HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2002
3. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 428/01 - Urteil vom 4. Dezember 2001 (München I)

Sexueller Missbrauch von Kindern; Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen; Berufsverbot bei Beamten; Strafverfolgungsverjährung; Strafschärfende Berücksichtigung von verjährten Taten und Aufrechterhaltung der Gesamtstrafe; Verhältnismäßigkeitsprinzip (Umfang des Berufsverbotes)

§ 176 StGB; § 70 StGB; § 174 StGB; § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB; § 46 StGB; § 61 StGB; § 54 StGB

1. Die Verhängung eines Berufsverbots wird nicht dadurch gehindert, daß der Angeklagte Beamter ist. Zwar tritt § 70 StGB grundsätzlich hinter der Bestimmung des § 45 StGB über den Verlust der Amtsfähigkeit und den einschlägigen Bestimmungen der Beamtengesetze über den Verlust der Beamtenrechte zurück (BGH NJW 1987, 2686, 2687). Dies gilt jedoch nur hinsichtlich der Beamtenstellung als solcher und muß sich nicht auf berufsfachliche Fähigkeiten erstrecken, aufgrund derer der Beamte tätig geworden ist. Hat ein Beamter bei der Begehung einer rechtswidrigen Tat die Möglichkeiten einer speziellen fachlichen Qualifikation genutzt, von der er auch in nichtamtlicher Eigenschaft in gefährlicher Weise Gebrauch machen könnte, so sind darauf gerichtete Berufsverbote zulässig.

2. Das Berufsverbot darf im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den auf die Gefahrenabwehr zugeschnittenen Charakter der Maßregel nur in dem gegenständlichen Umfang ausgesprochen werden darf, in dem dies erforderlich ist, um die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern (vgl. BGHR StGB § 70 Abs. 1 Umfang, zulässiger 2).


Entscheidung

BGH 5 StR 507/01 - Beschluss vom 29. November 2001 (LG Dessau)

Sicherungsverwahrung; Gesamtwürdigung (Außerachtlassung bedeutsamer Umstände: persönliche Verhältnisse des Angeklagten); Gefährlichkeitsprognose (erheblich zurückliegende Bezugstaten und fortgeschrittenes Alter des Angeklagten; maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose)

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB

1. Bei fortgeschrittenem Alter und schlechtem Gesundheitszustand des Angeklagten bedarf es im Rahmen der für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten nötigen Gesamtbetrachtung näherer Erörterung bedurft, welche Bedeutung den vom Landgericht für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB herangezogenen Bezugstaten für die Gefährlichkeitsprognose noch zukommen, wenn diese bereits viele Jahre zurückliegen.

2. Zwar ist für die Gefährlichkeitsprognose grundsätzlich der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich (vgl. BGHSt 25, 59, 61), so daß die Frage, ob die Gefährlichkeit zum Entlassungszeitpunkt aus der Strafhaft noch vorhanden ist, grundsätzlich einer Überprüfung nach § 67c Abs. 1 StGB vor Ende des Vollzuges vorbehalten bleiben muß. Dennoch ist die Gefährlichkeit bereits bei der Verurteilung zu verneinen, wenn mit Sicherheit angenommen werden kann, daß sie bei Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe nicht mehr bestehen wird (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 6).

3. Die Berücksichtigung einer Sicherungsverwahrung ist bei der Strafbemessung nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1 und § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1 und Hang 3; BGH NJW 1980, 1055, 1056). Die Berücksichtigung der Maßregel darf lediglich nicht zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen (vgl. BGHSt 24, 132).


Entscheidung

BGH 2 StR 410/01 - Urteil vom 5. Dezember 2001 (LG Frankfurt am Main)

Verfall des Wertersatzes; Unbillige Härte (Grenzen der Erörterungspflicht)

§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Eine Erörterung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB durch den Tatrichter ist dann erforderlich, wenn die Gesamtumstände nahelegen, daß die Anordnung des Verfalls für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. Der Umstand, daß der Wert des Erlangten im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist, stellt jedenfalls für sich genommen keine unbillige Härte dar, sondern unterfällt dem Anwendungsbereich des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB. Für das Vorliegen einer unbilligen Härte bedarf es daher zusätzlicher Umstände, die eine Verfallsanordnung als ungerecht und unverhältnismäßig erscheinen lassen.

2. Auch das Fehlen einer ausdrücklichen Ermessensentscheidung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB stellt keinen Rechtsfehler dar; insoweit ist nach Billigkeit zu entscheiden (vgl. BGH NStZ 1995, 495). Eine solche Ermessensentscheidung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere den Gründen, die zu einem etwaigen Wegfall der Bereicherung geführt haben (vgl. BGHSt 33, 37, 40).