HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2002
3. Jahrgang
PDF-Download

IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 5 StR 540/01 - Beschluss vom 23. Januar 2002 (LG Paderborn)

BGHR; Steuerhinterziehung; Unzumutbarkeit; Nemo-tenetur-Grundsatz; Suspendierung der Pflicht zur Abgabe von Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für einen bestimmten Veranlagungszeitraum bei Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens für diesen Zeitraum; Zwangsmittelverbot; unmittelbares Ansetzen (Versuch bei der Steuerhinterziehung; Beginn); Unterlassen; Beendigung

§ 370 Abs. 1 Nr. 2, § 393 Abs. 1 AO; § 397 Abs. 3 AO; § 55 StGB; § 22 StGB

1. Die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe von Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für einen bestimmten Veranlagungszeitraum wird suspendiert, wenn dem Steuerpflichtigen für diesen Zeitraum die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben wird (im Anschluss an BGHSt 47, 8). (BGHR)

2. Wenn für frühere Veranlagungszeiträume ein Steuerstrafverfahren eingeleitet sein sollte, läßt dies die Erklärungspflicht allerdings unberührt. Auch soweit sich das steuerliche Fehlverhalten hinsichtlich der einzelnen Veranlagungszeiträume praktisch gleicht, gilt nichts anderes. Das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 AO erlaubt nicht die Begehung neuen Unrechts. Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens für die Vorjahre nicht zum Anlass nehmen darf, für einen späteren Veranlagungszeitraum keine oder gar unrichtige Angaben zu machen (BGHSt 47, 8, 15). Die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflicht mag dabei mittelbar Auswirkungen auf das Steuerstrafverfahren haben, weil die Aufdeckung bislang verheimlichter Einkunftsquellen zu Ermittlungen der Finanzbehörden auch im Hinblick auf die Vorjahre Anlass geben könnte. Selbst wenn die Gefahr zu entsprechenden Rückschlüssen auf die Vorjahre bestehen sollte, könnte dies nicht ein neuerliches Fehlverhalten im Hinblick auf zukünftige Veranlagungszeiträume rechtfertigen (BGH, Beschl. vom 10. Januar 2002 - 5 StR 452/01). (Bearbeiter)

4. Der Versuch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, der durch Unterlassen begangen wird, beginnt mit dem Zeitpunkt, bis zu dem die Erklärung spätestens zu erfolgen hat. Soweit es nicht vorher zu einer Vollendung der Taten kommt, endet die Strafbarkeit wegen Unterlassens erst dann, wenn der rechtswidrige Zustand wieder aufgehoben wird. Insoweit gelten die Grundsätze, die für die Beendigung bei Dauerdelikten entwickelt worden sind. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 452/01 - Beschluss vom 10. Januar 2002 (LG Hamburg)

BGHR; Steuerhinterziehung (Anhängigkeit eines Steuerstrafverfahrens; nemo tenetur se ipsum accusare; Selbstbelastungsfreiheit; keine Rechtfertigung neuen Unrechts, hier der Nichtabgabe zutreffender oder der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen); Unzumutbarkeit; Schuldprinzip; Verwertungsverbot bei pflichtgemäßen Angaben; Zusammenveranlagung; Ehegatten-Splitting; Kompensationsverbot

§ 370; § 393 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO; § 337 StPO; § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG; § 32a EStG

1. Ist gegen einen Steuerpflichtigen wegen der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen ein Steuerstrafverfahren anhängig, rechtfertigt das in § 393 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot ("nemo tenetur se ipsum accusare") für nachfolgende Besteuerungszeiträume weder die Nichtabgabe zutreffender noch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (im Anschluss an BGHSt 47, 8). (BGHR)

2. Inhaltlich findet das Zwangsmittelverbot dort seine Grenze, wo es nicht mehr um ein bereits begangenes steuerliches Fehlverhalten geht, für das ein Steuerstrafverfahren bereits eingeleitet ist. Selbst wenn die Abgabe zutreffender Steuererklärungen für nachfolgende Besteuerungszeiträume mittelbare Auswirkungen auf das laufende Steuerstrafverfahren haben sollte, könnte das ihre Unterlassung nicht rechtfertigen, weil andernfalls neues Unrecht geschaffen und dem Täter zudem gegenüber anderen Steuerpflichtigen eine ungerechtfertigte Besserstellung eingeräumt würde. Die Rechtsordnung kennt kein ausnahmsloses Gebot dahingehend, dass niemand zu Auskünften gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm begangene strafbare Handlung offenbaren muss (BVerfGE 56, 37, 42). (Bearbeiter)

3. Eine Ausnahme ist nur anzuerkennen, wenn hinsichtlich derselben Steuer und desselben Besteuerungszeitraums, für den bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weitere Erklärungspflichten bestehen, wie dies z. B. bei Umsatzsteuerhinterziehung der Fall sein kann. In einem solchen Fall muss bei der gebotenen Abwägung das gesetzlich mit Steuererklärungspflichten gesicherte Informationsinteresse des Staates gegenüber dem Interesse des Steuerpflichtigen, sich nicht selbst belasten zu müssen, zurücktreten. Für weitere als die von dem Ermittlungsverfahren erfassten Steuern gilt dies nicht, weil sonst neues Unrecht geschaffen würde, zu dem das Recht auf Selbstschutz nicht berechtigt (vgl. BGHSt 47, 8, 15). (Bearbeiter)

