HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2002
3. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 441/01 - Urteil vom 12. Dezember 2001 (LG Ravensburg)

Vereidigungsverbot (Tatbeteiligung); Strafvereitelung (Verteidiger; fehlender Vorsatz); fehlgeschlagener Versuch (Freiwilligkeit); Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen

§ 61 StPO; § 258 StGB; § 15 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB; § 30 Abs. 1 StGB; § 31 Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Abzugrenzen von den Fällen des unbeendeten und beendeten Versuchs, in denen strafbefreiender Rücktritt möglich ist, sind die Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs. In diesen ist entweder der Erfolgseintritt - für den Täter erkanntermaßen - objektiv nicht mehr möglich, oder der Täter hält ihn nicht mehr für möglich. Beim fehlgeschlagenen Versuch ist der Rücktritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeschlossen (vgl. nur BGHSt 39, 222, 228 m.w.Nachw.; BGHR StGB § 31 Abs. 1 Freiwilligkeit 3). Ein solcher Fall des fehlgeschlagenen Versuchs liegt allerdings dann nicht vor, wenn der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs - hier der Anstiftung - sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat (Anstiftung) doch noch vollenden (BGH aaO; siehe auch BGHSt 34, 53, 56; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, fehlgeschlagener 1).

2. Bei der Prüfung, ob dem Angeklagten nach seiner Vorstellung noch andere erfolgversprechende einsatzbereite Mittel zur Verfügung standen, haben die denkbaren Möglichkeiten einer eigenhändigen Begehung der Tat sowie die Bestimmung dritter Personen von vornherein außer Betracht zu bleiben: dies wäre eine andere Tat. Es kommt bei einem Anstiftungsversuch nach § 30 Abs. 1 StGB, allein auf die in Rede stehende Anstiftungshandlung an.


Entscheidung

BGH 4 StR 482/01 - Urteil vom 17. Januar 2001 (LG Saarbrücken)

Mord; niedrige Beweggründe; spezielle Schuldmerkmale; besondere persönliche Merkmale; Mittäterschaft (Interesse; Wertung; Beurteilungsspielraum in Grenzfällen); Beihilfe

§ 28 Abs. 1 StGB; § 211 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB

1. Niedrige Beweggründe sind ebenso wie die Verdeckungsabsicht täterbezogene Merkmale, welche die Strafbarkeit begründen (vgl. BGHSt 22, 375, 378; BGH StV 1984, 69).

2. Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, daß sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (vgl. BGHSt 37, 289, 291). In Grenzfällen ist dem Tatrichter für die ihm obliegende Wertung ein Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, daß der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (BGH StV 1998, 540; NJW 1997, 3385, 3387).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 4 StR 499/01 - Beschluss vom 15. Januar 2002 (LG Karlsruhe)

BGHSt 46, 321 ff.; BGHR; Mitgliedschaft in einer Bande auch des Teilnehmers; Bandenabrede; Bandendiebstahl; Ausführungsgefahr; Verabredung eines Verbrechens; Verhältnis von Mittäterschaft und Bande als Rechtsinstitute (Rechtsbegriffe)

§§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 244 a Abs. 1; § 30 Abs. 2 StGB

1. Mitglied einer Bande kann auch derjenige sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen (im Anschluss an BGHSt - GS - 46, 321). (BGHSt)

2. Für eine Bande ist der Zusammenschluss von mindestens drei Personen erforderlich, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten der im Gesetz genannten Art zu begehen (BGH GS NJW 2001, 2266, zum Abdruck in BGHSt 46, 321 bestimmt). (Bearbeiter)

3. Mitgliedschaft in der Bande einerseits und bandenmäßige Begehung andererseits sind begrifflich voneinander zu trennen. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist keine intensivere Form der Mittäterschaft; sie ist ihr gegenüber vielmehr ein aliud. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung, der sogenannten Bandenabrede. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 450/01 - Beschluss vom 17. Januar 2002 (LG Krefeld)

Bandenmitgliedschaft des Teilnehmers; Gesamtbetrachtung; Bandenmitglied

§ 244 StGB; Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK

Mitglied einer Bande kann auch ein Teilnehmer sein (vgl. BGHSt - GSSt - 46, 321). Auch beim Bandendiebstahl gelten die allgemeinen Teilnahme- und Zurechnungsregeln.


Entscheidung

BGH 1 StR 8/02 - Beschluss vom 7. Februar 2002 (LG Kempten)

Unterschlagung; Subsidiaritätsklausel (formelle; keine einschränkende Auslegung; Wortlautgrenze); Konkurrenzen

§ 246 StGB; § 52 StGB

Die Unterschlagung tritt nicht nur hinter anderen Zueignungsdelikten, sondern etwa auch hinter einem Tötungsdelikt zurück.


