HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2001
2. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 3 StR 378/00 - Urteil v. 22. Dezember 2000 (OLG Rostock)

Strafverfolgungskompetenz des Bundes (Abgrenzung zur Länderkompetenz; Vorgaben durch das Grundgesetz); Auslegung des Merkmals "bestimmt und geeignet die innere Sicherheit ... zu beeinträchtigen" (§ 120 Abs. 2 S.1 Nr. 3a GVG); "besondere Bedeutung des Verfahrens"; Überprüfung des Eröffnungsbeschlusses durch den Bundesgerichtshof; perpetuatio fori

§§ 269; 336 Satz 2 StPO; § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a GVG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

1. Die Strafverfolgungskompetenz des Bundes und damit des Generalbundesanwaltes und der Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte beschränkt sich auf das Gebiet des Staatsschutzstrafrechts. Daher ist der Bund für die Verfolgung der in § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG genannten Katalogtaten rechts- oder linksextremistischer Gewalttäter nach der Alternative "bestimmt und geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen" (Buchst. a der Vorschrift) ausnahmsweise nur dann zuständig, wenn die Tat darauf gerichtet ist, das innere Gefüge des Gesamtstaates oder dessen Verfassungsgrundsätze zu beeinträchtigen. (BGHSt)

Zu diesen Verfassungsgrundsätzen zählt der Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft gegenüber Minderheiten. Dieser Grundsatz wird beeinträchtigt, wenn der Täter das Opfer nur deshalb angreift, weil er es als Mitglied einer nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe treffen will. (BGHSt)

2. Weiter setzt die Strafverfolgungszuständigkeit des Bundes voraus, daß die die Tat prägenden Umstände und ihre Auswirkungen dem Fall besondere Bedeutung verleihen und deshalb die Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt geboten ist. Die besondere Bedeutung muß sich aus dem spezifischen Gewicht des Angriffs auf eines der dem § 120 Abs. 2 GVG zugrunde liegenden Rechtsgüter des Gesamtstaates ergeben. (BGHSt)

3. Im Revisionsverfahren prüft der Bundesgerichtshof von Amts wegen, ob das Oberlandesgericht im Eröffnungsbeschluß seine Zuständigkeit nach § 120 Abs. 2 GVG unter Zugrundelegung zutreffender rechtlicher Maßstäbe bejaht hat. (BGHSt)

4. § 269 StPO bedarf einschränkender Auslegung. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmeregelung zu dem in § 6 StPO niedergelegten Grundsatz, daß das Gericht seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen hat. Sie darf daher nur so weit Anwendung finden, wie die Nichtbeachtung der sachlichen Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung durch den Zweck der Vorschrift, auf Verfahrensbeschleunigung und Prozeßwirtschaftlichkeit hinzuwirken, gerechtfertigt werden kann. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn höherrangige Rechtsgrundsätze entgegenstehen. (Bearbeiter)

5. Es findet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs § 269 StPO dann keine Anwendung, wenn das Gericht höherer Ordnung seine sachliche Zuständigkeit aufgrund sachfremder oder sonstiger offensichtlich unhaltbarer Erwägungen und damit willkürlich angenommen hat (s. etwa BGHSt 38, 212; 40, 120, 122). (Bearbeiter)

6. Hat das Oberlandesgericht bei Zulassung der Anklage des Generalbundesanwaltes dagegen seine Zuständigkeit zutreffend angenommen und stellt sich aufgrund später im Hauptverfahren gewonnener neuer Erkenntnisse heraus, daß eines der die Zuständigkeit des Bundes begründenden gesetzlichen Merkmale des § 120 Abs. 1 oder 2 GVG nicht mehr bejaht werden kann, gilt der Grundsatz der perpetuatio fori. Mit dem rechtmäßigen Eröffnungsbeschluß hat das Oberlandesgericht die Zuständigkeit der Bundesjustiz für das weitere Verfahren bindend festgestellt. Die Fortsetzung des Verfahrens beinhaltet daher keinen Eingriff in die Justizhoheit der Länder. Es kann somit dem Rechtsgedanken des § 269 StPO wieder Rechnung getragen werden, daß es aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozeßwirtschaftlichkeit bei der Zuständigkeit des Gerichts bleiben soll, das das Hauptverfahren vor sich eröffnet hat. Die Verweisung an ein anderes erstinstanzliches Gericht hat daher zu unterbleiben. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 BGs 42/01 - Beschluß des Ermittlungsrichters v. 21. Februar 2001