4. Die Frage, ob steuerliche Erklärungspflichten, die lediglich mittelbar zu einer Selbstbelastung des Steuerpflichtigen in einem Steuerstrafverfahren führen, ein strafrechtliches Verwertungsverbot auslösen, kann sich nur dann stellen, wenn neue (zutreffende) Angaben des Steuerpflichtigen in Steuererklärungen zu seiner Überführung hinsichtlich früherer Taten verwertet werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 443/01 - Beschluss vom 6. Februar 2002 (LG Aachen)

Steuerhinterziehung; Verkürzung auf Zeit (monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen; gebotene Einstellung gemäß § 154 StPO); gesonderte Festsetzung der Geldstrafe (Begründung der Nichtanwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB)

§ 370 AO; § 18 Abs. 1 UStG; § 154 StPO; § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führen unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich zu einer Verkürzung der Steuer auf Zeit. Eine endgültige Verkürzung auf Dauer wird erst durch die Abgabe einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) bewirkt. Gleiches gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige nach der Abgabe unrichtiger monatlicher Voranmeldungen keine Jahreserklärung mehr abgibt (BGH wistra 1997, 262, 263; 1996, 105). Dies macht es regelmäßig erforderlich, nach einer angenommenen Verkürzung der Umsatzsteuer auf Dauer auf die Jahreserklärung als Tathandlung abzustellen und sinnvollerweise die lediglich eine Verkürzung auf Zeit bewirkenden Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 154 StPO auszuscheiden.

2. Die Nichtanwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bedarf insbesondere dann einer ausdrücklichen Erörterung, wenn bei der gesonderten Festsetzung einer Geldstrafe die zeitige Freiheitsstrafe noch zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können (BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 4, 6 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 4 StR 93/01 - Beschluss vom 4. Dezember 2001 (KG)

BGHSt; BGHR; Konkurrenzverhältnis zwischen bundesrechtlichen und landesrechtlichen Ordnungswidrigkeitstatbeständen (verfassungskonforme Auslegung der Landesstraßengesetze; konkurrierende Gesetzgebungskompetenz; Gebot der Widerspruchsfreiheit); Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht; Sondernutzung; Widmung

§§ 32, 33 StVO; § 11 Abs. 1 Berliner Straßengesetz; Art. 31, 72, 74 Nr. 22 GG

1. Bei einer Zuwiderhandlung gegen die §§ 32 und 33 der Straßenverkehrsordnung ist die gleichzeitige Anwendung landesrechtlicher Bestimmungen, nach denen die ungenehmigte Sondernutzung einer Straße verboten ist und als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, nicht ausgeschlossen. (BGHSt)

2. Vorgänge, die ein Parken im Sinne des § 12 StVO darstellen, können straßenrechtlich nicht als Sondernutzung eingestuft werden. Daher wird das Abstellen eines zugelassenen und betriebsbereiten Fahrzeugs - sei es auch für einen längeren Zeitraum und mit einem Verkaufsschild versehen - in aller Regel vom Gemeingebrauch gedeckt sein. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 358/01 - Urteil vom 19. Dezember 2001 (LG Mühlhausen)

BGHSt; Einfuhr von Dinaren als Embargoverstoß (Begriffe Erzeugnis und Rohstoff; Einfuhrverbot); Gemeinschaftsrecht und Strafrecht; Ausfüllung einer Blankettvorschrift durch EG-Verordnungen; Auslegungsprinzipien bei Fehlen einer Legaldefinition

§ 34 Abs. 4 AußenwirtschaftsG; Art. 1 Nr. 1 EG-Verordnung Nr. 2465/96 vom 17. Dezember 1996

Die Einfuhr echter irakischer Dinare in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland kann ein nach § 34 Abs. 4 AWG strafbarer Embargoverstoß sein. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 3 StR 295/01 - Beschluss vom 20. Dezember 2001 (LG Düsseldorf)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; Mittäterschaft und Beihilfe (Kurier); Verletzung der Öffentlichkeit (Ausschluss bei Fragen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung hätten erörtert werden können); Beweiswürdigung (Aussage gegen Aussage; Glaubwürdigkeit des Mitangeklagten); Tateinheitlicher Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Subsidiarität gegenüber täterschaftlichem Handeltreiben)

§ 25 StGB; § 27 StGB; § 169 GVG; § 261 StPO; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

1. Terminsankündigungen unterfallen nicht dem Schutz des § 169 GVG. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung gebietet nicht, daß jedermann weiß, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält. Es genügt vielmehr, daß jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, und daß der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten eröffnet ist (BGH NStZ 1982, 476, 477).

2. Auch die Tätigkeit eines Kuriers, der selbständig gegen Entlohnung Betäubungsmittel transportiert, ohne selbst Käufer oder Verkäufer zu sein, kann mittäterschaftliches Handeltreiben sein, sofern dessen Rolle nicht ganz untergeordnet ist (BGHR § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG Handeltreiben 36). Ob der Kurier Mittäter oder nur Gehilfe war, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung aller von seiner Vorstellung umfassten Umstände zu entscheiden. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so daß die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen (st. Rspr.; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 54).

3. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1 und 14; BGH StV 2000, 599).

4. Eine Bestrafung wegen tateinheitlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist nur dann gegenüber dem Handeltreiben subsidiär, wenn dieses in Täterschaft begangen wird (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36 und 47).