HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2002
3. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 4 StR 530/01 - Beschluss vom 20. Dezember 2001 (LG Dortmund)

Heimtücke (Ausnutzungsbewusstsein trotz verminderter Schuldfähigkeit); Mord; Strafzumessung (Wertungsfehler: unterlassener Rücktritt; Verhältnis von verminderter Schuldfähigkeit und besonderer Schwere der Tat; straferschwerende Berücksichtigung der objektiven Umstände der Tat)

§ 211 StGB; § 21 StGB; § 46 StGB; § 24 StGB

1. Ein zur Tatzeit bestehender psychischer Ausnahmezustand, der die Anwendung des § 21 StGB durch das Tatgericht trägt, steht der Annahme nicht entgegen, daß der Angeklagte die für die Heimtücke maßgeblichen Gesichtspunkte nicht nur in ihrem äußeren Gehalt erfaßt, sondern auch in sein Bewusstsein aufgenommen hat (Ausnutzungsbewusstsein vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 m.w.Nachw.).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es widersprüchlich, dem als vermindert schuldfähigen angesehenen Angeklagten die objektiven Umstände der Tatbegehung uneingeschränkt ohne nähere Erörterung straferschwerend zu werten (BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 f.).

3. Der Senat läßt dahingestellt sein, ob es einen zulässigen Strafschärfungsgrund darstellt, "daß zwischen, dem Anlas und dem weiteren Tatverhalten ein krasses Missverhältnis bestand".


Entscheidung

BGH 2 ARs 350/01 - Beschluss vom 12. Dezember 2001 (LG Koblenz)

Zuständigkeitsbestimmung (Bewährungswiderruf; Befasstsein)

§ 14 StPO; § 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO

Das Befaßtsein endet, wenn die Strafvollstreckungskammer über die Frage, mit der sie befaßt war, abschließend entschieden hat oder sich die Sache auf andere Weise erledigt (vgl. BGHSt 26, 165).


Entscheidung

BGH 5 StR 391/01 - Urteil vom 23. Januar 2002 (LG Berlin)

Mord (Grausamkeit; niedrige Beweggründe); Schuldfähigkeit (Ganzheitsbetrachtung; andere schwere seelische Abartigkeit)

§ 211 StGB; § 20 StGB

Unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Ganzheitsbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 4) ist bei Anhaltspunkten für einen Ausschluss der Schuldfähigkeit zu erörtern, ob eine schwere seelische Abartigkeit vorliegt.


Entscheidung

BGH 2 StR 513/01 - Beschluss vom 20. Dezember 2001 (LG Aachen)

Anordnung von Sicherungsverwahrung auch auf Grund von Taten, die als Jugendlicher / Heranwachsender begangen worden sind

§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB; §§ 7, 106 Abs. 2 JGG

Der Berücksichtigung einer als Jugendlicher (Heranwachsender) begangener Straftat nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB steht nicht entgegen, dass gegen Jugendliche und Heranwachsende (§§ 7, 106 Abs. 2 JGG) Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden darf. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß Jugendgerichte auch gegen Erwachsene wegen Straftaten, die sowohl im Jugendlichen oder Heranwachsendenalter als auch im Erwachsenenalter begangen wurden, auf Sicherungsverwahrung erkennen dürfen (BGHSt 25, 44, 51). Es reicht aus, daß der Täter wenigstens eine der Symptomtaten als Erwachsener begangen hat.


Entscheidung

BGH 5 StR 556/01 - Beschluss vom 9. Januar 2002 (LG Chemnitz)

Andere seelische Abartigkeit; verminderte Schuldfähigkeit (verminderte Einsichtsfähigkeit nur bei tatsächlich verminderter Unrechtseinsicht); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Gefährlichkeitsprognose

§§ 20, 21 StGB; § 63 StGB

1. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn dem Angeklagten auch tatsächlich die Unrechtseinsicht fehlt (BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6). Der Täter, der trotz generell gegebener verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist voll schuldfähig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25 ff.). Fehlt dem Täter dagegen die Unrechtseinsicht und kann ihm ihr Fehlen auch nicht vorgeworfen werden, dann hat er ohne Schuld (§ 20 StGB) gehandelt mit der Folge, daß eine Bestrafung ausscheiden würde (vgl. BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2, 3).

2. Die Anwendung der §§ 20, 21 StGB kann nach der Rechtsprechung nicht zugleich auf die Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (BGHSt 40, 341, 349; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 5 und Schuldunfähigkeit 1).


Entscheidung

BGH 3 StR 477/01 - Beschluss vom 17. Januar 2002 (LG Wuppertal)

Besondere Schwere der Schuld (unberechtigte Einbeziehung eines Vergehens gegen das Ausländergesetz; unberechtigter Aufenthalt im Bundesgebiet)

§ 57a StGB; § 92 AuslG

Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände und der Täterpersönlichkeit, die für die Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld erforderlich ist (vgl. BGHSt 40, 360, 370), ist ein Verstoß gegen das Ausländergesetz (unberechtigter Aufenthalt im Bundesgebiet) ohne jede Bedeutung.


Entscheidung

BGH 4 StR 450/01 - Beschluss vom 20. Dezember 2001 (LG Saarbrücken)

Fehlerhafte Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Zustand (Feststellungen; Darlegung; Klassifizierung nach ICD-10); Gefährlichkeitsprognose (zureichend konkrete Feststellungen; geringe Bedeutung von Gelegenheits- oder Konfliktstaten; Taten gegen Angehörige des Pflegepersonals und Mitpatienten im Rahmen von Unterbringungen); Erheblichkeit

§ 63 StGB; § 21 StGB; § 20 StGB

1. Die Ausführungen zur Persönlichkeitsstörung eines Angeklagten und zu der das Gutachten des Sachverständigen tragenden fachlichen Begründung müssen so gehalten sein, daß sich zuverlässig beurteilen läßt, ob die festgestellte Störung den Schweregrad erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erreicht (vgl. zum rechtlichen Maßstab der "Schwere" der angenommenen Persönlichkeitsstörung BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401; BGHR StGB § 63 Zustand 14).

2. Die Diagnose einer Störung nach Maßgabe der einschlägigen Klassifikationen psychischer Störungen (ICD-10 Kapitel V - F oder DSM-IV) erlaubt noch keine hinreichenden Rückschlüsse für die rechtliche Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; BGHSt 37 aaO; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 24).

3. Auf die Voraussetzungen des § 63 StGB findet der Zweifelsgrundsatz keine Anwendung (vgl. BGHSt 42, 385, 388).

4. Unzureichende Feststellungen zum Zustand der Angeklagten entziehen auch der Gefährlichkeitsprognose die Grundlage (vgl. BGH NStZ 1997, 335 f.). Die Feststellung hinsichtlich der Anlasstaten muss hinreichend konkret sein.

5. Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen Angehörige des Pflegepersonals und gegen Mitpatienten begangen werden, können nur eingeschränkt Anlas für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein (st. Rspr.; BGH NStZ 1998, 405; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Taten nicht ausschließbar ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden Situation haben.