selbst aus, daß der Angeklagte, der seit Mitte 1988 seinen Lebensunterhalt durch die Begehung von Straftaten bestritt, im Oktober 1989 u.a. wegen schweren Raubes in zehn Fällen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Er wurde im Juni 1998 bedingt aus der Strafhaft entlassen. Schon während der Strafhaft war er erneut wegen Diebstahls straffällig. Die Taten, die Gegenstand dieses Verfahrens sind - drei Banküberfälle, bei denen der Angeklagte jeweils eine Gaspistole eingesetzt hatte -, beging der Angeklagte während der laufenden Bewährungszeit in rascher Folge zwischen August und Oktober 2000. Bei dem Angeklagten handelt es sich nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts um eine haltschwache und ichbezogene Persönlichkeit, die zur Reizbarkeit und aggressivem sowie rücksichtslosem Vorgehen gegenüber anderen neigt. Zudem betrieb er zeitweilig Alkohol- und Drogen- bzw. Medikamentenmißbrauch (UA S. 4 bis 6, 22).

Ob der Angeklagte infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich und ob deswegen die Sicherungsverwahrung anzuordnen ist, wird der neue Tatrichter nach Ausübung pflichtgemäßem Ermessens mit sachverständiger Beratung (§ 246 a StPO) zu entscheiden haben.

II.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Der Senat kann hier nicht ausschließen, daß das Landgericht auf andere Strafen erkannt hätte, hätte es auch die Sicherungsverwahrung angeordnet.

Bearbeiter: Karsten Gaede