Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2002
3. Jahrgang
PDF-Download
1. Art. 36 Abs. 1 lit. b) WÜK enthält nicht nur zwischenstaatliche Bestimmungen, sondern sie kann unter den dort genannten Voraussetzungen auch subjektive Rechte eines einzelnen Staatsangehörigen begründen (vgl. Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 27. Juni 2001 im "La Grand Case" Germany v. United States of America; nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 290, Nr. 77).
2. Es ist zweifelhaft, ob weitere Angeklagten ihre Revision auf einen etwaigen Verstoß gegen das WÜK stützen könnten, da die genannten Bestimmungen nur dem Festgenommenen selbst bestimmte Rechte gewähren (vgl. dazu BGHSt 11, 213; BGHR StPO § 136 - Belehrung 5; BGHSt 33, 148).
3. Der unmittelbar Betroffene soll durch die genannte Vorschrift nicht vor eigenen unbedachten Äußerungen geschützt werden, die er vor der Kontaktaufnahme mit dem für ihn zuständigen Konsularbeamten bzw. der entsprechenden Belehrung über seine diesbezüglichen Rechte gemacht hat. Insoweit gewährt das WÜK keinen über § 136 StPO hinausgehenden Schutz. Durch die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung soll vielmehr verhindert werden, daß Angehörige eines Entsendestaates, die außerhalb ihrer Heimat vielfach nur über geringe oder gar keine Sozialkontakte verfügen, dort aufgrund staatlichen Zugriffs spurlos aus der Öffentlichkeit verschwinden. Allein insoweit ergänzt das WÜK deutsches Strafverfahrensrecht.
4. "Zuständige Behörde" für die Belehrung des Festgenommenen und die Benachrichtigung dessen konsularischer Vertretung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b) WÜK ist nicht die unmittelbar festnehmende Polizei, sondern der in §§ 115, 115a, 128 StPO genannte Richter.
1. Die Verfahrenstrennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens läßt die einmal begründete Zuständigkeit des höherrangigen Gerichts nicht entfallen; einer Abgabe der Sache an ein Gericht niederer Ordnung steht § 269 StPO entgegen. (BGHSt)
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Revision grundsätzlich nicht auf die behauptete Zuständigkeit eines Gerichts niedrigerer Ordnung gestützt werden (BGHSt 9, 367, 368; 43, 53, 55). (Bearbeiter)
3. Ein Revisionsgrund kann allenfalls bei Verletzung höherrangiger Rechtsgrundsätze vorliegen, insbesondere dann, wenn der Angeklagte willkürlich seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde (BGH NJW 1993, 1607, 1608; BGHSt 38, 212; 43, 53, 55). An die Annahme von Willkür sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen: Sie kommt nur in Betracht, wenn die unzutreffende Bejahung gerichtlicher Zuständigkeit auf sachfremde oder offensichtlich unhaltbare Erwägungen gestützt wird (BGH NJW 1993, 1607, 1608; BGHSt 43, 53, 55). (Bearbeiter)
1. Bei § 304 Abs. 5 StPO handelt es sich um eine die Anfechtungsmöglichkeit abschließend regelnde Ausnahmevorschrift, die restriktiv auszulegen und einer analogen Anwendung nicht zugänglich ist. Sie kann daher nur auf solche nicht ausdrücklich aufgezählten Verfügungen des Ermittlungsrichters erstreckt werden, die nach dem Wortsinn noch als Unterfall einer der in § 304 Abs. 5 StPO ausdrücklich genannten Eingriffsmaßnahmen unter den Wortlaut der Norm subsumierbar sind und nach Sinn und Zweck der zugrunde liegenden gesetzgeberischen Konzeption der Anfechtung offenstehen müssen (BGHSt 29, 13, 14; 36, 192, 195; 43, 262, 264).
2. Allein die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen stellt kein Kriterium dar, das bei der Auslegung des § 304 Abs. 5 StPO eine Erweiterung des Katalogs dieser Vorschrift über den möglichen Wortsinn hinaus rechtfertigen könnte.
