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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2002
3. Jahrgang
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Nebenklage ist auch im Sicherungsverfahren zulässig (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, BGHSt).
1. Zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation und zur Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Fortführung von BGHSt 38, 214 und von BGHSt 46, 93). (BGHSt)
2. Der Polizeibeamte hat die Pflicht, einen Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu geben, unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht. Auch wer mit der Rechtslage vertraut ist, bedarf unter Umständen wegen der besonderen Situation der Vernehmung im Ermittlungsverfahren des Hinweises nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, um "klare Gedanken" fassen zu können. (Bearbeiter)
3. Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne Belehrung gewußt hat, daß er nicht auszusagen braucht, ist allerdings nicht im gleichen Maße schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht nicht kannte. Daher gilt hier das Verwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung ausnahmsweise nicht. Die wertende Abwägung ergibt, daß dem Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts und der Durchführung des Verfahrens in einem solchen Fall Vorrang gegeben werden kann. Gelangt der Tatrichter, erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises, zu der Auffassung, daß der Beschuldigte sein Recht zu schweigen bei Beginn der Vernehmung gekannt hat, dann darf er den Inhalt der Angaben, die der Beschuldigte ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwerten. Hat der Tatrichter hingegen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel daran, daß der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung das Schweigerecht gekannt hat, und hat das Freibeweisverfahren diese Zweifel nicht beheben können, so ist entsprechend der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Hinweispflicht getroffenen Grundentscheidung davon auszugehen, daß es dem Beschuldigten an dieser Kenntnis gefehlt hat. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot (so BGHSt 38, 214, 224/225). (Bearbeiter)
4. Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für die Belehrung über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers. Der Senat ist der Auffassung, daß die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gegenüber dem Hinweis auf das Schweigerecht des Beschuldigten kein geringeres Gewicht hat; beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern im System der Rechte zum Schutz des Beschuldigten seine verfahrensmäßige Stellung in ihren Grundlagen (Bearbeiter).
5. Der Senat kann offen lassen, ob ein Verwertungsverbot hier von vornherein schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte in diesem Verfahren nach vollständiger Belehrung bereits als Beschuldigter vernommen worden war und der Wortlaut der Belehrungsbestimmungen eine Belehrung "bei Beginn der ersten Vernehmung" vorschreibt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Fürsorgliche Gründe und der Zweck der Belehrung, dem Beschuldigten seine Rechte aktuell ins Bewußtsein zu rufen, sprechen hier wegen des zwischenzeitlich verstrichenen langen Zeitraums allerdings dagegen, die zurückliegende Beschuldigtenbelehrung genügen zu lassen. (Bearbeiter)
6. Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO die Pflicht zur Stellung des Beiordnungsantrages, wenn abzusehen ist, dass die Mitwirkung des Verteidigers notwendig werden wird (BGHSt 46, 93, 98). Bei der Bewertung im Einzelfall ist indessen zu bedenken, daß für die Prognose, ob im gerichtlichen Verfahren die Verteidigung notwendig sein wird, nach dem Wortlaut des Gesetzes die Auffassung der Staatsanwaltschaft maßgeblich ist; ihr kommt also die Einschätzung und ein Beurteilungsspielraum zu, der sich allerdings je nach Lage des Falles auf nur eine pflichtgemäße Entschließung einengen kann. Die Regelung schließt weiter ein, daß die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht zunächst so weit abklären darf, daß sie eine - dem Stande der Ermittlungen gemäße - tragfähige Grundlage für ihre Einschätzung zur späteren Notwendigkeit einer Verteidigung gewinnt. Ihr Beurteilungsspielraum erstreckt sich auf die Bewertung der Verdachtslage sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. (Bearbeiter)
7. Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages besteht jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedarf. (Bearbeiter)
8. Ein ausdrückliches Verwertungsverbot für den Fall eines Verstoßes gegen § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist der Strafprozeßordnung nicht zu entnehmen. Die Entscheidung für oder gegen ein solches Verbot ist deshalb aufgrund einer allgemeinen Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 38, 214, 219 ff; 42, 170, 174). Grundsätzlich ist dabei auch im Auge zu behalten, daß die gesetzgeberische Wertung in der Beweisverbotsvorschrift des § 136a Abs. 3 StPO gravierende Verfahrensverstöße voraussetzt, um ein Verwertungsverbot auszulösen. (Bearbeiter)
1. Ein Dolmetscher muß nach § 185 Abs. 1 GVG grundsätzlich während der ganzen Hauptverhandlung zugegen sein. Ist dies nicht der Fall, greift der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (BGHSt 3, 285).
2. Anders liegt es, wenn sich der Angeklagte auch in der deutschen Sprache verständigen kann; dann ist auch die zeitweilige Abwesenheit des Dolmetschers unschädlich. Ist der Angeklagte der deutschen Sprache nur teilweise mächtig und nach § 185 GVG ein Dolmetscher bestellt, so bleibt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, in welchem Umfang er unter Mitwirkung des Dolmetschers mit den Prozeßbeteiligten verhandeln will. In diesem Falle gehört der Dolmetscher nicht zu den Personen, deren Anwesenheit im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist (BGHSt 3, 285; BGHR StPO § 338 Nr. 5 Dolmetscher 2, 3).