Entscheidung

BGH 2 StR 260/01 - Beschluss vom 21. November 2001 (LG Kassel)

BGHSt; Computerbetrug (kein unbefugtes Verwenden von Daten bei missbräuchlicher Verwendung einer Scheckkarte als Codekarte zur Abhebung an Geldautomaten durch den berechtigten Karteninhaber; Betrugsäquivalenz); Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten; Scheckkarte (Garantiefunktion; Einschränkung bei Zwei-Personenverhältnis); Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Zahlungsverkehrs; vollendeter Betrug; Tateinheit (Verklammerung); Tatmehrheit

§ 263 a Abs. 1 3. Alt. StGB; § 266 b StGB; § 263 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Der berechtigte Inhaber einer Scheckkarte, der unter Verwendung der Karte und der PIN-Nummer an einem Geldautomaten Bargeld abhebt, ohne zum Ausgleich des erlangten Betrages willens oder in der Lage zu sein, macht sich nicht nach § 263 a StGB strafbar. (BGHSt)

2. § 266 b StGB erfaßt auch die missbräuchliche Verwendung einer Scheckkarte als Codekarte zur Abhebung an Geldautomaten durch den berechtigten Karteninhaber; dies gilt jedoch nicht bei Abhebungen an Automaten des Kreditinstituts, das die Karte selbst ausgegeben hat. (BGHSt)

3. Von § 263 a Abs. 1 3. Alt. StGB erfaßt werden Abhebungen an einem Geldautomaten durch einen Nichtberechtigten, der eine gefälschte, manipulierte oder mittels verbotener Eigenmacht erlangte Karte verwendet (vgl. BGHSt 38, 120, 121). Berechtigter Karteninhaber ist aber auch derjenige, der die Überlassung der Karte unter Täuschung über seine Identität vom Kartenaussteller erlangt hat (BGHR StGB § 266 b Abs. 1 Konkurrenzen 2). (Bearbeiter)

4. Bei der Auslegung des Merkmals der "unbefugten" Datenverwendung ist nach der gesetzgeberischen Intention eine betrugsnahe oder betrugsspezifische Auslegung geboten (so schon BGHSt 38, 120 f.). Danach ist nur eine solche Verwendung von Daten "unbefugt", die täuschungsäquivalent ist. (Bearbeiter)

5. § 266 b StGB stellt ein auf den berechtigten Karteninhaber beschränktes Sonderdelikt dar, das die vertragswidrige Bargeldbeschaffung mit einer gegenüber §§ 263, 263 a StGB geringeren Strafe bedroht. § 266 b StGB geht daher auch als lex specialis dem nach der bisherigen Rechtsprechung beim Einsatz einer ec-card als Scheckkarte im eigentlichen Sinne verwirklichten § 263 StGB (vgl. BGHSt 24, 386, 388) vor (BGH NStZ 1987, 120). (Bearbeiter)

6. Der Tatbestand des § 266 b StGB setzt ein Drei-Partner-System voraus, in dem der Aussteller der Karte dem Dritten, dessen Leistungen der Inhaber der Karte in Anspruch nimmt, Erfüllung (jedenfalls im weiteren Sinne) garantiert (BGHSt 38, 281, 282 ff.). Die Karte wird insoweit nicht in ihrer Garantiefunktion (auch nicht im weiteren Sinne) verwendet. (Bearbeiter)

7. Hat der Täter an einem Geldautomaten eines dritten Kreditinstituts Geld abgehoben und sich nach § 266 b StGB strafbar gemacht hat, bestünde zwischen einem Betrug bei der Erlangung der Scheckkarte und dem Missbrauch der Karte durch deren Einsatz Tateinheit (vgl. BGHR StGB § 266 b Abs. 1 Konkurrenzen 2). Ein Zurücktreten des § 266 b StGB als mitbestrafte Nachtat scheidet bei dieser Fallgestaltung aus, da § 266 b StGB über das Vermögen hinaus auch die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt (BGH wistra 1993, 183, 184). Die gegebenenfalls mehrfachen Vergehen des § 266 b StGB durch den Einsatz der Karte werden durch die jeweils vorliegende Tateinheit mit der bei der Erlangung der Karte begangenen Betrugstat ebenfalls zur Tateinheit verklammert. (Bearbeiter)

8. Es kann offen bleiben, ob ein Betrug schon durch die Einräumung eines Überziehungskredits vollendet sein kann (ablehnend BGH StV 1989, 199 f. zur Kundenkarte; offengelassen BGHSt 15, 24, 26). Mit der Aushändigung der Schecks und der ec-card an die zahlungsunwillige Angeklagte liegt ein vollendeter Betrug vor, da dadurch eine konkrete Vermögensgefährdung eingetreten ist (BGHSt 33, 244, 246; BGHR StGB § 266 b Abs. 1 Konkurrenzen 2), der durch eine spätere Auszahlung des Geldes lediglich vertieft werden kann. (Bearbeiter)

9. Setzt der Angeklagte die ec-Karte missbräuchlich im Lastschriftverfahren (POZ-System) ein, kann beim unmittelbaren Geschäftspartner wegen der im Ergebnis erfolglosen Einzugsermächtigung ein tatmehrheitlicher Betrug zum Nachteil des Geschäftspartners vorliegen. Der Schaden ist in diesen Fällen nicht bei der kartenausgebenden Bank, sondern bei dem jeweiligen Geschäftspartner, also einem Dritten eingetreten, so daß eine rechtlich selbständige Tat mit gesondert strafwürdigem Unrecht vorliegt. (Bearbeiter)