3. Eine außerordentliche Beschwerde gegen rechtskräftige Entscheidungen ist im Strafverfahren, zu dem im weiteren Sinne auch das DNA-Identitätsfeststellungsverfahren nach §§ 2 ff. DNA-IFG zählt (BVerfG NStZ 2001, 328; BGH StV 1999, 302), nicht anzuerkennen (BGHSt 45, 37). Dies gilt selbst dann, wenn die rechtskräftige Entscheidung Grundrechte des Betroffenen verletzt. Die Anerkennung eines außerordentlichen weiteren Rechtsmittels und damit die Eröffnung einer gesetzlich nicht vorgesehenen weiteren fachgerichtlichen Instanz ist zur Beseitigung jeglicher Grundrechtsverstöße nicht geboten. Sie käme im Gegenteil mit der Garantie des gesetzlichen Richters in Konflikt (BGHSt 45, 37, 40).
Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, sind vom Tatrichter nicht ohne weiteres hinzunehmen; ihre Zurückweisung erfordert auch nicht, daß sich ihr Gegenteil positiv feststellen läßt (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Einlassung 5).
1. Die Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes gegen den Eingriff in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 13 Abs. 1 GG gebietet, daß auch nach Abschluß der Durchsuchung deren Rechtmäßigkeit mit dem grundsätzlich gegen diese Maßnahme gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel zur Überprüfung gestellt werden kann (BVerfGE 96, 27; BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 1; BGH NJW 2000, 84, 85).
2. Die Entscheidungskompetenz des Senats beschränkt sich indessen auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung. Über die Einwände der Betroffenen gegen die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchung und gegen die von den Ermittlungsbehörden hierbei ohne richterliche Anordnung ausgesprochenen Beschlagnahmen hat dagegen der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zu befinden (§ 98 Abs. 2 Satz 2, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO; BGHSt 45, 183; BGH NJW 2000, 84, 86).
3. Die Durchsuchungsanordnung gegen einen Nichtverdächtigen setzt voraus, daß hinreichend individualisierte Beweismittel gesucht werden (BVerfG NJW 1981, 971; BGHR StPO § 103 Gegenstände 1 und Tatsachen 1). Diese müssen, da die Durchsuchung ausdrücklich nur zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände zulässig ist, im Durchsuchungsbeschluß so weit konkretisiert werden, daß weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können. Dazu ist es zwar nicht notwendig, daß sie in allen Einzelheiten beschrieben werden. Erforderlich ist es jedoch, daß sie zumindest ihrer Gattung nach bestimmt sind (zum Umfang der notwendigen Konkretisierung s. etwa BGHR StPO § 103 Gegenstände 1).
1. Die einmal eingetretene Zuständigkeitskonzentration nach § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO bleibt für die weiteren Anträge im gleichen Verfahren erhalten.
2. Die Frage, ob die Zuständigkeitsbegründung nach § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO schon dann eintritt, wenn die Staatsanwaltschaft zunächst nur in einem Bezirk eine richterliche Untersuchungshandlung herbeigeführt hat und danach eine solche in einem anderen Bezirk erforderlich wird oder voraussetzt, daß mindestens zwei solcher Anträge gleichzeitig gestellt werden bedarf hier keiner Entscheidung.
1. Die Einnahme eines Augenscheins ist eine wesentliche Förmlichkeit, deren Beurkundung durch § 273 Abs. 1 StPO vorgeschrieben ist. Schweigt das Protokoll über die Einnahme eines Augenscheins, so gilt dieser wegen der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO als nicht erfolgt (BGH NStZ 1993, 51; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 31). Auch wenn dieses Ergebnis der wahren Sachlage widersprechen sollte, muß es als Konsequenz der dem § 274 StPO zugrundeliegenden gesetzgeberischen Entscheidung hingenommen werden (BGH NStZ 1993, 51 m.N.).
2. Eine gängige Praxis der Strafkammer allein rechtfertigt eine Durchbrechung der negativen Beweiskraft des Protokolls nicht. Die Beweiskraft des Protokolls entfällt nur dann, wenn es offensichtliche Widersprüche oder Lücken aufweist. Dann kann das Revisionsgericht das Protokoll im Wege des Freibeweises ergänzen (vgl. BGHSt 17, 220, 222; 31, 39, 41).
1. Die Tatsache, daß der Sachverständige vor der Hauptverhandlung (auch) für die durch die Tat geschädigte Brandversicherung beruflich tätig geworden und durch diese bezahlt worden war, rechtfertigt aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis, daß er bei Erstattung seines Gutachtens in dem Strafverfahren gegen ihn nicht unbefangen sein würde; unabhängig davon, ob sich der Sachverständige in seinem für die Versicherungsgesellschaft erstatteten Gutachten bereits festgelegt hatte, war allein sein berufliches Tätigwerden (auch) für fremde Interessen vom Standpunkt des Angeklagten aus geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen (vgl. BGHSt 20, 245, 246).