1. Die Anhörung eines Sachverständigen ist ein Beweismittel. Mit einem diesbezüglichen Befangenheitsantrag wird geltend gemacht, der in Rede stehende Sachverständige dürfe nicht als Beweismittel verwendet werden. Dies ist zwar kein Beweisantrag, wohl aber ein Antrag zur Beweisaufnahme, bei dessen Behandlung Grundsätze des Beweisrechts zur Anwendung kommen Daraus folgt, daß eine Verfahrensrüge nicht darauf gestützt werden kann, daß der in der Hauptverhandlung nicht wiederholte Antrag vor der Hauptverhandlung nicht beschieden oder zurückgewiesen wurde.
2. Die Ablehnung des derartigen Antrags könnte allenfalls eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) darstellen (vgl. zu einem vor der Hauptverhandlung gestellten und dort nicht wiederholten Beweisantrag BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufdrängen 1).
3. Die erfolgreiche Rüge der Verletzung von Anwesenheitsrechten der Verteidigung (§ 168c Abs. 2 und 5 StPO) setzt einen sofortigen Widerspruch in der Hauptverhandlung voraus (BGH NJW 1996, 2239, 2241).
1. Für die Frage, ob das Urteil auf einer fehlerhaften Vereidigung beruhen kann, ist entscheidend, ob ein unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften durchgeführtes Verfahren zu demselben Ergebnis geführt haben würde (RGSt 61, 353 f.). Zwar wird sich im Regelfall nicht ausschließen lassen, daß der Tatrichter einem vereidigten Zeugen der Vereidigung wegen eine größere Glaubwürdigkeit beigemessen hat (BGHSt 4, 130, 131), doch können die Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen (BGHR StPO § 60 Nr. 2 Vereidigung 5).
2. Auf eine Verletzung des § 57 StPO kann eine Revision nicht gestützt werden.
1. Zwar können schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte im anhängigen Verfahren zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgibt, verlesen werden, auch wenn er später Angaben verweigert. Dies gilt jedoch nur für schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte selbst abgegeben hat (vgl. BGHSt 39, 305, 306). Hat er sich gegenüber einer anderen Person geäußert und hat diese die Äußerung schriftlich festgehalten, so handelt es sich bei deren Wiedergabe um eine Erklärung dieser Person; diese ist daher über ihre Wahrnehmungen bei der Unterredung mit dem Angeklagten zu vernehmen (§ 250 Satz 1 StPO). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die niederschreibende Person der Verteidiger ist (BGH aaO).
2. Ausnahmen können anzuerkennen sein, wenn der Angeklagte sich des Verteidigers nur "als Schreibhilfe" bedient hat (vgl. hierzu BGHSt 39, 305, 307). Auch kann eine Erklärung des Angeklagten oder des Verteidigers klarstellen, dass der Angeklagte Äußerungen des Verteidigers zum Tatgeschehen als eigene Einlassung verstanden wissen wollte (vgl. BGH NStZ 1990, 447). Der Umstand, dass weder der Angeklagte noch der Verteidiger Einwendungen gegen die Sachverhaltsdarstellung in dem verlesenen Schriftsatz erhoben haben, genügt für eine Ausnahme jedoch nicht.
Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewißheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluß erlauben, daß das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH NJW 1982, 2882, 2883; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7 und 26; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; BGHR StPO § 261 Vermutung 11).
Vor allem wenn Umstände, die gegen die Richtigkeit der die Überzeugung wesentlich stützenden Angaben der Zeugin (Geschädigten) sprechen könnten, jeweils so gedeutet werden, dass sich aus jedem einzelnen von ihnen keine durchgreifenden Bedenken ergeben, so muss in einer späteren Gesamtschau geprüft wird, ob aus einer Häufung der - jede für sich noch erklärbaren - Fragwürdigkeiten nicht doch ernsthafte Zweifel an der Begründetheit des gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurfs erwachsen (vgl. BGHR StPO § 261 Zeuge 3).
1. Die Revision ist unzulässig, weil der Angeklagte wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hat. Ein Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHSt 5, 338, 341; BGH StV 2000, 542). Ausnahmsweise kann jedoch der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten wegen unzulässiger Willensbeeinflussung unwirksam sein. Das wird zum Beispiel angenommen, wenn der Vorsitzende unzuständiger Weise eine Zusage gegeben hat, die nicht eingehalten worden ist, oder wenn aufgrund einer unzulässiger Weise vor Erlaß des Urteils im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache getroffenen Vereinbarung ein Rechtsmittelverzicht erklärt wird (vgl. BGH NStZ 2000, 96). Aus enttäuschten Erwartungen hingegen kann die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts nicht hergeleitet werden (BGH StV 2000, 542).
2. Unterschiedlichen Konsequenzen jeweils möglichen prozessualen Verhaltens begründen gegenüber dem verteidigten Angeklagten allein keine Hinweispflicht des Gerichts.
Ein Geheimnis im Sinne der § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist alles zu begreifen, was der Arzt in dieser seiner Eigenschaft wahrnimmt, gleichgültig ob die Wahrnehmungsmöglichkeit auf einem besonderen Vertrauensakt beruht oder nicht (BGHSt 38, 369, 370). Mit der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO liegt aber einer der wenigen von der Strafprozeßordnung vorgesehenen Ausnahmefälle vor (vgl. §§ 81 ff. StPO), in denen die sonst erforderliche Zustimmung zur Preisgabe der Geheimnisse aufgrund einer gesetzlichen Duldungspflicht ersetzt wird, weil hier das staatliche Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts vorgeht.