Telekommunikationsüberwachung; TÜ; Telefonüberwachung; Mobilfunktelefon; Bereitstellung von Informationen durch den Netzbetreiber; Standortbestimmungen; Beschwerde; Fernmeldegeheimnis; Allgemeines Persönlichkeitsrecht; Spezialität

§§ 100a, 100b StPO; § 304 Abs. 4 StPO; Art 10 Abs. 1 GG; § 85 Abs. 1 TKG; § 3 Nr. 16 TKG; § 1 FÜV; Art 2 Abs. 1 iVm Art 1 Abs. 1 GG

1. Die Strafverfolgungsbehörden können im Rahmen einer nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation mit einem Mobilfunktelefon von dem Netzbetreiber die Bereitstellung von Informationen darüber, in welcher Funkzelle sich das Telefon befindet, auch dann verlangen, wenn mit diesem nicht telefoniert wird. (BGHR)

2. Der Überwachung und Aufzeichnung nach §§ 100a, 100b StPO unterliegen alle Formen der Nachrichtenübermittlung unter Raumüberwindung in nicht-körperlicher Weise mittels technischer Einrichtungen (BGH - Ermittlungsrichter - NStZ 1997, 247). (Bearbeiter)

3. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses umfaßt nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern ebenso die Kommunikationsumstände - hierzu gehört insbesondere, ob und gegebenenfalls wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Fernmmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr statt gefunden hat oder versucht worden ist (BVerfGE 67, 157, 172; 100, 313, 358; vgl. auch BGH StV 1998, 173). (Bearbeiter)

4. Das Grundrecht des Art. 10 GG muß in seiner durch die technischen Entwicklungen bedingten heutigen Bedeutung gesehen werden und ist gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das speziellere Grundrecht. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 500/00 - Beschluß v. 10. Januar 2001 (LG Darmstadt)

Unwirksamer Rechtsmittelverzicht nach unrichtiger Erklärung oder Auskunft des Gerichts; Unwirksame Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch (Verknüpfung von Strafzumessung und Schuldspruch); Beamtenrechtliche Nebenfolgen

§§ 302, 344 Abs. 1 StPO; §§ 20, 21 StGB; § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG

1. Der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten ist unwirksam, wenn er lediglich aufgrund einer - auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts (hier: zu beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils) zustandegekommen ist. (BGHSt)

2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam, wenn eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet wurde und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 1 StR 523/00 - Beschluß v. 16. Januar 2001 (LG Regensburg)

Unerreichbarkeit bei V-Personen; V-Mann; Informant; Identität; Beweisantrag; Sperrerklärung; Vertraulichkeitszusage

§ 96 StPO; § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

1. Ein Informant darf solange nicht als unerreichbares Beweismittel angesehen werden, als nicht eine Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde entsprechend § 96 StPO vorliegt (BGHSt 30, 34).

2. Die Zusicherung der Vertraulichkeit bindet nur - mit Einschränkungen - die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Für das gerichtliche Verfahren hat sie keine Bedeutung. Lassen sich der Name und die Anschrift des Informanten nicht anders feststellen, so kann und muß das Gericht von allen öffentlichen Behörden - auch von der Staatsanwaltschaft und der Polizei - diejenigen Auskünfte verlangen, die es zur Ermittlung der Beweisperson für erforderlich hält. Diese Behörden dürfen die Auskunft in entsprechender Anwendung des § 96 StPO nur verweigern, wenn die oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Es reicht nicht aus, wenn, wie hier, eine nachgeordnete Behörde entscheidet (BGHSt 35, 82, 85 m.w.Nachw.).