2. Die erfolgreiche Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit hindert nicht, ihn als Zeugen oder sachverständigen Zeugen über Tatsachen zu vernehmen, die ihm bei Durchführung des erteilten Auftrags bekannt geworden sind (BGHSt 20, 222, 224).
1. Eine Verfahrensrüge muss die begründenden Tatsachen so vollständig und genau angegeben hat, daß das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. BGHSt 29, 203).
2. Welche Norm die Rechtsgrundlage für eine vorübergehende Entfernung des Angeklagten bildet, ist für die Frage, ob auch die Verhandlung über die Vereidigung unter Ausschluß des Angeklagten erfolgen darf, von Bedeutung. § 51 JGG stellt jedoch nicht auf den Begriff der Vernehmung, sondern auf den weiten Begriff der "Erörterung" ab, der nicht nur die Beweisverhandlung erfaßt, sondern auch Ausführungen sämtlicher Prozeßbeteiligter einschließlich der Schlußvorträge.
3. Wie sich u.a. aus § 51 Abs. 1 Satz 2 JGG ergibt, der eine gegenüber § 247 Satz 4 StPO eingeschränkte Unterrichtungspflicht normiert, nimmt der Gesetzgeber im Interesse eines auch an erzieherischen Gesichtspunkten ausgerichteten Jugendstrafverfahrens eine Einschränkung von Verteidigungsrechten des Angeklagten grundsätzlich in Kauf.
4. Die Sicherung des Fragerechts gebietet nicht die Anwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung und Entscheidung über die Entlassung eines Zeugen (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 20, 23). Vielmehr genügt es zur Sicherung der Verteidigungsrechte des Angeklagten, das Gericht, das den Zeugen während der Abwesenheit des Angeklagten entlassen hat, obwohl der Angeklagte noch weitere Fragen hat, zu verpflichten, den Zeugen wieder herbeizuschaffen, ohne den Angeklagten auf die Stellung eines Beweisantrages zu verweisen (BGHR aaO 18 und 20).
1. Zulässiges prozessuales Verhalten darf nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. dazu BGHSt 45, 367, 369, 370; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 13, 21). Stellt der Angeklagte die Tat mit einer allgemeinen Erklärung in Abrede so ist dies mangels Mitwirkung des Angeklagten an der Aufklärung des Sachverhalts nicht als nur teilweises Schweigen zu werten, das einer Würdigung zugänglich wäre (vgl. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 14). Der Angeklagte darf aber nicht nur schweigen, sondern ebenso auf den Antritt eines Entlastungsbeweises verzichten, ohne deshalb, in Kauf nehmen zu müssen, daß dieses Verhalten als belastender Umstand bewertet wird und ihm damit zum Nachteil gereicht (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 13, Überzeugungsbildung 8).
2. Es ist grundsätzlich die Entscheidung des Angeklagten, wann er einen Beweisantrag stellt (Rechtsgedanke des § 246 Abs. 1 StPO). Allerdings darf durchaus bei der Würdigung eines solchen, spät angetretenen Beweises in Rechnung gestellt werden, daß eine etwa entlastende Aussage erst während des Verlaufs der Hauptverhandlung zustande gekommen ist und es dem Zeugen mithin möglich war, seine Aussage auf das bisherige Beweisergebnis einzurichten (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21). Selbst wenn der Zeitpunkt einer Beweisantragstellung als solcher einer Beweiswürdigung ausnahmsweise zugänglich sein sollte (so noch Senat, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; differenzierend auch BGHSt 45, 367, 369/370) ist eine darauf abstellende Beweisführung nur dann lückenlos und tragfähig, wenn naheliegende unverfängliche Erklärungsmöglichkeiten für den späten Beweisantritt erörtert und ausgeräumt werden.
3. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Tatopfers darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen könnten, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, und festzustellen, daß sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubhaftigkeit in Zweifel zu ziehen (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; Beweiswürdigung, unzureichende 1).
Es ist im allgemeinen anzunehmen, daß das Tatgericht bei der Beweiswürdigung den Aussagen eines Zeugen, der unvereidigt hätte bleiben müssen, um der Vereidigung willen größere Glaubwürdigkeit beigemessen hat, als es dies sonst getan hätte (vgl. BGHSt 4, 255, 257). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber anerkannt, daß die Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BGHR StPO § 60 Nr. 2 Vereidigung 4 und 5 sowie Strafvereitelung, versuchte 8).