Entscheidung

BGH 5 StR 603/00 - Beschluß v. 24. Januar 2001 (LG Hamburg)

Unzulässige Verfahrensrüge; Wesentlicher Teil der Hauptverhandlung; Entlassung eines Zeugen; Anwesenheit; Fragerecht des Angeklagten

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 338 Nr. 5 StPO; § 247 StPO; § 247a StPO

1. Der fünfte Senat sieht in der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nach wie vor - gegen ihn bindende Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs (vgl. die in NStZ 2000, 440 abgedruckte Entscheidung des 4. Strafsenats) - generell keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO.

2. Zu einem Sonderfall, in dem nach vorheriger Videovernehmung des Zeugen eine spätere nur kurze Zeugenvernehmung in Abwesenheit des Angeklagten stattfand (kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, fehlende Tangierung des Fragerechts des Angeklagten). In einem solchen Fall ist ein eindeutiger Vortrag des Beschwerdeführers zu den Einzelheiten jener besonderen Vernehmungsgestaltung unverzichtbar (vgl. auch BGH NStZ 2001, 48).


Entscheidung

BGH 2 StR 56/00 - Beschluß v. 13. Dezember 2000 (OLG Koblenz)

Zulässigkeit einer Revision gegen ein Berufungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO bei unentschuldigtem Nicht Erscheinen; Verfahrenshindernis (zurückgezogener Strafantrag)

§ 329 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Die Revision gegen ein Berufungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ist zulässig, auch wenn sie nur eine Sachrüge enthält, mit der behauptet wird, das Amtsgericht habe ein Verfahrenshindernis nicht beachtet, das bereits bei der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils vorgelegen habe (Bestätigung von BGHSt 21, 242). (BGHSt)

2. Nur ein zulässiges Rechtsmittel führt zur Prüfung der in erster Instanz übersehenen Verfahrenshindernisse. (Bearbeiter)

3. Verfahrensvoraussetzungen sind nach ständiger Rechtsprechung Umstände, die so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängt (BGHSt 15, 287 f.; 32, 345 f.).


Entscheidung

BGH 2 AR 355/00 - Beschluß v. 12. Januar 2001 (OLG Frankfurt am Main)

Untersuchungsausschuß; Amtshilfe; Einsicht in staatsanwaltschaftliche Akten eines laufenden Ermittlungsverfahrens; Rechtsweg; Begriff des Verwaltungsaktes bei § 23 EGGVG

§ 17; § 17a GVG; § 23 EGGVG; Art. 44 GG

1. Für Streitigkeiten über die von einem Untersuchungsausschuß im Wege der Amtshilfe begehrte Einsicht in staatsanwaltschaftliche Akten eines laufenden Ermittlungsverfahrens ist der Rechtsweg nach § 23 EGGVG gegeben. (BGHSt)

2. § 23 EGGVG weist die Nachprüfung von Verwaltungsakten und sonstigen Maßnahmen den ordentlichen Gerichten nur dann zu, wenn die in Rede stehende Amtshandlung der zuständigen Behörde funktional als spezifisch justizmäßige Aufgabe auf einem der in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Rechtsgebiete anzusehen ist (BGHSt 44, 107, 112, 113; vgl. zum Rechtsweg auch BVerwG NJW 2000, 160 ff., 162). Nicht genügend ist, daß von der Maßnahme von der Strafjustiz hinzunehmende Folgen für das Strafverfahren ausgehen. (Bearbeiter)

3. Unter einer Maßnahme zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege sind nicht nur Tätigkeiten zu verstehen, die sich als Strafverfolgung im engeren Sinne darstellen, erfaßt werden auch die damit in Zusammenhang stehenden allgemeinen und besonderen Tätigkeiten der Justizbehörden zur Ermöglichung und geordneten Durchführung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung. Die Verwaltung der in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens anfallenden Akten und damit auch die Gewährung von Einsicht in diese Akten einschließlich deren Herausgabe, die Erteilung von Auskünften aus den Akten oder die Fertigung von Ablichtungen und Abschriften gehört zu diesen Maßnahmen, die nicht die Rechtsqualität eines Verwaltungsaktes im technischen Sinne des § 35 VwVfG haben müssen, es genügt schlichtes Verwaltungshandeln mit unmittelbarer Außenwirkung. (Bearbeiter)